Читать книгу Die Liebe des Schwarzmagiers - Beatrice Regen - Страница 2

Die steinerne Rose

Оглавление

Diana hielt den Atem an. Drei Meter über der Bühne schwebend griff John mit der rechten Hand in die Luft und hielt plötzlich eine rote Rose darin. Er sah zu ihr hinab. Sein Blick war dabei nicht liebevoll, sondern eher drohend, und obwohl sie sich sicher war, dass keine Gefahr von ihm ausging, begann ihr Herz aufgeregt schneller zu schlagen. In der nächsten Sekunde verschwand die Rose aus seiner Hand und erschien fast zeitgleich in ihrer. Ein Scheinwerfer wurde auf sie gerichtet und tauchte sie in helles Licht. Mit feuchten Händen hob sie die Blume leicht an, während um sie herum der Beifall losbrach. Sie räusperte sich. Es war ihr etwas unangenehm, derart im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Bereits in der nächsten Sekunde erlosch das Scheinwerferlicht jedoch wieder. Eine unsichtbare Macht riss ihr die Rose aus der Hand und zog sie über die Köpfe der Menge. Trotz der Dunkelheit blieben die Umrisse der Rose erkennbar. Die Blüte entblätterte sich und die einzelnen Rosenblätter bildeten das Abbild eines Herzens. Leicht wehten sie in dem kalten Wind, der im Saal herrschte.

Sie strich sich über die Arme. Es war Sommer und sie trug eine kurze Bluse, doch mit jeder Sekunde schien es kälter zu werden. Langsam sank John dem Boden wieder entgegen. Bevor er diesen aber erreichte, durchschnitten weiße Tauben die Dunkelheit wie ein Blitz und flogen nur knapp an ihm vorbei auf die Rosenblätter zu. Als sein Fuß den Bühnenboden dann berührte, drehten sie sich abrupt zu ihm um. Für den Bruchteil einer Sekunde verharrten sie in ihrer Bewegung. Ihre Augen fixierten ihn, dann flogen sie im Sturzflug auf ihn zu. Die spitzen Schnäbel leuchteten in der Dunkelheit. Je näher sie John kamen, desto besser war auch er wieder zu erkennen. Sein Blick drückte Zufriedenheit aus. Ruhig zog er seinen schwarzen Umhang aus und breitete ihn vor sich aus. Sobald die Vögel ihn erreichten, verschwanden sie einfach in dem Mantel, als wäre er ein schwarzes Loch. Mit Schwung legte John den leeren Umhang wieder über seine Schultern.

Erleichtert atmete Diana aus.

Dann verbeugte John sich und tosender Beifall erfüllte abermals das Theater. Wer noch nicht stand, erhob sich nun. Es verging eine Weile, bis John die Verbeugung beendete. Nach einem letzten Blick ins Publikum wurde er von einem weißen Nebel umhüllt und als dieser sich auflöste, war auch von John nichts mehr zu sehen. Der Beifall endete nicht. Noch Minuten forderte die Menge eine Zugabe. Schließlich senkte sich der Vorhang, die Lichter im Theater gingen wieder an und die Show war zu Ende. Dennoch löste sich die Gesellschaft nur langsam auf. Diana konnte sie verstehen. Schon oft war sie Besucherin dieser Vorführung gewesen und selbst auf sie hatte die Show ihre Wirkung noch nicht verloren.

„Sie hatten die Rose doch hier irgendwo versteckt, nicht wahr?“, fragte eine alte Frau, die neben Diana ihren Platz hatte.

