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8 Neugier Montag, 17. Februar 2014, Rom

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Kardinal Bretone war mit seinem Auftrag, die Veruntreuung der 3 Milliarden Dollar zu vertuschen, einige Schritte weitergekommen. In Thierry Louron hatte er einen Verbündeten gefunden und Elaine Volante den Verlust bereits beigebracht. Blieb die Frage des Kredit­gebers.

Vielleicht könnte er mehr über Elaines Anwalt, Dr. Jacques Verrier, herausfinden? Dessen Vater hatte die Familie Volante seit den frühen Vierzigerjahren vertreten, bis er 1974 das Mandat an seinen Sohn Jacques übergeben hatte. Der Kardinal hoffte, dass der Vater den Sohn in die Einzelheiten des Vertrags eingeweiht hatte, und lud den Anwalt kurzfristig nach Rom ein. Er schlug ein Mittagessen im Hotel Hassler am kommenden Montag vor, und der Anwalt willigte ein.

Jacques Verrier hätte den Kardinal auch ohne die Soutane mit der scharlachroten Paspelierung und seinen auffälligen Kardinalsring erkannt, als er zielstrebig durch die Lobby auf ihn zukam. Obwohl klein gewachsen und korpulent, strahlte er das Selbstbewusstsein eines Menschen aus, der sich seiner Macht und der bewundernden Blicke anderer bewusst ist.

Ein typischer Vertreter der Kategorie Mann mit Napoleonkomplex, dachte Jacques und begrüßte ihn mit festem Händedruck. Auf dem Weg zum Restaurant versteckte er geschickt ein Kompliment in der Frage, wie es dem Kardinal gelungen sei, über Mittag einen Tisch im Sterne-Restaurant des Hotels zu buchen, wo es doch ansonsten nur am Abend geöffnet habe.

»Die Geschäftsleitung kommt hohen Würdenträgern des Vatikans und ihren Gästen gern entgegen, wenn wir vertrauliche Gespräche bei einem exzellenten Essen besprechen möchten«, erklärte der Kardinal jovial.

»Dann fühle ich mich geehrt und bin gespannt, worum es geht.«

Kaum saßen sie, kam der Kardinal ohne Umschweife zum Thema.

»Dr. Verrier, ich möchte über die Baugenehmigung in Lorvetto reden, welche die Volantes 1965 vom alten Fürsten erhalten haben.«

Der Anwalt erwiderte überrascht, sein Vater hätte damals noch die Familie vertreten, und er sei nur grob über die Vorgänge informiert.

»Es geht um die Finanzierung. Bei dem Umfang des Projekts wurden spezielle Absprachen mit dem Fürsten getroffen.«

»Wenn Sie das sagen.«

»Sie wissen, dass über die Vatikanbank die Rückzahlung der Finanzierung läuft?«

Der Anwalt verneinte. »Davon höre ich das erste Mal. Wie gesagt, der Vertrag wurde vor meiner Zeit abgeschlossen. Es bestand kein Grund für meine Mandantin, mich in finanzielle Details einzuweihen. Ich bin ihr Anwalt, nicht ihr Banker.«

»Dann lassen Sie uns bestellen, bevor ich Sie ausführlich über die Hintergründe aufkläre.« Der Kardinal winkte den Ober heran. Sie hörten sich dessen Empfehlungen an und entschieden zügig. Kardinal Bretone bestand darauf, zum Essen auch einen guten italienischen Wein zu trinken und diskutierte mit dem Sommelier über die Jahrgänge, bis er sich für einen 75er-Brunello entschied.

Jacques Verrier ahnte inzwischen, dass es Probleme mit der Rückzahlung der Finanzierung gab. Warum sonst würde der Kardinal ihn nach Rom in ein teures Restaurant einladen? Einmal mehr dankte er der strategischen Weitsicht seines Vaters, der ihn natürlich umfassend über den wichtigsten Vertrag von Elaine Volante informiert hatte. Damals hatte er ihn aber auch strikt angewiesen, im eigenen und im Interesse der Volantes jede Kenntnis darüber zu verneinen. Jacques Verrier würde also zuhören und vorsichtig taktieren.

»Sie wissen sicher, dass Fürst Rainier 1956 durch die Hochzeit mit Grace Kelly Hollywood-Flair und frisches Geld nach Monaco gebracht hat. Erinnern Sie sich, wie das Fürstentum begann, in altem Glanz aufzublühen?«, fragte Kardinal Bretone.

