Читать книгу Von keltischer Götterdämmerung. Die Kelten-Saga. Band 1-3: Anation - Wodans Lebenshauch / Völva - Wodans Seherinnen / Brictom - Wodans Götterlied. Die komplette Saga in einem Bundle - Astrid Rauner - Страница 34

Ewig

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Sie waren das, was kein Mensch erfassen konnte. Die beiden Gestalten leuchteten heller als die Sonne. Ihr warmes Licht brach sich auf Aigonns Augen, ohne ihn mehr zu blenden. Es war noch weniger als ein Instinkt, es war etwas namenlos Unbeschreibliches, das ihn hatte auf die Knie sinken lassen, während er fassungslos vor sich blickte, auf etwas, das nur eine Silhouette war und dennoch mehr als alle Menschen, alle Tiere.

Die Götter.

Der Herr Des Waldes stand auf der linken Seite. Das gewaltige und gleichzeitig filigrane Geweih auf seinem Kopf ragte ehrfurchterregend gen Himmel, bildete ein makelloses Ganzes mit seiner glatten Haut und den Hirschhufen, die Aigonn ausmachen konnte. Die Gestalt daneben wirkte schlanker, noch weniger menschlich, mit einem Gesicht, für das Schönheit kein Ausdruck mehr war. In der Sprache der Menschen hatte dieser Zustand keinen Namen, reif, alt, aber gleichzeitig jugendlich. Unvergänglich, das waren sie, die Herren über die Welten, zwei von denen, deren Gestalten Menschen ähnelten, wenn sie solchen begegneten, aber doch jeden Zustand annehmen konnten, der existierte.

Der Herr Des Lebens, der Vater, stand neben dem Herren Des Waldes. Das ewige Rad schimmerte dort, wo Aigonn die Stirn eines Menschen sehen konnte, wenn er wollte: Geburt und Vergehen, Tod und Wiederkehr, der unendliche Kreis, den keine Macht dieser Welt jemals durchbrechen würde.

Die Kraft der Götter, die warm wie Sonnenstrahlen auf Aigonn hinabschien, überwältigte ihn. Er wusste nicht, was er sagen sollte – ob er überhaupt etwas zu sagen brauchte. Der Herr Des Lebens lächelte fein, als Aigonns Gefühle zu ihm hinüberströmten. Seine Stimme schien von allen Seiten zu hallen, als er sagte: „Willkommen, Wanderer! Wir freuen uns, dass ein Mensch mit deinen Fähigkeiten endlich wieder den Weg zu uns gefunden hat.“

Der Herr Des Lebens trat näher heran. Die unmittelbare Gegenwart seiner reinen, allmächtigen Kraft wollte Aigonn aus Respekt zurückweichen lassen, doch ein untergründiges Gefühl, das sie ihm sandte, hielt ihn zurück. Der Gott lächelte noch immer, als er sagte: „Wir haben auf dich gewartet. So vielen Menschen haben wir die Gabe geschenkt, der du dich dein Leben lang bedient hast. Aber du bist einer der wenigen, denen es gelungen ist, die Grenze zwischen den Welten im Leben zu überschreiten.“

„Ich …“ – Alles in Aigonn sträubte sich dagegen, Widerworte zu geben. Er konnte jedoch nicht anders, als zu sagen: „Ich bin gezwungen worden, es zu tun! Im Grunde habe ich mich dagegen gewehrt!“

„Oh ja, gezwungen wurdest du. Gezwungen, deinen Körper zu verlassen, den Weg ins Moor zu suchen, dich dem Tor zu stellen. Aber glaubst du nicht, ein Mensch deiner Kraft hätte die Macht besessen, vor dem Weltengang zu flüchten, wenn er es gewollt hätte?“

Aigonn wagte nicht, darauf zu antworten.

„Du hättest es nicht tun müssen, wenn du es nicht gewollt hättest. Dein Bewusstsein allein fällt nicht alle Entscheidungen! Dieser Mann, der den Übergang von dir forderte, hätte niemals die nötige Kraft, etwas zu erzwingen, das für gewöhnliche Menschen alle Gesetze der Welt sprengen würde!“

Er war im Recht, das konnte Aigonn spüren. Irgendein Gefühl, tief in ihm, erinnerte ihn daran, eröffnete, was sein Bewusstsein so nicht hatte erfassen können. Als der Herr Des Lebens nicht weitersprach, fragte er: „Warum erwartet Ihr mich?“

„Die Tatsache, dass nach so langen Jahren die Menschen wieder den Weg zu uns finden, bedeutet, dass es an der Zeit ist. Eurem Volk soll eine Gabe wiedergegeben werden, die ihr im Laufe der Generationen verloren habt.“ Für einen Herzschlag stoppte seine Rede. „Erst heute hat dir eine Seele einen Blick in das gegeben, was die Zukunft sein könnte.“

