Читать книгу Monaco Enigma - Berit Paton Reid - Страница 11
6 Spannungen
ОглавлениеElaine Volante wies ihren Chauffeur an, sie zum Apartment von Béatrice du Marignac zu fahren. Die Freundinnen hatten lange abgesprochen, den Abend zusammen zu verbringen, und Elaine hatte sich nach den Schicksalsschlägen der letzten Wochen vor allem auf eine entspannte Unterhaltung mit Béatrice gefreut. Jetzt war Elaine nicht sicher, ob sie dafür die Kraft aufbringen würde. Viel lieber wäre sie nun alleine in ihrem Hotelzimmer geblieben, um die skandalöse Botschaft, die ihr gesamtes Lebenswerk bedrohte, zu verarbeiten. Andererseits wollte sie Béatrice nicht absagen, denn seit ihrem Geburtstag hatten sie kaum miteinander gesprochen. Und wie viel war in der Zwischenzeit passiert ...
Mit jedem Meter, den der Mercedes sich vom Gelände des Vatikans entfernte, fiel etwas von Elaines mühsam aufrechterhaltener Fassade ab. Erregt hob und senkte sich ihre Brust immer schneller. Wie konnte ihr der Kardinal jahrzehntelang fingierte Abrechnungen vorlegen! Ihr Mund fühlte sich trocken an. Das Schuldgefühl, dass sie den Verlust durch bessere Kontrollen hätte verhindern können, ließ sie schnell fallen. 3 Milliarden verschwanden nur durch systematische, kriminelle Energie. Elaine wurde erneut heiß, die Bluse klebte wieder unangenehm am Rücken und sie bebte vor Wut. Dann drängte sich eine prekäre Frage in den Vordergrund: Was würde passieren, wenn ich es nicht schaffe, den Kredit pünktlich zurückzuzahlen? Der perfekt ausgearbeitete Plan, der garantierte, das Geheimnis vor der nächsten Generation zu bewahren sowie den Reichtum der Familie langfristig zu sichern, würde dann nicht aufgehen. Die Konsequenzen wären ein einziges Desaster. Allein die Spekulation nahm Elaine schier den Atem. Ihr wurde schwindlig. Mechanisch griff sie nach der Wasserflasche, trank. Ihre Hände zitterten, und ein Teil des Wassers lief aus dem Mundwinkel heraus das Kinn hinunter und rann ihr über den Hals bis in die Bluse.
Die Angst, den Auftrag des Vaters nicht erfüllen zu können, entzog Elaine endgültig den Boden unter den Füßen. Und wie viele Rückschläge konnte sie in ihrer gesundheitlichen Situation noch verkraften? Auch darüber wollte sie jetzt partout nicht grübeln. Sie trocknete mit einem Taschentuch das kleine Rinnsal an Kinn und Hals, den feucht geschwitzten Nacken und rieb einige Male über den Wasserfleck auf der Bluse. Die kleinen Bewegungen beruhigten Elaine. Um sich weiter abzulenken, nahm sie das Handy aus der Handtasche und drückte auf die Büronummer ihrer Tochter Claudia. Sie wollte nachfragen, wie der Tag im Geschäft gelaufen war.
Elaines Sekretärin war am Apparat und richtete aus, ihre Tochter sei schon gegen 16 Uhr nach Hause gegangen. Verärgert rief sie Claudia auf dem Handy an. Elaine hatte ihre Ausrede, es wäre nichts mehr zu tun gewesen, zu oft gehört. Empört giftete sie zurück. Ein Wort ergab das nächste, am Ende unterbrach Claudia einfach die Verbindung.
Fassungslos über diese Frechheit verkrampfte Elaine sich auf dem Rücksitz, die Übelkeit kehrte zurück. Sie nippte erneut am Wasser, diesmal langsam, und atmete tief durch, bis ihr besser wurde. Lief denn heute alles schief? Dann spürte sie den besorgten Blick ihres Fahrers im Rückspiegel.
»Alles in Ordnung, Ahmad, die üblichen Diskussionen mit meiner Tochter«, schwächte sie ab, nahm betont gelassen ihre Kosmetiktasche aus der Mittelkonsole und schaute prüfend in den kleinen Spiegel. Sie erschrak, wie blass sie aussah. Routiniert puderte Elaine sich schnell das Gesicht, frischte die Wangen mit Rouge auf und strich mit der Bürste durch ihr Haar. Auf ihre Handgelenke tröpfelte sie etwas Parfüm, dann öffnete sie die Knöpfe ihrer schwarzen Chanel-Jacke.
