Читать книгу Von keltischer Götterdämmerung. Die Kelten-Saga. Band 1-3: Anation - Wodans Lebenshauch / Völva - Wodans Seherinnen / Brictom - Wodans Götterlied. Die komplette Saga in einem Bundle - Astrid Rauner - Страница 29

Abschied

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Irgendwo kamen Stimmen aus der Dunkelheit. Aigonn wollte sich umdrehen, sich auf das andere Ohr legen und sie damit zum Schweigen bringen. Doch er blieb ohne Erfolg. Erstickte, panische Schreie hallten in die Schwärze hinaus – ohne erkennbares Ziel, ohne Grund, aber mit einer Inbrunst, dass es schmerzte.

Plötzlich schreckte die Wirklichkeit ihn aus dem Schlaf. Er wirbelte aus seinen Fellen, versuchte, sich auf die Beine zu rappeln, während er stolpernd aus seinem Schlaflager in den Raum hinausstürzte – bis er stehen blieb, um in die Realität zurückzufinden. Im ersten Moment war Aigonn vollkommen orientierungslos. Erschrocken starrte er in eine formlose Schwärze, die nur an einer einzigen Stelle durch ein rotes Glimmen durchdrungen wurde. Die Schreie hatten nicht aufgehört, kamen von irgendwoher und waren nun so nah, dass er selbst es hätte sein können.

Heftig atmend zwang Aigonn sich dazu, innezuhalten und nachzudenken. Wo war er? Bei Aehrel! Dies war Aehrels Haus. Er stand neben seinem Schlaflager unweit der Feuerstelle – und die Person, die schrie, war seine Mutter.

Ohne zu zögern, wirbelte er herum, stürzte in die Richtung, wo er das Schlaflager seiner Mutter vermutete. Es schepperte heftig, als er den Zwischenraum zwischen den Regalen verfehlte, Tontöpfe zu Boden fielen. Doch es war Aigonn egal. Nun, da sich seine Augen an das dämmrige Zwielicht gewöhnt hatten, erkannte er bald Moribes Gestalt. Sie lag starr am Boden, unfähig, sich zu bewegen, doch die Laute, die ihrem Mund entkamen, schienen in ihrer Gewalt nicht von dieser Welt zu kommen. Als versuchte irgendjemand, sie mit einem Messer zu schlachten, brüllte sie voller Schmerz ohne logischen Grund. Aigonn stürzte neben seiner Mutter auf die Knie, schlug ihr sacht auf die Wange, in der Hoffnung, ihr Bewusstsein ein Stück weit in die Realität zu holen. Doch er blieb ohne Erfolg.

Die Anstrengung hatte Moribes Gesicht rot anlaufen lassen – dies erkannte Aigonn selbst in dem Halbdunkel. Sie hatte ihre Augen so weit aufgerissen, dass die Augäpfel aus ihren Höhlen zu fallen schienen. Eine unsägliche Angst hatte sich in sie eingebrannt. Nirgendwo war erkenntlich, was sie ausgelöst hatte. Aigonn starrte auf sie herab, mit aller Gewalt und aller Konzentration, getrieben von der Möglichkeit, vielleicht in ihren Kopf, ihre Gedanken sehen zu können. Doch dazu war er nicht in der Lage. Er konnte seiner Mutter nicht helfen. Mit nichts, nicht mit Schütteln, Rütteln, Ansprechen, Einreden. Sie war nicht mehr Teil dieser Welt, sondern schien mit jedem Augenblick mehr verloren zu gehen.

„AEHREL!“

Es kam keine Antwort aus der Dunkelheit, auch nicht, als er noch einmal nach seinem Onkel brüllte. Er war allein. Diese Tatsache fraß jegliche Hoffnung, die ihn standhaft gemacht hatte. Seine Hände zitterten, als hätte der Winter in diesem Haus Einzug gehalten. Er konnte nichts tun.

Plötzlich kam Aigonn ein Gedanke. Ohne auf Funken zu achten, die wie ein Schneegestöber durch das Haus flogen, warf er zwei dürre, trockene Holzscheite auf die Feuerstelle, die augenblicklich aufloderten und ein wenig Helligkeit spendeten. Aehrel hatte sich von Rowilan zahlreiche Rezepturen für Kräuter- und Pflanzenmischungen geben lassen, die er noch immer in seinem Haus für Notfälle aufbewahrte – so hatte sein Onkel es Aigonn erzählt. Vielleicht würde es etwas geben, das wenigstens ihren Geist zur Ruhe bringen könnte – wenn es sie auch nicht zu ihm zurückbrachte.

