Читать книгу Träume - Calin Noell - Страница 16
ОглавлениеAls ich meine Augen öffnete, fluchte ich. Erneut hatte ich nicht gemerkt, dass ich eingeschlafen war. Wo bin ich, fragte ich mich stumm und schien plötzlich kaum noch in der Lage, zu atmen. Keine fünf Schritte von mir entfernt saß Kiljan auf dem Bett in meinem alten Kinderzimmer, die Füße auf dem Boden, die Ellenbogen auf den Knien abgestützt und das Gesicht in seinen Händen vergraben. Ich lag in Wolfsgestalt in einer Ecke und überlegte fieberhaft, wie ich unbemerkt entkommen könnte, als mit einem Mal die Tür aufging und Mael eintrat.
»Ich wusste, dass ich dich hier finde«, sagte er leise, doch Kiljan zeigte keinerlei Reaktion, als hätte er sein Eintreten gar nicht bemerkt. Behutsam legte Mael ihm eine Hand auf den Arm und Kiljan zuckte zusammen. Ruckartig hob er seinen Kopf, und ich erschrak. Nicht nur, dass er älter erschien, nein, er sah furchtbar aus. Das Gesicht verhärmt, abgemagert und irgendwie leblos.
»Ich bin geflohen. Sie lässt mich nicht in Ruhe.« Sein Blick wirkte gequält.
»Kiljan, du weißt, dass du irgendwann damit abschließen musst. Lass sie los. Es macht dich kaputt.«
Vollkommene Verzweiflung ausstrahlend fuhr Kiljan sich übers Gesicht. »Ich kann nicht«, flüsterte er erstickt. »Es ist einfach nicht möglich.«
Ernst betrachtete Mael ihn. Ich sah, spürte fast sein Unbehagen. »Du weißt, dass ich dein Freund bin, dein bester Freund, deswegen muss ich es jetzt aussprechen: Kiljan, es ist nun drei Jahre her, sie kehrt nicht zurück.« Vorsichtige, nicht weniger verzweifelte Worte, Kiljan jedoch sprang wütend auf.
»Woher willst du das wissen? Du selbst sagtest, dass sie es erkennen wird.« Zornig funkelten sie einander an.
»Ja, das stimmt, das habe ich gesagt, und es tut mir unsagbar leid, das weißt du. Doch du solltest aufhören, einem Wunschtraum hinterherzujagen, der sich nicht erfüllt. Der ganze Clan leidet darunter, und sie überlegen bereits, ob du als Oberhaupt eigentlich noch tragbar bist. Du hast dir geschworen, besser zu sein als Arel. Sieh es ein, du verrennst dich, Kiljan. Mir schmerzt die Seele, ebenso wie dir, dennoch musst du es hinter dir lassen, bevor du dich vollkommen zerstörst. Und Shar hat sich geändert, niemand weiß das besser als du selbst. Sie wäre die perfekte Wahl als Gefährtin, und sie begehrt dich.« Kiljan erstarrte während dieser Worte, ich ebenfalls, dann fuhr er ganz langsam zu Mael herum.
»Mal abgesehen davon, dass ich in keiner Weise das Gleiche für sie empfinde, kannst doch ausgerechnet du mir nicht ernsthaft diesen Vorschlag unterbreiten. Bist du von Sinnen? Sie ist schuld an all dem. Es wäre der größte Verrat, den ich Talil gegenüber begehen könnte.«
Aufgebracht erhob Mael sich. »Kiljan, öffne endlich deine Augen. Siehst du sie hier irgendwo? Sie wird nicht zurückkehren, niemals. Begreifst du das nicht? Und wenn es nicht Shar sein soll, bitte, das kann ich ja sogar verstehen. Doch dann schau dich um. Wenn dir dein Versprechen als Anführer wirklich etwas bedeutet, wird es Zeit, dass du entsprechend handelst. Du lässt uns alle im Stich und wirst alles verlieren, was dir je wichtig war. Verdammt, Kiljan, wach endlich auf!«, schrie er nun und die Tür öffnete sich erneut.
Inzwischen war mir klar, dass sie mich nicht sehen konnten, dennoch hämmerte mein Herz dermaßen in der Brust, dass ich sicher war, dass sie es jeden Moment hören würden.
