Читать книгу Die Liebe des Schwarzmagiers - Beatrice Regen - Страница 15
Aebs Leid
ОглавлениеDiana blieb der Mund offen stehen, als sie aus Johns Turm trat. Wo früher noch ein prachtvoller Wald gewesen war, befand sich nun nur noch trockener Boden. An einigen Stellen lagen verkohlte Bäume darauf, an anderen lag nur noch Asche. Ein Nebel aus Feinstaub hing in der trockenen Luft und verschleierte ihr die Sicht. Sie hustete. Ein vereinzelter Wildhase suchte in dem Staub erfolglos nach Nahrung, ehe er durch ihren Husten alarmiert aufschreckte und mit beeindruckender Geschwindigkeit in dem trüben Nichts verschwand. Diana sah eine Weile auf die Stelle, an welcher er verschwunden war.
„Aber…“, fand sie irgendwann ihre Sprache wieder. Sie zwinkerte zweimal, bevor sie weitersprach. Noch immer konnte sie nicht glauben, was sie sah. „Er hat diesen Wald geliebt“, stellte sie fassungslos fest. Es war absurd und doch empfand sie in diesem Moment zum ersten Mal Mitleid mit John. „Wie verbittert er sein muss, um dies hier getan zu haben.“
Miriam stimmte ihr nickend zu. Auf ihrer Stirn lag eine tiefe Sorgenfalte. „Wir sollten zu Apolonia gehen“, erklärte sie ruhig. „Ich weiß, dass John bei ihr war, bevor er Aeb verließ. Sie wird am ehesten wissen, was er vorhat.“
Diana schluckte. Entschlossen erwiderte sie dann bestätigend Miriams Nicken. Mit ihrer Hand tastete sie in ihre Handtasche, die sie mitgenommen hatte. Beruhigend spürte sie das Gewicht der Bleispritze, die sie sich in den letzten Tagen hatte anfertigen lassen. Mit dem Geld, das John ihr vererbt hatte, war es nicht schwer gewesen, an sie und ihren Inhalt zu kommen. Radioaktives Uran. Sie wusste nicht, ob sie es damit schaffen konnte, John noch einmal der Magie zu berauben und erst recht wusste sie nicht, ob dieser Zustand anhalten konnte, doch sie würde es versuchen. Vielleicht konnte sie damit dem allem ein Ende bereiten. Und nichts anderes hatte er verdient.
„Lass uns gehen“, wollte sie das Ganze nicht länger hinauszögern. Bestimmten Schrittes ging sie Miriam voran in Richtung der Burg. Sie kannte den Weg und doch erkannte sie ihn nicht wieder, als sie ihn ging. Staub und Kohle wirbelten bei jedem ihrer Schritte auf. Während sie am Anfang des Weges noch schockiert darüber war, ignorierte sie es nur noch, als sie das Dorf erreichte. Das Dorf selbst wirkte aus der Entfernung ebenso verlassen wie die Einöde, die John aus dem Wald gemacht hatte. Bei dem näheren Herankommen an das Dorf begann man allerdings undefinierbare Schmerzenslaute aus den Hütten der Dorfbewohner heraus zu hören. Ein eiskalter Schauer durchfuhr Diana bereits bei dem ersten Stöhnen, das sie vernahm, weil sie sich unvermittelt die arme Menschenseele vorstellen musste, die diesen Laut von sich gab. Entsetzt blieb sie stehen, als der erste herzzerreißende Schrei zu ihr drang. Nur langsam drehte sie sich zu Miriam um. Alles in ihr sträubte sich dagegen, die Frage zu stellen, die ihr auf der Zunge lag. Zugleich aber konnte sie sie auch nicht einfach nicht stellen. „Ich habe dich nicht gefragt, wie sich die Mehlvergiftung äußert“, stellte sie fest. Sie räusperte sich, als sie bemerkte, wie heiser sie war. Miriam hatte sie dennoch gut verstanden. Sie schüttelte den Kopf. „Nein, das hast du nicht. Und du hast recht daran getan. Komm, lass uns weitergehen.