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Wie darf ich es dir machen?
ОглавлениеBis gestern wusste ich sehr wenig über meine Kopfhaut, ihren Charakter, ihre Bedürfnisse. Heute morgen aber massiere ich sie mit dem Öl der Florida-Palme und den Extrakten der Siegesbeckia-Pflanze, welche auf Madagaskar wächst. Ich habe eine sensible Kopfhaut, hat Pierre gesagt, und Pierre muss es wissen, denn er ist mein Friseur.
Als ich ein kleiner Junge war, hieß mein Friseur Herr Molnar und hatte einen blauen Kittel an. Herr Molnar handelte auf Anweisung meines Vaters. Wenn ich auf dem Frisierstuhl Platz genommen hatte, sagte mein Vater zu Herrn Molnar: »Ordentlich was runter! Wie immer!« Der Friseur wickelte meinen Hals in kratzendes Schutzpapier, holte Kamm und Schere aus der Kitteltasche, kämmte mein Haar gerade nach vorne und schnitt es über der Stirn in einer Linie ab. Dann mähte er meine Schläfen mit seiner Remington, bis die Haare dort so kurz waren wie das Sommerfell einer Maus. Den ganzen Tag juckte mein Hals von den Stoppeln, die in den Hemdkragen gerutscht waren.
Einmal, als ich dreizehn war, ging ich allein zu Herrn Molnar, weil mein Vater keine Zeit hatte. Da bat ich, mir einen Scheitel zu machen, ein klitzekleines Scheitelchen. Nicht alle Haare nach vorne bürsten, sondern links einen Scheitel ziehen, die Haare länger lassen oben und nach rechts kämmen. Bitte!
»Nee, nee«, sagte Molnar, »wir machen’s wie immer. Sonst kriege ich Ärger mit deinem Vater.« Dann schor er mich wieder wie ein Schaf, und ich fühlte mich auch wie eines.
Heute gehe ich in einen Friseurladen mit jungen Mitarbeitern, die Wolfgang, Robert oder eben Pierre heißen und keine Nachnamen haben. Manche rollen auf Inline-Skates, und alle schneiden mein Haar, wie ich es will. »Ich heiße Angie«, hat sich neulich eine junge Dame vorgestellt und gefragt: »Wie darf ich es dir machen?«
»Schneiden Sie mir erst mal die Haare«, habe ich gesagt und komplizierte Anweisungen gegeben, obwohl ich eine relativ simple Frisur habe. Ich liebe es, wenn die Friseure dann bei ihrer Arbeit mit mir über die Struktur meiner Haare sprechen, wenn sie mich zum Beispiel fragen, ob ich viel Stress hätte zur Zeit – mein Haar sei so dünn. Wenn sie Fragen der Glatzenbildung mit mir erörtern. Wenn sie über Shampoos sprechen, gewonnen aus Kleie, Vollmilch und Stroh, aus Algen und Korallen, aus Lindenblüten und Passionsblumen oder aus den ätherischen Ölen des Teebaums.
Herr Molnar hatte bloß ein einziges Haarwasser, und wenn ich seinen Salon verließ, roch ich wie diese Luftverbesserer, die sich manche Leute ins Klo hängen.
Ich müsse die Lotion nach dem Haarewaschen einmassieren, hat Pierre gesagt, zwei-, dreimal die Woche. Das werde die Talgdrüsen entschlacken und die Haarwurzeln stärken. Ich spür’s schon. Meine sehr sensible Kopfhaut schwebt über dem Schädel, so leicht ist sie, und ich schreite einher, mit entspanntem Skalp und froh, ein erwachsener Mann zu sein.