Читать книгу Hidden Beaches Deutschland - Björn Nehrhoff von Holderberg - Страница 4
ОглавлениеAm Meer zu sein, bedeutet, außergewöhnliche Momente erleben zu dürfen
Alle anderen Besucher des Strandes sind gegangen. Nur du sitzt noch im Sand bis lange nach dem Sonnenuntergang, in Gedanken versunken, dem Rauschen der Wellen lauschend. Plötzlich nimmst du am Meeressaum ungläubig ein Licht wahr. Meeresleuchten! Schnell entledigst du dich deiner Kleider, denn du weißt: Im Wasser wird jede deiner Bewegungen einen Lichtstrom um dich herum auslösen. Magie pur!
Das Wasser ist spiegelglatt und warm. Die Sonne hat bereits den feinen Sand am Ufer aufgewärmt, sodass ein Barfußgang zum Spülsaum fast ein wenig unter den Fußsohlen brennt. Doch es lockt die Erfrischung. Da ist dieser Moment, wenn du ins Wasser watest, kurz innehältst, um dich einzugewöhnen. Mit einem gezielten Hechtsprung stürzt du dich dann in die Fluten, um loszukraulen, bis dein Körper dir sagt, dass es reicht.
Es ist Herbst. Ein Weststurm tobt sich in der Ostsee aus und schickt dicke Wellen an die Küste. Bei jedem Windstoß löst sich eine Schar aus gelben Blättern und wirbelt durch die Luft. Mit dem Wind rangelnd bei leicht taumelndem Gang, dem Regen im Gesicht trotzend, wanderst du achtsam an der Steilküste entlang und blickst von oben auf den Kampf der Elemente. Die Wellen brechen, zerbersten, stieben auf oder explodieren. Du stehst gefühlt am Ende der Welt, der Natur ganz nah.
Eine kleine Wanderung bringt dich zu einem einsamen Strandabschnitt. Du inspizierst den Ufersaum und entdeckst farbenfrohe Muschelschalen, rund gewaschene Steine, Wurzeln eines Baumes, die wie ein ausgewrungener Lappen verdreht sind, und dann erblickst du das Objekt deiner Begierde in einem Büschel aus Seetang: einen goldbraunen Bernstein!
Die Windböen sind so stark, dass sie periodisch einen kniehohen Sandsturm auf dem Strand aufwirbeln. Das Fell der Kegelrobben sieht aus wie ein paniertes Wiener Schnitzel, bis sie sich wenden und die Augen öffnen. Nebenan hat eine Mutter vor kurzem ein Junges geboren und leckt nun sein weißes Fell. Ein paar Meter entfernt kämpfen zwei dicke Kegelrobbenbullen um ihr Revier, den Hals voller Bisswunden, aber immer noch stark und unnachgiebig, bis einer der Rivalen nachgibt und zurück ins Wasser rollt.
All das und noch viel, viel mehr kann man an unseren Küsten erleben. Natürlich nicht an einem einzigen Tage, sondern über das Jahr verteilt. Aufgrund der Kraft des Meeres und seiner ständigen Veränderung durch Wellen und Strömung ist unsere Küste an vielen Stellen noch weitgehend ungezähmt und wild. Meist gilt das nur für einen schmalen Streifen am Rande des Kulturlandes. Doch dort ist Platz genug für faszinierende Momente am Strand und in den angrenzenden Landschaften.
Wie man diese Plätze findet und was man dort erwarten darf, werde ich in diesem Buch mit Karten, Informationen und inspirierenden Bildern beschreiben. Ich möchte den Naturgenießer ansprechen, der mit seinem kleinen Rucksack, gefüllt mit Handtuch, Badeanzug oder -hose, Butterstulle und einer Flasche Wasser, am Strand auftaucht, die Natur in allen ihren Facetten genießt und respektvoll behandelt. Ein erfrischendes Bad im klaren Wasser, ein gemütlicher Gang entlang der Steilküste, das Spielen der Kinder mit einem Ast aus dem Treibgut in den kleinen Wellen: Wer diese Momente sucht, ist hier genau richtig. Auf dem Weg zurück hinterlässt man nichts als seine Fußspuren im Sand, und man nimmt ein salziges kleines Abenteuer als Erinnerung mit nach Hause.
Von oben wirkt das Wasser der Ostsee oft wie in der Karibik
Kegelrobben auf Helgoland taxieren sich
Die im Buch beschriebenen Orte sind wirklich wilde Strände. Wir befinden uns nicht im Schwimmbad! Hier existiert keine Badeaufsicht, die einen im Notfall retten kann. Hier ist jeder für sich selbst verantwortlich und muss, bevor er ins Wasser geht, das Risiko eigenverantwortlich abwägen. Wer noch keine Erfahrung hat, sollte sich langsam an die Materie herantasten und sich nicht unbedacht allein ins aufgewühlte Wasser stürzen. Die Nordseestrände sind hinsichtlich Strömungen und Wellen gefährlicher als jene in der Ostsee. Mehr dazu finden Sie im Abschnitt Gefahren auf Seite 303.
Die Bewertungen der Strände können nur subjektiv sein und entsprechen so meiner eigenen Gewichtung. Alle Strandempfehlungen beziehen sich auf ruhiges Sommerwetter. Bitte berücksichtigen Sie, dass die Beschreibungen nach ausführlichen Recherchen vor Ort nach bestem Wissen und Gewissen erstellt worden sind. Allerdings können sich die Gegebenheiten vor Ort ändern. Ein Wintersturm beispielweise kann einen Strand völlig umkrempeln oder gleich ganz abtragen, sodass man statt auf Sand nun auf einen Haufen Steine trifft oder auch umgekehrt.
