Читать книгу Die Liebe des Schwarzmagiers - Beatrice Regen - Страница 9

Kein zurück

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Daniel lag unverändert auf dem Küchenboden, als sie eintraten. Die gesamte Fahrt über hatten Diana und John nicht miteinander gesprochen. Auch jetzt ging er stumm auf den leblosen Körper zu. Nach einem kurzen Blick zu Diana, kniete er sich vor ihn. Er legte die Hand auf Daniels Hals und schloss die Augen. Diana nahm sich währenddessen einen der Küchenstühle und setzte sich. Sie wusste, dass es mehrere Stunden dauern würde, würde John tatsächlich versuchen Daniel zu helfen. Sie hatte John bereits dabei zugesehen, wie er schwerkranke Menschen geheilt hatte. Wie damals wirkte John auch jetzt konzentriert und doch zugleich abwesend. Seine Haltung war angespannt und schwerelos. Früher hätte sie ihn ewig so beobachten können. Sie hatte seine Ausstrahlung geliebt, egal, was er getan hatte. Nun aber herrschte die Ungeduld in ihr und vertrieb jeden weiteren Gedanken. Eine Stunde lang sah sie pausenlos von John auf die große Wanduhr, die in der Küche hing. Nach dieser Stunde stand sie auf und ging auf und ab. Sie wollte sich beschäftigen, doch sie wollte sich nicht ablenken. Sie hatte das Gefühl, dass es Daniel helfen könnte, wenn sie mit ihren Gedanken bei ihm war. Als zwei Stunden vergangen waren, hätte sie John am liebsten angeschrien, dass er sich beeilen solle, dass er sich nicht extra Zeit nehmen solle, nur um ihr am Ende zu sagen, dass er sich Mühe gegeben habe, wenn es denn doch nicht klappen sollte. Sie sagte nichts davon. Sie wusste, es wäre kontraproduktiv gewesen.

Nach fünf Stunden erklang plötzlich ein zischendes Geräusch aus Daniels Richtung. Sofort eilte Diana näher an ihn heran. Sie sah zweimal hin, um absolut sicher zu gehen, dass sie es sich nicht eingebildet hatte. Doch auch beim zweiten Hinsehen erkannte sie ganz deutlich, wie sich Daniels Brust langsam hob und senkte. Er atmete wieder. Voller Hoffnung sah sie zu John, der noch mit geschlossenen Augen da kniete, wie bereits fünf Stunden zuvor. Er bewegte sich keinen Zentimeter. Wie gebannt sah Diana auf Daniels Atembewegungen und bemerkte so kaum, wie die restliche Zeit verging, bis John schließlich die Augen öffnete. Er entfernte seine Hände von Daniels Hals und erhob sich.

„Er lebt wieder, oder?“, fragte Diana ihn aufgeregt.

John sah sie an. Seine Miene war undurchschaubar, dann schüttelte er den Kopf. „Ich habe es wirklich versucht“, sagte er schließlich mit belegter Stimme.

Sein Kopfschütteln machte ihr Angst und schaffte es dennoch nicht, die Hoffnung zu vertreiben, die seit drei Stunden in ihr entfacht war. „Aber er atmet doch!“, warf sie ein.

„Nur weil ich will, dass er atmet. Er hat keinen eigenen Antrieb. Er ist tot“, erklärte er absurd nüchtern. Noch immer wirkte es, als wäre ihm Daniels Schicksal gleichgültig. Ihr selbst hingegen schmerzte der Kopf, so viele Gedanken rasten ihr durch den Sinn.

„Wenn er atmet, ist er auch nicht tot!“, versuchte sie Johns Worte abzuwehren.

„Diana, er atmet nicht. Ich atme für ihn. Es ist nicht möglich…“

„Nein, das glaube ich dir nicht!“, erwiderte sie eindringlich, ohne ihn ausreden zu lassen. Sie spürte, wie sie wieder zu weinen begann und ärgerte sich über sich selbst. Doch sie wollte John nicht glauben und auch wenn es keinen Sinn machte, so hatte sie doch das Gefühl, dass er sie belog.

„Diana, bitte.“ John kam auf sie zu, als wolle er sie trösten.