Ein Abend mit der immer gut aufgelegten Béatrice würde ihr gut tun. Um die Probleme würde sie sich morgen wieder kümmern.
Wütend zog Claudia die Stöpsel des Headsets aus den Ohren und warf es auf den Boden. Als „Mama“ auf dem Display aufblinkte, hatte sie ihr Training unterbrochen, ihrem Mann Marek einen genervten Blick zugeworfen und auf die Annahmetaste gedrückt. Ihre Mutter bestand darauf, dass Claudia für sie jederzeit zu erreichen war, wenn sie die Verantwortung fürs Geschäft trug – auch außerhalb der offiziellen Bürozeiten.
»Warum muss Mama bei jeder Kleinigkeit ihre Autorität raushängen lassen und mir hinterhertelefonieren?«, schimpfte sie und wischte sich mit dem XL-T-Shirt den Schweiß von der Stirn.
Marek stoppte prompt das Laufband und die Musik. Er befürchtete, dass Claudia wie so oft nach einem Streit mit ihrer Mutter die Nerven verlieren würde. »Magst du reden? Soll ich Ivo nach Hause schicken?«, bot er an und versuchte sie damit zu beruhigen.
»Von mir aus kann alle Welt wissen, wie meine Mutter in Wirklichkeit ist!«
Marek deutete dem Fitnesstrainer mit einer Kopfbewegung an, in Richtung Küche zu verschwinden. Er legte ein Handtuch über Claudias Schultern und strich liebevoll über ihren Rücken. »Führ dich vor dem Personal doch nicht wie eine Furie auf.«
»Mama kritisiert mich, weil ich um 4 Uhr aus dem Büro gehe, dabei war nichts mehr zu tun. Warum soll ich dort rumsitzen, nur weil sie es macht?«, schimpfte sie weiter.
»Du kennst ihren Kontrollwahn, warum regst du dich jedes Mal wieder auf? Bitte, Claudia, lass dich nicht runterziehen.«
»Doch nicht deswegen! Ein Wort gab das andere, und am Ende hat sie es abgelehnt, einen Vorschuss auf das Erbe zu zahlen. Am Handy! Und mir vorgeworfen, mich von dir ausnutzen zu lassen!«
»Was? Sie hat abgelehnt?«
»Schnallst du es endlich? Mama war so schlecht drauf, dass sie sogar gedroht hat, die monatliche Zahlung einzustellen, wenn wir so unverschämt weitere Millionen fordern!«
»Im letzten Jahr hat sie die 10 Millionen doch problemlos bezahlt?«, wunderte sich Marek.
»Weil ich kurz nach meiner OP darum gebeten hatte. Ich dachte, unser Verhältnis hätte sich in den letzten Monaten gebessert.« Claudia griff nach der Wasserflasche, ließ sich frustriert auf die Yogamatte sinken und trank einen Schluck. Plötzlich war sie wie von Sinnen, schmiss erst die Plastikflasche an die Wand und trommelte dann mit den Händen auf den Boden. »Ich ertrage die ewigen Kontrollen und Vorwürfe nicht mehr!«
»Beruhige dich!« Marek zog Claudia an sich und nahm sie fest in seine Arme. »Du tust dir noch weh!«
»Dann unternimm endlich was!«, kreischte sie und schlug erneut wild um sich. »Ohne ihre Zahlungen sind wir am Ende!« Claudia riss sich mit aller Kraft los, rannte aus dem Fitnessraum und knallte die Tür hinter sich zu.
Marek hob kopfschüttelnd das Handtuch vom Boden auf und ging in die Küche.
»Dicke Luft bei euch, das wird schon wieder. Die Frauen reagieren alle zu emotional«, kommentierte Ivo lässig vom Barhocker.
