Читать книгу Die Liebe des Schwarzmagiers - Beatrice Regen - Страница 11
Der Zauber verfliegt
ОглавлениеAuch am nächsten Tag hatte sich das Unwetter noch nicht verzogen. Dunkle Wolken verdeckten den Himmel, Blitz und Donner wechselten sich in einem stetigen Rhythmus ab und Regen prasselte wie aus Eimern auf die Erde.
„Also, langsam gehen uns die Lebensmittel aus“, beschwerte Janina sich, während sie das Mittagessen zubereitete. Sie stellte den leeren Pfefferstreuer zur Seite, den sie zum Würzen des Fleisches verwendet hatte. Aus dem Ofen drang bereits der käsige Geruch des Kartoffelgratins.
„Tja, was soll ich machen? Selbst wenn ich bei diesem Wetter einkaufen gehen wollen würde“, antwortete Tom, „könnte ich es nicht, weil alle Geschäfte zu haben.“ Er sah aus dem Fenster und wirkte dabei nicht im Geringsten so, als er hätte er das Bedürfnis, das Haus zu verlassen.
Mit gerunzelter Stirn schaltete Janina den Ofen aus. „Hoffentlich hört das bald auf.“
„Das wird es“, sagte Diana voller Überzeugung und folgte Toms Blick in die Dunkelheit, die außerhalb des Hauses herrschte. Sie war sich sicher, dass John sich bald an das halten würde, was sie von ihm verlangt hatte. „Es kann nicht mehr lange dauern.“
„Seid mal ruhig!“ Janina machte das Radio lauter, das bisher nur im Hintergrund erklungen war.
„…Seinen Manager haben wir jetzt live bei uns im Studio“, sagte eine weibliche Stimme. „Herzlich willkommen, Herr Seher.“
Augenblicklich schlug Dianas Herz schneller. Sie setzte sich an den Küchentisch und blickte auf das Radio.
„Hallo“, meldete sich Anton, charmant wie immer, „vielen Dank für die Einladung.“ Er klang gut gelaunt, doch Diana wusste, dass dies nichts bedeuten musste. Es konnte dennoch ein ernstes Thema sein, das ihn zu diesem Radiointerview getrieben hatte.
„Oh, wir freuen uns, dass Sie es trotz des Wetters geschafft haben, den Weg hierher zu finden“, würdigte die Radiomoderatorin seinen Aufwand.
Anton lachte abwinkend. „So ein bisschen Regen kann mich doch nicht aufhalten.“
Darauf ging die Frau gar nicht mehr ein. „Stimmt es, was John Gold-Fans sich nur in ihren Albträumen ausgemalt hätten, dass er, der schwarze Magier, seine Karriere beenden möchte?“, startete sie sofort das Interview.
Bereits diese einfache Frage erhöhte die Frequenz Dianas Herzschlages um einen weiteren Takt. Es war zu hören, wie Anton einmal tief durchatmete. „Glauben Sie mir, ich würde Ihnen gerne etwas anderes berichten“, gab er zurück, „aber es stimmt. Er wird aufhören.“
Vor Aufregung begannen Dianas Hände zu zittern. Endlich.
„Wie kommt es zu dieser plötzlichen Entscheidung?“, fragte die Frauenstimme weiter.
Anton räusperte sich. „Nun, ich glaube, das ist eine Frage, die Sie ihm am besten selbst stellen würden“, antwortete er, woraufhin die Moderatorin auflachte.
„Das hätten wir ja auch gerne, aber…“
„Ja, aber sehen Sie, genau das ist wahrscheinlich der Punkt“, unterbrach Anton sie. „John hat die Aufmerksamkeit um seine Person nie besonders geliebt. Er ist nicht der Typ Mensch, der pausenlos im Kameralicht glänzen will. Ich denke, ihm ist der ganze Wirbel einfach zu viel geworden“, gab er die plausibelste Erklärung, die man für Johns Entscheidung hätte finden können, für den Fall, dass man die Wahrheit nicht kannte.
„Das heißt, er bleibt weiter als Lehrer seiner Zauberschule aktiv?“, hakte die Radiomoderatorin nach.
„Dazu ist mir momentan nichts bekannt. Ich gehe aber davon aus, dass er sich zunächst einmal komplett aus der Zauberei zurückziehen wird.“
„Er hat bereits seinen letzten Auftritt wegen privater Gründe abgesagt. Sind diese Gründe vielleicht auch mitverantwortlich dafür, dass er jetzt komplett aufhören möchte?“
„Sicherlich werden private Gründe in seine Entscheidung mit eingeflossen sein.“
„Können Sie uns etwas mehr zu diesen privaten Angelegenheiten erzählen?“
Anton hüstelte höflich. „Es tut mir leid, auch da muss ich Sie wohl leider enttäuschen.“
„John Gold ist normalerweise mehrfach in der Woche aufgetreten“, wechselte seine Gesprächspartnerin das Thema, als ihr bewusst wurde, dass sie von Anton in diesem Punkt keine weiteren Informationen zu erwarten hatte. „Ich habe bereits selbst einmal versucht, Karten für seine Auftritte zu bekommen. Normalerweise sind die Veranstaltungen monatelang vor Beginn ausverkauft. Wie werden die Fans für das Ausfallen der Shows entschädigt?“
„Nun, so etwas ist für Fans natürlich immer ärgerlich. Natürlich werden wir den Kaufpreis rückerstatten. Statt John Gold werden allerdings auch seine Schüler an den entsprechenden Terminen auftreten. Wir hoffen darauf, dass viele Fans die Gelegenheit nutzen werden, Johns Schüler live zu sehen, die natürlich auch hervorragende Leistungen erbringen.“
„Und John Gold selbst wird gar nicht mehr auftreten?“
„Doch. Er wird morgen seine Abschiedsvorstellung geben. Alle Fans mit einem Ticket für eine seiner Shows im nächsten Jahr sind herzlich dazu eingeladen, ihr Ticket online gegen eine Eintrittskarte für morgen umzutauschen, so lange der Vorrat reicht. Die Vorstellung wird in der Sunday-Arena stattfinden.“
Diana runzelte die Stirn. Mit dieser Antwort konnte sie nichts anfangen. Es machte keinen Sinn, dass John Anton dieses Zugeständnis eingeräumt hatte.