„Bleibst du wohl weg von mir!“, schrie sie ihn an. Sie wollte seinen Trost nicht. Und noch immer wollte sie den Gedanken nicht zulassen, dass Daniel wirklich gestorben war. Ihre Stimme triefte vor Abneigung, als sie mit John sprach. Für die zwei Schritte, die er auf sie zugetan hatte, wich sie fünf Schritte vor ihm zurück. Sofort blieb er stehen. Zum ersten Mal las sie so etwas wie Schuldgefühl in seinem Blick. „Diana, wir könnten einen Krankenwagen für ihn rufen. Sie können ihn in diesem komatösen Zustand bewahren, dann könnten seine Familienangehörigen noch hoffen, dass er wieder erwacht.“

Sie schluchzte. „Besteht auch nur der Hauch einer Chance, dass er tatsächlich wieder erwacht?“, fragte sie, obwohl die Gewissheit über die Antwort längst in ihr ruhte und sich mehr und mehr einen Weg in ihr Bewusstsein bahnte.

John schwieg.

„Antworte mir, du verfluchtes Arschloch!“

„Diana,…“

„Du sollst einfach antworten!“

Er atmete tief ein, dann schüttelte er den Kopf.

Angespannt schloss sie ihre Augen. Ihre Tränen waren mittlerweile verebbt und sie musste sich selbst eingestehen, dass sie John glaubte, dass Daniel unwiderruflich tot war. Eigentlich hatte sie es gewusst, seitdem sie das Knacken gehört hatte, als John ihm das Genick gebrochen hatte. „Dann geh“, sagte sie ruhig. Es wunderte sie selbst, wie wenige Emotionen noch in ihrer Stimme lagen. Es schien, als hätte die Endgültigkeit des Kopfnickens Johns ihr jegliches Empfinden über diesen Tod genommen. Ganz rational dachte ihr Gehirn nur noch darüber nach, wie sie jetzt weitermachen sollte. „Nimm Daniels Leiche mit“, forderte sie in demselben neutralen Tonfall von John, mit welchem er ihr die Unumkehrbarkeit des Todes Daniels mitgeteilt hatte. „Lass sie im Wald liegen und tu meinetwegen so, als wäre er vom Blitz getroffen worden. Es ist mir egal, was du machst, damit er nicht mit mir in Verbindung gebracht wird. Nur komm danach nicht wieder.“ Das wünschte sie sich wirklich. John nicht mehr wiedersehen zu müssen.

„Diana…“ Wieder kam er einen Schritt auf sie zu.

„Ich möchte dich nie wiedersehen!“, brüllte sie ihm so inbrünstig entgegen, wie es ihr möglich war. Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Er sollte nicht denken, dass sie aus einer Schwäche heraus handelte. In diesem Moment wusste sie genau, was sie sagte.

„Diana, bitte. Es tut mir leid.“ Er breitete die Hände zu einer Geste der Hilflosigkeit aus. „Es tut mir leid, dass ich nicht sofort erkannte, dass Daniel keinen Streit zwischen uns wert war und...“

„Streit?“, unterbrach sie ihn. „John, was redest du da? Du hast ihn umgebracht. Verdammte Scheiße“, fügte sie mehr an sich selbst gewandt hinzu. Ihr Körper begann wieder zu zittern.

„Es tut mir leid, dass ich nicht sofort erkannte, dass ich ihn nicht hätte töten müssen“, sprach John seinen ursprünglichen Satz zu Ende. „Ich hätte nicht ihm die Schuld dafür geben dürfen, dass du nicht mehr glücklich mit mir bist.“ Er stockte. Seine Hand bildete eine Faust, dann lockerte sie sich wieder.

Fassungslos beobachtete Diana ihn dabei. „Verdammt John, du hättest ihm von mir aus die Schuld an allem Leid der Welt geben dürfen. Nur hättest du ihn nicht töten dürfen! Verstehst du das denn nicht?!“

John nickte, doch es schien nicht so, als hätte er ihr wirklich zugehört. Seine Gedanken schienen sich um etwas anderes zu drehen. „Ich hätte wohl akzeptieren müssen, dass du…“, er stockte. Es fiel ihm sichtlich schwer, seine Gedanken in Worte zu fassen. „Ich wünschte nur…“, fuhr er abgehackt fort, „…du hättest mir gesagt, was dir fehlt. Du weißt, dass ich alles für dich tun würde, oder?“ Wieder hielt er inne, doch es war offensichtlich, dass er noch weitersprechen wollte.

Diana hätte ohnehin nicht die Worte gefunden, um ihm auf seine Frage zu antworten. Die gesamte Situation erschien ihr so unwirklich wie ein schlechter Scherz.