Kleidungsstücke, Werkzeug und Geschirr kullerten und flogen beiseite, bis Aigonn in der Unordnung von Aehrels Hausstand die begehrten Säckchen finden konnte, die alle mit unterschiedlichen getrockneten Pflanzen und Kräutern gefüllt waren. Seine Hände zitterten so stark, dass er den Inhalt des ersten Leinensäckchens beinahe verschüttet hätte, als er probeweise daran roch. Wiesenkräuter, mehr war nicht auszumachen. Die Mischungen rochen alle gleich. Doch im ersten Beutel konnte Aigonn undeutlich Blüten von Schafgarbe erkennen. Das würde ihm nicht weiterhelfen. Nachdem er das Säckchen wieder zugeschnürt hatte, ließ er es achtlos neben sich auf den Boden fallen und nahm sich das nächste. Königskerze, Salbei, weg damit!

Das Geschrei ließ nicht nach und hatte allmählich in Aigonns Ohren zu dröhnen begonnen. Er konnte seine Hände nicht ruhig halten. Verzweiflung drängte sich in seinen Kopf. Er konnte ihr nicht helfen, nicht er. Aigonn sah schon gar nicht mehr hin, als er in ein Säckchen hineinfasste, das unter anderen Beuteln verborgen gelegen hatte.

Der Inhalt glitt unbeachtet durch seine Finger – bis er stutzte und hinsah. Pilze waren im Schein des Herdfeuers zu erkennen. Durch das Trocknen waren sie eingeschrumpelt, doch es waren noch immer vereinzelte Punkte als Vertiefungen zu sehen. Mit gerunzelter Stirn roch Aigonn daran. Der Geruch war für ihn nichtssagend – und genauso gut wusste er, dass viele Pilze zum Heilen von Krankheiten verwendet wurden. Schleierhaft war ihm jedoch die Herkunft einiger eingetrockneter Kapseln, dick wie ein Daumen und mindestens halb so groß, die zwischen den Pilzen im Beutel lagen. Als Aigonn eine davon herausnahm, zerdrückte er sie versehentlich und erkannte in ihrem Inneren eine feste – vielleicht aber auch klebrige – pulverartige Struktur. Einen Herzschlag lang überlegte er, ob er die Substanz probieren sollte, doch er entschied sich dagegen, verschloss den Beutel wieder und ließ ihn skeptisch zu Boden sinken.

Wenn Aehrel wieder hier sein würde – wo auch immer er war – wollte Aigonn seinen Onkel nach den seltsamen Kräutern fragen, die er aufbewahrte. Er selbst hatte noch nie gesehen, dass besagte Kapseln in irgendeiner Weise gegen Krankheiten oder Leiden verwendet wurden. Wenn Aigonn ehrlich war, hatte er überhaupt noch nie solche Kapseln gesehen – zumindest konnte er sich dessen im Moment nicht entsinnen.

Die Schreie seiner Mutter erinnerten ihn daran, wonach er auf der Suche war. Für einen Moment überkam ihn Verzagtheit. Was konnte er allein schon ausrichten?

Allein. Dieser Gedanke brachte ihm eine neue Idee. Er war vielleicht nicht dazu im Stande, aber Rowilan! Ohne den Kräuterbeuteln weitere Beachtung zu schenken, stieß Aigonn die Tür auf und rannte in die Dunkelheit hinaus.

Es war tiefste Nacht. Wolken hielten das Licht des Mondes verborgen, sodass die Lichtfunken der wenigen, ausglühenden Herdfeuer wie Sterne in der schier undurchdringlichen Schwärze erschienen. Aigonn stolperte mehrfach, als er über die erdigen Wege hechtete und endlich nach einiger Zeit die Silhouette von Rowilans Haus in der Dunkelheit erkannte. Er hoffte zumindest, dass er sich nicht geirrt hatte.

Ohne anzuklopfen, riss Aigonn die Tür auf – und blickte tatsächlich in das von einem Herdfeuer erleuchtete Haus des Schamanen. Dieser saß auf einem Rehfell, die Beine ineinander verschlungen und eine bronzene Kanne in den Armen, die er mit einem Lappen reinigte.