„Die Sunday-Arena fasst fünfzigtausend Plätze“, fuhr die Radiomoderatorin das Interview nüchtern fort. „Gehen Sie davon aus, dass sie sich füllen wird? Trotz des Wetters, das zurzeit herrscht?“
„Oh, sicher wird sie sich füllen. Wir befürchten, dass der Andrang zu hoch sein wird. Aber in diesem Fall können wir noch Platz für einige Steh-Plätze einräumen.“
„Das klingt ganz schön selbstbewusst. Wieso sind Sie sich so sicher, dass die Leute kommen werden?“
Anton schwieg kurz. Diana konnte sich bildlich vorstellen, wie er lächelte. „Sie wären dumm, nicht zu kommen“, sagte er schließlich, wobei man ihm eben dieses Lächeln anhören konnte. Auch die Moderatorin lachte wieder. „Die meisten Menschen sind zurzeit zwangsbeurlaubt. Viele gehen gar nicht mehr aus dem Haus. Wieso glauben Sie, dass die Menschen für die Abschiedsshow John Golds eine Ausnahme machen? Wird es ein besonderes Programm geben, über das Sie uns mehr sagen können?“
„Das wird es. Und ausnahmsweise ist es mir tatsächlich gestattet, einen Programmpunkt vorwegzunehmen.“
Noch immer hatte Diana das unangenehme Gefühl, dass seine gute Laune nichts Gutes bedeuten konnte. Im Gegensatz zu ihr schien sich die Moderatorin über diese Laune zu freuen. „Erzählen Sie es uns“, bat sie euphorisch.
„Das Gewitter, das Sie erwähnten…“, begann Anton.
„Ja?“
„Er wird es verschwinden lassen.“
„Was?!“, stieß Diana aus. Unwillkürlich erhob sie sich von ihrem Platz. Mit einem Mal wurde ihr bewusst, was John erreichen wollte. Ihr wurde kalt.
Janina und Tom runzelten die Stirn. „Wie will er das denn machen?“, fragte Tom irritiert.
Diana schüttelte den Kopf. „Das kann er nicht!“, erklärte sie leise.
Tom zuckte nur leichtfertig mit der Schulter. „Natürlich nicht. Aber wieso verspricht er es dann?“
Sie biss die Zähne aufeinander.
„Das wäre allerdings schon ein ganz schön cooler Trick. Und nützlich noch dazu“, meinte Janina und streckte sich gähnend.
Diana hätte sie für ihre Leichtfertigkeit am liebsten erwürgt. Sie ballte die Hand zur Faust. „Er will mich doch nur locken“, ging es ihr durch den Kopf. „Aber das kann er vergessen. Ich gehe nicht zu ihm.“
„Wieso sollte er dich damit zu sich locken können?“, fragte Janina. Offensichtlich hatte Diana ihre Gedanken laut ausgesprochen.
Sie sah Janina an. „Weil er…“, begann sie und schüttelte abermals den Kopf, „…es ist doch ganz offensichtlich, dass kein Zauberkünstler so etwas…“, sie deutete aus dem Fenster, „…verschwinden lassen kann.“
„Du meinst, er geht davon aus, dass du so eine große Angst davor hast, dass er sich blamieren könnte, dass du zu ihm gehst, um ihn davor zu bewahren?“ Irritiert blickte Janina zu ihr auf. Diana unterdrückte nur mit Mühe ein Augenrollen über die Dummheit, die hinter dieser Vermutung steckte. Stattdessen verneinte sie die Frage schlicht. In ihrem Kopf arbeitete es weiter. Im Hintergrund sprach Anton immer noch mit der Radiomoderatorin, doch mit seinen Informationen konnte Diana nichts weiter anfangen. Was sie hatte hören sollen, hatte Anton bereits verkündet. Diana wusste, was John ihr mit dieser Aktion sagen wollte: „Entweder du kommst zu mir zurück, oder ich offenbare mich.“
„Mistkerl!“ War ihm nicht bewusst, dass er damit alles nur noch schlimmer machte?
„Ein interessantes Versprechen, mit dem John Gold lockt. Ich muss zugeben, ich wäre selbst gespannt darauf, herauszufinden, was dahintersteckt“, beendete die Moderatorin das Radiointerview. Diana schaltete das Radio aus.
„Es ist mir egal“, sagte sie energisch. „Ich bleibe hier.“
Am nächsten Morgen wachte sie schweißgebadet auf. Sie hatte von John und seiner Abschiedsshow geträumt. In ihrem Traum war sie selbst nicht dort gewesen. Sie hatte gesehen, wie John sie vergeblich unter den Zuschauern auszumachen versucht hatte. Als er zu dem Schluss gekommen war, dass sie seinem Ruf nicht gefolgt war, hatte er seine linke Hand in Richtung des Publikums gestreckt, mit Zorn in den Augen. Ruckartig hatte er die Hand umgedreht, woraufhin augenblicklich alle Zuschauer leblos niedergefallen waren. Allein bei der Erinnerung an diesen Traum bekam Diana eine Gänsehaut.
Mit beiden Händen umfasste sie ihren eigenen Nacken. Sie hatte einen seltsamen Geschmack im Mund. Verschiedene Fragen rasten ihr durch den Kopf. Die drängendste davon war, ob John wirklich so etwas tun würde, aus Frustration darüber, dass sie nicht kommen würde. Und ob es doch mehr Erpressung war, mit der er sie lockte, als der Wunsch auf ihre Einsicht, dass sie noch etwas für ihn empfand.
Abwehrend schüttelte sie den Kopf. John würde sicher nicht unschuldige Menschen töten, nur um sie zu strafen. Andererseits konnte sie nicht leugnen, dass sie ihn bereits einmal falsch eingeschätzt hatte.
Sie zuckte zusammen, als es an die Wohnzimmertür klopfte. Sie spürte, dass ihr Tränen auf den Wangen lagen und wischte sie eilig fort. Im nächsten Moment öffnete sich die Wohnzimmertür bereits. „Alles in Ordnung bei dir?“
Es war Tom.