„Ja.“

„Möchtest du das wahre Sehen erlernen, Aigonn, und damit zu einem Weltenwanderer werden, der nicht nur Erinnerungen finden kann, sondern das Geschehen hinter ihnen; der erfahren kann, was die Zukunft vielleicht bringen mag und in der Vergangenheit geschehen ist?“

Es dauerte einen Moment, bis sich Aigonn die wahre Bedeutung dieser Frage erschloss. Und sie überforderte ihn. Als er seine Reaktion wahrnahm, fügte der Gott hinzu: „Dir droht keine Strafe, wenn du ablehnst, keine Missgunst, nichts. Du wirst all deine Fähigkeiten behalten, die du bisher hast nutzen können und darüber hinaus. Bist du dazu nicht bereit, wissen wir, dass du nicht der Richtige bist!“

Aigonn schluckte. In Gedanken wiederholte er dutzende Male dieses Angebot. Angebot. Der Herr Des Lebens selbst hatte ihm soeben das Angebot unterbreitet, ihm die Fähigkeit zu schenken, in die Zukunft zu sehen! Wie konnte er das ablehnen? Doch weit in seinem Hinterkopf hörte er eine leise Stimme Zweifel murmeln. Es klang unsicher, als er nachhakte: „Was ist der Preis?“

Der Gott lächelte milde und schenkte Aigonn damit eine Klarheit, die er lieber nicht erfahren hätte. „Das wusstest du schon, bevor du nur ahntest, die Grenze zwischen den Welten zu überschreiten.“

Und damit wurde es gewiss. Er war ein Seher und hatte die Worte des Moorsängers vernommen, der lange Jahre vor ihm diese Fähigkeit besessen hatte. Schon in diesem Moment hatte ein Teil von ihm sich danach gesehnt, es gespürt, die Gabe, die gleichsam Segen wie Fluch war, und manchmal auch keines von beiden; dreigesichtig, wie das Leben und das Sein.

Als hätte er sich sein Leben lang auf diesen Moment vorbereitet, fühlte Aigonn auf einmal eine klare, zielstrebige Sicherheit in seinem Denken und Tun, die er so nicht von sich kannte. Überzeugung, nach außen hin vielleicht nicht gefestigt, doch in seinem Innersten unumstößlich, begleitete seine Worte: „Mit Eurem Segen werde ich es tun.“

Licht flammte auf. Die Gewissheit in seinem Geist spiegelte sich im Gesicht des Gottes, als er noch näher kam, Aigonns Seele eins wurde mit seiner Kraft. Er wollte nicht denken, er brauchte es nicht. Von Vertrauen erfüllt schloss er seine Augen und begann zu fühlen, was Ewigkeit bedeutete.


Anation ging neben Rowilan und Aigonn in die Knie. „Geh beiseite!“ Der Schamane machte ihr Platz. Seine Augen musterten die junge Frau durchdringend, während sie sich zu Aigonn hinunterbeugte, ihr Gesicht sich dem seinen immer weiter näherte. Als ihrer beider Atem sich jedoch traf, hielt sie inne.

Anation. Dieser Name hallte in ihrem Kopf. Er erinnerte sie daran, was sie getan, was dieses Leben, dieses, bisher ausgemacht hatte. Es lag an ihr, Aigonn zurückzuholen. Sie wusste es. Ihre Aufgabe wurde zu einer Verantwortung, die ihr das Atmen schwer machte. Aigonn. Behutsam legten sich ihre Hände auf seine Wangen. Die fast todesgleiche Kälte seiner Haut wollte sie im ersten Moment zurückzucken lassen. Doch sie riss sich zusammen.

Sie sandte all ihre Sinne aus. Anations Geist löste sich so mühelos von ihrem Körper, dass sie fast einen Rückzug versuchen wollte. Der pulsierende Lebensfaden aber, der von Aigonn hinweg durch die steinernen Wände der Grotte, über den Wald hinaus bis ins Moor reichte, ließ Zweifel zu Funken verglühen. Ihre Gedanken standen still, als sie den warmen, dünnen Lichtstrahl erfasste, sich an ihm entlang tastete, hinaus, in den Wald. Das Gewicht der Welt war nicht mehr vorhanden. Von Schwerelosigkeit beflügelt, schwebte ihr Geist davon. Je näher sie dem Moor kam, desto mehr spürte sie die vibrierende Macht des Tores, das in dem Moorauge geöffnet den Weg in die Andere Welt bot. Ungewohnt, aber vertraut.

