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1. Okkupation
ОглавлениеBei der Okkupation erfolgt der Gebietserwerb durch die Inbesitznahme eines nicht zum Territorium eines anderen Staates gehörenden Landgebiets mit Aneignungswillen. Die Okkupation ist damit ein Fall originären Gebietserwerbs. Das anzueignende Gebiet muss herrenlos sein, d. h. es war bislang entweder unbekannt oder aber ist vom bisherigen Souverän aufgegeben worden (sog. Dereliktion). Eine Okkupation ist nur möglich hinsichtlich eines Landgebiets; der über einer Landmasse befindliche Luftraum, die dem Land vorgelagerten Küstengewässer sowie der Kontinentalschelf können nicht gesondert okkupiert werden, sondern folgen in ihrer Zuordnung dem jeweiligen Landgebiet. Teilweise ist vertreten worden, die Okkupation des Küstenstreifens erfasse automatisch auch das angrenzende Hinterland, allgemein durchgesetzt hat sich diese sog. Hinterland-Doktrin jedoch nicht. Einem Okkupationsverbot unterliegen staatsfreie Räume (res communis omnium), also die → Hohe See (Art. 89 SRÜ; Sart. II, Nr. 350) sowie der Weltraum einschließlich dortiger Himmelskörper (Art. II des Weltraumvertrags von 1967; Sart. II, Nr. 395) ( → Weltraumrecht); zu den Polargebieten s. III. 2.
In objektiver Hinsicht verlangt die Okkupation die tatsächliche Ausübung von Hoheitsgewalt über ein bestimmtes Gebiet. Die Okkupation folgt damit dem → Effektivitätsprinzip. Die daran zu stellenden Anforderungen sind im Laufe der Jahrhunderte gestiegen. Zwar führte die bloße Entdeckung auch im 16. Jh. nicht als solche zum Gebietserwerb, ausreichend waren aber Akte eher symbolischer Art wie das Hissen einer Flagge oder das Verlesen einer Erklärung. Im Zeitalter des Kolonialismus führten hingegen konkurrierende Gebietsansprüche der Kolonialmächte dazu, dass die Anforderungen an die effektive Inbesitznahme stiegen. Dies kommt etwa in Art. 35 der Berliner Kongo-Akte von 1885 (RGBl. 1885, S. 215) zum Ausdruck, wo von der Verpflichtung die Rede ist, in den besetzten afrikanischen Gebieten „das Vorhandensein einer Obrigkeit zu sichern, welche hinreicht, um erworbene Rechte und, gegebenenfalls, die Handels- und Durchgangsfreiheit […] zu schützen“. In demselben Sinne stellte der Präsident des StIGH, Max Huber, als Schiedsrichter im Palmas-Fall auf das Prinzip der „continuous and peaceful display of the functions of State within a given region“ ab (ZaöRV 1 (1929), Teil 2, S. 3 [17]). Die vormalige Entdeckung eines Gebiets blieb zwar auch weiterhin nicht völlig bedeutungslos, aus ihr folgte jedoch lediglich eine Art Anwartschaftsrecht (sog. inchoate title), welches nachfolgend durch die effektive Inbesitznahme ausgeübt worden sein musste. Allgemein bestimmt sich das Ausmaß der erforderlichen Herrschaftsausübung nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls. So sind bei einem nur schwer zugänglichen oder nur dünn besiedelten Gebiet geringere Anforderungen zu stellen als in sonstigen Fällen. Die Abgabe einer Okkupationserklärung ist grds. nicht erforderlich (siehe aber Art. 34 der Berliner Kongo-Akte), zur Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten jedoch sinnvoll.
In subjektiver Hinsicht verlangt die Okkupation das Vorliegen eines Aneignungswillens (animus occupandi) auf Seiten des Staates. Die Inbesitznahme eines Gebiets durch die eigenen Staatsangehörigen genügt als solche hierfür nicht, erforderlich ist vielmehr, dass die betreffenden Individuen oder Handelsgesellschaften im Auftrag des Staates gehandelt haben. Der staatliche Wille muss ferner auf Gebietserwerb ausgerichtet sein, so dass der Wille, ein Protektorat, eine Interessensphäre oder eine Treuhandgebiet zu errichten, ebenfalls nicht genügen.
Nicht zu verwechseln ist die Okkupation als Erwerbstitel mit der kriegerischen Besetzung (occupatio bellica), aus ihr folgt gerade kein Recht zum Gebietserwerb.