Der Anwalt verstand, dass der Kardinal das Terrain abtastete. »Natür­lich, bei wem haben sich die Bilder dieser Märchenhochzeit nicht ins Gedächtnis eingebrannt?«

Der Kardinal führte weiter aus, dass dieser Aufschwung anhielt, bis es Anfang 1962 wegen Radio Monte Carlo zum Streit mit Frankreich gekommen war, der zur Staatsaffäre eskalierte. Die Wogen glätteten sich erst, als man sich im Dezember 1962 auf einen neuen Staatsvertrag einigte. »Rückblickend ist das wichtig, denn damit wurde das Steuerschlupfloch für die internationale Schifffahrt geschlossen. Wer danach unter monegassischer Flagge schipperte, musste in Frankreich Mehrwertsteuer entrichten und seine Waren verzollen.«

»Läutete das nicht den Anfang vom Ende der Freundschaft zwischen Fürst Rainier und dem Griechen Onassis ein?«, fragte der Anwalt nach.

Der Kardinal nickte und wartete, bis die Ober die Vorspeisen serviert hatten. Anschließend erklärte er, dass diese Regelung ein Grund gewesen sei, warum Onassis begonnen hatte, Anteile seiner Monaco-Geschäfte aus dem angeschlagenen Steuerparadies nach Panama zu verschieben. Darüber wiederum ärgerte sich Rainier, denn Monaco brauchte nach dem neuen Staatsvertrag mit Frankreich dringend Geld. Außerdem benötigte der Fürst das Kapital von Onassis, um Monaco als Touristenhochburg mit Luxuswohnungen, Grandhotels und Yachthafen auszubauen.

»Kurz, Onassis gefielen die Ideen von Rainier nicht. Er wollte nur in die Pläne einwilligen, wenn der Fürst ihm im Gegenzug die S.B.M. – Monacos bekannteste Firma, deren Mehrheitsaktionär er sowieso schon war – als alleinigen Besitzer überließ.«

»Was Rainier nicht getan hat«, ließ der Anwalt einfließen.

»Er konnte nicht«, bestätigte der Kardinal, »denn das Casino mit seinen Hotels hatte über Jahrzehnte den Lifestyle des Fürstentums geprägt und stellte außerdem seine größte Einnahmequelle dar, die Rainier auch für die Zukunft brauchte. Onassis’ Forderung brachte ihn jedoch auf eine Idee. Er ließ von einem Wirtschaftsanwalt eine Strategie ausbrüten, den Rivalen in einer Aktienschlacht mit seinen eigenen Waffen zu schlagen.«

Der Anwalt tupfte sich den Mund mit der Serviette ab und bemerkte, dass sich um diese Aktion viele Gerüchte rankten, dessen Einzel­heiten ihn schon immer interessiert hätten. »Wie ging es weiter?«

»Der Fürst legte sechshunderttausend neue, nicht übertragbare Aktien der Firma auf, löste Onassis als Mehrheitseigentümer wieder ab und überraschte ihn damit böse. Der Grieche hätte Rainier zuvor sein winziges Reich aus der Portokasse abkaufen können. Warum er es nicht tat?« Der Kardinal hob die Hände.

»Das weiß nur Gott?«

»Eine reflexartige Bewegung.« Kardinal Bretone lächelte verschmitzt und deutete mit dem rechten Zeigefinder in Jacques Verriers Richtung. »Aber: Nachdem der Fürst den Abschied von Onassis forciert hatte, brauchte er dringend neue Gönner, und hier kommen wir ins Spiel.«

Der Anwalt neigte interessiert den Kopf zu Seite. »Wie?«

»Der Fürst wandte sich dafür an den deutschen Bankier Dr. Schachtmann. Der Herr ist Ihnen ein Begriff?«, fragte er und schob einen größeren Happen in den Mund.

