Читать книгу Monaco Enigma - Berit Paton Reid - Страница 7
2 Omertà Montag, 30. Dezember 2013
Оглавление»Als privater Anwalt des amtierenden Fürsten und ehemals Vertrauter seines alten Herrn wissen Sie nichts über einen derart wichtigen Vertrag?«, fragte Kardinal Bretone bestürzt. »Er muss vor seinem Tod doch delikate Angelegenheiten einer Person seines Vertrauens übergeben haben?«
Das entschiedene Kopfschütteln von Thierry Louron, bei dem er lässig seine Unterlippe vorschob, ließ die Gesprächsstrategie des Kardinals wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen.
»Monsignore, wenn ich könnte, würde ich Ihnen selbstverständlich helfen. Es gab genug delikate Geschäfte, die – um Ihre Worte zu benutzen – der alte Herr geklärt hat. Trotzdem nahm er viele Geheimnisse mit ins Grab.« Thierry grinste schlitzohrig: »Omertà, wie die Mafia das Gesetz der Schweigepflicht nennt, gilt auch in Monaco.«
Schnell schloss Kardinal Bretone die Augen, um sein Entsetzen zu verbergen. Er hatte den Anwalt noch nie ausstehen können. Vielleicht auch, weil er seiner eigenen, zum Narzissmus tendierenden Persönlichkeit zu ähnlich war. Heute musste er seine Erwiderungen jedoch freundlich hinunterschlucken, denn er brauchte ihn als Verbündeten.
Thierry Louron, dem die Reaktion des Kardinals nicht entgangen war, bemerkte beflissen: »Vielleicht war mein Vergleich übertrieben, aber was beunruhigt Sie wirklich?«
Kardinal Bretone trommelte mit den Fingern seiner rechten Hand rhythmisch auf den Mahagonischreibtisch. Dann seufzte er theatralisch und richtete sich im Sessel auf. »Die Fünfziger- und Sechzigerjahre waren ereignisreich für Monaco. Darf ich Ihr Gedächtnis auffrischen?«
»Bitte.« Der Anwalt griff nach seinen Marlboro. »Ich fand die Achtziger spannender, aber der Tag vor Silvester eignet sich hervorragend als Märchenstunde im Vatikan.«
Kardinal Bretone war es unbegreiflich, wie man mit derart flapsigen Kommentaren in den engen Machtzirkel in Monaco vorstoßen und sich dort seit Jahrzehnten behaupten konnte. Dem Hörensagen nach nannte man Thierry Louron ›die Wildcard im Royal Flush‹ und spielte damit auf seinen Klienten und seine Rolle als Troubleshooter für spezielle Fälle an. Und genau aus diesem Grund hatte auch er den Anwalt in sein Büro gebeten. »Ich muss ausholen, um einem Youngster wie Ihnen alles zu erklären«, entgegnete er, Gelassenheit vortäuschend.
»Sie kokettieren gekonnt mit Ihrem Alter, aber mit fast fünfundachtzig noch eine führende Position zu bekleiden, funktioniert nur in der Politik oder eben im Vatikan.« Thierry Louron legte die Zigarettenschachtel wieder zurück. »Würden Sie mich bitte einen Moment entschuldigen, Kardinal? Es ist mir peinlich, aber ich müsste dringend austreten.«
Auf der Toilette schaltete er das winzige Diktiergerät ein, das er immer bei sich trug, seitdem ihn sein Gedächtnis gelegentlich im Stich ließ. Die moderne Technik erleichterte sein Leben enorm.
»So, wann und wie laufen die Fäden zusammen?«, fragte der Anwalt kurz darauf, lässig die Beine übereinanderschlagend.
Kardinal Bretone umriss die Geschichte des Fürstentums während des Zweiten Weltkriegs und erklärte die Zusammenhänge des Bruchs des Fürsten mit dem reichen Griechen Onassis, seinerzeit Monacos größter Investor.
