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Verspannt in alle Ewigkeit

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Damen und Herren, nehmen Sie die Parade der Alltagsversehrten unter meinen Freunden ab!

Hier haben wir meinen alten Wegbegleiter Paul: Stören Sie sich nicht an dem kleinen Brummen, das aus seiner Kleidung dringt – es ist sein Blutdruckmessgerät, er muss es für 24 Stunden tragen. Der da kopfüber von der Decke hängt wie eine Fledermaus, ist Dieter. Er lässt seine Rückenprobleme behandeln, die ihn oft schräg durch die Welt gehen lassen wie ein sturmgepeitschtes Ausrufezeichen. Der Herr mit dem verbeulten Gesicht? Mein Steuerberater. Er wurde von unerklärlichen Schwellungen am Schädel befallen, sein Kopffleisch sah aus wie von enormen Mücken bearbeitet – es müsse mit dem plötzlichen Stressabfall am ersten Tag eines Kurzurlaubs zu tun haben, sagt er. Der Mann mit dem roten Gesicht: Peter, an einer Allergie gegen den eigenen Schweiß leidend. Man befürchtet, die Sache könne sich zu einer Gesamtunverträglichkeit mit sich selbst entwickeln.

Nun zu mir. Seit Jahren kämpfe ich gegen die mangelnde Elastizität meines Körpers, gegen Sehnenverkürzungen, Muskelhärte, Nackenverspannungen, kurz, gegen eine brettartige Physis, mit der ich als Versteifungselement im Gerüstbau oder als Treppenstufe Verwendung fände, hätte ich nicht noch andere Talente.

Was habe ich nicht alles zu meiner Erweichung getan! Ich besuchte einen Masseur, der mich nach Art entfesselter Karateka zu einem Puzzle zerhackte, das mein Sohn Luis wieder zusammensetzen durfte. Ich ging zu einer Gymnastin, welche mich im 90-Grad-Winkel sitzen ließ, die Beine gestreckt, die Knie mit Sandsäcken beschwert, der Oberkörper aufwärts gerichtet, ein perfekter, schmerzgequälter rechter Winkel. Noch heute findet mein Foto in diesem Zustand im Geometrieunterricht einiger Schulen Verwendung. Auch suchte ich eine in tantrischer Massage geschulte Dame auf, welche auf meinem Bauch Sensoren eines Abhörgerätes befestigte. Dessen Kabel führten zu einem Kopfhörer, den sie sich aufsetzte. So übersetzte sie mein Leibesgegrummel in Handbewegungen, wurde zur Dienerin meines Gedärms, bis das Haus unter der Gewalt meines Gelächters einstürzte. Ihre letzten Worte: »Sie hätten sagen müssen, dass Sie kitzlig sind.«

Solche Geschichten erzählen wir, wenn wir von den Schlachten des Alltags berichten wie die Väter vom Krieg: Pauls legendärer Blinddarmdurchbruch nahe Uelzen, Arthurs Nierensteinabgang im ICE nach Stuttgart, Gerds Herzinfarkt in London, der kein Herzinfarkt war, sondern eine Magenkolik – er ist unser Jüngster und kann noch nicht unterscheiden zwischen den Schmerzen.

Ich bin seit kurzem nicht mehr anwesend bei diesen Gesprächen, seit nämlich Paola mich zu meiner definitiven Elastifizierung bei einer Ayurveda-Massage anmeldete. Ich betrat nichts ahnend eine Praxis am Stadtrand. Zwei Damen erwarteten mich. Ich solle mich entkleiden, sagten sie. Ich entkleidete mich bis auf die Shorts.

»Ganz nackt!«, sagten die Damen.

Ich schluckte, legte mich rücklings nackt auf eine Bank, wurde mit warmem Öl begossen und massiert: Eine Dame übernahm das linke, die andere das rechte Bein, danach die eine den Bauch links, die andere den Bauch rechts undsoweiterundsoweiter, beide im Takt sanft meinen verholzten Körper bearbeitend, während ich von einer so gewaltigen Erektionsangst befallen wurde, dass ich nur dachte: Kontrolliere dich selbst, kontrolliere dich! Nur nicht…! Nur nicht…! Ich versank in meditativer Konzentration auf mein Geschlecht.

Und? Ich war erfolgreich, indes zum Preis einer Gesamtversteifung meiner selbst, die so erheblich war, dass die beiden Damen mich am Ende der Behandlung wie die Statue eines Ölgötzen in eine Art Minisitzsauna trugen, deren Plastikumhüllung mit einem Reißverschluss derart geschlossen wurde, dass nur mein Kopf herausschaute. Dieser Verschluss kann von innen nicht geöffnet werden. Die Damen verließen den Raum und ließen mich im Schwitzkasten, stundenlang, tagelang. Ich befinde mich noch dort. Man will mich nun weichkochen. Ich werde biegsam sein wie eine verkochte Nudel, nachgiebig und weich, ja, in ein paar Tagen, Wochen, Monaten, Jahren, endgültig entspannt, irgendwann, bitte.

Das Beste aus meinem Leben

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