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BAYEUX – EIN TEPPICH MACHT STAAT

EINMAL NACH ENGLAND UND ZURÜCK


Die Stadt, der Teppich, das Museum. Alle Wege führen zur Tapisserie oder Tapestry, dem Teppich – der gar keiner ist. Weil von englischen Nonnen, vielleicht auch Mönchen im 11. Jahrhundert gestickt, und nicht geknüpft. So oder so, es geht um Großes: die Eroberung Englands!


Den 400 000 jährlichen Besuchern, die das 68 Meter lange Stück Stoff in den lichtgeschützten Räumen des Centre Guillaume-le-Conquérant besichtigen, dürfte es ohnehin egal sein, wer die Tapisserie de Bayeux angefertigt hat und wie. Wichtiger ist der Stoff, auf den die kostbare Arbeit zurückgeht. Denn die Eroberung von England, die in 58 Bildern erzählt wird, hat das Zeug zum Breitwandformat. Es geht um Lug und Betrug, Verrat und Königstreue, Rache und Eheversprechen, Liebe, Lust und Leid. Am Ende hat Wilhelm, Herzog der Normandie, den Schurken Harold in der Schlacht von Hastings am 14. Oktober 1066 vom Pferd geholt und England erobert. Wie Wilhelm das geschafft hat, ist spannend für Klein und Groß. Und so einfach zu verstehen wie ein Comicstrip.

Schaut auf diese Eroberung!

Erstmals gezeigt wurde das textile Wunderwerk wahrscheinlich schon 1077 in der romanischen Kathedrale. Der grandiose Bau, der skandinavische und orientalische Einflüsse vereint, wurde im 11. Jahrhundert von Odon, Bischof von Bayeux, Earl of Kent und Halbbruder Wilhelm des Eroberers, in Auftrag gegeben. Odon hat vermutlich auch die Tapisserie zu Ehren seines Halbbruders und zu seinem eigenen Ruhm anfertigen lassen. Bis zur Französischen Revolution wurde die monumentale Stoffbahn in der Kathedrale aufbewahrt. 1476 taucht sie im offiziellen Inventarkatalog des Gotteshauses auf. Dann zerschnitten Revolutionäre die Tapisserie, um daraus Planen für die Armee zu fertigen. 1793 aber retteten Einwohner von Bayeux das für die Stadt und die gesamte Normandie identitätsstiftende Kunstwerk. Napoleon holte den Teppich später nach Paris. Die deutschen Besatzer verfrachteten ihn in ein Raubkunstsammellager im Département Sarthe. Seit 1945 befindet sich die Tapisserie wieder komplett in Bayeux. Worüber nicht nur der britische Maler David Hockney froh gewesen sein dürfte, der den Teppich »besser als jeden Film« fand. Jetzt droht erneut Gefahr. Flecken, Falten und Löcher sind so zahlreich, dass eingegriffen werden muss. Zwei Millionen sind für die Restaurierung veranschlagt. 2024 soll es losgehen. Die Kosten sollen ausgerechnet die Engländer übernehmen, die den Teppich gern für eine Ausstellung ausleihen möchten. Was ihnen zur Krönung von Elisabeth II. 1953 und zum 900. Jubiläum der Schlacht von Hastings 1966 noch verweigert wurde. Ob es diesmal klappt?

Glückliches Bayeux

Es gibt in Bayeux Familien, deren Stammbaum bei Wilhelm dem Eroberer wurzelt. Das verbindet seit über 950 Jahren. Fast solange braucht es, um miteinander warm zu werden. Heißt es zumindest, doch der Briefträger, der hinter der Kathedrale gerade aufs Fahrrad steigt, ist sofort zu einem Schwatz bereit. Der größte Held von Bayeux? Nein, nein, nicht Wilhelm, sondern General de Gaulle. Bayeux wurde im Juni 1944 als erste Stadt Frankreichs befreit. De Gaulle kam und hielt eine Rede am heute nach ihm benannten Platz. Keine Bombe war gefallen. So viel Glück hatte nur Bayeux, das die einzige im Zweiten Weltkrieg unzerstörte Stadt der Normandie blieb. An der Aure, die sich längs durch die Gassen schlängelt, blättert eine Apéritif-Reklame der Belle Époque. Der Salon de Thé mit Namen La Reine Mathilde steht wegen der originalen Second-Empire-Einrichtung unter Denkmalschutz. Auf den Straßen rollen Bilder wie aus einem Chabrol-Film ab: die Apothekerin im gestärkten Kittel, der Metzger mit Schürze. Und immer erklingt ein artiges »Bonjour« beim Vorbeigehen. Im Fenster eines Herrenhauses legen wellige Glasscheiben den Himmel in Dackelfalten. Das Fensterbrett ist viel zu hoch, als dass man sehen könnte, wie es innen aussieht. Wuchtige Mauern und Portale schirmen Adelspalais und Bürgerschlösser ab. Merke, Luxus ist Privatsache! On n’affiche pas – »Man trägt nicht zur Schau« gilt in Bayeux als Alltagstugend.


