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Schill und Schiller

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Königssöhne sind oft merkwürdige Typen, denken wir nur an Charles, oder, seltsamer, an jenen Prinzen, der in Schneewittchen vorgeblich absichtslos durch den Wald reitet, bei sieben Zwergen übernachtet und dabei die anscheinend tote Prinzessin in ihrem gläsernen Sarg entdeckt: So lange bettelt er die sieben an, bis sie ihm den Leichnam überlassen. Ich bitte sehr! Schiere Nekrophilie! Ein sexuell Fehlentwickelter als Märchenheld! Ein Kerl, der Frauen nur tot (und unter Glasstürzen vor seinen Begierden geschützt) ertragen kann. Davon erzählt man Kindern? Sie wollen es nun mal so. Was den kleinen Luis angeht, so möchte er zum Einschlafen immer das Märchen vom Froschkönig hören.

Ich fange also an: »…da lebte ein König, dessen Töchter waren alle schön, doch…«

»Nein«, ruft Luis, »die waren alle schill!«

»Nein, die waren alle schön«, sage ich.

»Schill!«, ruft Luis, »es heißt schill.«

»Wieso schill?«, frage ich. »Was ist schill?«

»Der Lautsprecher sagt: Die Töchter waren schill.«

»Der Lautsprecher?«, frage ich.

»Der Lautsprecher vom Kassettenrecorder.«

Ein Hörfehler, denke ich, er hat’s falsch verstanden, als er die Märchenkassette anhörte. Weil es keinen Sinn hat, mit ihm zu diskutieren, fahre ich fort: »…dessen Töchter waren schill, doch eine war schöner als die anderen…«

»Nein, schiller«, ruft er da, »sie war schiller als die anderen.«

»Hat’s der Lautsprecher gesagt?«, frage ich.

»Ja, der Lautsprecher.«

»Aber, Luis, du hast falsch verstanden. Es heißt: ›Sie war schöner‹.«

»Schiller!«, ruft er.

Der Lautsprecher hat Autorität, denke ich. Und Luis soll schlafen.

Also erzähle ich weiter: »…war also die eine schiller als die anderen, und…« Erzähle und erzähle und denke dabei: »Schiller«, denke ich dabei. Bei Schiller taucht der Edelknecht nach einem goldnen Becher, um der Königstochter Gemahl zu werden. Und »Goethe« denke ich, da sitzt der Fischer angelnd, und eine Frau rauscht aus dem Wasser empor, erzählt von der Schönheit der Tiefe, bis es um den Fischer geschehen ist und er abtaucht:


»Halb zog sie ihn, halb sank er hin,

Und ward nicht mehr gesehn.«


Überall wird getaucht, der Weiber wegen. Aber gut geht es nie aus.

Hier sucht ein Frosch nach güldnem Ball, bitteschön. Dafür möchte er mit der Prinzessin ins Bett. Für diesen Wunsch wird er an die Wand geworfen. Da komme ich ins Grübeln. Worum geht es? Um Sehnsucht der Männer nach Erlösung durch Frauen? Kann man erlöst werden durch eine wütende Frau, die einen an die Wand wirft? Warum wirft sie den Frosch an die Wand? Weil er mit ihr schlafen will? Weil er hässlich ist? Weil er hässlich ist und mit ihr schlafen will? Warum besteht der König darauf, dass die schillste Tochter Sex mit einem Frosch hat? Aus väterlichem Egoismus? Weil Frösche nicht seinen Platz als erster Geliebter der Tochter gefährden können?

Oder ist alles eine Erfindung der Tochter? Schmuggelt einen Burschen im Froschgewande am Alten vorbei, wissend, dass sie den Grünen nur an die Wand werfen muss, um im Schleiflack-Jugendzimmer hemmungslos mit einer Art Brad Pitt herumvögeln zu können. (Die Eltern denken, sie pauke für den Bio-Leistungskurs?) Von Iring Fetscher gibt es ein Buch mit Märchen-Deutungen: Da ist der goldene Ball Synonym für einen goldenen Phallus, mit dem die Königstochter Spielchen treibt. Sie verliert ihn in unbewusster Selbstbestrafungsabsicht. Der Frosch: hilfsbereiter, erotisch anziehender Jüngling aus dem Volke. Der König? Gutmütiger Bürgerkönig. Will die Tochter aus sexuellem Autismus und narzisstischen Masturbationszwängen befreien, ordnet darum Sex mit dem Nassen an.

Solche Geschichten erzählen wir Zweijährigen zum Einschlafen! Ich finde keine Worte! Das ist schill! Oder schrill? Schön ist es nicht, was?

Das Beste aus meinem Leben

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