Rowilan sah erstaunt auf, als er den unerwarteten Besucher bemerkte. Aigonn erkannte, dass der Schamane ihn soeben noch freundlich willkommen heißen wollte. Doch als diesem Aigonns panischer Gesichtsausdruck bewusst wurde, vergaß er jegliche Floskeln, sondern fragte direkt: „Was ist passiert?“

„Meine Mutter … sie … ich weiß nicht, was mit ihr geschieht! Sie schreit, als ob man sie zu Tode hetzen würde, doch ich kann dir nicht sagen, was ihr fehlt. Ich … ich weiß nicht, was ich tun soll!“

So behutsam wie möglich ließ Rowilan die Kanne auf das Fell gleiten, bevor er aufsprang und in die andere Seite seines Hauses eilte. Kurz darauf kam er mit gut und gern fünfzehn verschiedenen Tontöpfchen und kleinen Beuteln zurück, von denen er Aigonn die Hälfte in die Arme drückte und dann zügig sein Haus verließ.

„Wo ist Aehrel? Ist er nicht zu Hause?“

„Nein, Aehrel ist weg. Ich kann dir nicht sagen wohin.“

Es war in der Dunkelheit nicht sichtbar, doch Aigonn war sich sicher, dass Rowilan die Stirn runzelte. Wie um seine Gedanken zu bekräftigen, murmelte er verständnislos: „Mitternacht müsste bald vorbei sein. Hat er nicht gesagt, was er vorhat?“

„Kein Wort.“

Auf dem Rückweg bemerkte Aigonn erst, dass auch andere der verbliebenen Dorfbewohner von den Schreien seiner Mutter aufgeweckt worden waren. Eine kleine Menschentraube hatte sich vor Aehrels Haus gebildet – unsicher, ob sie das fremde Haus betreten sollten, das Aigonn kurz zuvor erst verlassen hatte.

Rowilan scheuchte die Gruppe, die überwiegend aus Frauen bestand, mit einer kurzen Bemerkung beiseite, bevor er sich Zutritt zum Haus verschaffte und die Schaulustigen draußen aussperrte.

Moribe hatte sich immer noch nicht beruhigen können. Man hörte deutlich, dass ihre Kräfte nachließen. Unverständliche Worte schwangen immer wieder in ihren Schreien mit, die jedoch weder Aigonn noch Rowilan wirklich verstanden. Der Schamane sank neben ihrem Schlaflager auf die Knie, Aigonn kurz hinter ihm, und befühlte sorgenvoll ihre schweißnasse Stirn. „Sie hat Fieber, immer noch.“

Er fasste nach ihrem Puls. Seine Miene verdunkelte sich. „Ihr Herz rast. So geschwächt wie sie ist, wird sie das nicht mehr lange durchhalten.“

Aus Aigonns Ahnung wurde Schrecken. Obwohl der Schamane nach einem der Töpfchen langte, die sie mitgebracht hatten, erkannte Aigonn an dessen Ausdruck, dass auch er nicht viel tun konnte.

„Bring mir Wasser und eine flache Schale!“

Aigonn stolperte davon, brachte kurz darauf aber einen kleinen Krug und das gewünschte Geschirr mit sich. In die Schale kippte Rowilan einen Schuss Wasser, vermischte dieses mit einigen Kräutern zu einer breiigen Paste, bevor er Aigonn den Krug in die Hände drückte. „Du musst mir helfen“, wies er ihn an. „Sie wird die Paste nicht einfach schlucken. Du musst vorsichtig versuchen, Wasser hinterher zu gießen, damit sie es nicht ausspuckt. Ihr Körper wird Flüssigkeit brauchen!“

„Was ist das?“ Aigonn blickte zweifelnd auf den Brei, den Rowilan in der Schale in seinen Händen hielt. „Baldrian. Normalerweise verwende ich ihn nicht pur. Aber das hier ist eine Ausnahme. Also hilf mir!“

Aigonn nickte. Zusammen mit dem Schamanen beugte er sich vor. Rowilan hatte gerade die Schale an Moribes zuckende Lippen gesetzt, als diese auf einmal erschlafften. Der Körper der Frau entspannte sich. Als hätte der Schamane einen Zauber gesprochen, verstummten ihre Schreie, verlangsamte sich ihre Atmung. Die Erschöpfung schien wie ein Tuch auf sie niederzufallen.

