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SENLIS – KÖNIGSSTADT DER KAPETINGER

FILM AB AN DER OISE


Es ist das Hollywood der Picardie: Senlis. Die Stadt an der Oise ist so intakt geblieben wie kaum ein anderer Ort in Nordfrankreich. An der Oise endete 987 die Herrschaft der Kapetinger, dort wurde Hugo Capet zum ersten König von Frankreich gewählt. Senlis erzählt filmreife Geschichten.


Eine doppelte Mauer schützt seit gallo-römischer Zeit die alte Stadt. Fachwerk- und Feldsteinhäuser säumen seit dem Mittelalter ihre kleinen Gassen und Straßen. Im Innern bergen die meisten dieser Häuser noch gotische Keller. In den Gärten blühen Apfel- und Kirschbäume; Stockrosen schmücken die Fassaden. Wie dieses Idyll bewahrt werden konnte? Es gab keine Bahnlinie, keine Munitionsfabriken bei Senlis. Und so blieben auch die Bomben im Zweiten Weltkrieg aus. Werbefilmer und Kinoregisseure begeistert heute die Kulisse. Internationale Labels drehen hier ihre Imagefilme, die in aller Welt zu sehen sind, TV-Firmen erfolgreiche Fernsehproduktionen und Serien. 2019 filmte Lenny Kravitz einen Musikclip in Senlis. Doch besonders stolz ist das Städtchen auf die 150 Kinostreifen, die seit 1935 hier entstanden. Viele große Namen haben ihre Kameras in Senlis aufgestellt. Auf Louis Malle, James Ivory und Coluche folgten später François Ozon, Fabien Onteniente und Zhang Yimou.

Die begabte Séraphine

Ein Faltblatt des örtlichen Fremdenverkehrsamtes präsentiert stolz die Drehorte. Besonders berühmt wurde ein unscheinbares Wohnhaus in der Rue du Puits Tiphaine. Dort lebte ab 1906 Séraphine Louis (1864–1942), eine kauzige Haushälterin und Putzfrau aus Arsy an der Oise. In ihren freien Stunden malte sie im Kerzenschein Bilder. Ihre Farben fand Séraphine bei Spaziergängen: Schlamm aus dem Flussbett und Lehm vom Feld. Nach ersten Gouachen verzierte sie mit der Emailfarbe Ripolin Objekte und Möbel. 1912 zog der deutsche Kunstsammler Wilhelm Uhde von Paris nach Senlis. Séraphine wurde seine Haushaltshilfe. Uhde war es auch, der ihr künstlerisches Talent entdeckte und förderte. Er öffnete ihr Tür und Tor in der Kunstszene und finanzierte ihren zunehmend verschwenderischen Lebensstil, dem erst die Wirtschaftskrise in den USA abrupt ein Ende setzte. Séraphine, an die in Senlis einzig ein Schild auf einer Hauswand erinnert, reagierte darauf mit Realitätsverlust, wurde in die psychiatrische Klinik von Clermont an der Oise eingewiesen und starb dort 1942. Im Film »Séraphine« hat Regisseur Martin Provost der ungewöhnlichen Frau 2008 ein beeindruckendes filmisches Denkmal gesetzt – mit der Belgierin Yolande Moreau und Ulrich Tukur in den Hauptrollen.

Doch Senlis hat nicht nur im Kino Spuren hinterlassen, sondern auch Geschichte geschrieben. Nach dem Unfalltod von Ludwig V. und dem Aussterben der Karolinger wurde im Jahr 987 auf der Burg von Senlis Hugo Capet zum ersten König von Frankreich gewählt. Geweiht und gekrönt wurde er noch im selben Jahr im nahen Noyon. Das Château Royal de Senlis ist die älteste erhaltene Residenz der Kapetingerkönige in Frankreich. Ihre letzten Zeugnisse birgt ein Park, den die Stadt 1956 anlegen ließ. Die Turmruine am Eingang ist vermutlich der Rest eines rechteckigen Bergfrieds. Das Hauptgebäude des Schlosses lehnt sich an die antike Stadtmauer an. Das Erdgeschoss barg einst Arbeits- und Diensträume. Der erste Stock war dem König und seinem Gefolge vorbehalten. Die königliche Kapelle hatte ursprünglich zwei Erker und eine halbkreisförmige Apsis und war im Westen über eine Galerie direkt mit der königlichen Residenz verbunden.

