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5 Chaos Donnerstag, 13. Februar 2014

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Wegen der tragischen Geschehnisse in ihrer Familie hatte Elaine das Treffen im Vatikan mit Kardinal Bretone mehrmals verschoben. Aus ihrer Sicht eilte es nicht, denn die Geschäfte waren seit Jahrzehnten geregelt. Dem Kardinal allerdings blieb nur noch eine Frist von gut drei Monaten bis zum Datum der Rückzahlung, weshalb er keine andere Wahl hatte, als heute gleich zwei elementare Punkte anzusprechen – die Nachfolgeregelung und die Finanzen.

»Ich rechne nicht damit, dass der Papst mich erneut als Kardinal bestätigt, und ähnlich steht es um den Chef der Vatikanbank. Wir sind die letzten der alten Garde, und abgesehen von personellen Veränderungen, die jeder neue Papst durchsetzt, werden wir nicht jünger. Madame Volante, Sie sollten Ihren Nachfolger bestimmen, damit wir umgehend Vorkehrungen für die Zukunft treffen können«, mahnte er höflich. Dann lehnte sich Kardinal Bretone in dem modernen Sessel zurück, faltete die Hände vor der Brust und schaute Elaine aufmerksam an. Er registrierte ihr Nicken, aber auch den besorgten Ausdruck, der sich über ihr Gesicht legte. Sie sah müde aus und schien seit ihrem letzten Besuch im Sommer um Jahre gealtert. Kein Wunder, nach allem, was sie in den letzten Wochen durchstehen musste.

»Macht Alessandros Genesung Fortschritte?«, fragte er einfühlsam. »Ich gehe davon aus, dass er Ihr Nachfolger werden soll?«

»Sein Arzt meint, es besteht die Chance einer vollständigen Heilung, was mich hoffen lässt«, antwortete Elaine. »Vor zwei Wochen wurde er von der Intensivstation in die Rehabilitationsabteilung verlegt. Mein Sohn beginnt flüssiger zu sprechen, wir können uns wieder unterhalten. Leider kann er seine Bewegungen nur schlecht koordinieren, deswegen muss er noch rund um die Uhr betreut werden, und ich besuche ihn täglich im Krankenhaus.«

»Das sind doch trotzdem positive Nachrichten. Ich werde Alessandro heute Abend in mein Gebet einschließen. Sie sind eine starke, bewundernswerte Frau, Elaine.«

»Was bleibt mir anderes übrig?«

»Nehmen Sie doch bitte das Kompliment an.«

Endlich lächelte Elaine und Kardinal Bretone schob erleichtert einen Stapel Dokumente über den Tisch, die sie konzentriert durcharbeiteten. Erst danach fragte er, ob sie den Tod des Bruders inzwischen etwas verarbeiten konnte, und tastete sich vor, wie es um die Familie stand.

»Ich wusste natürlich von seinem Krebs. Marcel hoffte bis zuletzt und auch wir glaubten, dass er die Krankheit im Griff hatte. Sein plötzlicher Tod hat uns alle überrascht. Aber kommt er jemals zur rechten Zeit?« Elaine schaute den Kardinal traurig an. Ohne seine Antwort abzuwarten, erzählte sie, dass Marcel vor einem Monat zusammen mit seinen Geschäftspartnern den Zuschlag für das Mega-Projekt Port Hercule erhalten hatte.

Kardinal Bretone erklärte, dass er die Entscheidung des Fürsten für klug hielt, das prestigeträchtigste Bauprojekt des nächsten Jahrzehnts in Monaco an dieses Konsortium zu übertragen. »Damit bindet er den einflussreichen französischen Nachbarn über den Bogo-Konzern, die Italiener über die Michelottis und die mächtigste Familie Monacos ein.«

»Ganz so einfach ist das nicht«, erwiderte Elaine und ließ sich über die Schwierigkeiten dieser Kooperation nach dem Tod des Bruders aus. Der Kardinal spürte, wie seine Konzentration schwand. Es fiel ihm schwer, ihr zuzuhören, ohne seine eigene Thematik aus den Augen zu verlieren. Bei der ersten Gelegenheit, die sich bot, schlug er geschickt den Bogen zu Elaines letzter Frage.

»Obwohl wir wissen, dass der Tod Teil des Lebens ist, verdrängt unsere Kultur die Endlichkeit. Und jeder Abschied fällt schwer.«

»Danke für die ehrlichen Worte«, wiegelte Elaine den ihr unangenehmen Punkt ab. »Wir wollten heute ja die Finanzen besprechen. Das Datum der Rückzahlung kommt näher.« Sie nahm ihre Lesebrille aus dem Etui und schob sie auf die Nase. Die letzte Bilanz – abgelegt unter Vatikan 2013 in den vorbereiteten Dokumenten – lag obenauf. »Nach meinen Kalkulationen sollten 52 Millionen Dollar mehr auf meinem Konto sein, als ich zahlen muss. Die Restsumme …«

Jetzt, da sie den Sachverhalt angesprochen hatte, konnte der Kardinal nicht mehr ausweichen. »Die Kalkulation stimmt so nicht«, unterbrach er sie kaum vernehmbar.