“ Unbeirrt griff sie nach Dianas Hand und zog sie daran weiter durch die Straßen. Mit dieser Reaktion konnte Diana sich zufriedengeben. Es tat gut, sich auf diese Weise von Miriam leiten zu lassen. Alleine wäre sie in diesem Dorf vermutlich verzweifelt. Je tiefer sie hineinkamen, desto mehr laute Schreie waren zu vernehmen. Die nächste Schmerzensbekundung kam aus einem Haus direkt neben Diana und ließ sie zusammenzucken. Mit Bauchschmerzen ging sie weiter über die kleinen Wege, die sie schließlich endlich zu der Burg führten. Ihr war der Weg dorthin niemals länger vorgekommen. Nur langsam beruhigte sich ihr Herzschlag wieder etwas, als die Geräusche hinter ihr sich weiter entfernten. Vor dem verschlossenen Burgtor war kaum noch etwas zu hören. Diana sah hinauf zum Bergfried, jedoch schien niemand dort zu wachen, der ihnen hätte Einlass gewähren können.
„Komm mit, ich kenne einen Geheimweg“, erklärte Miriam neben ihr sofort und kletterte bereits an dem kleinen Hang des Burggrabens vor ihnen hinab.
„Einen Geheimweg in eine Burg?“, fragte Diana skeptisch, beeilte sich aber, ihr zu folgen. „Das hört sich nicht sehr sicher an.“ Die letzten Meter sprang sie einfach hinab, um neben Miriam zu landen.
„Solange er geheim ist, schon. Komm jetzt“, drängte Miriam ungewöhnlich ungeduldig. Sie führte Diana schnell durch den trockenen Burggraben an eine Stelle der Burgmauer, an der sie zu ziehen begann. Diana konnte ihr ihre Ungeduld nicht verübeln. Sie selbst konnte es kaum erwarten, endlich mit Apolonia zu sprechen, um in Erfahrung zu bringen, was John dazu bewegt hatte, die Menschen zu vergiften und was seine weiteren Pläne sein könnten.
Man hätte es zuvor nicht erkannt, doch die Steine der Burgmauer, denen Miriam ihre Aufmerksamkeit gewidmet hatte, ließen sich bewegen und gaben einen Weg ins Innere der Burg frei. Sofort nach dem Eintreten schloss Miriam das versteckte Tor wieder hinter ihnen.
„Meinst du, Apolonia fürchtet, dass sich der Krieg hierhin auslagern könnte? Oder warum glaubst du, ist das Burgtor verschlossen?“, fragte Diana erst bei der Hektik, mit der Miriam agierte und die offensichtlich dazu diente, niemandem einen Blick auf das versteckte Tor zu ermöglichen.
Miriam zuckte mit den Schultern. „Möglicherweise denkt sie das, ja. Möglicherweise fürchtet sie allerdings auch, dass die Dorfbewohner ihr die Schuld für das Leid der Menschen geben.“
Tief atmete Diana ein. Es war ungerecht, dass Apolonia nun auch noch darunter zu leiden hatte, dass John sich nicht unter Kontrolle hatte. „Dabei hat sie sich immer schon so große Sorgen um ihre Untertanen gemacht.“
„Na ja, das ist alles relativ“, erwiderte Miriam knapp. Sie führte Diana zielstrebig durch Flure und Räume, in denen Diana noch nie gewesen war, bis sie schließlich in der Küche landeten.
„Seltsam, dass gar keiner hier ist“, sagte Diana dort leise zu sich selbst. Sofort wurde sie wieder von dem unguten Gefühl eingeholt, das sie gerade erst hatte zurückdrängen können. Erwartungsvoll blickte sie zu Miriam, in der Hoffnung, sie könne dem entgegenwirken.
