Читать книгу 101 deutsche Orte, die man gesehen haben muss - Bernd Imgrund - Страница 19
11 DAS BRANDENBURGER TOR
ОглавлениеDie „Retourkutsche“ vom Pariser Platz
Wer hier am falschen Tag erscheint, den fegt der Wind hinfort, der den weiten Pariser Platz durchrauscht. Und eine echte Sehenswürdigkeit im Sinne des Wortes besucht er hier auch nicht. Das Brandenburger Tor sieht zwar ziemlich griechisch aus, ist aber in Wirklichkeit ein Produkt des preußischen Klassizismus. Friedrich Wilhelm II. hatte die barocken Vorlieben seines Onkels, Friedrichs des Großen, hinter sich gelassen und sich stattdessen der Antike zugewandt. Als monumentalen Abschluss des Prachtboulevards Unter den Linden hatte der König ein Tor ähnlich den Propyläen im Sinn, die den heiligen Bezirk der Athener Akropolis abschirmen. Und so entstand 1788–91 ein 26 m hoher, 65 m breiter und elf Meter tiefer Sandsteinriegel auf dorischen Säulen.
Was das Brandenburger Tor dennoch zu einem touristischen „Muss“ macht, ist sein symbolischer Gehalt. Vor allem das 20. Jh. sah das Bauwerk nicht selten im Zentrum historischer Umwälzungen, die alle keineswegs zufällig dort zelebriert wurden. So marschierte hier am 30. Januar 1933 ein Fackelzug der SA hindurch, um die nationalsozialistische „Machtergreifung“ zu feiern. Mit dem Bau der Berliner Mauer ab 1961 stand das Tor plötzlich einsam und verlassen im Sperrgebiet. „Open this gate!“, „Tear down that wall!“ forderte der US-Präsident Ronald Reagan zum Abschluss seiner berühmten Rede vom 12. Juni 1987 mit Blick auf Mauer und Tor. Und zwei Jahre später war es dann bekanntlich so weit: Die Mauer fiel, das Tor ging auf, Deutschland war wieder vereint.
Nur die Hälfte wert wäre das Brandenburger Tor ohne seine krönende Quadriga: Siegesgöttin Viktoria jagt, von vier Rossen gezogen, mit einem Streitwagen in die Stadt hinein. Mit ihr verbindet sich auch der früheste nationale Tor-Triumph: Napoleon hatte das „Viergespann“ 1806 nach dem Sieg über die Preußen bei Jena und Auerstedt nach Paris bringen lassen. Aber schon 1814 gelangte die heldenhafte Wagenlenkerin mit den Truppen Blüchers und unter dem Jubel der Bevölkerung zurück in die Hauptstadt. Und darum trägt dieses Kunstwerk im Berliner Volksmund auch noch einen zweiten Namen: die Retourkutsche.