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IV. Anerkennung von Regierungen
ОглавлениеDer Wechsel einer Regierung lässt die Identität des betreffenden Staates als Völkerrechtssubjekt unberührt. Ob der Regierungswechsel unter Wahrung des innerstaatlichen Verfassungsrechts zustande gekommen ist oder nicht, ist aus der Sicht des Völkerrechts grds. irrelevant. Insbesondere nach revolutionären Ereignissen, in deren Verlauf nicht selten zwei oder mehr konkurrierende Regierungen auftreten, kann sich für die Staatengemeinschaft aber die Frage nach der Anerkennung einer Regierung stellen. Das Völkerrecht folgt insoweit maßgeblich dem → Effektivitätsprinzip, indem diejenige Regierung anerkannt wird, die die effektive Gewalt ausübt. Die nach dem früheren ecuadorianischen Außenminister benannte Tobar-Doktrin, der zufolge sich die Staaten verpflichten sollten, keine Regierung anzuerkennen, die auf illegale Art und Weise an die Macht gekommen ist, hat sich nicht durchgesetzt. Demgegenüber betrachtet die Estrada-Doktrin (benannt nach dem früheren mexikanischen Außenminister) die Anerkennung einer anderen Regierung als ein Werturteil über dieselbe und deshalb als eine unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten. Wegen der damit verbundenen Schwierigkeiten sind mehrere Staaten, darunter Deutschland und das Vereinigte Königreich, dazu übergegangen, keine isolierten Anerkennungen von Regierungen mehr auszusprechen.
Vor diesem Hintergrund ist das Verhalten der Staatengemeinschaft im Fall des Sturzes des libyschen Machthabers Gaddafi interessant. Der deutsche Außenminister bezeichnete im Juni 2011 den aus Rebellen bestehenden Nationalen Übergangsrat lediglich als „legitime Vertretung des libyschen Volkes“ (nicht: des libyschen Staates). Demgegenüber anerkannte Italien den Übergangsrat bereits im April 2011 als „the countryʼs only legitimate interlocutor on bilateral relations“. Die UN-Generalversammlung hat den Übergangsrat am 16.9.2011 und damit rund einen Monat vor dem Tod Gaddafis als Vertreter Libyens zugelassen.