»Ich kann’s nicht mehr hören. Willst du ein Bier? Training ist für heute durch.«
»Klar, schieb eins rüber. Die Volante sitzt wie Dagobert Duck auf dem Geld?«
Marek trank einen Schluck und setzte sich neben Ivo. »Dagobert wäre witzig. Eher wie ein Drachen im Gewand einer Leopardnatter.«
»Leopardnatter?«
»Google es.«
»Kannst du nicht vermitteln?«
Resigniert schüttelte Marek den Kopf. »Für die existiere ich doch gar nicht. Seit ich mit Claudia zusammen bin, hackt sie auf mir rum.«
»Was hast du vor?«
Er zuckte mit den Schultern. »Das Verhältnis ist kompliziert, und wir sind von ihr abhängig. Seit Alessandros Schlaganfall streiten Elaine und Claudia noch mehr, meist wegen Belanglosigkeiten. Und ich muss es dann ausbaden.« Mareks Stirn lag in Falten, sein frustrierter Gesichtsausdruck sprach für sich. Er pulte mit den Fingern das Etikett von der Bierflasche.
Ivo trank sein Bier aus, stellte die Flasche auf den Tresen und rülpste leise. »Wie alt ist sie?«
»Ende siebzig.«
»Puh, da kann sie gut noch fünfzehn Jahre leben.«
»Super Kommentar.« Marek stand auf und wollte aus der Küche gehen. Dann überlegte er es sich anders, nahm stattdessen noch zwei Bier aus dem Kühlschrank und öffnete sie zischend. Er schob Ivo eins rüber.
»Dein geiles Leben wünschte ich mir. Das Penthouse, deine Autos, ein Boot, du fliegst durch die Welt, heiße Partys …«
»Was weißt du schon?«, wies Marek seinen Fitnesstrainer in die Schranken und setzte seine Flasche hart auf dem Tresen ab. Ein Schluck Bier schwappte heraus.
»Okay, bleib cool, war nicht so gemeint. Willst du tauschen?« Ivo lamentierte, dass seine Frau jeden Monat Stress mache, weil nicht genügend Kohle da sei. Seine 3.000 Euro reichten hinten und vorne nicht. Exotische Urlaubsreisen, Designerklamotten, Schmuck oder eine coole Handtasche kann ich ihr nicht bieten.« Ivo trennte eine Lage Papier von der Küchenrolle und wischte das verschüttete Bier weg. »Wir zahlen unsere Rechnungen und kommen knapp über die Runden. Deine Geschenke helfen, haben sie aber auf den Geschmack gebracht.«
»Du beschwerst dich darüber? Dir kann man’s auch nicht recht machen.«
»Nee, nicht bei dir. Ich muss den Druck nur mal loswerden.«
»Willkommen im Club«, sagte Marek versöhnlicher. Was würdest du denn mit 200.000 Euro machen?«, fragte er, umfasste sein Fußgelenk und zog die Ferse ans Gesäß, um seinen Oberschenkel zu dehnen.
»Ich würde mir ein gebrauchtes 911-Cabrio kaufen, außen schwarz und innen rotes Leder«, antwortete Ivo wie aus der Pistole geschossen. Seine Augen glänzten. »Knie zusammendrücken und die Hüfte mehr nach vorn«, korrigierte er Mareks Haltung.
»Was noch? Spontan?«
»Meiner Frau würde ich eine Handtasche und ein paar Klamotten schenken und mit dem restlichen Geld ein eigenes Studio aufziehen. Ich bin ein guter Trainer, und die Mädels stehen auf mich.«
»Glaubst du echt, das reicht als Business-Plan?«
»In Monaco gibt es genügend gelangweilte Hausfrauen mit Sugar Daddys, die ein bisschen Pep unterm Hintern brauchen.« Ivo lächelte verschmitzt. Aber so schnell wie er geantwortet hatte, winkte er auch schon wieder ab. »Das wird immer nur ein Traum bleiben.«
»Naja, leicht anrüchiges Geschäftsmodell.«
»Das mit dem Bett war Spaß, aber die Frauen wollen abnehmen und zahlen für den Traum vom Idealkörper die Mitgliedschaft. Dass sie dann nur einige Male im Fitnessstudio aufkreuzen, ist eine andere Geschichte«, verteidigte Ivo seine Idee.
»Ehrlich?«
»Was, ehrlich? Wenn eine drauf bestehen würde, warum nicht?«
»Großmaul, aber rede doch mal mit Claudia über ein Studio, wenn sie wieder gut drauf ist«, schlug Marek vor. »Es würde ihr bestimmt gefallen, mal was anderes zu tun außer Vermietungen unter der Fuchtel ihrer Mutter.«
»Echt?«
»Fragen kostet nichts.«