Diana setzte sich auf. „Ja, wieso?“ Sie räusperte sich, als sie hörte, wie belegt ihre Stimme klang.
Sorgenvoll musterte er sie. „Du hast geschrien.“
„Oh, habe ich?“ Sie versuchte, ihm nicht zu offen zu zeigen, wie aufgewühlt sie war.
Trotzdem kam Tom auf sie zu und setzte sich neben sie. Er streichelte ihr vorsichtig über den Rücken. Tatsächlich tat seine Berührung ihr gut. Sie schloss die Augen wieder und lehnte sich an die starke Schulter ihres Bruders.
„John hat dich nicht verdient“, sagte er ihr einfühlsam. „Und so, wie du dich verhältst, war es auch keine Kleinigkeit, die dich von ihm weggetrieben hat. Sag mal, hat er dich geschlagen?“
„Tom…“
„Leute wie er verfallen schnell in den Glauben, sich alles erlauben zu können. Wenn er dich wirklich misshandelt hat,…“
„Tom, nein. Das hat er nicht.“
„Du schreist doch nicht mitten in der Nacht, weil er sich mit einem seiner Groupies vergnügt hat.“
Diana zog die Decke enger um sich. Sie fühlte sich heimisch bei ihrem Bruder, geborgen. Und dennoch öffnete sie die Augen bereits nach Sekunden wieder und entfernte sich von seiner Schulter. „Ich sollte euch wohl langsam mal wieder alleine lassen. Danke, dass du mich in den letzten Tagen aufgenommen hast.“
„Ich wollte dich jetzt nicht unter Druck setzen. Du musst mir nicht erzählen, was passiert ist“, sagte er ehrlich. „Ich möchte nur, dass du weißt, dass ich immer hinter dir stehe.“
„Ja, ich weiß. Danke. Aber ich glaube, ich sollte wirklich mal wieder aufbrechen.“ Sie wollte es nicht, aber es blieb ihr wohl keine andere Wahl. Noch immer glaubte sie nicht, dass das geschehen würde, was sie in ihrem Traum gesehen hatte. Und doch konnte sie nicht einfach nur abwarten und nichts tun.
„Wirst du zu ihm gehen?“, hakte Tom nach.
Diana antwortete nicht darauf. Sie stand auf und begann sich anzuziehen. Sie sah sich jetzt nicht dazu in der Lage, mit ihm darüber zu diskutieren.
„Bist du dir sicher?“, fragte er sie trotzdem. Natürlich wusste er, was ihr Schweigen bedeutete. „Gestern warst du dir noch felsenfest sicher, dass du ihn nie wiedersehen willst.“
„Will ich auch nicht.“
„Aber du wirst zu ihm gehen, oder? Ich sehe es dir doch an.“
„Ja, du hast Recht“, gab sie zu, was nicht zu leugnen war. „Aber nur, um noch ein paar letzte Dinge mit ihm zu klären.“ Denn offensichtlich gab es noch etwas zu klären.
„Meinst du nicht, es wäre besser, wenn du das später machst? Wenn ihr beide genug Zeit hattet, über alles nachzudenken?“
„Nein, meine ich nicht. Ich fahre jetzt.“
Unzählige Menschen drängten sich noch um die Arena, als Diana sie nach dem offiziellen Vorstellungsbeginn erreichte. Der windige Regen peitschte den Wartenden die Regenjacken um die Körper und zerbrochene Regenschirme lagen überall auf dem Boden. Der Donner war an diesem Ort so laut, dass es Diana auch zwischen den Schlägen in den Ohren piepste. Das Dunkel der Gewitternacht wurde jedoch nicht nur durch die grellen Blitze, sondern auch durch helle Scheinwerfer und das flackernde blaue Licht von Polizeiautos durchbrochen. Trotz des Wetters lösten sich die Warteschlangen vor den Eingängen der Arena nicht auf. Unter den überdachten Bereichen standen zudem mehrere Reporter, deren Kamerateams die Arena, das Gewitter und die Umgebung filmten.
Diana zog ihre eigene Jacke enger um sich und lehnte sich dem Wind entgegen. „Entschuldigung, würden Sie mich bitte kurz zu dem Schalter vorlassen? Ich müsste nur mit einem der Kontrolleure sprechen“, versuchte sie einen Weg an den Wartenden vorbei zu finden, indem sie einen Mann, der vorne in der Schlange stand, ansprach.
„Verziehen Sie sich“, kam es mürrisch von ihm zurück. Demonstrativ machte er sich noch breiter.
„Es ist dringend. Ich bin Diana Kresse, die Freundin von…“
Unsanft stieß der Mann sie zur Seite. „Ist mir egal, wer Sie sind. Ich warte hier schon seit Stunden.“
Diana war so überrascht, dass sie auf dem nassen Boden fast ausrutschte. Ein junger Mann mit Sommersprossen auf dem Gesicht, der viel zu klein für den schwarzen Anzug wirkte, den er trug, fing sie zuvorkommend auf. „Diana Kresse?“, wiederholte er.
Sie nickte.
„Ich bin Sven. Würden Sie bitte mit mir kommen? John würde Sie gerne noch vor seinem Auftritt sehen.“ Er klang gehetzt.
Noch während Diana sich fragte, wo dieser Sven plötzlich hergekommen war, drehte dieser sich von ihr weg und ging schon auf eine verschlossene Tür der Arena zu. Sie rannte ihm hinterher. Nachdem er ihr die Tür aufgeschlossen hatte, führte er sie eilig durch mehrere Gänge und Räume. „Wir haben den Zuschauern Herrn Gold bereits angekündigt“, erklärte er kurz angebunden. „Er wird gleich auf die Bühne gehen, aber wenn wir Glück haben, erreichen wir ihn vorher noch.“ Nach dieser Information beschleunigte er seinen Schritt abermals, sodass sie erneut rennen musste, um den Anschluss nicht zu verlieren. Nicht viel später konnte sie bereits Johns Stimme hören und als sie um die nächste Ecke trat, sah sie ihn mit Anton auf die Bühne zueilen. Er hatte ihr den Rücken gekehrt, sein langer schwarzer Umhang wehte mit seiner Bewegung und seine Schritte waren zielstrebig.