»Selbstverständlich. In unserer Generation sollte man von diesem einflussreichen Bankier gehört haben.« Jacques Verrier fiel auf, dass der Kardinal noch kaute, also antwortete er ausführlicher. »Der deutsche Banker des letzten Jahrhunderts, eine Legende. Reichsbankpräsident, Reichswirtschaftsminister und einige Jahre auch Hitlers Banker. Meines Wissens beriet Dr. Schachtmann nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Regierungen und einflussreiche Persönlichkeiten in West­afrika und im Nahen Osten. War er nicht auch der Banker von Onassis?«

Kardinal Bretone schluckte den letzten Bissen hinunter. »Sie sind bestens informiert. Dr. Schachtmann war ebenso ein Vertrauter des Fürsten, demzufolge in dessen hochtrabende Pläne sowie den Bruch mit Onassis eingeweiht und wusste von seinen finanziellen Engpässen. Außerdem kannte er die Volantes mit ihrer damals schon renommierten Baufirma seit den Vierzigerjahren bestens.«

»Woher?«, fragte der Anwalt neugierig.

»Nun, der Großvater von Elaine Volante ergatterte einige Großaufträge von den Nazis. Wissen Sie nicht, dass er die 200 Kilometer Schutzbunker entlang der Riviera für die Deutschen baute? Gerüchten zufolge half er den Nazis auch beim Kauf vieler lukrativer Objekte. Davon will heute von der Familie niemand mehr etwas wissen.«

»Das ist mir auch neu«, hakte der Anwalt das heikle Thema sofort ab. Es tat nichts zur Sache, und er würde seine Mandantin nicht in eine schwache Position drängen lassen.

Der Ober trat an den Tisch. »Ich habe den Wein nicht dekantiert, damit das Aroma länger erhalten bleibt.« Er roch am Korken. »Vierzig Jahre gereift.«

Der Kardinal schwenkte das Weinglas einige Male, begutachtete die Farbe und probierte schließlich. »Superb.«

Nachdem der Ober den edlen Tropfen eingeschenkt hatte, fragte er, wann die Hauptgänge serviert werden sollten.

»In zehn Minuten.« Der Kardinal wandte sich wieder an den Anwalt. »Kommen wir zu der Entstehung des Vertrags. Der alte Volante besaß eine Option auf das östlich vom Casino gelegene Land in Lorvetto, direkt am Meer. Der Fürst verabschiedete sich von der Idee einer Eisen­bahnlinie und wandelte besagtes Land in Bauland um. 1965 erhielten die Volantes die Genehmigung, an der Strandmeile von Lorvetto Hochhäuser zu errichten.«

»Eine spannende Geschichte.« Jacques Verrier mimte perfekt den ahnungslosen Anwalt. »Wie ging es weiter?«

»Die Baugenehmigung war eine Sache, aber um dieses Vorhaben umzusetzen, benötigten die Volantes eine Finanzierung. Das überstieg ihre damaligen Möglichkeiten bei Weitem. Dr. Schachtmann brachte die Volantes mit einem Geldgeber zusammen und konstruierte ein kompliziertes Offshore-Modell über fünfzig Jahre. Er schaltete die Vatikanbank als Verwalter wegen ihres Sonderstatus’ dazwischen. Wie Sie wissen, pflegen wir traditionell enge Beziehungen zum monegassischen Fürstenhaus und garantieren Diskretion für alle Parteien.«

»Was war so kompliziert an diesem Vertrag?« Der Anwalt fragte sich, worauf der Kardinal hinauswollte.

»Nun, zuerst den Geldgeber zu finden. Dann musste gebaut, später der Kredit zurückgezahlt werden und der Fürst wollte auch profitieren. Langfristige Einnahmen konnte ihm Dr. Schachtmann jedoch nur garan­tieren, wenn die Immobilien in denselben Händen blieben.«

»Und wie hat er das gelöst?«

»Alle Einzelheiten sind mir nicht bekannt. Dr. Schachtmann strukturierte jedenfalls ein Geschäft, von dem alle Seiten profitierten. Der Fürst konnte einen Großteil seiner Visionen umsetzen, kam zu einer ewig sprudelnden Geldquelle und die Volantes stiegen zu den Immobilienkönigen von Monaco auf.«

»Ich kann Ihnen nicht ganz folgen. Was meinen Sie mit ›Ewig sprudelnder Geldquelle‹, und wo liegt der Haken?«

Wie schon Thierry Louron einige Wochen zuvor, erklärte der Kardinal jetzt dem Anwalt die prozentuale Aufteilung der Mieteinnahmen und die Höhe des damaligen Kredits. Jacques hörte aufmerksam zu, bevor er bemerkte, dass sich ihm das Problem noch nicht erschließe.