Er sprach weiter: „Du liebst mich doch auch, oder?“

Tatsächlich konnte sie nach dieser Frage nicht umhin aufzulachen. „Dass du mich das überhaupt fragen kannst! Das werde ich nie wieder können!“ Sie konnte ihm ansehen, wie hart ihre Worte ihn trafen und in diesem Moment genoss sie es auf eine unnatürliche Weise, sein Leid zu spüren. „Nie wieder, hörst du? Du hättest mir nie das geben können, was ich brauchte!“, fuhr sie fort, um auf seine sinnlosen Erläuterungen einzugehen und ihn damit noch härter zu treffen. „Was ich brauchte, war Abstand von dir. Sieh dich an. Du bist nichts als ein selbstverliebter, egoistischer, dummer Mörder, der ohne seine Magie zu nichts getaugt hätte“, platzte es aus ihr heraus. „Ich hätte wirklich mit Daniel schlafen sollen. Er war ein Mann, der schon immer besser zu mir gepasst hätte als du. Er war zuvorkommend und hilfsbereit, wie du es nie sein kannst.“

Es war es seltsam zu sehen, welchen Effekt ihre Worte auf John hatten. Es wirkte fast zusammengekauert, wie er dastand. Der sonst so stolze Mann war mit einem Mal zerbrechlich. Im nächsten Moment jedoch richtete er sich wieder zu seiner vollen Größe auf. Nickend sah er von ihr weg. Sein Blick blieb auf Daniel haften. Noch einmal sah sie Schmerz in seinen Augen aufblitzen, dann setzte er eine Maske auf, die nicht mehr zu deuten war. Daniels Körper schwebte John in die Arme. Noch bevor die Leiche John erreichte, stülpte sich Daniels rotes T-Shirt, das noch auf dem Küchenboden gelegen hatte, von selbst über den nackten Oberkörper seines ehemaligen Besitzers.

„Ich verstehe, dass du Zeit brauchst“, erklärte John schließlich. Mit Daniel auf den Armen trat er auf sie zu. Dieses Mal wich sie nicht vor ihm zurück, sondern sah ihn immer noch kalten Blickes an.

„Es tut mir leid“, sagte er, dann ging er an ihr vorbei durch die Gartentür hinaus aus der Küche. Diana sah ihm nach. Es war mittlerweile fünf Uhr am Morgen. Die Sonne hätte langsam wieder aufgehen müssen, doch noch immer beherrschten Gewitterwolken den Himmel. John mit seinem schwarzen Umhang ging beinahe in der Dunkelheit unter, wohingegen Daniel in seinem roten T-Shirt gut zu erkennen war. Immer noch erleuchteten Blitze von Zeit zu Zeit die Umgebung. Obwohl sie zum Teil auch jetzt noch unmittelbar neben ihrem Haus einschlugen, konnte der Donner Diana nicht mehr schockieren. Das Unwohlsein in ihrer Magengegend hingegen intensivierte sich. Ihr wurde schwindelig und sie fürchtete, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Das tat sie nicht. Eine ganze Zeit lang stand sie einfach nur wie erstarrt da und sah in die Richtung, in die John gegangen war. Irgendwann allerdings wanderte ihr Blick wie von selbst auf die Stelle, an der Daniel gestorben war. Eine Gänsehaut breitete sich auf ihrem Körper aus. Sie rannte hinaus aus der Küche und ins Badezimmer, wo sie dem erdrückenden Verlangen nachkam, sich zu übergeben.

Natürlich ging es ihr auch danach nicht besser. Sie sah in den Spiegel. Ihre Augen waren rot aufgequollen, ihre Haut blass. Ihre nassen Haare standen ihr wild um den Kopf. Ihr war kalt. Die Bilder der letzten Stunden blitzten an ihren Augen vorbei und doch konnte sie keinen klaren Gedanken fassen. „Duschen“, sagte sie leise zu sich selbst, obwohl sie sich am liebsten noch einmal übergeben hätte. Vielleicht konnte aber das Duschen ihr dabei helfen, zur Ruhe zu kommen. Doch sie bewegte sich keinen Zentimeter auf die Dusche zu. Ihr Blick war wie gefesselt an den Spiegel und an etwas, das davorstand. Sie realisierte erst einige Minuten später, dass es Johns Zahnbürste war, die sie nicht losließ.

„Ich hätte nicht ihm die Schuld dafür geben dürfen, dass du nicht mehr glücklich mit mir bist“, wiederholte Diana Johns Worte. „Verdammt, jetzt bin ich ganz sicher nicht mehr glücklich!“, schrie sie in den Raum hinein. Sie nahm Johns Zahnbürste und warf sie quer durch das Zimmer. „Ich hasse dich!“ Mit der flachen Hand schlug sie gegen das Waschbecken. Dann schaffte sie es, sich davon abzuwenden, ging zur Dusche, schaltete das Wasser ein, zog sich aus und stellte sich darunter. „Ich hasse dich, ich hasse dich, ich hasse dich!“, wiederholte sie für sich. Das Wasser prasselte in ihren Ohren. Es vermischte sich mit ihren Tränen. Kraftlos ließ sie sich zu Boden der Dusche sinken. Sie hasste auch sich selbst. Hätte sie nicht mit Daniel geflirtet, wäre er jetzt noch am Leben.