„Das ist kein gutes Zeichen“, bestätigte diese stattdessen. Ihrerseits besorgt eilte sie Diana voran zu dem Schlafgemach der Burgherrin. Auch dort fand Diana keine Beruhigung. Schon im Flur vor dem Gemach wurde klar, dass etwas mit Apolonia nicht stimmte. Fünf Bedienstete standen vor der geschlossenen Tür. Eines der Mädchen trug eine Schale mit Wasser in der Hand, die anderen standen dort ohne erkennbare Funktion.
„Wie geht es Apolonia?“, fragte Diana schnell, um zumindest endlich Klarheit über die Verhältnisse in der Burg zu erlangen, auch wenn sie sich mittlerweile sicher war, dass auch dort nichts in Ordnung war.
„Frau Diana!“, stießen drei von ihnen gleichzeitig aus. Alle fünf blickten sie ängstlich an, als ginge eine Gefahr von ihr aus. Es war nicht das erste Mal, dass man ihr so begegnete, denn oft war das Unbehagen, das die Menschen dieser Welt in Johns Gegenwart verspürten, auch mit ihr verbunden worden. Noch nie hatte sie dies gemocht, heute aber ärgerte es sie nur noch mehr und das nicht nur, weil sie sich weniger denn je mit John identifizierte.
„Ach herrje“, erwiderte sie wütend, „glaubt ihr, ich verfluche euch jetzt auch, oder was?“
Ein Schreien aus Apolonias Gemach ließ alle Köpfe wieder in dessen Richtung zucken und verdrängte jede Wut in Diana durch ein Gefühl der Panik. Schweiß begann sich in jeder Pore ihres Körpers zu bilden. Hilfesuchend blickte sie noch einmal zu Miriam, die ihren Blick fest erwiderte. Ohne ein weiteres Wort mit den Frauen vor dem Zimmer zu wechseln, traten sie in stillem Einverständnis gemeinsam durch die schwere Eichentür vor ihnen. Apolonias Gemach war abgedunkelt und drückte eine ungreifbare Trostlosigkeit aus. Die Burgherrin lag unregelmäßig atmend auf ihrem Bett. Schon von weitem waren ihr an ihrer verkrampfen Haltung ihre Schmerzen anzusehen, sodass Diana sich kaum traute, näher an sie heranzutreten. Eine Dienstmagd stand vor dem Bett Apolonias und tupfte das Gesicht der Burgherrin mit einem feuchten Tuch ab. Als sie Miriam und Diana bemerkte und aufsah, war auch ihr die Furcht vor Diana anzusehen. Dieses Mal schenkte Diana dieser Reaktion kaum Beachtung. Während Miriam das Mädchen bat, den Raum zu verlassen, trat Diana mit Widerwillen an Apolonias Bett heran. Apolonias gesamter Körper war mit Schweiß bedeckt. Es erschien unnatürlich, wo sie doch auch zugleich am ganzen Leib zitterte. An verschiedenen Stellen war ihre Haut aufgeplatzt und dickes, rotes Blut floss aus den offenen Wunden. Mit geöffnetem Mund atmete Apolonia laut durch ihre zusammengebissenen Zähne.
„Gnädige Herrin Apolonia, habt Ihr von Johns Mehl gegessen?“, fragte Miriam sie vorsichtig. Diana selbst fehlte die Stimme, um auch nur irgendetwas zu sagen. Bereits der bloße Anblick Apolonias bereitete ihr Schmerzen und sie fragte sich, wie Apolonia es schaffte, noch bei Bewusstsein zu bleiben. Offensichtlich hörte Apolonia, was Miriam zu ihr sagte. Ihre Augen huschten zu Miriam hinüber. Es wirkte sogar so, als wollte Apolonia auf die Frage antworten. Sie öffnete die zusammengebissenen Zähne, wobei das Zittern ihres Körpers jedoch nur noch stärker wurde. Statt einer Antwort drangen nur Schmerzenslaute aus Apolonias Mund. Ihre Hand krallte sich in die Bettwäsche und sie biss die Zähne wieder aufeinander, ohne ein Wort ausgesprochen zu haben. Ihre Augen schlossen sich erschöpft.
