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2. Vorschläge zur gegenwärtigen Rechtslage

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Während die Rechtsprechung zum Arzthaftungsrecht[721] eine Restriktion der Behandlungsfehlerhaftung ablehnt,[722] finden sich in der Literatur auch de lege lata zahlreiche Vorschläge,[723] um die unter dem Gesichtspunkt hinreichender Bestimmtheit (Art. 103 Abs. 2 GG) ohnehin keineswegs unproblematische Fahrlässigkeitsstrafbarkeit[724] im Wege zulässiger verfassungskonformer Auslegung[725] zu legitimieren. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie Strafbarkeit nur dann vorsehen, wenn der prospektive Fahrlässigkeitstäter ex ante klar hätte erkennen können, wo die Grenze des für ihn erlaubten Risikos liegt und die Fahrlässigkeitsstrafbarkeit beginnt:[726] Während Schlüchter[727] sich dafür ausgesprochen hat, nur bei offensichtlicher und rücksichtsloser Überschreitung des erlaubten Risikos zu bestrafen, soll nach Mikus[728] die offene Verhaltensnorm des Fahrlässigkeitsdelikts durch rechtliche Regelungen oder hinreichend präzise gesellschaftliche Verhaltenserwartungen konturiert werden;[729] bei Lebensbereichen hingegen, bei denen dies nicht der Fall sei, bestünde für den Handelnden ein Beurteilungsspielraum: Von ihm könne dann nicht ein einzig richtiges, sondern eben nur ein verantwortungsbewusst vertretbares Verhalten verlangt werden.[730] Zu einer Restriktion der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit gelangt auch Duttge[731] mittels des von ihm präferierten fahrlässigkeitsspezifischen „Veranlassungsmoments“: Für ihn ist Gegenstand des Vorwurfs ein Zuwiderhandeln gegen das Verbot, trotz individuell erkennbaren triftigen Anlasses von dem Verhaltensverlauf in Richtung Rechtsgutsbeeinträchtigung nicht oder nicht rechtzeitig Abstand genommen zu haben.[732] Auf der Grundlage dieser hier nur angedeuteten Überlegungen wird dem Umstand Rechnung getragen, dass in bestimmten Lebensbereichen (etwa im Straßenverkehr, aber eben auch bei ärztlicher Tätigkeit) angesichts ihrer „Schadensgeneigtheit“[733] auch für den gewissenhaftesten Bürger auf die längere Sicht betrachtet Fehlhandlungen geradezu unvermeidlich sind. Diese Fehlleistungen sind – isoliert betrachtet – zwar je für sich vermeidbar, können aber auch dem grundsätzlich sehr sorgfältig Agierenden unterlaufen und sind aufs Ganze der Lebensführung betrachtet unvermeidlich: Lebenslange maschinenhafte Präzision kann und darf[734] die Rechtsordnung nicht verlangen.[735] Würde diesem Gesichtspunkt nicht materiell-strafrechtlich[736] Rechnung getragen, dann liefe dies auf eine das Strafrecht letztlich diskreditierende[737] verschämte Zufallshaftung[738] hinaus. Wie bei der Produkthaftung[739] kommt auch bei der strafrechtlichen Arzthaftung für Behandlungsfehler eine strafbarkeitsbegründende Orientierung an einer vorstrafrechtlichen Verhaltensordnung nur dann in Betracht, wenn sie auch unter dem Blickwinkel eines strafbewehrten Rechtsgüterschutzes als angemessene Freiheitsverteilung begriffen werden kann: Die strafrechtliche Sorgfaltspflicht dient der Zurechnung strafrechtlicher Verantwortlichkeit für die Folgen grob sozialwidrigen Verhaltens, während das Zivilrecht im Allgemeinen bei Schadensfällen auf den Ausgleich von Vermögensschäden abzielt[740] und überdies auch von einer durch wirtschaftliche Leistungsfähigkeit (der Waren-Produzenten bzw. des Krankenhausbetriebs) sowie Versicherbarkeit des Schadensrisikos geprägten Risikozuschreibung ausgeht.

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