„John!“, rief sie seinen Namen.
Sofort blieben er und Anton stehen und drehten sich zu ihr.
In diesem Moment war John nicht anzusehen, was sich in den letzten Tagen zwischen ihnen ereignet hatte. Die Augenringe waren verschwunden und er wirkte stolz wie immer. Doch als sich jetzt ein Lächeln auf seine Lippen legte, wirkte es nicht so zuversichtlich, wie sie es von ihm kannte.
„Du hast dir ganz schön Zeit gelassen“, sagte er. Aus seinem Tonfall war nicht herauszulesen, was ihm durch den Kopf ging.
Diana kniff die Augen zusammen. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass er sie wahrgenommen haben musste, längst bevor sie seinen Namen genannt hatte. Vermutlich bereits, bevor sie die Arena erreicht hatte.
„John, dein Publikum wartet“, erinnerte Anton ihn.
„Ich weiß. Und ich werde sie nicht lange warten lassen.“ John zog seinen Umhang aus, ohne Diana aus den Augen zu lassen. Gleichzeitig beschwor er einen grünlichen Nebel um sich herauf.
Mit einem Schlucken musterte Diana die graugrünen Wolken und konnte den Gedanken nicht zurückdrängen, sie enthielten ein tödliches Gift.
Ein Winken Johns ließ Nebel und Umhang von ihm fort auf die Bühne fliegen. Begeisterter Beifall ertönte.
Schockiert trat Diana weiter vor, um dem Nebel nachzusehen.
„Was hast du vor?“, fragte sie John leise, als sie nur noch knapp einen Meter von ihm entfernt stand.
Er ging den letzten Meter, der sie voneinander trennte, auf sie zu. „Ich nehme an, das weißt du bereits, sonst wärest du nicht hier“, flüsterte er.
Eine Gänsehaut bildete sich auf ihren Armen. Sie spürte, wie sie ein leichtes Zittern überkam und trat einen Schritt vor ihm zurück. Mit Mühe versuchte sie, ihm ihre Unsicherheit nicht zu zeigen. Sie befürchtete, dies könne ihn in seinem Vorhaben nur bestärken, was auch immer dieses Vorhaben war. „Kein Zauberkünstler der Welt kann ein Gewitter verschwinden lassen“, gab sie zurück.
„Nun, wenn er aber den Wetterbericht gut kennt?“ Oberflächlich klang er amüsiert, doch um zu wissen, dass er es nicht wirklich war, kannte sie ihn gut genug. Sie räusperte sich. „Es wird auf deine Geste hin geschehen, John. Das ist nicht möglich.“
„Wenn dich das schon beunruhigt, solltest du wohl nicht mehr über die anderen Punkte meiner Show erfahren.“
Besorgt schüttelte sie den Kopf. „Was bezweckst du?“
Er zuckte mit den Schultern und drehte sich schon wieder der Bühne zu. „Nun, da du ohnehin nicht mehr vorhast, ein normales Leben mit mir zu führen, macht es keinen Sinn, mich weiter zu verstellen, richtig? …Blumentöpfe explodieren lassen, Lichter durchschneiden… das hat mich alles schon lange ermüdet. Die Kritiker, die meine Show als magisch bezeichneten, hatten keine Ahnung. Heute werde ich ihnen zeigen, was magisch heißt.“
„John!“, begann sie ihm zu widersprechen, hielt dann aber inne. Sie sah auf den starken Rücken, den er ihr zugekehrt hatte und glaubte die Schwäche unter dem Mantel zu erkennen. „Glaubst du wirklich, ich halte dich jetzt auf, indem ich dir sage, dass ich dich noch lieben würde?“, fuhr sie verständnislos fort.
„Nein.“ Er warf ihr einen Blick über die Schulter zu. „Mir reicht es, dass es dir selbst bewusst wird. Sagen musst du nichts. Doch die Tatsache, dass du hier bist, spricht für sich.“
Kopfschüttelnd sah sie zu Boden. „Das ist doch lächerlich“, sagte sie zu ihm genauso wie zu sich selbst.
„John“, schaltete Anton sich wieder ein. „Du solltest langsam hinaus.“
Während sie gesprochen hatten, hatte John bereits den Nebel zu einem Abbild seiner selbst geformt. Ein riesiger Nebelmagier ragte über der gesamten Bühne auf. Die leeren Augen blickten düster zum Publikum.
John drehte sich noch einmal vollständig zu Diana um. „Ein Wort von dir reicht und ich zeige nicht mehr, als die Menschen gewohnt von mir sind. Sage mir nur, dass du mich weiter an deiner Seite haben willst“, offenbarte er endlich, was er von ihr hören wollte.
„John!“, Anton klang schockiert, doch John winkte seinen Einwand nur ab. Er bedachte den Manager mit einem wissenden Lächeln. Dann sah er mit erhobener Augenbraue zurück zu Diana.
Dianas Hände begannen zu schwitzen. Die gesamte Situation erinnerte sie täuschend echt an ihren Traum zurück. „Du hast Recht. Ich liebe dich“, beeilte sie sich zu sagen, um dem entgegenzuwirken, was in ihrem Traum geschehen war. Und obwohl sie sich Mühe gab zu verbergen, dass sie es nicht wirklich so meinte, brachte sie die letzten drei Worte nur stockend hervor. „Mach deine Macht nicht öffentlich“, bat sie ihn weiter.
Johns Lächeln wurde breiter, allerdings nicht, weil er ihr ihre Aussage glaubte. Seine Augen drückten tiefe Trauer aus. Er klopfte Anton auf die Schulter. „Viel Spaß bei der Show.“ Dann trat er direkt an den Seiteneingang der Bühne heran.
„John…“, begann sie erneut und versuchte sich Worte zurechtzulegen, die ihn daran hätten hindern können, etwas Dummes zu tun.
Er sah zu ihr. „Diana, heute werde ich dir noch einmal den Mann zeigen, in den du dich wirklich verliebt hast. Einen echten Magier.“ Es war, als ergriffe ihn eine Macht, die nicht von ihm selbst ausging. Sein Körper wurde zur Seite auf die Bühne gerissen.