„Bitte“, sprach Miriam weiter zu ihr. „Ihr müsst uns sagen, wo John hinwollte, damit wir ihn finden und dazu bringen können, den Schaden hier wieder aufzuheben.“
Erneut öffnete Apolonia den Mund. Sie brachte einen Ton heraus, der den Anfang eines Wortes hätte darstellen können, dann allerdings schrie sie auf und warf den Kopf zur Seite. Ihr Körper bäumte sich auf. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit verwandelte sich das Schreien zurück in ein schweres Atmen. An ihrem Hals trat eine Krampfader deutlich hervor.
„Gib ihr Wasser“, sagte Diana mit belegter Stimme zu Miriam, ohne sie anzusehen. Sie konnte den Blick nicht von der zitternden Burgherrin abwenden, war sich aber mit einem Mal ungewöhnlich sicher, dass Wasser ihr gut tun würde. Und mit jeder Faser ihres Herzens wünschte sie sich, Apolonia Erleichterung verschaffen zu können. Der Gedanke, dass sie Schuld an Apolonias Zustand hatte, drängte sich unwillkommen intensiv in ihr Bewusstsein.
In der nächsten Sekunde schwebte Wasser aus einem Krug auf dem Tisch des Raumes zu Apolonias Mund. Krampfhaft öffnete Apolonia die Lippen, sodass Miriam das Wasser hineintröpfeln lassen konnte.
„Und kühle sie“, wies Diana Miriam weiter an, froh, gegen ihre eigene Sprachlosigkeit angekommen zu sein und damit zumindest ein wenig gegen das Gefühl der Machtlosigkeit ankommen zu können.
Miriam kam ihrer Anordnung nach, indem sie sich Wasserschüssel und Tuch, welche die Dienstmagd auf dem Tisch im Raum zurückgelassen hatte, zur Hand nahm und die Burgherrin damit langsam abtupfte. Die Kühlung und das Trinkwasser schienen Apolonia dabei tatsächlich gut zu tun. Ihr Zittern wurde schwächer, wenn auch nur geringfügig.
„Herrensdorf!“, beeilte Apolonia sich zu sagen, als sie ihre Stimme wiedergefunden hatte. Sofort danach schloss sich ihr Mund wieder angestrengt, nur um sich in der nächsten Sekunde für einen lauten Schrei zu öffnen. Ihre Hände schnellten zu ihrer Brust. Ihr weißes Nachthemd färbte sich rot. Dort, wo ihre Haut sichtbar war, konnte Diana sehen, wie diese einfach aufsprang, als risse jemand sie auf. Immer mehr Blut quoll aus dem Spalt, der sich bildete. Immer noch schreiend krümmte Apolonia sich zusammen und drehte sich zur Seite. Eine Hand krallte sich wieder in die Bettdecke, während die andere sich weiter gegen ihre Brust presste. Sie biss sich selbst in den Arm, um ihren Schrei zu ersticken.
Wieder wurde Diana von ihrer Hilflosigkeit eingeholt. Apolonias Zustand verschlechterte sich so stark, dass Diana befürchtete, sie könne in den nächsten Sekunden einfach so vor ihren Augen sterben.