Sie hatte kein Zeitgefühl mehr, als sie dort saß. Durch die kleinen Spalte in den Rollladen vor dem Badezimmer fiel kein Licht. In diesem Badezimmer hatten sie auch keine Uhr. Als sie schließlich das Wasser abdrehte und aufstand, schmerzten ihre Knie. Nur langsam ging sie zu ihrem Tuch. Sie wickelte sich darin ein und ging dann auf direktem Weg ins Schlafzimmer. Dort sah sie auf ihren Wecker. Es war acht Uhr am Morgen. „Was bezweckst du damit?“, fragte sie laut, als sie in die stürmische Nacht hinausblickte. In der Ferne ertönten die Sirenen eines Kranken- oder Feuerwehrwagens. „Du richtest nur noch mehr Schaden an.“

Sie legte sich ins Bett. Es waren nicht Blitz und Donner, die sie nicht schlafen ließen, es war auch nicht allein die Tatsache, dass sie sich noch in dem Haus befand, in dem Daniel gestorben war. Es war sogar eher die Normalität, die in ihrem Schlafzimmer herrschte, welche sie fast um den Verstand brachte. Alles stand an seinem Platz. Johns Eigentum noch genauso wie ihres. Sie lag in dem Doppelbett, das sie sich geteilt hatten, seitdem sie zusammengezogen waren. Johns Betthälfte war leer und doch spürte sie ihn fast noch neben sich liegen. Sie ekelte sich vor dem Gedanken, dass sein Körper das gleiche Laken und die gleiche Decke berührt hatte, die sie jetzt nutzte, und sie setzte sich wieder auf. „Ich muss umziehen.“

Kurzentschlossen griff sie nach dem Hörer des Festnetztelefons, das neben ihrem Bett stand. Ihr Handy befand sich noch in der Tasche, die sie bereit gemacht hatte, um mit Daniel in die Stadt zu gehen. „Warum wolltest du auch unbedingt hierbleiben?“, fragte sie in die Stille.

Sie tippte die Nummer ihres großen Bruders mit zittrigen Fingern ins Telefon. Es war eine der wenigen Nummern, die sie auswendig kannte. Erst nach dem sechsten Klingeln nahm er ab. „Kresse“, meldete er sich.

„Hallo Tom, hier ist Diana.“

„Diana, wieso rufst du mich mitten in der Nacht an?“ Er klang verschlafen.

„Es ist nach acht.“

Tom gähnte ins Telefon. „Deine Uhr muss falsch gehen, bei uns ist es noch dunkel.“

„Wirklich?“ Tom wohnte dreihundert Kilometer von ihr entfernt. Wie konnte sich das Gewitter bis zu ihm ziehen?

„Ja, wirklich. Und außerdem ist auch acht Uhr morgens für ein Wochenende ganz schön früh.“

„Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe.“

„Ja, schon gut. Warum rufst du denn an?“

„Ich habe mich mit John gestritten.“

„Aha.“ Wieder gähnte Tom. „Warum?“

Diana biss sich auf die Unterlippe und versuchte die wiederaufkommenden Tränen zu unterdrücken. „Kann ich für ein paar Tage zu euch kommen?“

„Oh, so schlimm?“ Die Müdigkeit in seiner Stimme wurde durch Mitleid ersetzt.

Obwohl Tom es am anderen Ende der Telefonleitung natürlich nicht sehen konnte, nickte Diana nur.

Als hätte er es wahrgenommen sprach Tom weiter: „Natürlich kannst du zu uns kommen. Janina freut sich immer, dich zu sehen. Und ich ja sowieso.“

„Gut. Ich fahre gleich los, ja?“

„Willst du nicht lieber noch ein paar Stunden warten? Bei uns herrscht gerade anscheinend ein ziemliches Unwetter. Bei dem Sturm ist es bestimmt nicht gerade sicher zu fahren.“

„Keine Sorge, ich passe auf mich auf.“

„Also fährst du später?“

„Ich muss sowieso erst packen. Ich klingele dann, wenn ich da bin.“

„Gut, mein liebes Schwesterleinchen. Und sei nicht so traurig. Es wird bestimmt alles wieder gut.“

Die Liebe des Schwarzmagiers

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