»Was stimmt nicht?« Sie schaute mit hochgezogenen Brauen von den Unterlagen auf.

Zögerlich gestand Kardinal Bretone, dass es Unregelmäßigkeiten bei den Geldanlagen gegeben hatte.

»Wir haben sichere Investments getätigt, nur marginal mit Aktien spekuliert. Was gab es da zu managen? Ich frage mich, wieso über Jahrzehnte nicht mehr Gewinn erwirtschaftet worden ist.«

Als hätte Elaine erst durch das folgende Schweigen die ursprüngliche Antwort des Kardinals begriffen, fragte sie nach: »Was genau meinen Sie mit ›Unregelmäßigkeiten‹?«

»Es sind nur 1,3 Milliarden Dollar auf dem Konto.« Endlich hatte es Kardinal Bretone hinter sich gebracht und den verhängnisvollen Satz ausgesprochen.

»1,3 Milliarden? Statt 4,3 Milliarden?«, wiederholte sie mechanisch.

Er starrte schweigend an ihr vorbei. Irritiert drehte sich Elaine um und entdeckte ein Gemälde, das ihr nie zuvor aufgefallen war. Es zeigte den Kopf von Jesus und seinen Oberkörper, hinter ihm ein überdimensionales Kreuz. Das Gemälde umrandete ein weißes Passepartout, das in einem einfachen Goldrahmen gefasst war.

»Jesu leidender Gesichtsausdruck passt genau«, kommentierte sie bitter. »Ich habe kontinuierlich die vereinbarten Prozente überwiesen und Sie haben bestätigt, die Gelder wie besprochen angelegt zu haben.«

»Das betraf nur die letzten zehn Jahre. Davor liefen die Geldanlagen chaotisch. Bedauerlicherweise.«

»Sie können mir doch nicht einfach diese Zahlen an den Kopf werfen? 1,3 statt 4,3 Milliarden? Haben Sie mir jahrelang fingierte Abrechnungen vorgelegt? Mich belogen? Und versuchen sich jetzt mit einer ›chaotischen Vergangenheit‹ herauszureden?«

Elaine merkte dem Kardinal an, wie unwohl er sich fühlte, trotzdem folgte sie erneut seinem Blick und sagte enttäuscht: »Erhoffen Sie sich höheren Beistand von Gott, indem Sie das heiligste Symbol der Christenheit unentwegt anstarren?«

Kardinal Bretone fühlte sich ertappt und senkte devot die Augen.

Unbewusst suchte Elaines rechte Hand das goldene Kreuz, das sie seit ihrer Jugend an einer feinen Kette um den Hals trug. Sie drehte es zwischen den Fingern hin und her. »Ich habe in den letzten Wochen über unsere Familie nachgedacht. Die Geheimniskrämerei funktionierte für unsere Generation, wir waren nur drei Kinder. In der nachfolgenden haben wir elf direkte Erben. Die Machtkämpfe unter den Kindern haben begonnen. Niemand ahnt, welcher Preis für den Erfolg zu zahlen ist.«

Dem Kardinal war bewusst, dass Elaine sich intuitiv sträubte, seine Nachricht wirklich zu verstehen. Er ließ sie reden.

»Ich wollte endlich ein langes Kapitel abschließen. Die Zahlungen an den Fürsten kann man weiter unter ›Monacos Sondersteuer‹ verbuchen. Wie soll das jetzt laufen? Und wer entschädigt uns?«

Kaum hatte Elaine die Frage ausgesprochen, wurde ihr schlagartig heiß. Sie schien ins Bodenlose zu stürzen, schwitzte, und die weiße Seidenbluse klebte an ihrem Rücken. Gleichzeitig fröstelte sie am ganzen Körper, und ihre Hände verkrampften, sodass sie unfähig war, den obersten Knopf der Bluse zu öffnen. Selbst ihr tapferes Lächeln, das sie in schwierigsten Situationen aufsetzen konnte, war erloschen.

»3 Milliarden Dollar sind einfach verschwunden? Kardinal, Sie enthüllen das erst wenige Wochen vor der Rückzahlung und in meiner schwierigen Situation?«, fragte sie entsetzt. »Sie wissen doch sicher schon länger davon?«

Der Kardinal duckte sich tief in den Sessel, versank noch ein Stückchen weiter in sein Schweigen und schien sich darin verstecken zu wollen.