Der Kardinal schwenkte den Rotwein einige Male im Glas und stellte es ab, ohne getrunken zu haben. Er schaute Jacques Verrier ernst an. »In diesem Mai ist die Rückzahlung des Kredits fällig, und ich habe zwei Probleme. Erstens fehlen 3 Milliarden Dollar, und zweitens kenne ich den Gläubiger nicht.« Dann gönnte er sich einen großen Schluck Wein.

Äußerlich blieb der Anwalt die Ruhe selbst, doch seine Anspannung stieg. 3 Milliarden fehlten? Dann war Elaine in riesigen Schwierig­keiten! »Wovon fehlen 3 Milliarden Dollar, Kardinal?«

»Von den Geldern, die wir im Namen Ihrer Mandantin verwaltet haben und die sie in Kürze zurückzahlen muss. Elaine Volante weiß seit letztem Donnerstag davon. Ich habe ihr bereits während unseres Gesprächs angeboten, mit den Gläubigern zu verhandeln.«

»Was für ein gigantischer Verlust«, flüsterte der Anwalt und fragte nach, ob seitens seiner Mandantin alles wie vereinbart gelaufen sei. Er nannte Elaine Volante nicht einmal in diesem Gespräch beim Namen.

Der Kardinal bestätigte, dass sie über fünfzig Jahre korrekt bezahlt hatte und bedauerte die unglaubliche Misswirtschaft in der Vergangenheit der Vatikanbank. Ihn beschäme das unqualifizierte Handeln einiger Angestellter, die Liste von Veruntreuungen und Skandalen sei zu lang … »Ich habe mein Bestes versucht und konnte zumindest 1,3 Milli­arden Dollar retten.«

»Sie erwarten sicher keinen Beifall für diese Leistung, wenn Sie mir diese direkte Erwiderung verzeihen, Kardinal«, entgegnete der Anwalt. »Was hat meine Mandantin mit den von Ihnen erwähnten Skandalen zu tun?«

»Ihnen steht jede Beurteilung frei, und es ist in der Tat eine delikate Angelegenheit«, antwortete der Kardinal höflich, überging aber die eigentliche Frage.

Der Hauptgang wurde zügig serviert. »Guten Appetit, die Herren.« Die aufmerksamen Kellner hatten verstanden, dass ihre Anwesenheit störend war. Keiner sprach, während sie den Hauptgang aßen.

Der Anwalt ließ sich den Appetit nicht verderben. Eine hitzige Diskussion hätte zu nichts geführt. Der Kardinal hatte die Katze aus dem Sack gelassen, und Jacques Verrier überlegte bereits, wie er im Sinne seiner Mandantin verhandeln konnte. Seit der Beerdigung von Elaines Bruder vor elf Tagen hatte er nicht mehr mit ihr gesprochen. Warum hat Elaine nicht angerufen? Er war gespannt, welchen Vorschlag der Kardinal unterbreiten würde.

»Die Inkorrektheit liegt klar auf unserer Seite«, erklärte der schließlich und schob seinen Teller zur Seite. »Der Einfluss des Vatikans reicht weit, aber dafür müssen wir den Ursprung des Geldes kennen. Geld­wäsche ist heute ein brisantes Thema.«

Der Anwalt empfand die Bemerkung des Kardinals als Zumutung. »Konnte meine Mandantin Ihnen nicht weiterhelfen?«, fragte er.

»Angeblich kennt sie den Kreditgeber nicht. Ich hoffte, in dem Punkt könnten Sie mir helfen.«

Jacques Verrier zuckte entschuldigend mit den Schultern. »Wie bereits anfangs erwähnt, leider nicht«, bemerkte er, heilfroh, dem Rat seines Vaters gefolgt zu sein. »Was befürchten Sie in Bezug auf Geldwäsche, Kardinal?«

»Dass über Dr. Schachtmann verschwundene Nazigelder angelegt und gleichzeitig geschickt versteckt wurden. Die Folgen, falls das an die Öffentlichkeit kommt, muss ich nicht erklären. Warum macht man sonst so ein Geheimnis um den Kreditgeber?«

Wie skandalös und unmoralisch Jacques Verrier es fand, erst nach fünfzig Jahren und in dieser schier ausweglosen Situation danach zu fragen, behielt er im Moment für sich, erwähnte aber, dass es verschiedene, durchaus legale Gründe geben kann, warum ein Kreditgeber anonym bleiben möchte. »Jemandem wie Dr. Schachtmann zu unterstellen, Nazigelder gewaschen zu haben und meine Mandantin da mit reinzuziehen, halte ich für gefährlich und unangebracht.«

Der Kardinal schwieg.