Zeitzeugnisse zum Staunen

Das ehemalige Priorat Saint-Maurice birgt heute das Musée de la Vénerie. Mit Jagdbildern, alten Waffen und Trophäen blättert es die Geschichte der Fuchsjagd auf. Spahis heißen die berittenen Soldaten, die in Nordafrika aktiv waren. An die beiden Spahis-Regimenter, die in Senlis stationiert waren, erinnert das Musée des Spahis am Eingang zum Park des königlichen Schlosses. Im einstigen Bischofspalast widmet sich das Musée d'Art et d’Archéologie den gallo-römischen Wurzeln von Senlis. Bis heute umgibt eine Stadtmauer aus dem 3. Jahrhundert den alten Stadtkern. Bis zu vier Meter dick sind die Mauern, die die Römerstadt Augustomagnus mit 30 wuchtigen Türmen schützte. Einige stehen bis heute.



DAS MUSÉE DE LA VÉNERIE DOKUMENTIERT IM EINSTIGEN PRIORAT DIE GESCHICHTE DER TREIBJAGD MIT HUNDEN. HINGUCKER BEI DER KATHEDRALE NOTRE-DAME SIND IHRE BEIDEN UNTERSCHIEDLICHEN TÜRME.

Außerhalb liegt das Amphitheater aus dem 1. Jahrhundert, ein einzigartiges Zeugnis der römischen Antike in Nordfrankreich. Herausragend ist die Sammlung frühgotischer Skulpturen des Kunstmuseums. Unter einem majestätischen Rippengewölbe aus dem 14. Jahrhundert sind neben der Tête de Senlis und anderen seltenen Plastiken auch liturgische Gegenstände aus dem Mittelalter ausgestellt. Im ersten Stock werden Gemälde vom 17. bis zum 20. Jahrhundert präsentiert. Neben berühmten Klassikern von Corot und Boudin sind außerdem mehrere Werke von Séraphine Louis zu sehen, darunter auch der »Lebensbaum« (Arbre de vie) und der »Paradiesbaum« (Arbre de paradis).

Nur wenige Schritte entfernt ragt aus dem Dächergewirr der kreisrunden Altstadt die gotische Kathedrale Notre-Dame hervor. Der Grundstein für dieses majestätische Gebäude wurde zehn Jahre vor Notre-Dame de Paris gelegt. Das Westportal von 1170 zeigt eine kleine Sensation. Zum ersten Mal in der Kunstgeschichte bildet es nicht, wie bis dahin üblich, das Jüngste Gericht ab, sondern eine Marienkrönung. Kunsthistoriker und Theologen sehen darin den Beleg für die Vermenschlichung des Göttlichen. Links zeigt der Türsturz die »Grablegung Mariae«, rechts die »Leibliche Erhebung Mariae durch Engel«. Beide bilden Maria nicht schematisch und einer Maske gleich ab, als überhöhte Figur, sondern geradezu lebendig und menschlich beseelt. Diese berührende Darstellung machte das Portal von Senlis zum Vorbild einer neuen Plastik und verlieh dem Marienkult neue Anziehungskraft.

Zu den beliebtesten Besuchszielen von Senlis jedoch stieg eine Attraktion auf, die ein Filmregisseur bei der Stadtmauer in einem alten Stadthaus etablierte: Le Cachot. Im Erdgeschoss lässt Laurent Thomas bei historischen Gelagen in der Taverne und der Auberge die mittelalterliche Trink- und Esskultur aufleben. Im Gewölbekeller inszenieren historische Themenabende die Geschichte – vom Roten Baron bis zu den Templern von Senlis.


AUSFLUG NACH CHANTILLY

In Frankreichs Hauptstadt des Pferderennsports ließ Fürst Louis-Henri de Bourbon an seinem Schloss die größten Ställe Europas bauen – einen grandiosen Palast der Pferde, der seit 2013 das Musée du Cheval birgt. In den 15 Räumen der Cour des Remises der Grandes Écuries spiegelt es die Beziehung zwischen Mensch und Pferd seit Beginn der Zivilisation mit mehr als 200 Exponaten und Kunstwerken. 1834 fand auf der Wiese von Chantilly das erste Pferderennen statt. Rund um die Rennbahn entstanden zahlreiche Gestüte, und zahlreiche Briten – Jockeys und Züchter – zogen her. Als Chantilly 1850 ans Bahnnetz angebunden wurde, pilgerten die Pariser zu den Rennen von Chantilly und wetteten. Daran hat sich bis heute kaum etwas geändert. Auf der Pferderennbahn von Chantilly finden mit dem Prix du Jockey Club und Prix de Diane zwei der renommiertesten Pferderennen Frankreichs statt – vor der Kulisse des imposanten Schlosses, das im Petit Château und im Grand Château mit dem Musée Condé ein Kunstmuseum der Weltklasse bietet. Raffael, Botticelli, Ingres und das Stundenbuch des Herzogs von Berry locken!

WEITERE INFORMATIONEN

Senlis, www.senlis-tourisme.fr

Schloss Chantilly, https://domainedechantilly.com

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