LASST BLUMEN SPRECHEN! AN DEN UFERN DER AURE, DIE DIE ALTSTADT DURCHSCHLÄNGELT, IST DIE BOTSCHAFT ANGEKOMMEN.

Vor allem in den Vierteln westlich der Kathedrale reiht sich ein Hôtel particulier, wie die Stadtpalais auf Französisch heißen, ans nächste. Tagsüber stehen glücklicherweise viele Portale auf. Über rumpeligem Pflaster erheben sich Renaissancetürme und Freitreppen. Palmen staken in den Himmel, das dank Golfstrom und der Nähe zum Meer günstige Mikroklima macht es möglich.

Die trägen Wonnen des Bessin

Samstags kommt das Land, und gemeint ist damit das Bessin, in die Stadt, zum Markt auf die Place St-Patrice. In einem Winkel gackert und schnattert es. Enten, Hühner und Kaninchen ducken sich ins Stroh. Kinderhände streicheln, ganz sachte. Ein Gang gehört Bäuerinnen, deren rote Wangen mit hausgekochtem Johannisbeergelee um die Wette leuchten. Tout le Bessin karrt herbei, was die Scholle hergibt. Die Fischer aus Port-en-Bessin bringen den Fang der letzten Nacht. Alles steht am selben Tag auf der Schiefertafel der vielen Bistros, mit denen die Altstadt gesegnet ist.

Am Sonntag läuft es umgekehrt. Tout Bayeux fährt aufs Land, was »ans Meer« bedeutet. In Port-en-Bessin, das die Rolle als Hafen von Bayeux erfüllt, brummt es. Der wichtigste Fischereihafen des Départements Calvados ist zugleich die normannische Hauptstadt der Jakobsmuschel. In der Fischauktionshalle liegen Muscheln, Fisch und Schalentiere auf einem Eisbett. Ein paar Schritte weiter am Quai Général-de-Gaulle reiht sich Restaurantterrasse an Restaurantterrasse. Abends strömen alle zurück ins keine zehn Kilometer entfernte Bayeux. Wer den Weg nicht kennt, halte sich einfach an die Schilder zur Tapisserie.


FRACHT AUS FERNOST

Generationen von Paysagisten, zu deutsch und nicht ganz so elegant »Landschaftsgärtner«, haben die Normandie in eine wie beiläufig arrangiert wirkende Parklandschaft verwandelt. Längst hat sich ein eigener normannischer Gartenstil entwickelt. Nonchalant spielen die Gärten mit dem von Hecken strukturierten Bocage, der hier vorherrschenden Landschaftsgestaltung, und dem Reichtum an exotischen Pflanzen, die Kapitäne und Reeder von ihren Überseefahrten in die normannischen Häfen brachten. Der Jardin public von Bayeux an der Straße nach Port-en-Bessin zählt zu den vielen als »bemerkenswerte Gärten« klassifizierten Parks und Gärten der Normandie. Das 1859 von den Eugène Bühler angelegte Areal ist für seine gewaltigen Buchen und Exoten vom Japanischen Schnurbaum über Riesenmammutbäume bis zu chinesischen Blaseneschen berühmt.

WEITERE INFORMATIONEN

Bayeux, www.bayeux-bessin-tourisme.com

Port-en-Bessin, www.portenbessin-huppain.fr/office-de-tourisme

Jardin botanique, www.bayeux.fr/fr/decouvrir-bayeux/parcs-jardins-et-balades

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