»Auf welcher Grundlage würden Sie mit dem Kreditgeber verhandeln wollen? Was wäre konkret Ihr Vorschlag, Kardinal Bretone, unabhängig davon, wer Ihr Gegenüber ist?«, versuchte jetzt der Anwalt das Gespräch am Laufen zu halten, um so viele Details wie möglich zu erfahren. Schließlich musste er versuchen, den Verlust seiner Mandantin irgendwie zu verringern.

»Wenn Madame Volante darauf besteht, den Gesamtbetrag komplett zu zahlen, könnte sie die Lorvetto-Immobilien über eine monegassische Bank zu fairen Konditionen refinanzieren. Die Bank hat auf unsere Anfragen signalisiert, kurzfristig 3 Milliarden Dollar zur Verfügung zu stellen.«

»Sie haben ohne Einverständnis meiner Mandantin ihre Immobilien einer Bank zur Finanzierung angeboten?«, fragte der Anwalt entsetzt.

Der Kardinal drehte nervös sein Weinglas zwischen den Fingern. »Ich habe das über den privaten Anwalt des Fürsten, Thierry Louron, in die Wege geleitet. Alternativ könnte sie uns mit dem Kreditgeber verhandeln lassen.«

»Vielleicht weiß Madame wirklich nicht, wer der Kreditgeber ist? Damals war meine Mandantin eine junge Frau. Da sie ihren Teil zuverlässig erfüllt hat, sollten Sie mit Ihren Äußerungen vorsichtiger sein, Kardinal.«

Der setzte wieder sein bewährtes Schweigen ein.

»Und ausgerechnet über Thierry Louron.« Der Anwalt konnte und wollte seinen Unmut über den Gesprächsverlauf nicht länger verbergen. »Wer würde die neue Finanzierung tilgen?«

»Ihre Mandantin.«

»Die dann nochmals 3 Milliarden Dollar zuzüglich Zinsen zahlen muss? Kardinal, bei allem Respekt, das ist doch absurd!«

»Dr. Verrier, bitte vergessen Sie nicht, dass sich der Wert der Immobilien wesentlich besser entwickelt hat, als man das vor fünfzig Jahren prognostizieren konnte. Die Volantes sind nicht zuletzt durch dieses Geschäft zu dem geworden, was sie heute sind – die reichste Familie im Fürstentum.«

Der Ober trat mit einem Kollegen an den Tisch und fragte den Anwalt, ob der Steinbutt seinen Erwartungen entsprochen hätte.

»Er war köstlich«, antwortete Jacques Verrier und bedankte sich für die ausgezeichnete Empfehlung. Er nahm seine Serviette vom Schoß und legte sie auf den Tisch. An seinem Wein hatte er nur einmal genippt.

»Darf ich Ihnen das Dessertmenü bringen?«

Als der Anwalt ablehnte, bedeutete Kardinal Bretone dem Personal mit einer Kopfbewegung, sie allein zu lassen.

»Schauen Sie, diese Geschichte könnte unter Umständen einen riesigen Skandal entfachen. Da wir nicht wissen, wen wir verärgern, ist es unmöglich, die Auswirkungen zu kontrollieren. Wenn Sie jedoch her­ausfinden könnten, wer der Gläubiger ist, können wir vielleicht eine andere Lösung aushandeln. Auch im Interesse von Madame Volante.«

Der Anwalt verstand, dass der Kardinal mit dem Vermittlungsversuch einen Weg zurück in die Diskussion suchte und gleichzeitig erfahren wollte, wer hinter diesem Geschäft stand. Ihm musste das Wasser sprichwörtlich bis zum Hals stehen, wenn er Thierry Louron für seine Zwecke einspannte.

»Haben Sie ausgerechnet, wie viele Jahre meine Mandantin noch einmal zahlen müsste und welche Summe?«

»Bei gleichem Rückzahlungsanteil von 25 Prozent der Mieteinnahmen und einer niedrigen Zinsrate von 1,5 Prozent wäre alles in spätestens dreißig Jahren bezahlt. Die Mieten sind heute ja wesentlich höher als damals.«

»Welcher Summe entspricht dies insgesamt?« Ruhig trug Jacques Verrier die Fakten zusammen.

