Читать книгу Kati Küppers und der gefallene Kaplan - Barbara Steuten - Страница 7
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Оглавление»Sie bleiben also dabei, dass Sie um kurz vor halb zehn die Sakristei verlassen und Markus Overath danach nicht mehr lebend gesehen haben?«
Kommissar Rommerskirchen hatte seine linke Pobacke auf dem Schreibtisch geparkt und betrachtete konzentriert sein Gegenüber. Mit hängenden Schultern saß Kati Küppers im Büro der Polizeiwache und nestelte am Reißverschluss ihrer Jacke. Der leichte Schal hatte sich im Ohrring verheddert, doch das schien sie nicht zu stören. Ihre Augenbrauen waren ordentlich gezupft und mit einem dunklen Stift nachgezogen. Die Wimpern waren blau getuscht und die Lippen glänzten, als hätte sie gerade in eine fettige Frikadelle gebissen. Sie schob die lila Haarsträhne hinters Ohr und hob den Kopf.
»Nee, gesehen hab ich ihn nicht mehr. Wie gesagt, nur gehört.«
Am Schreibtisch nebenan saß ein Polizeibeamter und tippte das Protokoll.
»Stopp«, warf er ein. Dabei sprach er das St wie in ›Post‹ und nicht wie üblich als Scht. »Gesehen, gesagt, gehört. Nee, ja. Wie jetzt? Was soll ich denn da notieren?«
Rommerskirchen warf dem Kollegen einen amüsierten Blick zu und erwiderte lässig: »Nee ist das rheinische Ja, Björn. Das hast du bald raus.« Dann wandte er sich erneut der Küsterin zu.
»Schildern Sie bitte noch einmal, was in der Kirche passiert ist.«
Kati Küppers starrte auf die Jeans des Kripobeamten mit den löchrigen und abgewetzten Stellen. Nie würde sie verstehen, warum junge Leute bereit waren, für kaputte Hosen horrende Preise zu bezahlen. Sie holte hörbar Luft.
»Also, ich bin ziemlich wütend auf mein Rad gestiegen und zur Kirche gefahren. Wenn Blitzmarathon gewesen wäre, hätten Sie mir bestimmt ein Knöllchen verpasst.«
Rommerskirchen hob die Hand und wandte sich an den Kollegen: »Schreib ›Auf direktem Wege‹.«
Kati hob irritiert den Kopf. »Hab ich doch gesagt.«
Mit einem Kopfnicken signalisierte ihr der Kommissar, fortzufahren.
»Ich bin also rein und direkt in den Keller. Die Tür hab ich aufgelassen. Ich musste ja die Gläser und Tücher hochholen.«
Wieder unterbrach der Kommissar Katis Ausführungen: »Gläser?«
»Für das Taizégebet, das die Sabine Kirschbaum heute Abend veranstaltet«, erklärte Kati. »Waren Sie schon mal in Taizé? Ich auch nicht. Aber so ein Taizéabend ist echt schön. Mit Tüchern und Kerzen. Und damit die Tücher nicht direkt in Flammen aufgehen, braucht man eben Kerzengläser.«
»Verstehe. Sie sind also mit den Gläsern für die Kerzen aus dem Keller gekommen.«
»Genau. Und in der Sakristei musste ich erst einmal sortieren. Die sauberen und die dreckigen. Außer mir macht die wohl nie jemand sauber. Und manche sind ganz schwarz.«
Kati fuhr sich mit der Hand durch die kurzen Haare.
»Sie glauben ja gar nicht, wie viel Ruß so ein kleines Teelicht machen kann.«
Tietke schnaufte vernehmlich, schloss für einen Moment die Augen, schüttelte den Kopf und entschied sich, die letzten Sätze nicht ins Protokoll aufzunehmen.
»Sie haben also die Gläser aus dem Keller geholt und sind mit ihnen in die Sakristei gegangen. Richtig?«
»Richtig. Dann hab ich sie sortiert, die sauberen in der Sakristei gelassen, die anderen in die Waschbütte gepackt. Die wollte ich später spülen. Dann bin ich wieder runter, um die Tücherrollen zu holen. Und wieder hoch in die Sakristei.« Kati blickte zu dem tippenden Kriminalbeamten. »Kommen Sie mit?«
Irritiert sah er von der Tastatur auf. »Wohin?«
Kati runzelte die Stirn, räusperte sich und sprach jedes Wort besonders deutlich und langsam: »Können Sie meinen Ausführungen folgen?«
Der Beamte schloss die Augen, atmete tief ein und aus.