Mit klopfendem Herzen trat Diana selbst näher an diese heran, um das Geschehen besser verfolgen zu können. Immer steiler und schneller flog John in die Luft, entlang des dunkelgrauen Nebels, der ihn selbst darstellte. In Kopfhöhe des Nebelmagiers schwebte Johns dunkler Umhang. In der nächsten Sekunde legte dieser sich um seine Schultern. Die Menge klatschte und abrupt verschwand der Nebel. John befand sich sechs Meter schwebend über dem Bühnenboden und die Arena war taghell erleuchtet.
„Der Trick kommt viel besser, wenn man nicht die ganze Zeit ein verstecktes Seil an ihm vermutet“, sagte Anton neben ihr.
Diana warf ihm einen scharfen Seitenblick zu. „Was hat John dir erzählt, wie er das macht?“
Stirnrunzelnd verfolgte Anton weiter die Show. „Was meinst du damit? Er hat mir nie verraten, wie seine Tricks funktionieren.“
Sie atmete zitternd ein und strich sich mit den Händen über die Ärmel ihrer Bluse. „Wieso hast du dann im Radio angekündigt, er würde das Gewitter fortschaffen? Wie bitte hast du dir das vorgestellt?“
„Er sagte, ich solle ihm vertrauen. Und das tue ich. Du nicht?“ Jetzt sah er sie an. „Und warum willst du, dass er verbirgt, was für ein guter Magier wirklich in ihm steckt? Was ist eigentlich zwischen euch vorgefallen?“
Ihr Kinn begann zu beben. Sie musste sich stark zusammenreißen, um ihre Tränen zurückzuhalten. „Anton, du kannst das nicht verstehen.“
In der nächsten Sekunde klatsche das Publikum so laut, dass Diana erschrocken zusammenzuckte. Über John hatte sich die Decke der Arena vollständig vereist. Er hatte sie transparent werden lassen, sodass das Gewitter sichtbar wurde, das außerhalb der Arena herrschte. Noch immer war der Himmel dunkel, noch immer wurde er von Zeit zu Zeit durch grelle Blitze erleuchtet. Das Geräusch des Donners war jedoch nicht zu vernehmen. Beobachtend sah John auf die staunende Menge. Seine Augen funkelten. In diesem Augenblick wirkte er zufrieden mit dem, was er sah, doch es war eine bittere Zufriedenheit.
Auf sein knappes Nicken hin zerbrach die Eisdecke in unzählige gläserne Splitter und wie in Zeitlupe nahm Diana wahr, wie sich diese zusammen mit dem Regen auf die Zuschauer zubewegten. Das scharfe Glas glänzte in der Dunkelheit.
„John nicht!“, schrie sie, bevor das Glas die Menschen erreichte.
Augenblicklich hob John mahnend die rechte Hand und sowohl die Glassplitter als auch die Regentropfen wurden in ihrer Bewegung gestoppt. Sie kamen nicht weit über den Köpfen der Menschen zum Stehen.
Ein Mann, der seinen Sitzplatz im Rang hatte, erhob sich und tastete nach einem Glassplitter, der sich nur knapp über ihm befand. Sobald seine Finger das spitze Glas erreichten, zuckte er mit der Hand zurück und führte sie zu seinem Mund.
Erschrockene Rufe ertönten.
Johns Blick war auf Diana gerichtet. In seinen Augen las sie eine Enttäuschung, die sie nicht verstehen konnte. Darüber hinaus lag ein Vorwurf in seiner Haltung. Resigniert löste er Regen und Glas mit der nächsten Handbewegung wieder aus ihrer Erstarrung.
Die Menschen duckten sich und hoben abwehrend die Hände über ihre Köpfe. Als das gläserne Eis sie jedoch erreichte, gab es nach wie eine Flüssigkeit. Eis und Regen vermischten sich und es war nur der nächste Donner, der die Schreie des Publikums noch lauter werden ließ.
Ein grimmiges Lächeln legte sich auf Johns Lippen. Ungewöhnlich viele Blitze schlugen hintereinander in der Umgebung ein.
„Nur deswegen seid ihr doch hier“, flüsterte er und war dabei doch für jeden deutlich zu hören. Er hob er den rechten Arm, um die Blitze zu sich zu leiten. Es entstand ein gleißender Lichtstrahl, der vom Himmel herab bis auf den Erdboden reichte. Die gesamte Arena wurde von dem Licht erleuchtet.
Geblendet wandte Diana sich ab. Sie hielt sich die Ohren zu, um dem dröhnenden Donner entgegenzuwirken, der durch ihren gesamten Körper fuhr. Kein Lautsprecher der Welt hätte es vermocht, dieses Geräusch nachzuahmen. Sie spürte die Schallwellen in ihrem Magen vibrieren. Schützend hob sie den Arm vor die Augen und sah hinüber zu Anton, dem der Schreck ins Gesicht geschrieben stand. Das Dröhnen des Donners endete nicht. Im Gegenteil, im nächsten Moment wurde es noch intensiver. Der gleißende Lichtstrahl um John herum teilte sich in tausend Blitze, die in alle Richtungen von ihm fort strahlten. Es schien wie ein Wunder, dass niemand von ihnen getroffen wurde. Stattdessen schlugen sie in den Mauern der Arena ein. Steine brachen aus dieser heraus. Die Hitze der Blitze war deutlich zu spüren, die Luft roch verbrannt und die Begeisterung des Publikums wandelte sich in Angst, Panik oder fassungslose Faszination. Kinder weinten. Nicht wenige der fünfzigtausend Menschen entschieden sich dazu, dem Spektakel zu entkommen. Sie erhoben sich von ihren Plätzen, doch sogleich wurden sie durch eine unsichtbare Macht zurück auf ihre Sitze gedrückt.
„Ihr seid hergekommen, um mich anzusehen, also tut dies auch!“, hörte Diana John sagen. Es war verblüffend, wie nah seine Stimme klang. Wie ruhig sie war und dass sie es doch vermochte, alle anderen Geräusche in der Arena zu übertönen.