»Der Fürst wollte seinen Stadtstaat als Touristenhochburg ausbauen und für eine breitere Schicht erschwinglich machen. Das Geld für seine Visionen sollte Onassis liefern. Dem gefiel diese Idee aber nicht. Onassis wollte Monaco exklusiv als Paradies für die wirklich Reichen erhalten. Der Streit zwischen den beiden eskalierte, bis Rainier den ewigen Rivalen in einer komplizierten Aktienschlacht austrickste. Onassis nahm die Gerüchte um die Aktion bis zum Schluss nicht ernst. Warum der clevere Grieche sich um sein Prestige-Investment damals so wenig kümmerte, verstand niemand. Als klar wurde, dass dem Fürsten der Coup gelungen war, verließ Onassis quasi über Nacht das Fürstentum und kehrte nie wieder zurück.«
Der Kardinal beobachtete genau, dass Thierry Louron dem schweren Rotwein reichlich zusprach. Nach weiteren zehn Minuten kam er zum entscheidenden Punkt.
»Auf ein Sonderkonto der Vatikanbank laufen jährlich – seit knapp fünfzig Jahren – 25 Prozent der Mieteinnahmen aus den Lorvetto-Immobilien der Familie Volante. Wir wurden als Treuhänder ausgewählt, und damit sollte die Rückzahlung des Kredits von 4,3 Milliarden Dollar im kommenden Mai gesichert werden. Bis heute wissen wir nicht, wer dem Vater von Elaine Volante einen derart hohen Kredit gewährt hat.«
»4,3 Milliarden entsprechen 25 Prozent der Einnahmen über fünfzig Jahre? Die Vatikanbank verwaltet Milliarden Dollar der Volantes? Darüber wären andere Banken erfreut.«
Dass der umtriebige Anwalt auf die Milliardenbeträge sofort ansprang und das wirkliche Problem übersah, verwunderte den Kardianl nicht. Er schwieg und wartete, ob er weitere Schlussfolgerungen ziehen würde.
»Ich wusste nicht, dass es einen Kredit von einem Unbekannten gab, die Vatikanbank der Verwalter der Gelder ist und dass dieser Kredit in wenigen Monaten fällig wird.«
Seine arglose Wortwahl verriet dem Kardinal, dass Thierry Louron weder die schwierige Konstellation überschaute noch von den Dimensionen des Geschäfts eine Ahnung hatte. Um das Gespräch voranzubringen, musste er die Bombe platzen lassen.
»Darüber wäre ich auch froh. Uns fehlen 3 Milliarden.«
Thierry Louron lachte ungläubig und ein wenig zu schrill auf, bevor er nachfragte: »Die heilige Bank hat 3 Milliarden Dollar veruntreut? Mit welchem Volante verhandelt Monsignore, Marcel oder Elaine?«
»Elaine. Das nächste Treffen ist für Ende Januar vereinbart. Spätestens dann muss ich ihr sagen, dass wir nicht zahlen können. Die Zeit drängt.«
Thierry Louron schüttelte den Kopf. »Darf ich Sie korrigieren, Kardinal? Elaine Volante kann nicht zahlen. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, nahmen die Volantes vor fünfzig Jahren einen Kredit auf, dessen Rückzahlungsgelder – 25 Prozent der jährlichen Mieteinnahmen aus den Lorvetto-Immobilien – die Vatikanbank treuhänderisch verwalten sollte. Davon sind aber 3 Milliarden verschwunden, weshalb das Geld nicht an die Volantes zurückfließen kann, und die können den Kredit nicht bezahlen.«
Kardinal Bretone nickte.
»Und Sie fürchten nicht Elaine Volante, sondern den unbekannten Kreditgeber, da die Vatikanbank indirekt dessen Gelder veruntreut hat?«, fragte der Anwalt mit spitzem Unterton.
»Wir fürchten niemanden«, beeilte sich Kardinal Bretone zu versichern, »sind aber um unseren Ruf besorgt.«
»Da könnte ein ganz schöner Eklat auf den Vatikan zukommen.« Thierry Louron winkte lässig ab. »Naja, in der Öffentlichkeit ist der Ruf sowieso schon lange ruiniert. Die Bank des Vatikans gilt nicht umsonst als Synonym für Skandale, Geldwäsche und versteckte Konten.«
Die flapsigen Behauptungen trieben dem Kardinal die Schamröte ins Gesicht. Bevor er zu Wort kam, wollte Thierry wissen, welche Einnahmen die Vatikanbank zusätzlich aus dem Geschäft verwaltete.