»Ja«, knurrte er dann, »weiter.«
»Dann hab ich was gehört und kurz gehorcht. Doch alles war still. Jemand hat gerufen. Na ja, nicht gerufen, eher gestöhnt. Nee, nicht so jetzt. Hach, wie sagt man denn? Hörte sich ganz gepresst an. Dann hab ich die Tücherrollen ordentlich zur Seite gelegt. Ich wollte die ja nicht noch bügeln. Das ist nämlich ne elendige Arbeit, sag ich Ihnen. Wenn das Bügeleisen zu heiß ist, schmilzt Ihnen der Stoff. Und wenn es zu kalt ist, kriegen Sie die Bahnen nicht glatt.«
Kommissar Rommerskirchen ergriff das Wort, bevor die Küsterin ihm noch den Aufbewahrungsort des Bügelbretts und das Anheizen des Bügeleisens in allen Details schildern konnte. »Sie haben die Sachen zur Seite gelegt. Und dann?«
»Dann bin ich in die Kirche gegangen und hab erst mal nix gesehen. Ach nee, vorher hab ich ja noch mal was poltern gehört. Das war wohl, wie Kaplan Overath die Treppe runtergefallen ist. Also bin ich zur Treppe. Und da lag er. Ganz gekrümmt und mit verrenktem Kopf.«
»Haben Sie den Mann angefasst? Oder angesprochen?«
»Nee, Herr Kommissar, da war nix mehr mit ansprechen. Das hab ich sofort gesehen.«
»Was haben Sie dann gemacht?«
»Na, das, was jeder gemacht hätte. Ich hab zur heiligen Barbara gebetet, dass sie ein gutes Wort für den Kaplan einlegt, weil er ja quasi unvorbereitet vor unseren Herrgott treten musste. Also mit ohne Sterbesakramente versehen worden zu sein.«
Kommissar Rommerskirchen hob die Augenbrauen und suchte die Reaktion des Kollegen. Der hatte aufgehört zu tippen und schielte mit aufgeklapptem Mund am Monitor vorbei auf die kleine Frau, die ihm mit diesem Protokoll die härteste Probe seiner bisherigen Amtszeit bescherte.
Unbeirrt fuhr die Küsterin fort. »Ich bin rübergeflitzt und hab die 110 gerufen.«
»Rübergeflitzt? Wohin? In die Sakristei?«, fragte Kommissar Rommerskirchen.
»Nee, nach Hause. Ich wohn doch direkt gegenüber.«
»Sie hatten also kein Handy dabei.«
»Wofür? Nee, nee. Das Handy brauch ich nur, wenn ich mit dem Auto unterwegs bin und ne Panne habe und den ADAC anrufen muss. Also, ich bin nach Hause gegangen und habe von dem Telefon, das bei uns im Flur steht, die Polizei angerufen. Dann bin ich wieder zurück, hab bei der Muttergottes ne Kerze angemacht und den Rosenkranz gebetet, bis Sie kamen.«
Kommissar Rommerskirchen nickte. »Ist irgendjemand zwischenzeitlich in der Kirche gewesen? Haben Sie abgeschlossen, als Sie mal eben zum Telefonieren rübergeflitzt sind?«
Kati sah den jungen Mann an. Ihr Erschrecken war ebenso groß wie ihre Augen. Sie schwieg. Ihr Blick wanderte von rechts nach links, suchte den des Kommissars, der ihr nicht das erhoffte beruhigende Lächeln schenkte, und blieb schließlich auf ihren Händen liegen, die erneut mit dem Reißverschluss der Jacke beschäftigt waren.
»Sie haben die Kirche also nicht abgeschlossen?«
Kati schüttelte so zaghaft den Kopf, als könne er jeden Moment herunterfallen und davonkullern.
»Der Kollege, der vor Ort war, hat zu Protokoll gegeben, dass Sie immer wieder gesagt hätten: ›Es tut mir so leid. Ich bin alles schuld.‹ Stimmt das?«
Kati presste die Lippen zusammen und nickte ebenso zaghaft, wie sie gerade den Kopf geschüttelt hatte.