Diana versuchte seiner Aufforderung nachzukommen, doch sie konnte die Augen gar nicht offenhalten, als sie in die Mitte der Bühne blickte. Die Blitze um John herum waren zu hell, als dass John dahinter noch hätte erkannt werden können. Teile der Steintreppen zwischen den Sitzblöcken brachen heraus, als weitere Blitze darauf landeten.
„Kommen wir zu dem, was euch versprochen wurde“, richtete John erneut das Wort an seine Zuschauer.
Er schnalzte mit der Zunge und in der nächsten Sekunde war es plötzlich ruhig. Es hörte auf zu regnen. Noch immer verdeckten dunkle Wolken den Sommerhimmel, doch kein einziger Blitz war mehr zu sehen. Kein Donner ertönte. Selbst die Arenabesucher waren so überrascht über den plötzlichen Kulissenwechsel, dass sie verstummten.
John stand in der Mitte der Bühne. Er war der einzige Mann in der gesamten Arena, der nicht durchnässt war. Es wirkte unheimlich.
„Oh“, sprach John gespielt überrascht, „verzeiht.“ Ein Handwinken seinerseits ließ das Wasser aus Kleidung und Haaren seiner Gäste schweben. Es bildeten sich Tropfen, die in den Himmel hinauf zu den dunklen Wolken zurückflogen, aus denen sie gekommen waren. Ein weiteres Winken wehte die Regenwolken einfach weg. Die Röte der untergehenden Sonne nahm deren Platz ein.
Vereinzeltes Klatschen war zu hören. Die meisten Menschen schwiegen. Viele tasteten einfach nur verwundert nach ihrer trockenen Kleidung. Diana konnte sich denken, welche Fragen ihnen durch den Kopf gingen.
„Warum so verhalten?“, fragte John in die Runde. Er trat näher an den Bühnenrand. Die stehenden Menschen, die ihm am nächsten waren, drängten sich von ihm fort.
„Ihr wollt gehen?“, fragte er. „Seltsam, wo doch vor den Toren so viele Leute warten, die gerne hier an eurer Stelle wären. Meine Damen und Herren“, fügte er mit erhobener Stimme hinzu, „bitte bleiben Sie auf Ihren Plätzen.“
Diese Aufforderung war offensichtlich überflüssig. Noch immer sah Diana Menschen, die Anstalten machten, sich von ihren Stühlen zu erheben, doch es schien weiterhin nicht zu funktionieren. John hatte sie gefesselt. Je mehr die Leute versuchten, sich zu befreien, desto weiter wuchs die Panik in ihren Mienen.
Es folgte ein immenser Knall, der das noch vorhandene Piepsen in Dianas Ohr übertönte. Sie konnte nicht sehen, was die Ursache des Geräusches gewesen war, doch Schreie aus dem Zuschauerraum ertönten und deshalb trat sie näher an die Bühne, um einen besseren Überblick zu bekommen. Erst als sich die Sitzplätze der Zuschauer langsam von John entfernten, sah sie, dass John die Arena an verschiedenen Stellen gespalten hatte. Nun drifteten die Arena-Teile auseinander und bildeten auf diese Weise Lücken, die einen Blick nach Außen gewährten. Die Menschen klammerten sich bei der Bewegung ihrer Sitzblöcke an ihren Plätzen fest. Immer mehr von ihnen wirkten verzweifelt.
„Kommt doch herein“, hörte Diana John sagen. Sein Blick war auf die Menschen außerhalb der Mauern gerichtet. Es waren viel weniger, als Diana in Erinnerung hatte. Die Explosion musste die meisten von ihnen verscheucht haben. Jene aber, die geblieben waren, schienen weniger schreckhaft. Wenn auch zögerlich, so traten sie doch durch die neu entstandenen Zugänge näher. Unter ihnen befanden sich auch Polizisten.
John zog sein Schwert, sprang von der Bühne und ging bestimmten Schrittes auf einen der Polizisten zu. Die Zuschauer, die in der Mitte standen, entfernten sich hastig von ihm und bildeten ihm so einen direkten Weg zu dem Beamten. Als sich dieser bewusst wurde, dass er Johns Ziel war, zog er seine Pistole. „Stehen bleiben!“, forderte er. Auch die Stimme des Polizisten war in der gesamten Arena zu hören, als stände er direkt neben dem Zuhörer.
„Interessant“, bemerkte John. „Und was haben Sie jetzt mit dieser Pistole vor?“
Diana konnte sehen, wie sich der Mann unsicher in der Arena umblickte. Einige Hilferufe kamen von den Rängen.
John stieß ein knappes Lachen aus. „Bitte“, sagte er, „dies ist nur eine Zaubershow. Niemand ist in Gefahr.“
Der Polizist umfasste die Pistole fester. „Lassen Sie Ihre Waffe fallen!“, forderte er von John.
Stillschweigend ging John weiter auf den Polizisten zu. Sein eisernes Schwert blitzte in der roten Dämmerung auf. Mit langsamen Bewegungen und immer noch erhobener Waffe, zog sich der Polizist von John zurück. Seine Kollegen traten mit ebenfalls erhobenen Pistolen an seine Seite.
Ohne sie zu beachten, drehte John sich zu einer Frau aus dem Publikum. Er griff nach ihrem Arm und zog sie ruckartig zu sich. Mit seinem Schwert holte er aus, als wolle er sie verletzen. Diana schloss die Augen und öffnete sie fast im selben Moment wieder, als zwei Schüsse ertönten. Aus ihrer Entfernung konnte sie es nicht direkt erkennen, aber das Kamerateam verfolgte jede von Johns Bewegungen und projizierte sie auf die großen Leinwände der Arena, sodass auch Diana die beiden Pistolenkugeln sah, die in der Luft kurz vor John schwebten. Sie waren in ihrer Flugbahn erstarrt.
John hob die Augenbrauen. Dann schnalzte er scheltend mit der Zunge.
„Das ist nicht möglich!“, hörte man den ersten Polizisten fassungslos.