NATUR NATÜRLICH SCHÜTZEN!
Wenn wir an den Strand gehen, sollte uns bewusst sein, dass wir in dem Lebensraum der hier lebenden Tiere nur zu Gast sind. Fauna und Flora sollten so wenig wie möglich gestört werden. Viele Gebiete unserer Küste sind so wichtig, dass sie die Nutzung für den Menschen einschränken. Die höchste Schutzstufe finden wir in unseren fünf Meeresnationalparks an Nord- und Ostsee. Auch zahlreiche Naturschutzgebiete an der Küste haben ihre eigenen Regeln. Besonders sensible Bereiche sind überhaupt nicht oder nur mit ausgewiesenen Führungen des Nationalparks zu betreten. In der Regel wird aber auf ausgewiesenen Pfaden, durch Aussichtstürme und Informationseinrichtungen auch für uns Menschen Platz gelassen.
Einige der wilden Bademöglichkeiten in diesem Buch liegen in Naturschutzgebieten. Allerdings nur, wenn das Begehen des Strandes ausdrücklich erlaubt ist. In der Regel darf man an solchen Plätzen auch schwimmen gehen. Es versteht sich von selbst, dass wir uns dort besonders sensibel verhalten, schließlich wollen wir ja auch, dass die Besucher nach uns dieses Privileg nutzen können. Dass das Ausbreiten mit Grill und Liegestuhl hier nicht erwünscht ist, muss man wohl nicht gesondert erwähnen. Sonnenschirm, Badeinsel und Ghettoblaster gehören an den Touristenstrand, den man leicht in der Nähe finden kann.
MIT DER FAMILIE AM STRAND
Eigentlich muss man sich keine große Mühe geben, die Kinder am Strand zu beschäftigen. Sie finden in der natürlichen Umgebung selbst ihre eigenen Spielgeräte. Hier dennoch einige Anregungen:
→Einen Turm aus Steinen aufschichten, indem man diese übereinander balanciert. Wer mehr Steine aufschichten kann, ohne dass sie umfallen, hat gewonnen.
→Mittels eines kleinen Dammes aus Steinen und Holz das ablaufende Wasser aufstauen.
→Muscheln sammeln und zu einem Mosaik auslegen.
→Mit dem Körper einen Engel in den Sand machen, wie man es von Schneeengeln im Winter kennt.
→Mit einem angespülten Ast einen Zengarten in den Sand zeichnen.
→Schiffe aus Treibholz mit Blättern als Segeln basteln und zusehen, welches am besten schwimmt oder am schnellsten segelt.
SCHNORCHELN
An unseren Küsten verstecken sich Hunderte von Wracks, die Gerätetaucher in ihren Bann ziehen. Als Strandbesucher reicht aber auch eine einfache Taucherbrille, gepaart mit einem Schnorchel, um einen schönen Blick in die Unterwasserwelt zu bekommen. Einfach Luft holen und abtauchen in die blaue Stille. An den Sandstränden der Nordsee kann man schon mal einen Plattfisch, einen Dorsch oder eine Qualle entdecken. Viel interessanter sind allerdings die steinigen Strände an der Ostsee. Dort wachsen Seetang- und Algenwälder. Sie bilden den Lebensraum für kleine Fische, Garnelen, Krebse und vielleicht gar einen Seestern. Auch die Unterwasserflora selbst hat eine eigene Faszination, zum Beispiel mit den fingerartig ausgebreiteten, gelben Ausläufern des Blasentangs oder den grünen Seegrasfeldern. Bitte achten Sie bei allem Schnorchelvergnügen darauf, den Untergrund nicht zu zertreten, denn er ist die Kinderstube der Ostsee.
WILDES CAMPEN AM STRAND
An einem Strand zu übernachten, ist ein besonderes Naturerlebnis. Es gibt zwar unzählige Campingplätze in Ufernähe, doch ist es nicht dasselbe, zwischen dicht an dicht sehenden Campingwagen, die mit allem Komfort ausgestattet sind, in der Nähe des Meeres zu stehen oder allein mit dem Schlafsack an einem menschenleeren Strand zu liegen, den Sternenhimmel zu beobachten und durch das Rauschen des Meeres in den Schlaf gewiegt zu werden.
Wildes Campieren am Strand, das geht durchaus mal, wenn man sich an den Kodex hält. Baue das Zelt spät auf und früh ab, mach kein Feuer und hinterrlasse keinen Müll
Nun ist in Deutschland wildes Campen am Strand nicht erlaubt. Viele versuchen es allerdings trotzdem. Wenn man sich an folgende ungeschriebene Outdoor-Regeln hält, wird oft ein Auge zugedrückt, und man verhindert, das potenzielle Nachahmer Probleme bekommen:
→Naturschutzgebiete sind für diese Art der Übernachtung absolut tabu.
→Man campt nicht direkt am Strand eines Campingplatzes.
→Zelte oder Biwaksäcke werden erst spät aufgebaut und auch wieder früh abgebaut, sodass nur ganz wenige Strandbesucher überhaupt gestört werden oder man es nicht einmal bemerkt, dass jemand dort übernachtet.
→Man macht auf keinen Fall ein Feuer und verhält sich nicht auffällig laut.
→Man hinterlässt keinen Müll und nimmt am besten noch fremden Müll mit.
Wer dieses unauffällige »Stealth Camping« praktiziert, wird aller Wahrscheinlichkeit nach keine Probleme bekommen. Eine Garantie dafür gibt es nicht, denn die Rechtslage besagt, dass es offiziell verboten ist.