»Hätte ich nicht die Tür zum Kirchenkeller aufgelassen, wär der Kaplan nicht die Treppe runtergefallen. Hätte ich nur nicht das Licht im Keller brennen lassen.«
Kommissar Rommerskirchen warf seinem Kollegen einen fragenden Blick zu. Als dieser nickte, fuhr er fort:
»Und der Wein?«
»Welcher Wein?«
»Frau Küppers, wir wissen mittlerweile, dass Markus Overath nicht durch den Sturz auf der Treppe ums Leben gekommen ist.«
»Sondern?«
Der Kommissar überging die Frage und griff unachtsam nach dem Kuli, der prompt auf dem Boden landete. Er hob den Hintern von der Schreibtischplatte und beugte sich runter, um den Stift aufzuheben. Beim Anblick der Boxershorts, die oben über den Bund der Jeans hinausragten, runzelte Kati missbilligend die Stirn und vergrößerte den Abstand zwischen sich und dem jungen Mann.
»Frau Küppers, wer hat außer Ihnen einen Schlüssel für die Kapelle?«
Kati versuchte, regelmäßig zu atmen. Er glaubte doch nicht, dass sie … ? Ihr Gesicht war jetzt blasser als das Blatt Papier, das Kommissar Rommerskirchen in der Hand hielt. Sie räusperte sich. Ihre Stimme hatte jeglichen Schwung verloren, als sie an den Fingern abzählte: »Der leitende Pfarrer Pater Remigius, der Vorsitzende des Kirchenvorstandes Kalle Hamacher und der Brudermeister der Sebastianus-Schützen Michael Schulze. Kaplan Overath hatte natürlich auch einen.«
»Und wer ist für den Messwein zuständig?«, hakte Kommissar Rommerskirchen nach.
Katis Stimme klang rau. »Ich, Herr Kommissar.«
Die drahtige Frau war von Natur aus schon klein. Jetzt aber sank sie in sich zusammen. Kommissar Rommerskirchen kämpfte mit seinen Gefühlen. Nein, diese Frau hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit seiner Mutter. Außerdem roch seine Mutter immer nach Vanille. Nicht nach Kirschen. Und war erheblich eleganter. Für Gefühlsduselei war hier wirklich kein Platz.
»Wissen Sie, wie Strychnin wirkt?« Der Kommissar wedelte mit der Hand, als ob er eine lästige Fliege verscheuchen wollte. »Natürlich wissen Sie das. Sie sind schließlich gelernte Apothekengehilfin.«
Kati hob erstaunt die Augenbrauen. »Das ist schon eine Ewigkeit her. Seit ich Mutter bin, habe ich nicht mehr in diesem Beruf gearbeitet. Und meine Älteste ist über 40.«
»Aber Sie haben ein gutes Gedächtnis, sagte man mir.«
»Strychnin? Damit hat man früher alles Mögliche versucht zu heilen. Pest, Cholera und Tollwut genauso wie Appetitlosigkeit, Muskelschwäche oder Menstruationsbeschwerden. Strychnin gewinnt man aus den Samen des Ignatius-Bohnenbaums. Der Baum trägt den Namen des Ignatius von Loyola, dem Gründer des Jesuitenordens, da ihn die Jesuiten im 17. Jahrhundert aus Asien nach Europa brachten. Nimmt man wenig, soll es euphorisierende Wirkung haben und die Sinne schärfen. Deshalb hat man Strychnin auch zu Dopingzwecken genutzt. Aber es ist schrecklich bitter. Wer trinkt sowas schon freiwillig?«
»Das haben wir uns auch gefragt«, entgegnete der Kommissar und versuchte, in der Mimik der Küsterin zu lesen. »Vielleicht jemand, dem der Trank heilig ist?«, fuhr er fort.
Kati Küppers riss die Augen auf. »Oh Gott. Das Blut Christi!«, flüsterte sie und schlug die Hand vor den Mund. Dann runzelte sie die Stirn. »Nee! Halt! Die Messe ist doch ausgefallen …«
»Und wer verbotener Weise vom Messwein trinkt, ohne die Messe zu feiern, erhält die gerechte Strafe Gottes und kippt tot um?«
Kati musterte den Kommissar. Wollte er sie aus der Reserve locken? Wenn er das ernst meinte, hatte er eine merkwürdige Vorstellung von Gott. Missbilligend schüttelte sie den Kopf.
»Wenn Kaplan Overath aus heiterem Himmel vom Blitz getroffen worden wäre, könnten wir über diese Möglichkeit nachdenken. Aber mein Gott greift eher selten zu solch drastischen Mitteln. Normalerweise kriegt man bei ihm eine zweite, dritte oder auch siebte Chance. Worauf man sich natürlich nicht verlassen sollte. Nicht dass es doch die letzte Chance war.«
»Gut.« Kommissar Rommerskirchen nickte zufrieden. »Dann stimmen wir also überein, dass eine höhere Macht als Ursache für den Tod des Geistlichen nicht infrage kommt.«
»Säße ich sonst hier?«
»Wir haben Fingerabdrücke auf der Flasche mit dem Messwein gefunden und möchten sie gerne mit Ihren Fingerabdrücken vergleichen. Wenn Sie so nett wären …«
Kati starrte vor sich hin. Dann schüttelte sie sich kurz und sah den Kriminalbeamten an.