Jul trat ein und stockte, als er Kiljan und Mael erblickte, trat dann jedoch eilig über die Schwelle und verschloss die Tür. Ich schnappte laut nach Luft, und er wandte sich um, mir direkt zu. Ich erstarrte, unsicher, ob er mich wirklich sah.
»Es tut mir leid, ich hörte Geschrei und dachte, dass sich die Kleinen vielleicht hier hereingeschlichen haben.
Mael, Nevan sucht dich, es gibt irgendein Problem mit Ean und er benötigt deine Hilfe. Es geht ihm wieder schlechter«, sprach er die letzten Worte und sah erneut zu mir in die Ecke. Stirnrunzelnd folgte Mael seinem Blick, nickte dann jedoch und verließ das Zimmer. Jul setzte sich neben Kiljan auf das Bett, wandte seinen Oberkörper aber so, dass er immer wieder zu mir hinsehen, mich beobachten konnte. Inzwischen war ich mir sicher, dass er sich meiner Anwesenheit bewusst war und das tatsächlich drei Jahre vergangen sein mussten, denn auch Jul wirkte wesentlich älter als bei unserer letzten Begegnung.
»Willst du mir jetzt ebenfalls erklären, dass ich sie endlich vergessen muss und mein Herz einer anderen schenken soll?«, fragte Kiljan leise, sah ihn jedoch nicht an.
»Nein«, sagte Jul kraftvoll.
Überrascht wandte Kiljan sich ihm zu. »Nein?«, wiederholte er ungläubig und lachte dann kopfschüttelnd. Sanft verwuschelte er Juls Haare und betrachtete ihn.
»Sie versteht noch nicht, wie sehr auch andere leiden, doch das wird sie, hab Vertrauen. Sie ist längst nicht mehr allein auf der Welt. Sie wird es erkennen und zurückkehren.« Mit hochgezogener Augenbraue sah Kiljan zu Jul, der jedoch seinen Blick nicht mehr von mir fortnahm.
»Auch wenn es ihr vielleicht nicht gefallen mag, ist ihr Leben nun erneut unwiderruflich mit unserem verknüpft und jede ihrer Handlungen wirkt sich auf unser Leben aus. Sie wird nicht dafür verantwortlich sein wollen, dass du wegwirfst, wofür wir alle so bitter bezahlen mussten. Auch Ean wird sie nicht in dem Glauben sterben lassen, dass alles seine Schuld ist. Sie mag zu Recht enttäuscht und wütend sein, aber grausam war sie nie. Auch Rian wartet noch immer, denn sie gab ihm ihr Wort, und er vertraut darauf, dass sie es nicht einfach bricht.«
Nicht ein einziges Mal nahm er seinen Blick von mir und eine eisige Gänsehaut überlief meinen Körper.
»Du musst weiterhin daran glauben, Kiljan, doch du darfst dich von deiner Verzweiflung nicht niederdrücken lassen. Du hast gelobt, uns alle zu beschützen, also tu es, tu deine Pflicht, während du weiterhin daran glaubst.«
Nickend erhob er sich, ein leichtes Lächeln im Gesicht. »Du weißt schon, dass du für deine neun Jahre viel zu erwachsen klingst, ja?«
Erst jetzt schien ihm bewusst, dass Jul ihn die ganze Zeit nicht ansah, folgte seinem Blick und starrte nun ebenfalls zu mir in die Ecke.
»Was siehst du?«, fragte er leise, doch Jul schüttelte den Kopf.
»Gib sie nicht auf, ich tue es auch nicht.«
Er öffnete die Tür und Kiljan verschwand aus meinem Blickfeld.
»Du solltest Ean bei den Heilern besuchen«, flüsterte er plötzlich, sah mich jedoch nicht mehr an. »Vielleicht erkennst du dann, dass nicht nur du allein leidest.« Traurig schüttelte er den Kopf. »Ich weiß, du willst nicht, dass irgendjemand Erwartungen an dich stellt, doch so ist das nun einmal, sobald man jemanden in sein Herz geschlossen hat. Und das haben wir, auch wenn nicht immer alles ohne Meinungsverschiedenheiten lief. So ist das Leben und niemand, nicht einmal du selbst, ist unfehlbar.«
Er ging hinaus, zog leise die Tür hinter sich zu und ließ mich allein und vollkommen verstört zurück. Frustriert und bekümmert schloss ich die Augen, verstand noch immer nicht, was hier eigentlich geschah.