Читать книгу Monaco Enigma - Berit Paton Reid - Страница 17

12 Vergangenheit Montag, 24. Februar 2014

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An Montag spürte Elaine, wie ihre Energie langsam zurückkehrte. War dies nur ein psychologischer Effekt, der auf dem Prinzip Hoffnung beruhte, oder sollte nach der Behandlung in der Schweiz tatsächlich eine Besserung eingetreten sein? Um die Kur optimal weiterzuführen, musste sie sich einmal in der Woche ein speziell für sie hergestelltes Präparat intramuskulär spritzen lassen. Da Elaine ihre Krankheit um jeden Preis geheim halten wollte, konnte sie dafür keine Praxis in Monaco aufsuchen. Sie war zu bekannt, und früher oder später würde jemand vom Personal reden. Ihr Arzt fand schließlich einen Kollegen in San Remo, eine knappe Autostunde von Monaco entfernt.

Ausgerechnet San Remo.

Ihr Großvater stammte aus Bussana Vecchia, einem Bergdorf, das heute zu San Remo gehörte. Als Elaine neun Jahre alt gewesen war, hatte er ihr sein Dorf gezeigt. Nur dunkel entsann sie sich an eingefallene Häuser, aus denen Gras wucherte, herumstreunende Katzen und eine eigenartige Stimmung, die sie damals ängstigte. Nur an den ungewöhnlichen Duft, eine Mischung aus Thymian, kaltem Stein und Oliven erinnerte sie sich ohne Gänsehaut.

Vor zwei Tagen hatte sich Elaine das erste Mal von ihrem Chauffeur Ahmad zur Behandlung fahren lassen. Danach unternahm sie spontan einen Abstecher nach Bussana Vecchia. Elaine, die ihren Großvater sehr verehrte, wollte noch einmal zu den Wurzeln der Familie zurückkehren.

Selbst als geübter Fahrer hatte Ahmad Schwierigkeiten, den Mercedes um die steil ansteigenden Haarnadelkurven zu lenken. Einige Male musste er zurücksetzen, der Radius war einfach zu eng.

Kaum war Elaine ausgestiegen, roch sie ihn wieder – diesen besonderen Duft. Am Ortseingang lief sie an einem kleinen Café vorbei, auf dessen Terrasse Touristen unter bunten Sonnenschirmen ihren Cappuccino genossen. Leger in eine dunkelblaue Hose, Ballerinas und Strickjacke gekleidet, spazierte Elaine durch das verschlafene Örtchen und dachte an ihren Großvater.

Bei ihrem einzigen Besuch hier hatte er ihr erzählt, dass das Dorf 1887 von einem Erdbeben fast völlig zerstört worden war. Seine Eltern und Geschwister starben an dem Tag. Nur der glückliche Umstand, dass er einige Jahre zuvor in Monaco Arbeit gefunden hatte, rettete ihm das Leben.

Elaine wollte wie damals den Glockenturm der Kirche besichtigen, der auf wundersame Weise das Erdbeben überstanden hatte. Sie atmete schwer, als sie den unebenen Weg hinauf ins Dorfzentrum spazierte. War er seinerzeit auch so steil gewesen?

Ihre Neugier zog sie weiter. In den verwinkelten Gassen entdeckte sie winzige Galerien, überall werkelte man in künstlerischen Ateliers. Die kleinen Vorgärten waren liebevoll mit bunten Blumenkübeln und gemusterten Fliesen verziert. Jemand hatte aus Muscheln und Tonscherben ein Windspiel gebastelt, das leise klimperte. Hinter einem Efeu versteckt, spürte Elaine eine Madonna auf, was sie als positives Zeichen deutete. Und über allem schwebte etwas Geheimnisvolles. Lag es an den wild bewachsenen Ruinen, deren Steine Geschichten zu flüstern schienen, oder an den Nebelschwaden, die sich noch nicht über den Berghängen gelüftet hatten?

Als sie schnaufend um eine Hausecke bog, funkelten sie plötzlich grüne Augen an. Eine dicke Katze verteidigte ihr Revier. Elaine blieb lächelnd stehen, woraufhin die Katze sich sogleich wohlig auf der Fensterbank ausstreckte. Genau wie damals und doch anders.

Dann hörte sie ein altes französisches Chanson, das sie liebte. Sie folgte der Melodie, stieg vorsichtig die schiefe Treppe eines halb verfallenen Hauses hinauf, vor dem ein handbemaltes Schild „Galerie offen“ baumelte, und betrat einen unerwartet großen, von Tageslicht durchfluteten Raum. Ein wundervoller Platz zum Malen, dachte sie und sang leise den Refrain mit: »Et si tu n’existais pas dis-moi pourquoi j’existerais ...«

»Singen Sie ruhig ein bisschen lauter, Ihre Stimme klingt entzückend«, begrüßte sie der Maler und schaute lächelnd hinter seiner Staffelei hervor. Er lud Elaine ein, sich umzuschauen und verzog sich wieder hinter seine Leinwand.