»Wie feige Sie sind«, sagte Elaine ruhig, bevor sie ihrem aufbrodelnden Temperament freien Lauf ließ. »Das lasse ich mir nicht bieten! Auch die Vatikanbank hat weltliche Verpflichtungen, und ich werde keine Mühe scheuen, den Schleier über dieser Misswirtschaft zu lüften! Wer hat sich mit unserem Vermögen die Taschen gefüllt?«

»Von Entschädigung kann keine Rede sein. Meine Abteilung hat das Geld nicht, und wir können es niemals verdienen.« Mit seinem Beschwichtigungsversuch schüttete der Kardinal noch Öl ins Feuer.

»Lächerlich! Der Vatikan ist unermesslich reich.« Elaine scherte sich nicht mehr um Etikette. »Hören Sie auf, mir solchen Quatsch aufzutischen!«

Kardinal Bretone vermied es tunlichst, ihr in die Augen zu schauen. Lautstarke Auseinandersetzungen war er nicht gewohnt, schon gar nicht mit einer Frau. Krampfhaft suchte er nach Argumenten. »Lassen Sie uns das diskret regeln, Madame Volante, bitte.«

»Ich soll den guten Ruf meiner Familie und 3 Milliarden Dollar diskret opfern?«, echauffierte sie sich. »Im Namen des Heiligen Vaters?« Danach stockte sie. Der ›Heilige Vater‹ hallte wie ein Echo durch das Büro, bevor eine bedrückende Stille einsetzte. Plötzlich beugte Elaine sich aufgebracht über den Tisch und schaute dem Kardinal wütend in die Augen. »Ich bestehe darauf, sofort die echten Unterlagen einzusehen! Fünfzig Jahre meines Lebens habe ich …«

Jählings fasste sich Elaine an den Hals, rang um Luft und fiel erschöpft in den Sessel zurück.

Der Kardinal lief um den ovalen Schreibtisch, denn ihr Gesicht sah plötzlich grau aus und wirkte ganz eingefallen.

»Madame, beruhigen Sie sich. Brauchen Sie einen Arzt?« Er reichte ihr ein Wasserglas.

Während sie mit beiden Händen danach griff, flüsterte sie: »Mir wurde auf einmal schwarz vor Augen und übel. Wahrscheinlich rebelliert mein Magen wieder.«

Kardinal Bretone hörte nicht genau hin, legte aber seinen Arm scheinbar fürsorglich um ihre Schulter. Dann stellte er eiskalt die Frage, die ihm seit Monaten unter den Nägeln brannte. »Wer ist Ihr Gläubiger? Es gibt für alles im Leben eine Lösung.«

Elaines Herz hämmerte. Sie konzentrierte sich darauf, tief ein und aus zu atmen. Dreimal. Viermal. Bis sie wieder logisch denken konnte. »Sie wissen es nicht?«, stellte sie wie nebenbei fest, trank das Wasser aus und wischte sich den leichten Schweißfilm mit einem Taschentuch von der Stirn. »Können Sie bitte das Fenster öffnen?«

»Natürlich.«

Der kurze Moment ihrer Erschöpfung ermutigte den Kardinal. »Der Vatikan kennt nur den Teil des Vertrags, der unsere Einbindung in die Verwaltung regelt. Besteht eine Verhandlungsmöglichkeit?«

»Nein«, antwortete Elaine bestimmt. »Ich muss pünktlich zahlen, das hat mein Vater immer wieder betont.«

»Madame Volante, wenn Sie etwas Geld zuschießen, können wir die Hälfte bezahlen. Das ist nicht wenig.«

»Wir, Kardinal? Und die Hälfte ist nicht genug.« Frustriert klappte sie den Ordner zu und legte die Brille wieder ins Etui zurück. »Ich verschwende meine Zeit nicht länger mit manipulierten Dokumenten. Verstehen Sie eigentlich, wie viel Geld 3 Milliarden Dollar wirklich sind?«

»Madame, lassen Sie mich doch die Verhandlungen übernehmen. Der Vatikan kann Angelegenheiten auf spezielle Art regeln.« In diesem Moment ging Kardinal Bretone durch den Kopf, dass sie die echten Abrechnungen auf gar keinen Fall zu Gesicht bekommen durfte. Wie konnte er sie bloß davon abbringen?

»Ah ja?«, erwiderte Elaine spitzzüngig. »Es gibt keine Möglichkeit auszusteigen, nicht unmittelbar vor Vertragsende. Ich will nicht den Teufel an die Wand malen, schon gar nicht in diesen heiligen Hallen, aber die Situation könnte sich zu einem internationalen Konflikt ausweiten. Wie konnten Sie das nur zulassen?«

»Elaine, Sie müssen mir glauben. Ich habe das Geld nicht veruntreut!«, bat er und nannte sie beim Vornamen, um die geschäftliche Vertrautheit wieder herzustellen.