John steckte sein Schwert zurück in die Schwertscheide. Die frei gewordene Hand schüttelte er einmal aus dem Handgelenk heraus. Erschrocken schrien die Polizisten auf, als ihnen ihre Waffen aus den Händen gerissen wurden. Sie flogen außer Reichweite der Polizisten in den Himmel. John wandte sich ab und ging zurück auf die Bühne, ohne auch nur noch einen einzigen Blick in Dianas Richtung zu werfen. Seine Bewegungen drückten eine niedergeschlagene Entschlossenheit aus. Auf der Bühne angekommen verbeugte er sich tief. Diana versuchte sich durch ein tiefes Durchatmen zu beruhigen. Sie wagte es zu hoffen, John würde seine Show mit dieser Verbeugung beenden. Abermals war nur vereinzeltes Klatschen zu vernehmen.
„Ich nehme an, Sie sind ein wenig verärgert darüber, dass ich Sie daran hinderte aufzustehen“, hörte sie John ruhig sagen. „Nun“, er winkte mit der Hand, „dieser Zauber soll aufgehoben sein.“
Gleichzeitig erhob sich fast ein Drittel der anwesenden Zuschauer. „Natürlich ist es euch erlaubt zu gehen“, erklärte John weiter, „aber die Show ist noch nicht zu Ende.“
Wieder wurden Dianas Hände feucht.
Unentschlossenheit herrschte in der Menge. Die Leute warfen sich gegenseitig fragende Blicke zu. Es war, als wollten die meisten gehen. Weniger als hundert Menschen verließen ihren Platz dann aber tatsächlich.
„Ich möchte Sie daran erinnern, wo Sie sich hier befinden“, sagte John weiterhin ruhig. „In einer Show der Illusionen. Ich hoffe, ich habe Sie bisher nicht gelangweilt.“ Es schien, als entspannte sich das Publikum durch diese Worte tatsächlich ein wenig. Einige lachten sogar. Flüchtig sah John zu Diana hinüber. Sobald sein Blick ihren traf, verhärtete sich sein Ausdruck, dann sah er schon zurück nach vorne. „Mütter mit ihren Kindern sollten auf meine Empfehlung hin jetzt besser gehen“, sagte er mit kaum merklich belegter Stimme.
Wieder nutzten einige Zuschauer die Gelegenheit, die Arena zu verlassen. Darunter waren nicht nur Familien. John wartete, bis sie verschwunden waren, dann hob er kraftvoll die Arme. Abermals erfüllten Schreie die Arena. Dieses Mal, da der Boden unter den Zuschauern zu beben begann. In den Lücken zwischen den Arenabestandteilen erhoben sich neue Sitzplätze aus dem Boden. Die Menschen, die von außen hereingekommen waren, wurden von ihnen in die Höhe gehoben. Keine zehn Minuten später wirkte die Arena wie zu Beginn der Show, lediglich größer. Die neu erschaffenen Arenateile gingen perfekt in die ursprünglichen Teile über, als wäre es nie anders gewesen. Aus der Angst der Gäste wurde Begeisterung.
Mit einer einladenden Handbewegung forderte John die Menge, die sich noch auf den Stehplätzen befand, auf, sich auf die neuen Sitzplätze zu begeben. Gehorsam verteilten die Menschen sich. Nur die Polizisten blieben in der Mitte im Stehbereich zurück.
John bedachte sie mit einem fragenden Blick. Er schnipste mit den Fingern und ihre Pistolen richteten ihren Lauf gleichzeitig in den Himmel. Reihenweise schossen sie von selbst in die Luft. Dort, wo sich noch zu Beginn der Show das Arenadach befunden hatte, wurden sie gestoppt. Sie alle bildeten jeweils für sich einen kleinen Wachstumskern, von dem ausgehend sich das Dach neu bildete.
Nach und nach wurde der Nachthimmel verdeckt.
„Dürfte ich nun Sie bitten, mir bei einem kleinen Trick zu assistieren?“, fragte John einen Polizisten, der etwas abseits von den anderen stand. Seine Pistole steckte noch in ihrem Schaft.
Der Polizist hob abwehrend die Hände. „Ich bin nur zum Arbeiten hier“, sagte er. Seine Stimme war nicht zu hören, man konnte den Mann lediglich verstehen, indem man die Bewegung seiner Lippen auf den großen Fernsehbildschirmen las.
„Er sagt, er sei nur zum Arbeiten hier“, wiederholte John die Worte des Mannes. „Das bin ich auch“, fügte er an den Polizisten gewandt hinzu, „und dafür benötige ich jetzt Ihre Hilfe.“ Er winkte ihn zu sich.
Mit verschränkten Armen blieb der Mann stehen, wo er war.
Unwirsch winkte John erneut. Dieses Mal wurde der Polizist vom Boden gerissen. Durch die Luft schwebte er auf John zu. Er versuchte, sich gegen die unsichtbare Macht zu wehren, die ihn immer näher zu John trieb, doch er konnte nichts dagegen tun, dass er sich Sekunden später neben John auf der Bühne wiederfand.
„Ich hätte gerne, dass Sie jetzt auf mich schießen“, erklärte John ihm.
Der Mann schüttelte fassungslos den Kopf. Seine nächsten Worte waren wieder für jeden im Saal deutlich zu hören: „Mag ja sein, dass Sie die Kugeln dieser unechten Polizisten da unten aufhalten können, aber meine Pistole ist echt. Ich bin im Dienst und meine Waffe ist geladen. Ganz sicher werde ich hier nicht einfach schießen.“
„Ich möchte mit Ihnen wetten, dass Ihre Kugel mir kein Leid zufügen kann.“
„Ich wette nicht um Ihr Leben.“
„Mein verehrtes Publikum, es scheint, als wolle dieser Mann meinen nächsten Trick sabotieren. Was meint ihr? Soll er schießen?“
Begeistertes Klatschen ertönte. Erst leise, dann im Chor, wurde der Polizist aufgerufen zu schießen. Irritiert sah der Mann sich in der Arena um. Er legte die Hand an die Waffe, doch nicht, um sie zu ziehen, sondern weil er offensichtlich darum fürchtete, dass sie ihm entwendet werden würde.