„Miriam, tu doch was!“
Es war ein seltsamer Blick, mit dem Miriam die Burgherrin ansah. Schockiert und fasziniert zugleich. Auf eine gewisse Weise wirkte dieser Blick auch zufrieden. „Sie wird noch sterben!“, fuhr Diana in ihrer Verzweiflung fort. Apolonias gesamter Körper war nach wie vor verkrampft. Das Zittern wurde wieder stärker. Die Stelle, an der Apolonia selbst ihre Zähne in ihrer Haut vergraben hatte, begann ebenfalls zu bluten. Apolonia lockerte den Biss und gab damit die Sicht auf eine tiefe, offene Wunde Preis. Sie schrie nicht mehr, doch die Art wie sie atmete, drückte Leid aus. Sie schluchzte.
„Jetzt mach doch was!“, forderte Diana Miriam erneut auf. Diese hatte sich in der Zwischenzeit zu dem leeren Wasserkrug im Raum zubewegt. Sie griff nach dem Dolch, der an ihrem Rock befestigt war. Nur kurz zögerte sie, ehe sie sich selbst damit tief ins Handgelenk der linken Hand schnitt, entlang einer Blutader. Zischend atmete sie dabei ein.
„Was tust du denn da?“, fragte Diana mehr und mehr überfordert.
Ein durchgehender Strahl Blut lief von Miriams Handgelenk in den Krug. Sekunden später drückte sie sich die Finger der rechten Hand auf den offenen Schnitt. Sie schloss die Augen und schluckte. „Gib ihr das zu trinken.“ Mit einem Nicken deutete sie auf den Krug.
„Was?“ Trotz ihrer Angst zögerte Diana, Miriams Aufforderung nachzukommen. Für einen Moment zweifelte sie an dem Verstand Miriams. Miriam aber ließ sich von ihrer offenen Skepsis nicht irritieren. „Das Blut. Gib es der Burgherrin zu trinken“, wiederholte sie.
„Miriam, ich habe in Geschichte nie gut aufgepasst. Ich dachte, in Euren Zeiten tendiert man eher zum Aderlass. Aber wie auch immer, ich kann dir vergewissern, dass es weder etwas bringt, Apolonia Blut abzunehmen, noch ihr welches zu trinken zu geben.“ Sie zuckte zusammen, als Apolonias kontinuierliche Schmerzensbekundungen wieder durch einen lauten Schrei unterbrochen wurden. Miriam hingegen wirkte davon unbeeindruckt. Noch immer hielt sie ihr Handgelenk fest umklammert. „Das ist nicht irgendein Blut“, erwiderte sie. Sie klang angestrengt und auch ein wenig genervt. „Es ist meins. Magisches Blut. Es wird sie sicher nicht wieder vollständig heilen, doch es wird ihr helfen.“
„Holt ihn her!“, brachte Apolonia zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Ihre Augen waren zu engen Schlitzen verengt. Sie blickten in die Ferne. Es war schwer zu sagen, wie viel Apolonia von dem mitbekam, was um sie herum geschah.
Diana sah sie an und fühlte sich auf eine seltsame Art erleichtert, als sie einen Grund dazu hatte, sich wieder von ihr abzuwenden. Sie ging auf Miriam und den Blutkrug zu. „Schaden kann es ja nicht.“ Und zumindest gab es ihr wieder eine Aufgabe. Es war etwa ein viertel Liter Blut, der sich in dem Krug befand. Als sie den Krug anhob, kam er ihr ungewöhnlich leicht vor. Sie versuchte, nicht daran zu denken, was sie in den Händen hielt, als sie sich neben Apolonia aufs Bett setzte. Diese bäumte sich gerade wieder auf. Diana nutze ihre Linke, um Apolonias Kopf in die Kissen zu drücken.
„Bitte, Apolonia, trinkt das“, forderte sie und wunderte sich selbst, wie gefasst ihre Worte klangen. Sie setzte den Krug an Apolonias zuckende Lippen. Apolonias Zähne waren noch fest aufeinandergebissen.
„Komm, öffne den Mund!“, redete Diana weiter auf sie ein.
Zu Dianas Erstaunen gehorchte die Burgherrin jetzt sofort.