Elaine, die die großen Kunstgalerien der Welt besucht hatte, fühlte sich in dem chaotischen Mix verschiedenster Kunstrichtungen zunächst verloren. Trotzdem betrachtete sie die Bilder und summte die französischen Oldies mit, bis der Maler zu ihr trat, sich die Hände an einem Tuch abwischte und über die Geschichten hinter seinen Bildern zu sprechen begann.

Elaines Blick blieb an einem kleinen Ölgemälde hängen, das Umrisse von Menschen zeigte. Ganz in Beige gemalt, lagen, standen oder hingen sie kreuz und quer übereinander. Jeder für sich allein und dennoch miteinander verbunden, weil sie sich berührten und so ein Ganzes bildeten. Wie im wahren Leben, dachte Elaine. Nur eine einzige Figur am rechten Rand hob sich ab. Sie war in Blau gehalten. Ihrer Lieblingsfarbe.

Vor wenigen Wochen noch hätte sie dieses Bild wahrscheinlich kitschig gefunden. Heute kaufte sie aus der Laune heraus und akzeptierte den Preis sofort. Es kostete ohnehin nur wenige Hundert Euro.

Dann gestand Elaine dem Maler, dass die Familie ihres Großvaters vor dem Erdbeben hier gelebt hatte und sie als kleines Mädchen Ende der Vierzigerjahre das damalige Geisterdorf besucht habe.

Der Maler, der seit fünfundzwanzig Jahren hier wohnte, erzählte, wie sich in den Sechzigern Hippies in dem verfallenen Teil des Dorfs niedergelassen hatten. »Können Sie glauben, dass die romantische Idee vom einsamen Bergdorf, in dem man friedlich, von der Natur inspiriert und in Harmonie mit der Welt seinen künstlerischen Talenten nachgehen konnte, dem Ort eine Wiedergeburt bescherte?«

»Das kann ich mir sogar gut vorstellen. Die Flower-Power-Zeit folgte eigenen Gesetzen. Wer kam zuerst?«

»Maler und Bildhauer. Das hat sich in der Szene herumgesprochen, und Musiker, Schriftsteller und Aussteiger gesellten sich zu ihnen.« Er rollte listig mit den Augen.

»Wie spannend«, bemerkte Elaine. »Auf meinem Weg sind mir die einfachen, aber liebevoll hergerichteten Häuser aufgefallen. Ich möchte noch den Glockenturm besichtigen.«

»Und die meisten haben ihre Häuser fast nur mit ihren Händen und viel Fantasie geschaffen. Naja, manchmal geht’s hier schon chaotisch zu, aber irgendwie funktioniert es, und das bei sechzig Nationalitäten!«

Elaine lächelte. »Unglaublich. Man spürt die spezielle Energie, wenn man mit Muße durch die Gassen geht. Ein Dorf wie nicht von dieser Welt.«

»Das trifft es«, sagte der Maler und verschränkte lässig die Arme vor der Brust. »Deswegen besuchen uns täglich andere Menschen, die fasziniert sind, so wie Sie.«

Jetzt hielt Elaine sein Bild an verschiedene Stellen im Büro und überlegte, wo sie es aufhängen sollte. Das Gespräch in Bussana Vecchia, das sie liebevoll Hippie-Dorf getauft hatte, ging ihr nicht aus dem Kopf.

Ein bisschen von der Leichtigkeit des Seins des Malers dort würde mir auch guttun, dachte sie. Er lebte so einfach, schien aber glücklich. Warum belaste ich mich mit Dingen, die inzwischen ihren Wert verloren haben?

Elaine legte das Bild zurück auf den Schreibtisch und setzte sich. Sie dachte an Jacques Verrier und wie traurig er sich beim letzten Treffen verabschiedet hatte. Sollte sie ihn anrufen? War es nicht an der Zeit, für die letzten Monate einen Plan zu schmieden und das Leben noch ein bisschen zu genießen, bevor es ihr entglitt?


Elaine wollte gerade das Büro verlassen und für eine halbe Stunde mit ihrem Hund Belle Gassi gehen, als das Telefon klingelte. Ihr Terminplan an diesem Nachmittag war eng. Sie zögerte, nahm dann doch ab.

»Guten Tag, Madame Volante, Cedric Dardenne.«

Es dauerte eine Sekunde, ehe sie sich an ein Gesicht zu dem Namen erinnerte. Cedric Dardenne war ein Schulfreund ihres Sohnes, den er vor Jahren als Ingenieur eingestellt hatte. Inzwischen war Cedric zu seiner rechten Hand im Geschäft aufgestiegen. Seit Alessandros Unfall leitete er die Firma, und Elaine schätzte den zuverlässigen Monegassen.