Erst in diesem Moment, da die Kraftströme des Tores nach ihr zu greifen begannen, reserviert, aber neugierig, als wäre es ein ganz eigenes Bewusstsein, bremste Anation ihr Vordringen. Hier war die Grenze. Sie würde den Übergang nicht wagen dürfen. Die Götter würden es nicht zulassen, dass sie die Grenze zur Anderen Welt überquerte. Doch sie hatte schon früher gelernt, welche Gefahren ihr drohten, abgesehen davon. Sie konnte die Orientierung verlieren, die Verbundenheit mit ihrem Geist. In der Welt der Menschen konnte sie verloren sein, während ihr Körper einen Kampf führen musste, den er nicht gewinnen konnte. Wenn das Band riss, würde sie selbst die heimatlose Seele sein. Es gab schlimmere Wege zu sterben als durch Folter und Hinrichtung.

Weit entfernt fühlte Anation, wie ihr Herz vor Aufregung gegen den Brustkorb hämmerte. Als hätte man die Verbindung zwischen Aigonns Seele und seinem Körper längst gelöst, ertastete sie die unsichtbare Grenze der Menschenwelt, die sie zweifeln ließ, ob sie ihn überhaupt erreichen konnte.

Nach einem Moment des Innehaltens nahm Anation all ihre Kraft zusammen. Sie schickte ihre Sinne aus, versuchte so weit sie konnte an die Grenze heranzutreten. Dann schrie ihre Seele mit aller Gewalt einen Namen in die Andere Welt: „AIGONN!“


„Es ist an der Zeit.“

Es fiel Aigonn schwer, seine Gedanken auf die Welt um ihn zu richten. Das Gefühl, das er empfand, hatte keinen Namen. Er wusste es, und eben deshalb versuchte er erst gar nicht, es mit menschlichen Worten zu umschreiben.

Die Götter hatten zu verblassen begonnen. Seine Stimme schien präsenter als seine Gestalt, als der Herr Des Lichtes aussprach: „Die Zeiten werden sich ändern. Noch nie stand der Lauf der Völker still, noch nie blieb ein Stamm für alle Zeit am selben Ort. Es werden andere Menschen kommen mit anderen Sitten und anderen Namen für ihre Götter. Doch vergiss niemals, Aigonn, nur weil Namen und Formen sich ändern, werden wir immer die bleiben, die wir heute sind und die wir immer waren.“

In diesem Moment glomm das Gesicht des Gottes so deutlich auf, dass die Klarheit in Aigonns Augen schmerzte. Für einen Moment erkannte er jede Kontur, jede Feinheit, die seine Vorstellungen aus Kindertagen, die er sich immer von seinen Göttern gemacht hatte, in jeder Weise darstellte. Doch dann veränderte sich das Antlitz. Es wurde alt, menschlicher, verwandelte sich in das Gesicht eines narbengezeichneten Mannes mit rauschendem Bart und langen, grauen Haaren, die mit einer Strähne ein Auge verdeckten. So, wie die Krieger es zu tun pflegten, wenn sie in der Schlacht ein solches verloren.

Nachdenklich legte Aigonn die Stirn in Falten. Seine Gedanken sogen das Bild auf, prägten es sich ein, was immer es zu bedeuten hatte. Dann begannen die Götter zu verschwimmen. Wo Aigonn bisher noch Gestalten hatte wahrnehmen können, glommen Lichtscheine von blendender Gewalt, die seine Augen jedoch erfassen konnten, als wäre er selbst Teil davon. Sein Körper, sein Geist schienen schwerelos und von einer klärenden Leere erfüllt, die nicht genug Raum ließ, um über das eben Erlebte spekulieren zu können. Aigonn wusste, dass etwas geschehen war. Doch um sich dessen bewusst zu werden, war es noch nicht an der Zeit.

Die Gestalt seiner Mutter war wieder zu sehen. Sie legte ihm die Hand auf den Arm und beschwor damit eine Wärme, die ihn wehmütig werden ließ. „Du musst gehen, Aigonn. Du kannst nicht bleiben.“

Es dauerte, bis diese Tatsache seine Gedanken erreichte. Die Präsenz der Götter, die noch immer in der Luft hing wie ein Funkenregen, machte es ihm schwer, die Realität ins Auge zu fassen, die ihm nie entfernter erschienen war als in diesem Moment.

„Und wie komme ich zurück?“

„Hör hin, Aigonn“, flüsterte sie. „Höre sie!“

Aigonn schloss die Augen. Alles an ihm wehrte sich dagegen, dies zu tun. Er wollte nicht fort, wollte bleiben. Das Gefühl von Ruhe und Ausgeglichenheit, das seinen Geist erfasst hatte, machte bloß den Gedanken an die Welt der Menschen abstoßend und unerträglich. Doch er wusste, dass es keinen Sinn hatte. Die Götter hatten ihm eine Gabe geschenkt, die in der Anderen Welt keinen Zweck haben würde. Sie war den Toten nicht von Nutzen, sondern für sein eigenes Volk bestimmt. Sein Kopf war noch nicht in der Lage, all dies in seinem vollen Ausmaß zu erfassen. Doch er spürte, dass er den Weg zurückfinden musste, musste!