Diana lächelte sie an. Schon seit einiger Zeit besuchte sie die Show nur noch selten zusammen mit Freunden, weil sie genau solche Fragen von ihnen hasste. „Nein, ich weiß leider auch nicht, wie er das gemacht hat“, machte es ihr hingegen nichts aus, die fremde Frau zu belügen. Dann drängte sie sich auf den Ausgang des Saals zu. Sie schlich sich an den Kamerateams vorbei, die vor dem offiziellen Zugang zum Backstage-Bereich warteten, und betrat durch den Zugang einer Verkaufstheke die Personalräume. Der Geruch der warmen Schokoladenmuffins, die dort angeboten wurden, lag ihr noch in der Nase, als sie die Treppe hinaufging, die zu den Umkleiden führte. Roter Teppichboden dämpfte den Klang ihrer Schritte und doch wusste sie, dass John sie hören würde. Es hatte Zeiten gegeben, da hatte sie versucht, sich an ihn heranzuschleichen und auf Zehenspitzen zu gehen, diese Zeiten waren jedoch längst vorbei. Sie klopfte auch nicht mehr an, als sie schließlich seine Tür erreichte.

„Ganz schön gemein, dass du mir die Rose wieder abgenommen hast“, sagte sie gespielt vorwurfsvoll.

Er drehte sich mit einem Lächeln zu ihr um. Seine Augen strahlten. „Du hättest sie doch nicht die ganze Zeit festhalten wollen, oder?“

Statt zu antworten, ging sie zu ihm, legte ihm ihre Hände auf die Hüfte und küsste ihn. Er selbst zog sie dabei noch fester an sich, sodass sie seinen muskulösen Körper eng an ihrem spüren konnte.

„Ich liebe dich“, sagte er und trat einen Schritt zurück, um sie besser ansehen zu können. Seine Augen musterten sie so intensiv, dass sie sogleich wieder das Bedürfnis überkam, ihn zu küssen. Stattdessen entfernte auch sie sich ein Stück von ihm. „Das habe ich mir nach deiner kitschigen Show vorhin schon gedacht“, erwiderte sie lachend.

Johns Augenbrauen schossen in die Höhe. „Kitschig?“, wiederholte er. „Wie könnte ein so mächtiger Herrscher über die dunklen Mächte kitschig sein?“

Sie rollte amüsiert mit den Augen. „Es war jedenfalls schön“, sagte sie, als ihr bewusst wurde, dass sie sich noch nicht für diese Geste bedankt hatte.

Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihre Zweisamkeit.

„Anton“, erwiderte John auf ihren fragenden Blick und öffnete die Tür, indem er einmal mit der Hand in deren Richtung winkte.

Mit einem strahlenden Lächeln trat der Manager ein. „Das war wie immer eine sehr gute Show!“, verkündete er. Nach einem erneuten Winken schloss John die Tür hinter ihm wieder, doch Anton schenkte dem gar keine Aufmerksamkeit. „Du solltest den Hinterausgang nehmen“, fuhr er an John gerichtet fort. „Vorne stehen überall Journalisten, die sicher nicht nur für die Kritiker gekommen sind. Wenn du also heute nicht dein erstes Interview geben möchtest, verschwinde am besten durch den Keller.“

„Gut, danke.“ John sperrte sein Schwert in den Schrank in der hinteren Ecke des Zimmers. Den Schlüssel ließ er in die Hosentasche seines eleganten Anzugs gleiten. Einem plötzlichen Bedürfnis folgend, ging Diana auf ihn zu und legte den Arm um ihn. Zu ihrer Zufriedenheit legte John seinerseits sofort auch seinen Arm um sie.

„Dann sehen wir uns übermorgen“, sagte er zu Anton.

„Du kommst also morgen nicht zur Show, um zu sehen, wie sich deine Schüler machen?“

„Nein. Morgen bin ich privat verplant.“

Diana nahm seine Hand und drückte sie.

„Ah?“, fragte Anton mit unüberhörbarer Neugier. „Was macht ihr denn morgen Schönes?“

Sie atmete tief durch. „Gemütlich kochen und hoffentlich ein bisschen feiern. Morgen haben wir Jahrestag und außerdem habe ich ein Bewerbungsgespräch.“ Ein Adrenalinrausch ging durch ihre Adern, als sie den Gedanken daran zuließ.