John bedeutete dem Publikum zu schweigen. Abrupt endeten die Rufe und John hob den Arm in Richtung des Polizisten.
Wie ein Spiegelbild tat der Polizist ihm diese Bewegung gleich. Nur dass er dabei seine Pistole in der Hand hielt. Der Mann sah noch schockiert auf seinen eigenen Arm, als John langsam begann, den Zeigefinger seiner ausgestreckten Hand zu krümmen. Mit weit geöffneten Augen sah der Polizist auf seinen Finger, der sich immer weiter in Richtung des Abzugs bewegte. Er schüttelte den Kopf. Es wirkte, als hadere er mit sich selbst, doch sein Körper folgte einfach nur den Bewegungen, die John ihm vorgab. Schließlich löste sich der Schuss.
Die Kugel traf John mitten ins Herz. Deutlich sichtbar wurde Johns schmerzerfülltes Gesicht auf den Bildschirmen abgebildet. Er selbst sah erstaunt aus, als er sich mit der Hand an die Eintrittsstelle fasste. „Paul, was...?!“, stieß er erstickt aus. Zitternd ging er in die Knie. Blut floss langsam aus seinem Mund.
Im nächsten Moment verdrehten sich seine Augen und er fiel besinnungslos zu Boden.
Alle Menschen sahen wie gebannt auf ihn. Alle warteten darauf, dass der Trick weitergehen würde. Dass John gleich wieder aufstehen würde. Doch dem war nicht so. Eine Pfütze aus Blut breitete sich immer weiter um seinen Körper aus.
Der vermeintliche Polizist auf der Bühne ließ zitternd seine Waffe fallen. Er schüttelte den Kopf. „Ich war das nicht!“, schrie er verzweifelt. Erst jetzt erkannte Diana seine Stimme. Es war Paul, einer von Johns Schülern. Er zog sich die Maske aus, die ihn so fremd hatte erscheinen lassen.
Anton rannte an Diana vorbei auf Johns leblosen Körper zu. Der Schock stand ihm ins Gesicht geschrieben, als er an Johns Handgelenk nach dessen Puls tastete. „Diana, ruf einen Krankenwagen!“, wies er sie an. Verwirrt blickte Diana von Anton zu John und wieder zurück zu Anton. Sie wusste nicht, was sie denken sollte. In gewisser Weise war sie erleichtert, dass keinem der Zuschauer etwas zugestoßen war. Auf der anderen Seite kam mit dieser Erleichterung eine unglaubliche Wut auf John in ihr darüber auf, dass er den Menschen einen derartigen Schock versetzte.
„Jemand muss einen Krankenwagen rufen!“, stieß Anton noch einmal aus. Dringlichkeit und Verzweiflung prägten seine Stimme.
Sven neben ihr folgte dieser Aufforderung.
Langsam bewegte Diana sich auf John und Anton zu. Anton versuchte John wiederzubeleben, doch was er auch tat, es zeigte keine Wirkung.
„Lasst doch endlich den Vorhang fallen!“, schrie Anton in den hinteren Teil der Bühne.
In der Arena mit über fünfzigtausend Besuchern herrschte eine Totenstille. Es dauerte etwas, bis der Vorhang tatsächlich begann, sich zu senken. Es folgte eine Durchsage, welche die Zuschauer darum bat, das Gebäude zu verlassen.
„John, steh auf“, forderte Diana von ihm, „du machst den Leuten Angst. Hör auf mit dem Schauspiel.“
Sie stand so nah an John, dass das Blut, welches aus seinem Körper wich, kurz davor war, ihren Fuß zu erreichen. John regte sich nicht.
Anton sah zu ihr auf. „Diana, es tut mir leid“, sagte er.
„Was tut dir leid?“
Er antwortete ihr nicht, sondern sah auf seine eigenen blutverschmierten Hände. Dann versuchte er weiter John wiederzubeleben. Er drückte Johns Kopf nach hinten und hob gleichzeitig sein Kinn an. Mit Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand verschloss er Johns Nase. Er öffnete Johns Mund ein Stück weiter, als er ohnehin schon geöffnet war, sodass noch mehr Blut daraus floss. Für einen Moment zögerte Anton, dann atmete er ruhig ein und legte die Lippen um Johns Mund. Johns Brustkorb hob sich leicht, als Anton ihm seine Luft in die Lunge blies. Anton ließ von ihm ab, atmete noch einmal ein und blies John abermals Luft in die Lunge. Er setzte sich wieder auf, legte den Handballen auf die Brust, die er bereits freigelegt hatte, und legte die zweite Hand darüber. Dann begann er abwechselnd auf den Brustkorb zu drücken und diesen wieder zu entlasten. Schweiß bildete sich auf seiner Stirn.
„Anton, lass das. Er ist nicht tot“, stellte Diana noch einmal klar. Paul trat neben sie. Er war aschfahl im Gesicht. „Ich wollte das nicht!“, sagte er an Anton gerichtet.
Anton reagierte auf keinen der beiden. Er konzentrierte sich völlig auf John. „Komm schon!“, stieß er aus, nachdem er John das nächste Mal beatmet hatte und während er wieder mit der Herzmassage begann.
„John, verdammt, jetzt hör auf mit dem Schauspiel!“ Nun verspürte Diana endgültig nichts mehr als eine enorme Wut auf John. Er reagierte nicht auf ihre Worte. Sein Gesicht schien immer mehr an Farbe zu verlieren. Es kam Diana wie eine Ewigkeit vor, bis endlich die Rettungssanitäter und der Notarzt vor Ort waren und Anton von John lösten. Sie tauschten untereinander vielsagende Blicke aus, dann trugen sie John auf einer Trage zum Krankenwagen und hinderten Anton und Paul daran, ihnen zu folgen.
Es dauerte nicht lange, bis ein anderer Sanitäter zu ihnen kam. „Es tut mir leid, Ihnen das mitteilen zu müssen, aber ihr Freund hat es nicht geschafft“, sagte er einfühlsam zu Diana. „Er ist tot.“
„Nein!“, stieß Paul schluchzend aus. Anton schloss schwer atmend die Augen.
Diana stemmte die Hände in die Hüfte. „Ist er nicht!“