Diana nutzte die Gelegenheit und neigte den Krug, sodass sich die rote Flüssigkeit in ihren Mund ergoss. Apolonia verschluckte sich an dem Blut, hustete und spuckte einen Teil wieder aus und doch trank sie sofort weiter, als Diana den Krug wieder ansetzte. Es war erstaunlich, welche Willenskraft sie ausstrahlte. Als der Krug leer war, stand Diana vom Bett auf und ging zu Miriam hinüber. Von weitem sah sie zurück zu der Burgherrin, die noch immer zitterte und zuckte und deren Stöhnen erneut lauter wurde. „Wie lange kann es dauern, bis es ihr besser geht?“, flüsterte sie, auch wenn es unwahrscheinlich erschien, dass Apolonia sie in ihrem Delirium hätte verstehen können.
„Bei der Menge sollte es schnell gehen“, erklärte Miriam in normaler Lautstärke. Suchend sah sie sich im Raum um. „Kannst du mir einen Gefallen tun?“, fragte sie Diana dann.
„Klar. Welchen?“
„Nimmst du den Dolch und schneidest mir ein Stück von dem Laken ab? Ich brauche etwas, um mich zu verbinden.“
„Oh, ja natürlich.“ Etwas ungeschickt trennte Diana ein Teil des weißen Bettlakens der Burgherrin ab und reichte es Miriam. Diese nahm es entgegen und begann, sich zu verbinden. Währenddessen verließ sie bereits das Schlafgemach der Burgherrin. Mit unablässig klopfendem Herzen folgte Diana ihr. „Wo willst du hin?“
Statt ihr zu antworten, richtete Miriam sich schon an die Dienstmägde vor dem Gemach: „Sagt uns Bescheid, wenn die Herrin wieder ansprechbar ist. Wir warten in der Kamete neben dem Speisesaal.“
„Wir können Apolonia doch jetzt nicht einfach so alleine lassen“, widersprach Diana, blieb Miriam jedoch auf den Fersen. Wenn sie ehrlich war, war sie um jeden Meter dankbar, den sie zwischen sich und die leidende Apolonia bringen konnte.
„Wir haben alles für sie getan, was wir tun konnten“, sprach Miriam den Gedanken aus, den Diana sich auch einzureden versuchte. „Und eigentlich haben wir auch alles erfahren, was wir erfahren wollten. Wir könnten auch sofort nach Herrensdorf reiten. Wahrscheinlich ist es aber dennoch nützlich, wenn wir zuvor erfahren, was sie sonst noch weiß.“ Sie setzte sich in dem geräumigen Kaminzimmer auf einen goldbestickten Sessel. Roter Teppich schmückte den Boden, prachtvolle Gemälde hingen an der Wand.
Diana schloss die Tür hinter sich. Dass Miriam so unbekümmert von der Burgherrin sprach, wurde ihr zu viel. „Hast du denn gar kein Mitleid mit Apolonia?“, fragte sie vorwurfsvoll. „Hast du nicht gesehen, was ich gesehen habe?“ Sie spürte, wie sie selbst zu zittern begann, als sie an ihr Leid zurückdachte. „Ich verstehe nicht, wieso er das getan hat“, flüsterte sie.
Miriam strich mit der Hand über die goldenen Nähte, welche die Armlehnen ihres Sessels zierten. „Ich verstehe auch nicht, wieso John das getan hat“, sagte sie knapp. „Und das ist es, was ich herausfinden möchte. Aber natürlich habe ich mit der Burgherrin nicht mehr Mitleid, als mit den Dorfbewohnern, die von ihrem Mehl gegessen haben und denen es genauso geht.“
Die Nüchternheit, mit der sie sprach, wollte nicht zu der Emotionalität passen, die Diana in der letzten Stunde ergriffen hatte. Diana wusste, dass Miriam als Dienstmagd in der Burg gearbeitet hatte, bevor sie Johns Schülerin geworden war. Sie hatte niemals nachgefragt, wie es Miriam in der Zeit ergangen war. Apolonia und der Burgherr Ragnor waren immer überaus freundlich zu John und Diana gewesen und in Dianas Anwesenheit auch immer sehr höflich zu ihren Bediensteten, doch wie die Beziehung in Wahrheit zwischen ihnen aussah, darüber hatte Diana sich nie Gedanken gemacht.