»Hallo Cedric, wie geht es dir?«

»Gut, danke.« Er entschuldigte sich für die Störung und bat Elaine um ein kurzfristiges Treffen. Es ginge um die Firma und wäre wichtig.

Das durchkreuzte Elaines Plan, trotzdem fragte sie Cedric, wann er im Büro sein könnte.

»Ich stehe vor dem Gebäude.«

»Dann komm rauf, ich gebe der Sekretärin Bescheid.«

Fünf Minuten später saßen sich beide gegenüber.

»Geht es Alessandro besser? Ich würde ihn gern besuchen.«

»Ich schätze deine Anteilnahme, aber mein Sohn möchte in seinem Zustand nicht besucht werden. Es geht ihm aber besser, und die Ärzte sind zuversichtlich, dass er vollständig genesen wird. Vielleicht in ein paar Wochen?«

»Okay. Endlich mal eine gute Nachricht«, sagte Cedric erleichtert und erkundigte sich, wann Alessandro vorraussichtlich ins Geschäft zurückkommen würde.

»In diesem Jahr wohl nicht mehr.«

»Wir haben erst Ende Februar.« Sein Lächeln fror ein.

»Jetzt schau doch nicht so betrübt. Ich hoffe auch, dass Alessandro schneller Fortschritte macht, aber bis er wieder der Alte sein wird, seine Firma führen und um die Welt fliegen kann, vergehen mit Sicherheit noch Monate. Was gibt es für Probleme?«

Cedric nestelte verlegen an seinem Hemdkragen, als er gestand, die Gehälter der Angestellten nur noch bis Juni bezahlen zu können.

»Wie bitte? Hatte Alessandro die Finanzierung nicht für mindestens ein Jahr gesichert?«

»Das war vor dem Unfall. Sein Partner aus Hollywood hatte 50 Millionen Dollar zugesagt, aber leider bisher nur 25 bezahlt. Er möchte jetzt eine Garantie, dass die Firma weiterläuft, und zwar mit Alessandro.«

»So?« Elaine zog besorgt eine Augenbraue nach oben. »Und wer soll ihm die geben? Der Arzt oder ich?«

»Er meinte, wenn der überfällige Anteil von Alessandro endlich einbezahlt würde, wäre das ein Signal.«

»Welcher Anteil?«

»Das wissen Sie nicht?«

»Sonst würde ich doch nicht fragen.«

Nun beichtete er, dass Alessandro 50 Millionen Euro frisches Kapital für letzten September versprochen hatte und fuhr sich nervös durch die Haare. »Mit 100 Millionen wären wir für drei Jahre versorgt gewesen, und bis dahin schreiben wir garantiert schwarze Zahlen.«

»Moment mal, auf welcher Basis hat mein Sohn diese Summe zugesagt?«

»Das kann ich nicht sagen.«

»Besprecht ihr keine Firmenstrategie, einschließlich Finanzen und Liquidität?«

»Alessandro ließ sich da nicht in die Karten schauen.«

»Verstehe. Und nun wackelt das Modell?«

»Es schwankt ... Außerdem sind Lieferverträge zu unterschreiben.«

Elaine seufzte, stand auf, öffnete eine Flasche Wasser und schenkte es in zwei Gläser ein. Eins schob sie zu Cedric und fragte, was er von ihr erwarte. Es lag auf der Hand, aber sie wollte es aus seinem Mund hören.

»Naja, ehrlich gesagt hoffte ich, Sie könnten Alessandros Zusage einlösen. Für seinen Schlaganfall kann er doch nichts.«

»Das steht auf einem anderen Blatt. 50 Millionen sind eine Menge.«

»Sicher. Aber soll ich weitermachen, als ob nichts passiert wäre, und erst zu Ihnen kommen, wenn es zu spät ist?«

»Nein.« Elaine setzte sich wieder und fragte Cedric, ob er ernsthaft an eine Zukunft in diesem Geschäft glaube. Soweit sie Einblick habe, verlieren die wenigen Firmen, die Elektroautos entwickeln, Jahr für Jahr viel Geld.

»Madame Volante, Alessandros Firma ist ein Vorreiter in moderner, umweltfreundlicher Technologie im Automobilsektor in Europa, und wenn wir ...«

»Cedric«, unterbrach sie ihn und schaute auf die Uhr, »ich ver­stehe wenig von Autos, aber viel von Psychologie. Du glaubst also daran?«

»Natürlich.«

»Übt der Investor Druck auf dich aus?«

»Wie meinen Sie das?«

»Wie ich es gesagt habe.«

Cedric knackte die Finger seiner rechten Hand mit dem Ballen der linken. »Das geht nun schon fast sieben Monate«, gab er schließlich zu. »Alessandro musste seit letztem September jeden Monat eine andere Ausrede finden.«

»Wurde unser berühmter Schauspieler mit dem italienischen Namen unruhig, als Alessandros Zahlung nicht einging?«

»Ja. Und jetzt befürchtet er, dass die Firma den Bach runtergehen könnte.« Cedric schaute auf den Boden, als er seinen Verdacht äußerte, dass der Investor nicht den gesamten Betrag allein aufgebacht hätte.