»125 Millionen US-Dollar im Jahr. Mit Zinsen umfasst die gesamte Rückzahlung 3,75 Milliarden.«

Nachdem der Kardinal die unglaublichen Zahlen genannt hatte, hörte man nur die Kellner im Hintergrund leise hantieren.

»Wenn ich den Beginn des Gesprächs richtig deute, sind die speziellen Absprachen – sprich Zahlungen an die fürstliche Adresse von der Familie über die Vatikanbank – stets pünktlich erfolgt und auch entsprechend weitergeleitet worden?«, fragte der Anwalt nach.

Der Kardinal nickte.

»Diese Sonderzahlungen laufen auch weiter?«

»Die haben mit der Rückzahlung nichts zu tun.«

»Gut zu wissen.« Ungläubig schüttelte Jacques Verrier den Kopf und fragte nach, ob der Kardinal ernsthaft erwarte, dass er seiner Mandantin diesen Vorschlag unterbreite. Den Anwalt schockte, abgesehen von der Summe, die Unverfrorenheit, mit der ihm Kardinal Bretone sein Ansinnen nahelegte. »Die Leichtigkeit, mit der Sie über 3 Milliarden Dollar Verlust reden und gleichzeitig versuchen, der Familie eine fragwürdige Obligation aufzubürden, ist unglaublich!« Er rückte mit seinem Stuhl ein Stück nach hinten.

Kardinal Bretone reagierte sofort. »Dr. Verrier, in Ihrer Situation wäre ich genauso verärgert, und ich verstehe Ihre Argumente. Aber lassen Sie mich auch das letzte Detail erklären.«

Der Anwalt hielt inne. »Was gibt es noch?«

»Das Land in Lorvetto, das der Fürst damals in Bauland konvertierte, gehört den Volantes rechtlich nicht für immer und ewig.«

»Warum hätten sie Milliarden investiert, wenn ihnen dieses Land nicht gehört?« Jacques Verrier wurde ungehalten.

»Sie besitzen einen Leasehold-Vertrag, der nach neunundneunzig Jahren erneuert werden muss. Eigentlich nur eine Formalität. Thierry Louron könnte mit dem Fürsten verhandeln, dass dieser den Vertrag jetzt schon verlängert.«

Jetzt war der Anwalt perplex, denn von diesem wichtigen Detail, das die Verhandlungsposition seiner Mandantin entscheidend verschlechterte, hörte er wirklich das erste Mal. »Ansonsten?«

»Die Option, dass alle Lorvetto-Immobilien im Jahr 2065 an die fürstliche Familie fallen, hat theoretisch von Beginn an bestanden.«

Das selbstgefällige Lächeln, das die Mundwinkel des Kardinals umspielte, entging dem Anwalt nicht. Absolut schamlos fand er, wie genüsslich Kardinal Bretone weiter Wein trank und auf seine Reaktion wartete.

»In meiner Welt nennt man das Erpressung, Kardinal. Ich habe in meinem Anwaltsleben einiges erlebt, aber dieser Vorschlag sucht seinesgleichen. Skandalös! Da meine Mandantin das Thema jedoch nicht ignorieren kann, werde ich mit ihr reden.« Jacques Verrier stand auf. »Waren das alle schlechten Nachrichten?«

Der Kardinal nickte.

Jacques Verrier bedankte sich für das Mittagessen, reichte ihm förmlich zum Abschied die Hand und verließ zügigen Schrittes das Restaurant.

Im Taxi auf dem Weg zum Flughafen versuchte der Anwalt vergeblich, Elaine Volante zu erreichen. Die Forderungen des Kardinals bestürzten ihn. Genauso unverständlich war ihm allerdings, warum Elaine ihn nicht eingeweiht hatte. Seit vierzig Jahren unterstützte er sie in rechtlichen Angelegenheiten. Nach ihrer Scheidung waren sie sich auf freundschaftlicher Basis vertrauter geworden und teilten, wenn nötig, auch private Sorgen. Ob sie von dem Leasehold-Detail wusste?

Als Elaine am Abend endlich zurückrief und Jacques erzählte, dass sie bis Mittwoch in der Schweiz sei und sie sich erst am Freitag treffen könnten, schrillten bei ihm die Alarmglocken. Was hatte Elaine Dringenderes zu tun, als einen Verlust von 3 Milliarden Dollar zu klären?

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