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Cicero

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Wenn die Republik 45 v. Chr. eine Stimme hatte, dann gehörte sie Cicero. Doch diese Stimme war gedämpft; nur wenige Menschen wagten es, sich Caesar in der Öffentlichkeit zu widersetzen. Als ehemaliger Konsul und einer der Anführer der Optimaten unterstützte Cicero 49 v. Chr. im Bürgerkrieg Pompeius und schloss danach Frieden mit Caesar. Jetzt, mit 60 Jahren, hatte sich Cicero größtenteils aus der Politik zurückgezogen und widmete sich vornehmlich der Philosophie. Antike Büsten zeigen ihn als sichtlich gealtert und faltig, aber dennoch kräftig, mit ausgeprägtem Kinn, Adlernase und deutlichen Geheimratsecken.

Cicero traute Caesar nach wie vor nicht über den Weg. Im Privaten bezeichnete er ihn als „König“.9 Cicero hielt Brutus’ Optimismus hinsichtlich Caesars und der Optimaten für lachhaft. „Wo findet er denn noch welche?“, fragte Cicero. Es war eine rhetorische Frage, die Antwort: „Er müsste sich aufhängen.“10 Schließlich waren nach dem blutigen Bürgerkrieg kaum noch Optimaten am Leben. Brutus war einer der wenigen, so hatte Cicero jedenfalls gedacht, aber Brutus enttäuschte ihn. „Was Brutus angeht“, fügte Cicero hinzu, „der weiß genau, in welchen Wind er sein Fähnchen hängen muss.“11

Natürlich fiel es Cicero nicht schwer, als Caesar-Skeptiker aufzutreten, wenn Caesar mehrere hundert Meilen entfernt war. Wenn man sich mit Caesar zusammen im selben Raum befand, konnte man sich seiner Persönlichkeit kaum entziehen, und so erging es auch Brutus. Cicero wusste das, und er verunglimpf te Caesar hinter vorgehaltener Hand – in der Öffentlichkeit lobte er ihn. Caesar war einer der mächtigsten Redner Roms, und ein Charmeur obendrein. Als Cicero schrieb, Caesar spreche „ein eleganteres Latein als die meisten anderen Redner“12, revanchierte sich Caesar und sagte, Cicero sei „fast so etwas wie der Pionier und Erfinder der Beredsamkeit“13. Und er fügte hinzu, es sei „eine größere Leistung, die Grenzen des römischen Genius auszuloten“, wie Cicero es getan habe, als „dasselbe mit den Grenzen des Römischen Reiches zu tun“14. Über Ciceros politische Ansichten hätte sich Caesar indes kaum so positiv ausgelassen, und für Politik interessierte sich Cicero noch immer sehr.

Zwischen 46 und 44 v. Chr. veröffentlichte Cicero zahlreiche philosophische Schriften, und darin beschrieb er auf brillante Weise seine republikanischen Ideale. Cicero trauerte um die Republik. Die Römer waren ja vor allem praktische Menschen, und Cicero war klar, dass die Republik höchstwahrscheinlich nicht mehr zu retten war. 46 v. Chr. schrieb er in einem Brief, die Re publik liege in Trümmern und unterstehe nicht länger der Macht der Gerechtigkeit, sondern der Macht des Stärkeren. „Die Freiheit“, so Cicero, „ist verlorengegangen.“15 Doch noch im selben Jahr schrieb er einem Freund, es gebe Anzeichen der Hoffnung, denn Caesar versuche, „eine Art verfassungsmäßiger Ordnung“16 in Rom her zustellen. Und Cicero sympathisierte mit Brutus dafür, dass die ser Caesar den Hof machte. „Was sonst kann er tun?“17, fragte Cicero.

Ganz unabhängig davon, ob Cicero Brutus mochte: Er zollte Brutus’ Talent und seinem Bekanntheitsgrad durchaus Anerkennung. In seiner Schrift Brutus (46 v. Chr.) machte Cicero Brutus das größtmögliche Kompliment: Brutus zeige in seiner noch jungen Karriere solche Fortschritte, dass er ein großer Redner auf dem Forum werden könne. (Mit anderen Worten: Brutus könne werden wie Cicero in dessen Glanzzeit.)

Cicero trug dick auf, auch wenn er insgeheim Zweifel an Brutus’ Redekunst hatte. Wenn man sich fragt, warum Brutus nicht tatsächlich ein so großer Redner wurde, ist die Antwort ganz einfach: Unter Caesar hatte die freie Meinungsäußerung keinen leichten Stand. Die Schmeichelei trat an die Stelle der Offenheit: Das kann man gut an einer Rede beobachten, die Cicero 46 v. Chr. hielt. Darin prophezeite er Caesar „unsterblichen Ruhm“ und sprach von dem „gottgleichen Mut“ des Diktators.18 Hinterher schrieb Cicero einem Freund, der Tag sei so schön für ihn gewesen, dass er einen Moment lang geglaubt habe, die Republik könne wiederbelebt werden.19

Doch es war schwer, im neuen Rom optimistisch zu bleiben. Von Cicero vernahm man düstere Worte über die griechische Geschichte und die vielen Beispiele dort, wo weise Männer regna (Sg. regnum) – Monarchie – und einen rex – König – ertragen mussten.20 Beides waren geradezu Schimpfworte in Rom. In den Augen der Römer war Monarchie gleichbedeutend mit Willkür und Tyrannei bis hin zur Versklavung. Ein König galt als Feind einer freien, konstitutionellen Regierung.21

Brutus’ Vorfahren waren berühmt dafür, vor langer Zeit den letzten König aus Rom vertrieben zu haben. Aber anstatt sich Caesar in den Weg zu stellen, schien Brutus den falschen Worten des Diktators tatsächlich zu glauben. So sah es jedenfalls Cicero22, dabei hätte er inzwischen wissen müssen, dass Brutus für sich selbst einen bequemen Mittelweg gefunden hatte. Selbst in einer Zeit, in der der spontane Gesinnungswandel an der Ta gesordnung war, demonstrierte Brutus eine geradezu beeindruckende Flexibilität. Der Grund dafür könnte in seiner Kindheit und Jugend liegen.

Die Iden des März

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