»Ich sehe keinen Grund, das offenzulegen«, erwiderte Kardinal Bretone pikiert.
»Sie wollen mich doch auf Ihre Seite ziehen, oder?«
Der Kardinal zögerte, bevor er wegen fehlender Alternativen schließlich auf die Frage des Anwalts einging. Er erklärte, dass abgesehen von den 25 Prozent Rücklage für den Kredit, der amtierende Fürst jährlich 20 Prozent der Mieteinnahmen kassierte, die Vatikanbank 3 Prozent als Verwaltungsgebühr erhielt, 2 Prozent über viele Ecken an die Erben des Vermittlers flossen und den Volantes 50 Prozent der Einnahmen blieben.
»Sehr lukrativ für alle Beteiligten, vor allem für die Nummer Eins. Wie hoch war der Kredit damals?«
»300 Millionen Dollar. Sie nennen Ihren Mandanten die Nummer Eins?«
»Ist er das nicht? So spricht man in Monaco von ihm, wenn man den Namen nicht erwähnen möchte.«
»Interessant.« Der Kardinal beobachtete, wie Thierry Louron seine Wangen aufblies.
»Aus 300 Millionen sind 4,3 Milliarden geworden? Geduld scheint sich auszuzahlen«, kommentierte er amüsiert.
»Theoretisch 4,3 Milliarden.«
»Hm. Aber es muss doch herauszufinden sein, von wem die Volantes das Geld erhielten? Heute sind 300 Millionen keine ungewöhnliche Summe, aber 1965 war das eine hübsche Stange Geld.«
»Deswegen sitzen wir hier.«
Der Kardinal führte aus, dass damals keine Bank in Europa Kredite in dieser Höhe an Privatpersonen vergeben habe, von Rückzahlungskonditionen über fünfzig Jahren gar nicht zu sprechen. Demzufolge musste es sich um eine Institution oder einen privaten Kreditgeber handeln, der diese enorme Summe in Monaco investiert oder geschickt versteckt hatte. »Wir müssen eine Lösung finden, und zwar ohne Aufsehen zu erregen«, setzte er noch leise nach.
Thierry Louron schritt mittlerweile erregt im Büro auf und ab, rauchte dabei eine weitere Zigarette. »Ich will offen sein. Mich interessieren weder die Probleme der Vatikanbank noch möchte ich in eine derartige Veruntreuung verwickelt sein. Aber die seltene Konstellation, von einem ranghohen Vertreter des Vatikans ins Vertrauen gezogen und um Hilfe gebeten zu werden, stachelt meinen Ehrgeiz an.« Noch im Stehen drückte er die Zigarette aus und verschränkte die Arme vor der Brust. »Kurz überschlagen: Elaine Volante hat 8,6 Milliarden Dollar Mieteinnahmen kassiert. Unvorstellbar.«
Kardinal Bretone nickte.
»Und ihr gehören die Immobilien, abgesehen davon, was sie noch alles in und außerhalb von Monaco besitzt. Vielleicht löst sie das Problem aus der Familienkasse? Die ist mit Bestimmtheit reichlich gefüllt.«
»Ausgeschlossen. Die Dame hat Haare auf den Zähnen, und das meine ich mit allem Respekt.«
»Was dann, Kardinal?«
Jetzt kamen sie endlich zum Knackpunkt. Kardinal Bretone senkte die Stimme bedeutungsvoll. »Elaine Volante weiß, dass 20 Prozent der Einnahmen an das Fürstenhaus fließen. Wollen Sie den Skandal riskieren, dass die Vatikanbank unter Umständen fragwürdige Gelder verwaltet hat, während mit dem anderen Teil des Geldes Monacos Luxuswohnungen gebaut wurden« – er ergänzte, nun seinerseits sarkastisch – »und die Nummer Eins im Gegenzug kräftig für die Baugenehmigung kassiert hat? Das finanzielle Problem liegt auf meiner Seite, das moralische Dilemma und die Gefahr eines politischen Skandals genauso auf der des amtierenden Fürsten.«
Thierry Louron verschlug es zunächst die Sprache, dann konterte er: »Jetzt verstehe ich, warum Sie so weit ausgeholt haben. Diplomatisch eingefädelt, Kardinal. Hinter dem Begriff Vatikanbank verstecken Sie Misswirtschaft und Korruption, ohne jemanden persönlich verantwortlich zu machen. Gleichzeitig steht der Vatikan für die machtvollste religiöse Institution, die man besser nicht angreift. Zusätzlich schüren Sie geschickt die Möglichkeit skandalöser Enthüllungen rund um das Fürstentum. Und nun soll der kleine Anwalt seine Kontakte nutzen und die anrüchige Detektivarbeit erledigen? Im Namen des Heiligen Vaters, der seine Hände in Unschuld wäscht?«
Das anfängliche Geplauder war harten Worten gewichen, Thierrys Gesicht war rot vor Wut.