„Oh, wo denn?“

Sie biss sich auf die Unterlippe. „Als Medienmanagerin bei PGV. Ich hoffe, ich bin gut vorbereitet.“

„Na, dann viel Glück!“ Er klopfte ihr auf die Schulter. „Ich schätze, ich lasse euch dann wohl mal besser wieder alleine“, fuhr er fort, als hätte er ihre Gedanken gelesen. „Du schaffst das schon, Diana. Da habe ich keine Zweifel.“

Sie nickte nur dankend und sah Anton dann dabei zu, wie er den Raum verließ. Obwohl sie Anton mochte, freute sie sich, wieder alleine mit John zu sein.

„Und was machen wir jetzt heute Abend noch?“, wechselte sie bewusst das Thema.

Er musterte sie kurz, aber eingehend. Demonstrativ wanderte sein Blick auf seine Uhr.

„Es ist zehn“, nahm sie ihm seinen Kommentar ab. „Ich würde sagen, Zeit für einen Sekt, um auf deinen Erfolg heute anzustoßen, ist noch.“

„Was denn für ein Erfolg?“ Er klang ehrlich irritiert.

Natürlich wusste er nicht, worauf sie anspielte, denn er hätte sich kaum weniger für etwas interessieren können. An diesem Tag hatten sich einige einflussreiche Personen seine Show angesehen. „Hast du Andrew Dolphin gesehen?“, nannte sie nur einen. „Er war total begeistert. Ich wette, in den nächsten Tagen wird Anton mit Angeboten aus Hollywood überschüttet.“

John winkte diese Nachricht ab, als wäre sie etwas Negatives. „Anton weiß, wie er mit solchen Angeboten umzugehen hat“, erklärte er zuversichtlich.

Sie lachte. „Ja, ich weiß. Ich sage ja auch nicht, dass du sie annehmen sollst, ich sage ja nur, dass es cool ist, sie zu bekommen.“

Amüsiert runzelte er die Stirn.

Sie nahmen eine Treppe, die hinunter in den Keller führte. Ein leichter Geruch von Staub lag in der Luft und ihre Absätze ertönten laut hallend auf dem kalten, grauen Steinboden, doch an diesem Ort mussten sie nicht befürchten, von Journalisten entdeckt zu werden.

„Gehen wir in den Wald, um den Sekt zu trinken?“, kam John wieder auf die Abendgestaltung zurück.

Bei dem Gedanken an den Wald stieg ihre Laune noch weiter. „Zur Steinrose?“, fragte sie nach.

„Mit Pizza?“

„Und ganz viel Knoblauch?“

„Diana, du hast morgen ein Vorstellungsgespräch“, erinnerte er sie leicht tadelnden Tones.

„Na gut, du hast Recht. Vielleicht sollte ich heute lieber auf den Knoblauch verzichten.“

Er rollte mit den Augen. „Ich verstehe immer noch nicht, warum du für so etwas nicht meine Hilfe in Anspruch nehmen willst.“

Darauf antwortete sie ihm nicht. Sie hatte ihm bereits oft genug erklärt, warum sie seine Magie nicht zu oft nutzen wollte, und er wartete auch nicht auf eine Antwort. Gemeinsam setzten sie sich in sein Auto und keine fünfzig Minuten später gingen sie mit einer Pizza, einer Flasche Sekt und zwei magisch erschaffenen Sektgläsern von dem Waldparkplatz zu der steinernen Rosenblüte, die sich an einer abgelegenen Stelle des Waldes befand. Früher hatte sich an jener Stelle lediglich ein Felsen befunden. Nun wirkte es, als habe ein Steinmetz sich die Arbeit gemacht, die Form einer Rose in den Stein zu meißeln. Die einzelnen Blütenblätter bildeten riesige Treppenstufen, die zu der Spitze der Rosenblüte führten. Diana kletterte John voran daran empor und balancierte dabei die Pizzaschachtel und die Sektgläser in den Händen. Auf dem obersten Blütenblatt goss John ihnen den Sekt aus.

„Auf uns!“, sagte sie und stieß mit ihm an. „Ich bin so froh, dass ich dich habe.“

Lächelnd trank er von seinem Sekt. Dann wurde sein Lächeln breiter und schließlich lachte er los.

