Читать книгу Die Lagune - Armand Marie Leroi - Страница 13
IV
ОглавлениеIm Westen verströmt Lesbos die nüchterne Klarheit der Kykladen. Die Landschaft ist eine Komposition aus Rot, Ocker und Schwarz. Verantwortlich für die Farben ist vulkanisches Tuffgestein, erodierte Pyroklasten und Basalte, die vor 20 Millionen Jahren bei Vulkanausbrüchen entstanden. Die spärliche Pflanzendecke besteht aus der dornigen xerophytischen Fauna der ägäischen Phrygana, inmitten derer ein paar dürre Schafe zwischen Steinmauern zu grasen versuchen, die sich in geometrischen Gittern über die Berghänge ziehen. Im Osten jedoch ist die Insel üppig und grün. Über die Hänge des Olympos, einem Bergmassiv aus Schiefer, Quarzit und Marmor, ziehen sich Eichenwälder (Quercus ithaburiensis macrolepis und Q. pubescens) und in den größten Höhen finden sich dichte Bestände von Edelkastanien und harzreichen Kalabrischen Kiefern. Wasserschildkröten und Aale schwimmen in den Flüssen und Störche nisten in den Kaminen verlassener Ouzo-Fabriken. Im Frühling leuchtet in den Tälern die seltene asiatische Gelbe Azalee (Rhododendron luteum) und Teppiche aus Mohnblumen bedecken die Böden der Olivenhaine in den Ebenen. Dank ihrer Lage zwischen der europäischen und der asiatischen Landmasse mischt sich auf der Insel die Flora aus beiden Kontinenten und ist daher außergewöhnlich artenreich. 1899 beschrieb der griechische Botaniker Palaiologos C. Cantartzis 60 neue endemische Arten in seiner La végétation de l’île de Lesbos (Mytilène, Université de Paris, Sorbonne). Fast alle sind ungültig, aber selbst seine konservativeren Nachfolger zählen 1400 Pflanzenarten, darunter 75 Orchideen.
Kolpos Kalloni trennt die beiden Welten. Der 22 Kilometer lange und zehn Kilometer breite Wasserkörper liegt durch eine schmale, gewundene Meerenge geschützt vor dem offenen Meer und teilt die Insel fast in zwei Hälften. Er wird häufig als Lagune bezeichnet, tatsächlich handelt es sich aber um ein Binnenmeer der Art, die von den Ozeanografen als bahira bezeichnet wird. Er gehört zu den nährstoffreichsten Wasserkörpern in der östlichen Ägäis. Die Flüsse aus den umgebenden Hügeln tragen die Nährstoffe ein und versorgen so das Phytoplankton mit Nahrung, das im Vorfrühling das Wasser grün färbt. Die Seegraswiesen in den flachen Teilen dienen Brachsen, Barschen und Schwimmkrabben als Kinderstube. Die sanften Hänge seines schlammigen Bettes werden nur von uralten Austernriffen unterbrochen – erwähnt man jedoch Kalloni im Gespräch mit einem Griechen, wird er von seinen Sardinen schwärmen, die am besten gesalzen schmecken und mit Ouzo Plomari hinuntergespült werden.
Das Salz stammt aus der Fabrik am nördlichen Ende der Lagune. Ein Labyrinth aus Kanälen leitet das Salzwasser in immer höheren Konzentrationen von Pfanne zu Pfanne. In den gesättigten Lösungen bilden sich große Kristalle auf Ästen und Steinen, die unter Teppichen von Europäischem Queller und Strandflieder glitzern. In den innersten Pfannen wird das Salz zu einer rauen, öden Decke, die dann aufgebrochen und zu gewaltigen weißen Pyramiden angehäuft wird. Rostige Geräte stehen überall herum, sind jedoch selten im Einsatz zu sehen – die Salzernte ist ein ruhiges Geschäft. Die Ökologie der Salzpfannen ist sehr einfach. Salzliebende Algen werden von Salinenkrebsen und Salzfliegenlarven gefressen, die ihrerseits von Schwärmen von Rosaflamingos, Stelzenläufern und einer Vielzahl von Schnepfenvögeln und Regenpfeifern aus dem Wasser gesiebt und gepickt werden. Nur ein Fisch, der Zebrakärpfling Aphanius fasciatus, kann in der bitteren, heißen Salzbrühe leben und wird von den Schwarzstörchen und Braunen Sichlern gefressen, die durch die Kanäle waten, sowie von mehreren Seeschwalbenarten, die vom Himmel herabstoßen. Im Frühling und im Herbst sind die Salzpfannen und die umliegenden Sümpfe ein Ruheplatz für Tausende von Zugvögeln auf der Reise zwischen Afrika und dem Norden.