„Sie ist eine Freundin von mir“, verteidigte Diana die Burgherrin unabhängig von diesem Wissen. „Wir müssen ihr helfen.“
„Ich habe getan, was ich kann. Und damit habe ich ihr mehr geholfen, als den meisten Dorfbewohnern. Ich denke nicht, dass sie das verdient hat.“
„Aber…“ Diana wurde unterbrochen, als es zaghaft an der Tür klopfte.
„Ja, bitte?“, forderte Miriam von ihrem Sessel aus.
Langsam öffnete sich die Tür. „Die Burgherrin verlangt nach euch“, äußerte ein junges Mädchen schüchtern.
Mit hochgezogenen Augenbrauen sah Miriam Diana an. „Sie verlangt“, wiederholte sie. „Na, dann wollen wir sie doch nicht warten lassen.“
Diana rollte mit den Augen und eilte zurück zum Schlafgemach der Burgherrin. Die Zimmertür war dieses Mal geöffnet. Mit schlechter Vorahnung sah Diana hinein. Ihre Vorahnung wurde jedoch nicht bestätigt. Apolonias Zittern hatte aufgehört. Mit einem erleichterten Lächeln trat Diana an ihr Bett heran. „Euch geht es besser!“
Noch immer atmete Apolonia angestrengt. Sie war totenbleich, doch auch auf ihren Lippen deutete sich ein Lächeln an. „Ich danke Euch!“, brachte sie außer Atem hervor.
„Dankt nicht mir, dankt Miriam. Sie war es, die Euch half.“
Apolonia nickte. Sie blickte zu Miriam hinüber die noch in der Tür stand. „Danke!“
Miriam kam nun ihrerseits näher an das Bett der Burgherrin heran. „Warum habt Ihr von dem Mehl gegessen?“, fragte sie forsch, ohne auf den Dank Apolonias einzugehen.
Apolonias Brust hob und senkte sich angestrengt. Ihre Augen suchten Dianas Blick. „Ich wollte beweisen, dass es nicht das Mehl ist, das die Leute vergiftet.“
„Warum hat er das getan?“, fragte Diana.
Apolonia schüttelte mit dem Kopf. Vor Schmerz verzog sie erneut das Gesicht. „Vielleicht war es meine Schuld“, antwortete sie leicht abwesend. „Vielleicht habe ich zu viel von ihm verlangt.“ Wieder sah sie zu Diana auf. „Er fragte mich, wie er mir helfen könne. Dass ich ihm sagen solle, was er für mich tun könne. Ich weiß, dass er nicht gerne Bitten entgegennimmt, doch in diesem Fall klang es, als wäre es anders. Ich sprach frei von der Seele heraus, was wir benötigen. Und er versprach mir, zu helfen. Vielleicht habe ich einfach zu viel gefordert. Es tut mir leid.“ Erschöpft schloss sie wieder die Augen.
Diana wusste zunächst gar nicht, was sie dazu sagen sollte. Es war viel zu absurd, dass Apolonia sich nun auch noch entschuldigte, nach dem, was sie zu erleiden gehabt hatte. „Das darf Euch nicht leidtun“, widersprach sie ihr, als sie die Sprache wiedergefunden hatte. „Alles, was hier geschehen ist und noch geschieht, ist Johns Schuld. Nicht Eure.“
„Warum ist er nach Herrensdorf geritten?“, meldete sich Miriam kühl zu Wort.