„Was ist?“, fragte sie.

Er zuckte mit den Schultern. „Ich hätte früher nur niemals gedacht, dass jemand einmal so etwas zu mir sagen würde. Und irgendwie klingt es auch manchmal ganz schön absurd.“

Auch Diana lächelte leise. Sie sah zum Himmel hinauf. „Ja, weil es früher absurd war, dass du jemanden so nah an dich heranlassen könntest. Nicht weil die Menschen es nicht gewollt hätten.“

„Glaube mir, die Menschen wollten auch nicht nah an mich heran.“

Diana nahm sich ein Stück Pizza. Mittlerweile war diese bereits kalt, doch das machte ihr nichts aus. Sie strich mit dem Zeigefinger ihrer freien Hand über eine Kerbe, die sich in dem sonst perfekten steinernen Blütenblatt befand, auf dem sie saßen. „Manchmal wünschte ich, ich hätte dein früheres Ich auch kennengelernt.“

„Warum?“ Aufmerksam sah er sie an.

Sie spürte, wie sie leicht rot wurde, trank noch einen Schluck von dem Sekt und zog dann eine Schulter hoch. „Na, vielleicht würde ich dich dann weniger perfekt finden und mich nicht so klein neben dir fühlen.“ Als Antwort auf den kritischen Blick, den er aufsetzte, während sie sprach, zuckte sie noch einmal mit den Schultern. „Nur manchmal.“

„Es ist lächerlich, dass du dich klein neben mir fühlst“, sagte er bestimmt. „Ohne dich würde ich mich in dieser Welt gar nicht zurechtfinden.“

Sie nickte.

„Außerdem kanntest du mein altes Ich“, erklärte er weiter. „Und kennst es noch. Mag sein, dass du mich etwas verändert hast, aber ich möchte doch klarstellen, dass ich immer noch ich selbst bin. In jeder Sekunde. Und du liebst mich trotzdem.“

„Trotzdem“, wiederholte sie lachend. Sie sah auf die Bäume, die vor ihnen wuchsen. „Ich wünsche mir ein kleine Briese Wind“, sagte sie ruhig.

Kurz sah er sie schweigend an, dann bewegte er seinen linken Arm langsam in Richtung der Bäume. Mit Mittel- und Zeigefinger winkte er zu sich. Sofort begannen die Blätter der Bäume in einem leisen Wind zu wehen. Eine Sekunde später zog die Briese auf Diana zu und erfasste ihr Haar.

Diana schloss die Augen und atmete tief ein. Es roch nach Sommer und Wald. „Unglaublich, dass deine Zuschauer wirklich glauben, hinter deiner Magie stecken nur Tricks.“

Nachdenklich nickte er. „Gut, dass sie es tun“, erwiderte er ernst.

„Achtung!“ Sie erhob sich und sprang von der fünf Meter hohen Steinrose. Mitten im Fall wurde sie von einem Windzug erfasst, als wäre sie ein leichtes Blatt, und sacht auf den Boden gesetzt. John sprang ebenfalls von der Rose und landete weniger sanft neben ihr.

„So etwas sollst du doch nicht machen!“, erklärte er anklagend.

„Warum nicht?“

„Du hättest dir sämtliche Knochen brechen können.“

„Hätte ich nicht. Ich wusste doch, dass du mich auffängst.“

„Ich hätte auch unaufmerksam sein können.“

„Das denke ich nicht. Ich weiß genau, dass du immer auf mich aufpasst. Und außerdem habe ich vorher extra ‚Achtung‘ gesagt.“

Er lächelte nachgiebig, wenn auch immer noch besorgt. „Ich möchte doch nur nicht, dass du dich unnötig in Gefahr begibst.“

„Ganz ehrlich“, antwortete sie und küsste ihn, „ich kann mir nicht vorstellen, was mir in dieser Welt noch gefährlich werden könnte.“

Die Liebe des Schwarzmagiers

Подняться наверх