Elaine lehnte sich erstaunt im Sessel zurück, überlegte. »Verstehe ich richtig, dass du nicht aussprechen willst, was wir beide vermuten?«

Cedric reagierte nicht.

Was soll er darauf auch antworten, dachte Elaine, die seine schwierige Lage verstand. Deswegen wechselte sie das Thema und fragte, warum die Firma ein Angebot für die am härtesten umkämpfte Projektentwicklung in Port Hercule abgegeben hatte. »Das liegt doch gar nicht eurem Geschäftsfeld? Ihr seid gegen internationale Großkonzerne und sogar gegen meinen Bruder angetreten, was mir unverständlich ist. Nur schon die Erstellung der Proposition hat sicher einen zweistelligen Millionenbetrag verschlungen.«

»Das hing mit dem Kredit zusammen. Die Studie wurde von einer Firmengruppe des Investors erstellt und nur in Alessandros Namen abgegeben. Wie Sie richtig gesagt haben, hätten wir uns die Teilnahme an der Ausschreibung nicht leisten können.«

»Jetzt wird mir manches klar. Vor allem, warum mein Sohn seit Monaten unter riesigem Stress stand. Der Schlaganfall war kein Zufall ... Mein Gott, Cedric, befindet ihr euch in den Fängen der italienischen Mafia?«

»Madame, bisher ist es nur eine Vermutung. Vielleicht können Sie mit Alessandro reden. Ich kann das Kerngeschäft allein betreuen, aber bei den Finanzen brauche ich Ihre Hilfe.« Entschuldigend fügte Cedric hinzu, erst Einblick in die komplizierten Zusammenhänge bekommen zu haben, nachdem er voübergehend die Leitung übernommen hatte. »Firmenstruktur, Partner oder Investoren managte Alessandro vorher allein. Bitte glauben Sie mir.«

»Sofort.« Sie seufzte. »Alle Volante-Männer halten die Fäden allein in der Hand – bis sie reißen. Liege ich mit meiner Vermutung was die Mafia betrifft richtig, wird es nie wieder aufhören. Verstehst du das, Cedric? Nie! Wirst auch du persönlich unter Druck gesetzt?« Elaine schaute ihn durchdringend an, und Cedric wich ihrem Blick aus.

»Pass auf« sagte Elaine ungewohnt scharf, »du brauchst meine Hilfe, und dafür verlange ich Offenheit!«

Cedric nickte. »Es ist mir unangenehm darüber zu reden, aber Alessandros Frau kam Ende Januar aufgelöst zu mir. Am liebsten wäre sie sofort mit den Kindern abgetaucht, wusste aber nicht wohin ...« Jetzt schaute er Elaine beschämt an. »Also spielte sie die ahnungslose Gattin, auch um Alessandro zu schützen.«

»Ist Fiona wirklich ahnungslos?“

»Das weiß ich wirklich nicht. Mir hat sie nur erzählt, dass sich ein Paar als die Leonardos vorgestellt und verlangt hat, dass Alessandros Anteil schnellstens bezahlt wird. Wir wollten ihn abschirmen, bis er die Dinge wieder selbst regeln kann. Uns bleibt aber kein halbes Jahr. Fiona hat Angst und weiß nicht, wie alles weitergehen soll.«

»Haben die Leonardos gesagt, wann sie wiederkommen?«

»Nicht so bald, hoffe ich.«

»Cedric, Cedric«, seufzte Elaine. »Warum bist du nicht eher zu mir gekommen? Stell mir bitte umgehend die Finanzen der Firma zusammen. Als Ausdruck, nicht als E-Mail. Ich werde mich bei dir melden, nachdem ich mit Alessandro gesprochen habe.«

Ein Hoffnungsschimmer glomm in Cedrics Augen. »Ich schätze es sehr, dass Sie uns helfen, aber ohne Alessandros Zustimmung darf ich keine Bilanzen herausgeben.«

»Cedric, ich verstehe, dass du in einer Zwickmühle steckst. Aber hab den Schneid, eigenständig auch schwierige Entscheidungen zu treffen.Du leitest das Geschäft! Unserem Hollywood-Star erzählst du bitte eine gute Geschichte, denn für ihn gilt wie für uns: The Show must go on.«

Monaco Enigma

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