„Was geschieht mit ihr?“ Mit schreckensweiten Augen sah Aigonn zu seiner Mutter hinab. Rowilan stellte verwirrt die Schale beiseite, legte stattdessen das Ohr direkt über ihr Herz und stockte, als ihn Gewissheit überkam.

Aigonn sah den Ausdruck in seinem Gesicht – eine Miene, die deutlich machte, dass es nichts mehr zu tun gab. Ein Gedanke – nicht ausgesprochen, aber gegenwärtig – schnürte ihm die Kehle zu. Obwohl er sie zurückhalten wollte, brach die Panik in seiner Stimme durch, als er Rowilan abermals fragte, noch lauter als zuvor: „WAS GESCHIEHT MIT IHR?“

„Sie stirbt.“ Rowilans Stimme war nicht zu deuten. Es gab kein Gefühl in ihr, keine Trauer oder Verzagen – nur die Gewissheit, die Aigonn die Luft zum Atmen raubte. Ein Schrei, ein Vorwurf, lag ihm auf den Lippen. Er wollte ihn bereits ausstoßen, als eine andere Stimme alles vergessen machte, das er hatte sagen wollen.

„Aigonn!“

„Mutter?“

Sie war es. Sie erinnerte sich an seinen Namen. Sie war zurück, so kurz vor dem Ende! Aigonn ließ den Tonkrug achtlos zu Boden fallen. Leise klirrend splitterte ein wenig Ton, der Henkel brach ab. Doch diese Sinneseindrücke erreichten Aigonns Bewusstsein nicht mehr. Er beugte sich weiter vor – sodass sein Ohr dem Mund seiner Mutter ganz nahe war. Und dann hörte er, wie sie sagte: „Aigonn …, ich bin angekommen.“

Auf einmal waren sie wieder da – die Erinnerungen, seine Kindheit. Ein Bilderfluss strömte auf ihn ein, den er nie vergessen hatte, der aber seit Jahren niemals so wirklich gewesen war wie in diesem Moment. Seine Mutter erschien vor seinem inneren Auge, zusammen mit Derona. Eine Mutter und ihre Tochter, kaum zwölf Jahre alt. Die namenlosen Gefühle, die damit verbunden waren, schmerzten Aigonn, dass er glaubte, auseinander zu brechen. Doch für die Gewissheit, die in allzu naher Zukunft lag, war es bisher noch nicht an der Zeit.

„Aigonn … Derona hat es gewusst. Sie wusste, wer die Tochter des Sängers ermordet hat. Sie selber hat es ihr gezeigt, aber Derona wollte es mir nicht sagen. Sie hat gesagt, dass es niemand wissen darf …“

Moribes Blick flackerte. Aigonn fühlte ihren flachen, warmen Atem auf seiner Haut, wie er immer schwächer wurde. Er verstand nichts von dem, was sie gesagt hatte, auch wenn er wusste, dass es wichtig war.

„Wer ist die Tochter des Sängers?“, fragte er. Doch Moribe war nicht mehr im Stande dazu, dieses Thema weiterzuführen. Mit müden Augen sah sie ihn an, lange, eindringlich, voller Kummer – und in diesem Moment wusste er, dass sie wieder die alte war. Die, die einmal seine Mutter gewesen war.

„Verzeih mir, Aigonn! Verzeih mir, dass ich nicht für dich und Efoh da war!“

Er wollte etwas antworten, doch die Worte kamen nicht über seine Lippen. Als er die Hand seiner Mutter neben sich spürte, die zitternd nach seiner tastete, nahm er sie, hielt sie so sachte, als ob sie in seinen Händen zerfallen würde. Binnen der vergangenen Tage war sie unendlich gealtert – das sah er erst jetzt. Wie bei einer Greisin wirkte ihr ausgemergeltes Gesicht mit den hohlen Wangen, das von schlohweißen Haaren umgeben war. Sie hatte kaum mehr Fleisch auf den Rippen, wirkte mehr wie ein Skelett mit Haut.