Dann auf einmal hörte er sie. Sie schien so unendlich weit entfernt, doch erweckte in ihm eine Erinnerung, die lebendiger zu lodern begann als alles, das ihn soeben noch umgeben hatte. Die Götter selbst boten ihr die Möglichkeit dazu. Und Aigonn wusste, dass er ihr folgen konnte.

„AIGONN! KOMM ZURÜCK ZU MIR!“

„Anation.“ Ihr Name war nur ein Flüstern gewesen, doch er holte den Gedanken an sein Leben zurück. Die Stimme wurde zu einem Wegweiser, führte ihn. Wie von selbst machte Aigonn einen Schritt nach vorn. Er spürte das Lächeln seiner Mutter im Rücken.

Auf einmal aber stutzte er, wirbelte herum und fasste Moribe am Arm. Seine Lippen begannen eine Frage zu formen, seine Mutter jedoch brachte ihn mit einer Geste zum Innehalten.

„Ich werde dich nicht allein lassen, auch jetzt nicht. Das verspreche ich dir. Dir und Efoh.“

Damit begann ihre Gestalt zu verschwinden. Aigonn wehrte sich nicht gegen die Kraft, die nach ihm langte. Sie war nur ein Funken, ein dünner Schimmer von dem, was er nie so hatte begreifen können, aber von dem er immer gewusst hatte, dass es da war. Die Wehmut darüber, diesen Ort verlassen zu müssen, zerfloss in schimmernden Lichtstrahlen, während er sich umdrehte, zu laufen begann. Die Andere Welt verlor ihre Konturen. Er kehrte in die gestaltlose Leere zurück, die ihn empfangen hatte. Der leuchtende Wirbel erschien vor ihm, der dünne Strahl seines Lebens, eine Stimme.


„Aigonn!“ Rowilan tätschelte aufgeregt seine Wange. Anation kauerte entrückt zu seinen Füßen. Ihre ruhigen, gemäßigten Atemzüge verrieten die Kontrolle, die sie über die Lage erzwungen hatte. Sie würde seine Hilfe nicht brauchen.

Aigonns Lider jedoch begannen zu flackern. Ein leises Stöhnen verriet, wie nahe er seinem Körper war. Er kehrte zurück!

„Aigonn!“ Die Schläge des Schamanen wurden fester. „Aigonn!“ Auf einmal schlug Anation die Augen auf. Mit einem keuchenden Atemzug kehrte sie in ihren Körper zurück und ließ sich nach hinten auf die Hände fallen.

Dann begann Aigonn sich zu regen. Obgleich die Intensität des Rituals Anation sichtbar ermüdet hatte, rappelte sie sich auf, kämpfte mit dem Schwindel, bevor sie sich aufraffen konnte und den jungen Mann an der Hand fasste. Lächelnd flüsterte sie: „Er kommt zurück!“

Als hätten diese Worte den letzten Ausschlag gegeben, öffnete Aigonn den Mund zu einem tiefen Atemzug. Orientierungslos schlug er die Augen auf, blinzelte gegen die Müdigkeit an.

Erschrocken zuckte Anation zurück. Sie starrte in Aigonns Gesicht, erst schockiert, dann erkennend. Rowilan blickte fragend von ihr zu Aigonn, unsicher, was er davon halten sollte. Die junge Frau aber verstand, was geschehen war – und dieser Gedanke allein erfüllte sie mit Ehrfurcht.

Aigonn selbst spürte die Gefühle nicht, die ihn umgaben. Seine Lider schienen schwer wie Felsen zu sein, als er die Augen aufschlug. Verschwommene Bilder tanzten vor seinem Blick, klärten sich nur langsam. Ihm war unklar, warum sein Sichtfeld nicht größer wurde. Als er jedoch in Anations Miene blickte, begann er etwas zu ahnen. Zwei Augen sahen zu der jungen Frau hinauf, die eine Iris blau und klar, die andere jedoch von einer weißen Haut überzogen. Mehrfach blinzelte Aigonn, bis ihm die Wahrheit bewusst wurde. Die Erinnerungen kehrten zurück und brachten den Gedanken daran, was er befürchtet hatte. Sein linkes Auge zeigte ihm die Gestalten von Rowilan und Anation, deren Anwesenheit erlösende Erleichterung gab. Das andere Auge jedoch war erblindet.

Von keltischer Götterdämmerung. Die Kelten-Saga. Band 1-3: Anation - Wodans Lebenshauch / Völva - Wodans Seherinnen / Brictom - Wodans Götterlied. Die komplette Saga in einem Bundle

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