»Lassen Sie den Zynismus. Muss ich Sie wirklich daran erinnern, dass wir damit Ihrem Klienten helfen, das Ansehen seines Kleinstaats zu schützen? Stellen Sie sich die Schlagzeilen vor, wenn die Presse davon erfahren sollte. Das Problem muss irgendwie gelöst werden.«
»Ein reichlich hypokritischer Ansatz für meinen Geschmack, nachdem vom ›Treuhänder‹ 3 Milliarden Dollar veruntreut wurden. Und Sie fordern obendrein, dass die Opfer ausschließlich von anderen gebracht werden, vor allem von den Volantes.« Thierry Louron, der immer noch stand, stützte die Arme auf den Tisch und beugte sich zu Kardinal Bretone. »Nach Monacos Gesetzgebung kann der Fürst ohne öffentliche Ausschreibung über Bauprojekte entscheiden.« Dann lächelte er süffisant. »Aber ich stimme Ihnen zu, dass diese Details nie an die Öffentlichkeit gelangen dürfen.«
»Danke, Thierry.« Der Kardinal schenkte noch einmal Wein nach. Er hatte geschickt den Rahmen vorgegeben, inzwischen ging es bereits um Feinheiten, und das hatte der Anwalt verstanden.
»Was wissen Sie über die Hierarchie in der Familie Volante? Wer trifft Entscheidungen? Wie können wir gezielt Druck auszuüben?«
»Bewundernswert, wie rasch Ihre Kompetenz und Ihr hoch gelobtes Verhandlungsgeschick aufscheinen«, unterbrach ihn Kardinal Bretone. »Leider kann ich keine der Fragen beantworten. Vielleicht können Sie über Elaine Volantes Anwalt, Jacques Verrier, Einzelheiten in Erfahrung bringen, sozusagen unter Kollegen?«
»Schwierig, Dr. Verrier ist für seine absolute Diskretion bekannt.«
»Dann bleibt mir keine Wahl, als beim nächsten Treffen mit Elaine das Terrain zu sondieren.«
»Auf keinen Fall! Wir müssen uns sofort um die Familie kümmern.«
Der Kardinal schwieg. Er hatte die Eitelkeit des Anwalts durch Komplimente angestachelt, und die Androhung eines Skandals für das Fürstentum hatte das Übrige getan.
Thierry Louron überlegte, zog das Nikotin tief in die Lungen. »Der Fürst entscheidet gerade über die Auftragsvergabe für die Erweiterung von Port Hercule. Es wird die letzte Landaufschüttung im Meer vor Monaco sein. Große internationale Firmen, private Konsortien und die Familie Volante kämpfen hart um diesen lukrativen Auftrag.« Er drückte die Zigarette aus, trank einen Schluck Wein und taxierte den Kardinal ungeniert. »Hier könnte man ansetzen. Eine komplizierte Angelegenheit, aber ich werde versuchen, etwas zu arrangieren. Versprechen kann ich allerdings nichts.«
Kardinal Bretone atmete auf. Sein Informant hatte nicht übertrieben. Thierry Louron liebte politische Pokerspiele und hatte längst durchschaut, dass bei den schwindelerregenden Summen auch für ihn garantiert etwas herausspringen würde. Ein Intrigant par excellence. Aber die Geschichte kam in seinem Sinne ins Rollen ...