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IV. Bewertung
ОглавлениеDie AMRK und ihr Schutzsystem haben einen wichtigen Beitrag nicht nur zur Förderung und Durchsetzung der Menschenrechte, sondern auch zur Entwicklung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Süd- und Mittelamerika geleistet. Die Schwierigkeiten, mit denen die Region zu kämpfen hat, vor allem Armut, soziale Segregation, Diktaturen, häufige politische Unruhen und allgemein die Probleme der rechtsstaatlichen Institutionen, spiegeln sich in der Rechtsprechung wider. Die wichtigsten Themenkomplexe, mit denen sich Gerichtshof und Kommission vor allem in den ersten zwei Jahrzehnten ihres Bestehens befassten, waren das gewaltsame Verschwindenlassen, bewaffnete Konflikte, Verfahren vor Militärgerichten und Straflosigkeit. Immer noch von großer Bedeutung sind Verfahren betreffend die Tätigkeit von Vollstreckungsorganen, bzgl. der Haftbedingungen sowie solche hinsichtlich der Rechte indigener Völker. Immer wieder haben Kommission und Gerichtshof den besonderen Charakter der AMRK als menschenrechtlicher Vertrag und den Grundsatz des effet utile betont, und damit auch eine extensive Auslegung begründet. Damit hat die Rechtsprechung insbesondere des Gerichtshofs Anstoß für die Weiterentwicklung der Rechtsprechung und des Menschenrechtsstandards in den Mitgliedstaaten der OAS und darüber hinaus gegeben.
Institutionell lässt sich in gleicher Weise ein Entwicklungsprozess erkennen. Lag der Arbeitsschwerpunkt der IAMRK in den ersten Jahren auf dem direkten Kontakt mit den Mitgliedstaaten, den sie vor allem durch Vor-Ort-Besuche und die Berichtstätigkeit ausübte, so stellt heute die Bearbeitung der Individualbeschwerden einen immer größer werdenden Teil ihrer Tätigkeit dar. Angesichts der beschränkten personellen und finanziellen Ressourcen und der steigenden Zahl von Beschwerden – 2010 gingen 1598 Beschwerden bei der IAMRK ein, eine Verdreifachung gegenüber 1997 – gerät das System an seine Grenzen, mit entsprechenden Auswirkungen auf die Verfahrensdauer. Für den Gerichtshof gilt ähnliches.
Kritisch beurteilt wird noch immer, dass der Individualbeschwerdeführer keinen direkten Zugang zum Gerichtshof hat, sondern dies eine stattgebende Entscheidung der IAMRK voraussetzt. Praktisch bedeutet dies jedoch eine nur geringe Einschränkung der Effektivität des Rechtsschutzes. Nur Fälle, die die IAMRK für unzulässig oder unbegründet erklärt hat, erreichen den Gerichtshof nicht und unterliegen auch sonst keiner weiteren Behandlung. Insoweit kann die IAMRK noch immer den Zugang zum Gerichtshof beschränken. Die Maßnahmen der letzten Jahrzehnte, namentlich der weitestgehend faktische Automatismus der Vorlage an den Gerichtshof seit 2001, haben hier Abhilfe geschaffen. Reformbestrebungen hinsichtlich einer Abschaffung dieser Zweistufigkeit und zur Steigerung der Effizienz der Konventionsorgane bestehen im Übrigen weiterhin.