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3. Restriktion der ärztlichen Aufklärungslast

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Lehnt man die Anwendung der hypothetischen Einwilligung im Arztstrafrecht aus grundsätzlichen Erwägungen ab, so könnte hiermit die Gefahr verbunden sein, dass der Sanktionierungsbereich des Strafrechts denjenigen des Zivilrechts überschreitet: Der betroffene Arzt würde zwar zivilrechtlich von Haftung freigestellt, bliebe hingegen strafrechtlich verantwortlich.[800] Es müssen also andere Wege beschritten werden,[801] um die zivilgerichtlich weit ausdifferenzierte ärztliche Aufklärungslast im Strafrecht zurückzuschneiden.[802] Hierzu biete es sich an, die Grenzen gebotener ärztlicher Aufklärung im Strafrecht angemessen restriktiv zu bestimmen.[803] Hiermit knüpft man an die häufig vernachlässigte ultima ratio-Funktion des Strafrechts – verfassungsrechtlich ausgedrückt: an das Verhältnismäßigkeitsprinzip[804] – an. Dies führt im Arztstrafrecht dazu, die schadensersatzorientierten Haftungsprinzipien des Zivilrechts nicht unbesehen zur Bestimmung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit heranzuziehen. Dies ist schon deshalb naheliegend, weil es im Strafrecht nicht um den Ausgleich materieller Interessen eines schwer geschädigten Patienten auf der einen Seite, eines wirtschaftlich potenten Krankenhausträgers (bzw. eines ebensolchen Versicherungsunternehmens) auf der anderen Seite, geht. Im Strafrecht steht hingegen [805]die mit sozialethischer Missbilligung verbundene Verurteilung des behandelnden Arztes als Individuum im Mittelpunkt. Deshalb ist es geboten, der in der zivilgerichtlichen Praxis erkennbaren Neigung zu einer richterlichen Fortune-Korrektur durch Anwendung der Aufklärungsrüge anstelle eines Kunstfehlernachweises[806] entgegenzutreten.

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In diesem Zusammenhang ist an die Entscheidung des 2. Strafsenats in seiner bekannten Lederspray-Entscheidung zu erinnern, in der er ausgeführt hat, dass im Rahmen strafrechtlicher Produzentenverantwortlichkeit zwar „manches dafür [spricht], daß dieselben Pflichten, die für die zivilrechtliche Produkthaftung maßgebend sind, auch die Grundlage strafrechtlicher Verantwortlichkeit bilden …. Andererseits dürfen die schadensersatzorientierten Haftungsprinzipien des Zivilrechts nicht unbesehen zur Bestimmung strafrechtlicher Verantwortlichkeit benutzt werden.“[807] Hierbei kann es dann wie im Bereich von § 266 StGB[808] zu einer limitierten Zivilrechtsakzessorietät des Strafrechts kommen.[809] Bei der Untreue einerseits, der Reichweite der für eine wirksame Einwilligung gebotenen ärztlichen Aufklärung andererseits, handelt es sich um einen von der gesetzten Rechtsordnung nicht klar vorstrukturierten Bereich. Auch im arztstrafrechtlichen Zusammenhang geht es um die hinreichende Präzisierung strafrechtlich abgesicherter Handlungsvorgaben: Ein zivilrechtlich materiell erlaubtes bzw. als noch vertretbar eingestuftes Verhalten darf zwar strafrechtlich nicht sanktioniert werden.[810] Umgekehrt gilt diese Gleichsetzung von Zivil- und Strafrecht aber nicht. Angesichts des Subsidiaritätsprinzips (ultima ratio-Grundsatz) für den Einsatz des Strafrechts muss das Strafrecht nicht all das ahnden, was vom Zivilrecht missbilligt wird. Es gilt also ebenso wie bei § 266 StGB[811] ein strafrechtsautonomes Kriterium für die einschränkende Konkretisierung zu entwickeln.[812]

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