Dann sprach Moribe weiter, immer leiser: „Glaube niemals, dass ich dich und deinen Bruder verlasse! Das werde ich nicht. Wenn du willst, wirst du mich sehen, das hast du schon früher getan!“ Bei diesen Worten lächelte sie geheimnisvoll, bevor sie langsam die Augen schloss. „Du wirst mich immer sehen können!“ Einen Augenblick lang fühlte Aigonn ihren Atem auf seiner Haut, den Lebenshauch, das letzte, was zurückblieb, wenn die Zeit eines Lebens vollendet war. Dann verflog er. Aigonn konnte ihr Herz wie Trommeln in seinen Ohren hören, bevor es schwächer wurde. Der letzte Schlag. Verklungen. Aus.

Aigonn war versteinert. Sein Kopf arbeitete gegen ihn, wollte ihn dazu zwingen, zu begreifen. Doch er ließ es nicht zu. In seinem Kopf stand die Zeit still. Er vergaß seinen eigenen Atem, bis Rowilan ihn behutsam an der Schulter fasste und wider Willen kam, was er nicht hören wollte.

„Aigonn, sie ist tot.“

„Nein.“ Es lag keine Überzeugung in diesem Wort, nur der Wille, etwas Unbegreifliches mit allen Mitteln zu ändern. Doch es würde zwecklos sein, das wusste er, auch wenn er sich in diesem Moment daran nicht erinnern wollte. Der Trotz war stärker als das Begreifen. Er erfüllte jede Ritze in Aigonns Kopf und machte ihn unverwundbar gegen die Realität.

„Aigonn!“

„NEIN!“ Was machte es für einen Sinn zu reden? Der Geist seiner Mutter leuchtete silbrig neben ihrem Körper, der mit jedem Moment mehr die Wärme des Lebens verlor. Voll Trauer und Mitleid sah sie ihn an. Er wusste, dass sie ihm helfen wollte. Doch in diesem Moment war dies kein Trost. Sie würde fort sein, bald schon. Sie würde in der Anderen Welt verschwinden und als eine Person wiedergeboren werden, der er wohl niemals wieder begegnen würde. Sie war fort. Schon jetzt. Es war gewiss. Gewiss.

Der Trotz verlor den Kampf gegen die Wirklichkeit. Mit einem Krampf brachen die Tränen aus seinen Augen hervor, als Aigonn alle Trauer aus sich herausschrie und sich auf die Beine rappelte. Schreiend stolperte er aus dem Haus heraus. Ohne auf die Einrichtung seines Onkels zu achten, schlug er gegen Regale, gegen die Tür. Die übrigen Dorfbewohner, die noch immer draußen in der Dunkelheit gewartet hatten, wichen ihm erschrocken aus, während er in die Nacht hinausrannte.

Die Trauer hatte sich in Wut verwandelt – Wut darüber, dass er so unfähig war. Dass er nichts hatte tun können. Dass er überhaupt nichts tun konnte. Eine halb abgebrannte Hauswand wurde sein Opfer. Er schlug und trat so lange auf das Stroh-Lehm-Geflecht ein, bis es nachgab und in einer Wolke aus Staub zu Boden sackte. Doch es änderte nichts. Die Gewissheit brannte in ihm, auf seiner Zunge. Und mit seinem Zorn verschwand auch die Kraft, die ihn auf den Beinen gehalten hatte.

Weinend stürzte Aigonn neben dem Schutthaufen zu Boden. All seine sinnlosen Hoffnungen waren zerschlagen. Er hatte immer geglaubt, seine Mutter würde eines Tages wieder aus ihrer eigenen Welt erwachen, um mit ihm und Efoh ihren Lebensabend zu verbringen. So hätte es nicht enden sollen. Nicht so!

Wie ein kleines Kind saß er da, weinte über seine Hilflosigkeit, bis der dunkelste Zeitpunkt der Nacht vorüberging und die Dämmerung die Schwärze durchbrach. Aigonn brauchte diesen Augenblick, um zu begreifen. Jeder Gedanke schmerzte wie ein Messerstich. Es war kaum zu ertragen, für ihn, für Efoh – der nicht einmal hatte dabei sein können, als ihrer beider Mutter zum letzten Mal die wurde, die sie einmal gewesen war. Dabei hatte er sich mit dem Gedanken schon so lange abgefunden: Kein Mensch drehte die Zeit zurück. Kein Mensch.

Von keltischer Götterdämmerung. Die Kelten-Saga. Band 1-3: Anation - Wodans Lebenshauch / Völva - Wodans Seherinnen / Brictom - Wodans Götterlied. Die komplette Saga in einem Bundle

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