»Welchen Unterschied macht das für mich?«

»Für unsere Zusammenarbeit sehr wohl. Jeder muss im Leben irgend­wann Zugeständnisse machen. Ihre Familie profitierte Jahr­zehnte von diesem Vertrag. Ich versuche zu helfen, arbeiten Sie bitte mit mir zusammen«, appellierte Kardinal Bretone noch einmal inständig.

»Soll das ein Witz sein? Ich soll Ihnen helfen, nachdem Sie Unsummen veruntreut haben?«

Der Kardinal gewann seine Selbstsicherheit zurück, denn er hatte das Schlimmste hinter sich gebracht. Den lodernden Zorn in Elaines Augen ignorierte er. »Ich habe keinen Dollar unterschlagen und in den vergangenen zehn Jahren dafür gesorgt, dass heute zumindest 1,3 Milliarden auf dem Konto sind. Wo liegt das Problem, mir zu sagen, wer damals der Kreditgeber war? Haben Sie etwas zu verbergen?«

»Was erlauben Sie sich!« Elaine beharrte darauf, den Gläubiger nicht zu kennen. Ihr Vertrauen zu Kardinal Bretone hatte sich in den vergangenen Minuten in Luft aufgelöst. »Die Rückzahlung muss termingerecht über die Bühne gehen. Sehen Sie es als Schadenbegrenzung für unsere Familie, den Vatikan und Monaco.«

Der Kardinal versprach, mit dem Chef der Vatikanbank nochmals alle Möglichkeiten durchzusprechen, die fehlenden Milliarden aufzutreiben.

»Können Sie sich vorstellen, wie oft ich mich in den letzten Monaten verzweifelt gefragt habe, warum Gott nicht helfend eingreift? Warum erlitt mein Sohn einen schweren Schlaganfall? Mein kleiner Bruder Marcel starb, als sich die Dinge zu bessern schienen, und nun dieses finanzielle Desaster. Jedes Mal dachte ich, schlimmer kann es nicht mehr kommen, und doch gibt es immer noch eine Steigerung. Ich habe niemandem etwas getan.«

»Deswegen muss ich wissen, wer der Gläubiger ist, verstehen Sie das bitte«, wiederholte der Kardinal. Ihm war nicht entgangen, wie schnell sich Elaine wieder unter Kontrolle hatte und geschickt seinen männ­lichen Beschützerinstinkt beschwor.

»Wir drehen uns im Kreis.«

Beide schwiegen.

»Sie haben Angst, Kardinal Umberto Maria Emanuele Bretone«, sagte sie und betonte bewusst jede Silbe seines langen Namens.

»Das bestreite ich nicht«, gab er zu. »Lassen Sie uns bitte für heute diese schwierige Diskussion beenden. Wir sollten beide in Ruhe nochmals darüber nachdenken. Sie müssten noch die Dokumente der Geldanlagen der letzten Monate abzeichnen.«

»In Ruhe? Kardinal, mir bleiben nur wenige Wochen! Und jetzt, wo Sie Ihr Problem auf mich abgewälzt haben, soll ich noch Papiere unter­schreiben?« Elaines Brust hob und senkte sich aufgeregt. »Welche Seilschaft greift dieses Mal in die Kasse?«, schrillte ihre Stimme erzürnt auf.

»Madame, bitte.« Kardinal Bretone suchte nach Worten, um die Wogen zu glätten, als sich Elaine plötzlich im Sessel nach vorn beugte und ihre Arme auf den Bauch drückte. Erneut sprang er auf, füllte das Wasserglas und reichte es ihr. Dann griff er mit fahrigen Händen nach dem Telefon. »Ich rufe jetzt den Arzt!«

Elaine trank einen Schluck und wiegelte erneut ab. »Die Nachricht ist mir auf den Magen geschlagen. Tun Sie nicht so gekünstelt überrascht. Da hilft kein Arzt.«

Der Kardinal wartete unschlüssig einen Moment ab.

Kurz darauf pustete Elaine sich betont lässig eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die sich aus der Spange gelöst hatte, richtete den Blusenkragen unter dem Blazer und legte die Perlenkette kunstvoll darüber. »Ich möchte heute keine emotionale Entscheidung treffen. Wo soll ich unterschreiben?«, lenkte sie kalt ein.

Verdutzt zeigte Kardinal Bretone ihr die markierten Stellen. Als Elaine danach kommentarlos aufstand, begleitet er sie erstmals bis zum Ausgang der Vatikanbank. Wann das nächste Treffen stattfinden würde, blieb offen.

Monaco Enigma

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