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Aristoteles ist weder Geograf noch Reiseschriftsteller, aber erstaunlich viele Passagen in seinen Arbeiten beziehen sich auf Kalloni, das er als Pyrrha kannte, nach einer Stadt an seinem östlichen Ufer. Die Häufigkeit dieser Passagen brachten D’Arcy Thompson auf seine Vermutung, dass Aristoteles hier einen großen Teil seiner biologischen Forschungen betrieb. Viele davon finden sich in seiner großen Abhandlung zur komparativen Zoologie, Historia animalium. Sie erzählen von den Tieren, die die Lagune bewohnen. Eine Zusammenfassung dieser Passagen zu einem biologischen Baedeker würde sich etwa so lesen:

Die Fische von Lesbos laichen in der Lagune bei Pyrrha. Einige der Fische – hauptsächlich die Eier legenden – schmecken im Frühsommer am besten, andere – Meeräschen und die Knorpelfische – im Herbst. Im Winter ist die Lagune kälter als das offene Meer; daher schwimmen die meisten Fische bis auf die Meergrundel aus der Lagune fort und kehren erst im Sommer wieder. Die weiße Meergrundel ist kein Meeresfisch, ist aber ebenfalls dort zu finden. Weil es im Winter keine Fische gibt, bleibt mehr Nahrung für die essbaren Seeigel der Meerenge – deshalb sind sie dann besonders reich an Rogen und wohlschmeckend, wenn auch klein. Es gibt Austern in der Lagune. (Einige Bewohner von Chios kamen nach Lesbos herüber und versuchten, sie in die Gewässer um ihre eigene Insel umzusetzen.) Einst gab es auch zahlreiche Jakobsmuscheln, aber Schleppnetze und Trockenheit haben sie verschwinden lassen. Die Fischer sagen auch, dass die Seesterne nahe dem Eingang zur Lagune besonders lästig seien. Obwohl die Lagune so viele Lebensformen beherbergt, ist eine Reihe von Arten dort nicht zu finden: Papageifische, Alosinae, Dornhaie. Auch keiner der anderen leuchtend bunten Fische ist dort anzutreffen, genauso wenig wie Langusten, der Gemeine Krake oder der Moschuskrake. Die Murex-Schnecken von Lectum, einem Festlandkap gegenüber Lesbos, sind von besonderer Größe.


kobios – Grundel – Gobius cobitis

So geschrieben, zeichnen Aristoteles’ Bemerkungen über die Lagune und ihre Lebewesen ein Porträt der Lagune, wie sie vor 23 Jahrhunderten aussah, vielleicht das älteste Porträt eines Naturortes, das wir haben.[] Heute ist kaum noch etwas von der alten Stadt Pyrrha übrig – Strabo schreibt, sie wurde zerstört (durch ein Erdbeben im 3. Jahrhundert v. Chr.) –, aber die Biologie stimmt noch immer. Die Lagune ist heute noch reich an Austern, allerdings werden sie inzwischen tonnenweise nach Nordeuropa exportiert. Bis vor Kurzem gab es dort auch noch Jakobsmuscheln. Tatsächlich beklagte sich ein Fischer bei uns, dass es früher Jakobsmuscheln am Eingang zur Lagune gab, dass aber die Schleppnetzfischerei sie vor zwanzig Jahren fast vollständig ausgelöscht hätte. Offenbar unterlag die Jakobsmuschelpopulation von Kalloni in den letzten 23 Jahrhunderten einigen Schwankungen und die Einheimischen haben sich schon immer darüber beschwert. Die Fischer bestätigen auch, dass die Fische jährlich zum Laichen in die Lagune und wieder hinaus wandern, dass es dort aber keine Papageifische, Alosinae oder Dornhaie gibt. Einiges hat sich seit Aristoteles’ Zeit jedoch auch verändert in der Lagunenfauna. Damals gab es keine Kraken, heute hingegen schon – ich habe selbst mehrere gefangen und gegessen. Und trotz ihrer Auffälligkeit erwähnt Aristoteles die Flamingos nicht – weil sie erst vor einigen Jahrzehnten in die Lagune zogen.

Die Lagune

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