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Hedwig Hamacher hatte die letzte Mitgliederzeitschrift »Frau und Mutter« abgeliefert. Bei den älteren kfd-Frauen kam sie nicht um einen Kaffee herum. Sie freuten sich über jede Abwechslung in ihrem Alltagseinerlei. Und Hedwig hörte, wo der Schuh drückte, wer gefallen war oder ins Krankenhaus musste. Sie hatte nicht nur ein offenes Ohr für die mal mehr, mal weniger rüstigen Seniorinnen, sie kannte auch Wege und Möglichkeiten, effektiv zu helfen. Als sich Elli Neumann die Ferse gebrochen hatte, verdonnerte sie den Schützenzug ihres Mannes kurzerhand dazu, der alten Dame Getränke und Besorgungen in den dritten Stock zu schleppen, während die Schützenfrauen den Fahrdienst zum Arzt und zur Krankengymnastik übernahmen. Deshalb wählten sie sie auch seit Jahren zur Vorstandsvorsitzenden der Pfarrgruppe der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands - kfd. Und deshalb verzieh man ihr auch, dass sie im Dirndl durchs Rheinland lief, was ihrer Üppigkeit schmeichelte und über die Jahre zu ihrem Markenzeichen geworden war.

Sie hatte ihren Peugeot neben der Kapelle geparkt und entdeckte Cilli Wilms an der Tür zur Sakristei.

»Guten Morgen, Frau Wilms«, winkte sie ihr zu und umrundete das Auto. Bildete sie es sich ein oder war die kleine Frau zusammengezuckt?

Cilli Wilms hielt die Klinke in der Hand, der Schlüssel steckte im Schloss. Dann drehte sie sich langsam um, kniff die Augen zusammen und lächelte schmallippig.

»Ach, et Beckers Hettchen. Juten Morjen. Wat meckste denn he?«

»Ich hab die ›Frau und Mutter‹ verteilt. Und Sie? Haben Sie nicht gestern die Sakristei geputzt?«

»Nee, Kink, da bin isch nit zu jekomme. Die ahl Frau Möller ise su erm dran. Da hang isch Höhnerzupp jemaat un vorbi jebraat.«

»Ach, Frau Wilms. Ich glaub, ich muss auch mal krank werden, um in den Genuss Ihrer Hühnersuppe zu kommen.« Hedwig lächelte die alte Frau an. Dabei entging ihr nicht, dass der Faltenrock an manchen Stellen arg dünn war. Der braune Strickpulli, der unter der Wolljacke herauslugte, schlabberte am unteren Ende und die dicken Schuhe waren vorne abgestoßen.

Dass Frau Wilms die Sakristei putzte, war Hedwigs Idee gewesen. Sie hatte mitbekommen, wie Pater Remigius der alten Frau untersagte, bei ihm die Wäsche zu machen. Er war eben das Gegenteil seines Vorgängers.

Zurückgezogen, bescheiden und selbstbestimmt, war ihm seine Privatsphäre heilig. Pech für Cilli Wilms, die dem Vorgänger Pastor Vossen ihr ganzes Leben lang den Haushalt geführt hatte und von sämtlichen Würdenträgern des Erzbistums für ihre Kochkünste gelobt wurde. Nun musste sie sehen, wie sie über die Runden kam.

»Wenn Sie noch putzen wollen«, Hedwig deutete auf die Sakristei, »dann könnte ich …«

»Nee«, unterbrach Cilli Wilms sie schroff, »isch bin fädisch.«

Hedwig hob die Augenbrauen. So ruppig hatte sie die alte Frau noch nicht erlebt. Schließlich nickte sie.

»Okay«, sagte sie und hielt die Hand auf, »ich nehme den Schlüssel direkt mit. Dann haben Sie den Weg zu uns gespart.« Die kleine Person zögerte kurz, zog den Schlüssel ab und rüttelte energisch an der Tür, um sicherzugehen, dass sie verschlossen war. Ohne aufzusehen, ließ sie den Schlüsselbund in Hedwigs Hand fallen.

»Soll ich Sie nach Hause fahren?«

»Nee, Kink, isch möt noch nom Mätzga«, erwiderte Frau Wilms und wandte sich zum Gehen.

»Das trifft sich gut. Ich brauche noch einen Braten für morgen Abend. Wir bekommen Besuch. Kommen Sie. Steigen Sie ein.« Einladend öffnete Hedwig die Beifahrertür.

Wieder zögerte die Alte einen kurzen Augenblick, dann ließ sie sich schnaufend auf den Beifahrersitz plumpsen.

»Nee, wat wor dat hüt morjen füren Jebrüll. Wie em Zirkus. So wat tut ma nit!«

»Was denn?«, erkundigte sich Hedwig und half der Alten, den Sicherheitsgurt anzulegen.

»De ärm Kaplan.« Cilli Wilms seufzte und ließ die Schultern hängen. »Dat Brings Kättchen hätt dem esu die Meinung jejeicht, datt de die Mess nimmi lese kunnt. Stell dich dattens vör.« Entrüstet schüttelte Cilli Wilms den Kopf.

»Sie meinen, Frau Küppers und der Kaplan sind mal wieder aneinander geraten?« Hedwig runzelte die Stirn. Das war nichts Neues. Aber dass deshalb die Messe ausfiel … »Na ja, ich kann die Kati schon verstehen. Der Kaplan mag ja ganz gute Ideen haben, aber manchmal bringt er einen zur Weißglut. Der hat doch allen Ernstes im Sommer eine Pilgerfahrt nach Irland geplant und meine ganzen rüstigen kfd-Frauen dazu verpflichtet. Dagegen hab ich ja nix.« Jetzt kam Hedwig in Wallung. Sie gestikulierte mit beiden Händen, ohne dem Gegenverkehr Beachtung zu schenken. »Aber das kann doch nicht während unseres Pfarrfestes stattfinden. Wer soll denn das Kuchenbüffet und den Kaffeeausschank machen? Und überhaupt, wenn die Hälfte der Gemeinde zwischen Schafen und Ruinen auf grünen Wiesen und steilen Klippen rumläuft, wer kommt denn dann noch zum Pfarrfest, frag ich Sie?«

Cilli Wilms zuckte mit den Schultern, während Hedwig den Peugeot vor der Metzgerei parkte. Schwer atmend hievte sich die alte Frau aus dem Autositz und schlug die Tür zu.

»Unterschätzt misch dat Brings Kättschen nit«, raunte sie und betrat das Geschäft.

Nachdenklich schweifte Hedwigs Blick zur Kirche, wo ein Streifenwagen quer auf dem Bürgersteig parkte und den Eingang blockierte. Schnell verriegelte sie das Auto und eilte hinter Frau Wilms her, um ja keine Neuigkeit zu verpassen.

Kati Küppers und der gefallene Kaplan

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