„Ich schätze, er will die Gallianen dort vertreiben. Jedenfalls wollte er das wohl noch, als er aufgebrochen ist.“
„Warum sollte er das tun?“, fragte Miriam weiter.
„Ich weiß es nicht.“ Apolonia klang müde. „Er sprach, als wollte er uns helfen.“
Auch die Burgherrin hatte sich offensichtlich in John getäuscht. Zumindest war Diana also nicht die einzige, der dies passieren konnte. „Apolonia, ich denke, es wäre besser für Euch, wenn Ihr Euch nun ein wenig ausruht. Miriam und ich wissen jetzt alles, was wir wissen müssen. Nicht wahr?“, forderte Diana eine Zustimmung von Miriam.
Diese hob die Schultern. „Sie weiß ja ohnehin nichts.“
Ohne länger zu zögern verließ Miriam das Zimmer. Diana hingegen bleib an Apolonias Seite. „Können wir Euch alleine lassen?“
Apolonia nickte. „Es geht mir schon viel besser, danke. Was habt Ihr nun vor?“
„Nun, ich denke, wir machen uns auf den Weg, um John zu holen, damit er den Schaden, den er angerichtet hat, rückgängig machen kann. Und damit er nicht noch mehr anrichtet.“
Nachdenklich befeuchtete Apolonia ihre Lippen. „Was geschah zwischen John und Euch?“
„Das ist kompliziert“, versuchte Diana die Frage abzutun.
„Wirklich? Nun, ich denke, meine Auffassungsgabe ist ganz gut.“
Es war erstaunlich, dass Apolonia in ihrer Situation überhaupt über John und Diana nachdenken konnte.
„Nun, sagen wir es so: Ich habe endlich sein wahres Ich erkannt“, wollte Diana sie abwimmeln. „Jenes, das Ihr schon lange kennt. Und es hat mir nicht gefallen. Es tut mir leid, was er Euch angetan hat.“
Ihre Mundwinkel zuckten leicht. „Was er Euch antat, muss deutlich gravierender gewesen sein.“
„Wie bitte?“
„Nun, es muss schon einiges geschehen sein, dass Ihr so von ihm denkt.“
„Dass ich wie von ihm denke? Er selbst und auch Ihr erzähltet mir, wie unmenschlich er war, bevor er mich kennenlernte.“
Leise lachte Apolonia auf. „Unmenschlich“, wiederholte sie. „Ja, ich denke, dieses Wort habe ich des Öfteren benutzt. Ich würde es wieder nutzen. Seht ihn Euch an. Und dennoch. Ich kenne ihn jetzt etwa zehn Jahre. Und ich habe gesehen, wie John Menschen sterben ließ, die er hätte heilen können. Ich habe gesehen, wie John Menschen für Dinge bestrafte, die es nicht wert waren. Doch ich habe nie gesehen, wie er es ohne Grund getan hätte. Ich habe nie gesehen wie er einen Unschuldigen verletzt hätte. Er weiß es möglicherweise selbst nicht, doch er ist ein guter Mann. Ich dachte, das wisset Ihr.“
„Ich weiß, dass es nicht so ist. Ich sah, wie er unschuldige Menschen verletzte. Und Ihr saht es auch. Er hat das Mehl vergiftet!“
„Er hat mir das Mehl geschenkt. Das ist das Einzige, was ich weiß. Wer es vergiftete, sah niemand. Es gibt mehr Magier als ihn. Ich sage nicht, dass es Miriam gewesen sein muss, doch die Macht hätte sie sicherlich dazu. Möglicherweise ist das Gift auch natürlicher Art, auch wenn es sich weiß Gott nicht danach anfühlt. Es kann sein, dass John wirklich dahintersteckt, auch wenn keiner von uns seine Motivation dahinter versteht, doch würdet Ihr John lieben, hättet Ihr zumindest daran gezweifelt, dass er es war.“
„Ich liebe ihn nicht mehr.“