»Ich habe die Flasche aus dem Schrank geholt. Sie werden meine Abdrücke darauf gefunden haben. Und die von Kaplan Overath. Vielleicht auch noch welche von Pater Remigius, da die Flasche bereits angebrochen war.«
Kommissar Rommerskirchen hob die Augenbrauen. Was Kati Küppers ihm erzählte, wusste er bereits. Und sie hatte vermutlich recht. Schied sie deshalb als Hauptverdächtige aus? Während Philip Rommerskirchen noch mit sich rang, ob er die Küsterin in U-Haft schicken sollte, straffte Kati den Rücken und sah dem Kommissar unverwandt in die Augen.
»Wenn ich den Kaplan hätte umbringen wollen, hätte ich Handschuhe getragen. Oder nicht?«
»Weil Sie glauben, dass das die Polizei glaubt, haben Sie vielleicht darauf verzichtet«, mutmaßte der Kommissar halbherzig.
Auf Katis Stirn zeichnete sich eine steile Falte ab. Sie zog die Mundwinkel spöttisch nach unten. »Genau, Herr Kommissar. Herzlichen Glückwunsch. Sie haben den Fall gelöst.« Sie holte tief Luft und ihre Stimme wurde lauter und schriller. »Werde ich jetzt verhaftet, weil ich ordnungsgemäß meine Arbeit tue? Na dann. Nur zu. Worauf warten Sie noch?«
»Frau Küppers«, der Kommissar hob beschwichtigend die Hände, »wir müssen jedem Hinweis nachgehen. Sie hatten die Möglichkeit und die Kenntnis, das Opfer zu vergiften. Außerdem hatten Sie eine lautstarke Auseinandersetzung bei Ihrem letzten Aufeinandertreffen. Dafür gibt es mehrere Zeugen.«
»Ich habe nicht einen Punkt davon bestritten, Herr Kommissar. Im Gegenteil. Ich habe Ihnen offen von dem Streit erzählt. Und ich Rindvieh hab sogar gedacht, schuld zu sein, weil ich die Kellerluke offen gelassen hab und Kaplan Overath sich beim Sturz das Genick gebrochen hat. Ja Pustekuchen. Gift. Na klar. So mach ich das immer, wenn ich mit jemandem Streit habe. Strychnin in den Tee und schwupp, hab ich quasi meine Ruhe.« Sie stützte die Stirn in die Handfläche. »Susanna im Bade, steh mir bei«, murmelte sie vor sich hin.
»Das ist nicht der Name Ihres Anwaltes, oder doch?« Kommissar Rommerskirchen suchte nach den richtigen Worten, um die Spannung aus dem Gespräch zu nehmen.
Kati sah ihn angriffslustig an. »In gewisser Weise doch. Allerdings hat Susanna keine Telefonnummer, unter der man sie persönlich hierher zitieren könnte.« Die Küsterin seufzte. »Nicht einmal bei den ewigen Streitereien mit meinem nörgelnden Nachbarn habe ich einen Anwalt gebraucht.«
Rommerskirchen horchte auf. »Sie sind also öfter in Streitereien verwickelt.«
Katis Mund verschmälerte sich zu einem Strich. Großartig. Sie redete sich gerade um Kopf und Kragen. Wenn sie nur ihre Zunge besser unter Kontrolle hätte. Das Bild, das sich der junge Kommissar gerade von ihr machte, geriet mehr und mehr in Schieflage. Dagegen musste sie etwas unternehmen. Schweigen half da nicht weiter.
»Glauben Sie mir, wenn Sie mit Walter Heinrich unter einem Dach wohnen würden, wären Sie auch öfter in Streitereien verwickelt. Er gehört zu der Sorte Nachbar, der immer im Fenster liegt, wenn einem auf dem Weg zur Mülltonne die Tüte reißt. Und beim nächsten Treffen auf der Straße weist er Sie darauf hin, dass Sie einen Papierschnipsel übersehen haben, der ja im Übrigen in die blaue Tonne gehört und nicht in den Restmüll.«
Björn Tietke fuhr sich mit den Händen übers Gesicht und grübelte, womit er Rommerskirchen bestechen könnte, um das nächste Protokoll nicht schreiben zu müssen.