Читать книгу Träume - Calin Noell - Страница 22
Оглавление»Was ist hier los?«, donnerte Bohl, Rian jedoch hatte nur noch Augen für Talil. Sie lag auf ihm und er wagte nicht, sich zu bewegen. Sie musste sich verletzt haben, so unglaublich qualvoll klang ihr Schrei. Auch wenn sie ihr Bewusstsein verloren hatte, wollte er ihr dennoch keinen weiteren solchen Schmerz zufügen. Sanft strich er über ihr Gesicht, konnte kaum glauben, dass sie hier war, als hätte sie geahnt, was er zu tun beabsichtigte.
Bohl trat auf sie zu und hob sie vorsichtig auf seinen Arm. Auch ihm war ihr Schrei nicht entgangen, ebenso wenig ihre Beinverletzung, die sie sich zuzog, als sie von der Mauer gesprungen war. Er blickte gerade zufällig in ihre Richtung, als sie einfach sprang, als wäre diese Höhe rein gar nichts. Vielleicht ist eine Wölfin widerstandsfähiger in der Landung als der Körperbau eines Dunkelelben, aber das war selbst für einen Wolf viel zu hoch. Dass sie danach überhaupt noch stehen konnte, war schon beachtlich, was dann jedoch folgte, schien unglaublich.
Bisher hatte Reed nichts weiter erklärt, dafür blieb bisher keine Zeit, doch inzwischen war Bohl mehr als gespannt, was das alles zu bedeuten hatte. Als er sie nun auf seine Arme hob, wandelte sie sich plötzlich in eine Wölfin und vor Schreck ließ er sie beinahe fallen, hielt sie gerade noch.
»Kannst du aufstehen?«, fragte er Rian schroff und dieser nickte. »Dann komm, du wirst uns begleiten. Juhani. Mikael. Ihr nehmt Jesse in Gewahrsam. Niemand redet mit ihm, bevor ich nicht selbst mit ihm gesprochen habe.« Mit diesen Worten wandte er sich ab, bedeutete Rian und Reed ihm zu folgen und marschierte über den Platz.
»Bring Ilmari zu mir«, bellte er einem Anwärter den Befehl zu und dieser verschwand eilig.
An einer etwas abseits gelegenen Hütte trat er beiseite, damit Reed ihm öffnete, und ging dann mit Talil auf dem Arm hinein. Rian und Reed folgten ihm und schlossen die Tür.
Verstohlen sah Rian sich um. Bohl galt zwar als gerecht, doch er war stets unfreundlich, schroff in seiner Art, und noch nie durfte er sein Haus betreten. Reed hingegen schien sich bestens auszukennen, setzte eine Kanne Wasser auf und machte es sich dann auf einem Sessel bequem.
Unschlüssig hielt Bohl die Wölfin auf dem Arm und sah von einer Zimmertür zu dem Platz nah am Feuer.
»Leg sie auf den Boden vor den Kamin. Sie mag keine Betten«, erklärte Rian leise.
»Reed, nimm die Decke dort und breite sie hier aus«, wies Bohl ihn an, ließ Rian jedoch nicht aus den Augen. Vorsichtig legte er sie nieder, erhob sich und alle drei betrachteten sie. Rian kniete sich hin und streichelte ihr Fell.
»Sie ist vollkommen schmutzig.« Irritiert runzelte er die Stirn. Er wusste wenig von ihr, dennoch war er sich sicher, dass sie unter normalen Umständen niemals so ... Ja, wie sah sie denn aus? Mitgenommen., schoss es ihm durch den Kopf.
»Also, Rian, was genau ist hier los?«, fragte Bohl unvermittelt.
Rian warf ihm nur einen kurzen Blick zu. Noch immer streichelte er ihr Fell, als würde sie verschwinden, wenn er damit aufhörte. »Ich weiß es nicht. Sie war auf einmal da«, entgegnete er leise und schämte sich plötzlich für sein Vorhaben, für sich selbst. Niemals könnte er das jemandem anvertrauen, außer vielleicht Talil.
Reed und Bohl schnaubten beide, glaubten ihm kein Wort. Da es jedoch in diesem Moment an der Tür klopfte, entging er vorerst ihrem Verhör.
»Komm herein, Ilmari«, rief Bohl und hockte sich zu der Wölfin. Er hatte sie während ihrer Wandlung gesehen, doch noch immer wollte er es kaum glauben, war vollkommen fasziniert. Viel neugieriger aber machten ihn die Gründe der ganzen Geschehnisse.
Ilmari trat ein und stutzte, als er einen Wolf erblickte, ging dann jedoch direkt auf ihn zu und kniete sich ebenfalls hin. »Ah, eine Wandlerin.« Überrascht zog Bohl eine Augenbraue in die Höhe. »Und dann noch eine, mit einer äußerst starken Verbindung zu ihrem Seelensplitter.« Er holte ein kleines Fläschchen aus seiner Tasche, zog den Deckel ab und hielt es ihr unter die Nase. Sie zuckte zusammen und begann, sich zu regen.
»Wir sollten ihr ein wenig Platz lassen«, äußerte Rian zögernd. Sowohl Ilmari als auch Bohl horchten bei seinem Tonfall auf, warfen ihm einen misstrauischen Blick zu.
Reed erhob sich vorsichtig, nun sichtbar wachsam, besann sich dann anscheinend jedoch und legte Bohl beschwichtigend eine Hand auf die Schulter. »Rian hat recht. Sie hat viel durchgemacht und könnte sich bedroht fühlen, wenn wir so nah bei ihr sitzen, während sie erwacht. Sie wird erst einmal gar nicht wissen, wo sie ist.« Der ruhige, selbstsichere Tonfall von Reed beruhigte ihn. Er nickte.
»Ich muss sie wecken. Sie muss sich wandeln, sonst kann ich ihr Bein nicht richtig versorgen.« Erneut hielt er ihr das Riechfläschchen unter die Wolfsnase, doch mehr als ein Zucken des Kopfes erreichte er damit nicht. Kopfschüttelnd verstaute er es wieder in seiner Tasche.
»Talil, du musst dich wandeln, hörst du mich? Wir sind hier, um dir zu helfen«, flüsterte Rian eindringlich. Augenblicklich durchlief ein Beben ihren Körper, bis ihr ganzer Leib erzitterte, dann wandelte sie sich plötzlich und öffnete die Augen. Sichtbar panisch setzte sie sich auf und sah sich hektisch um. Erst als sie Rian erkannte, wich die Beklemmung spürbar von ihr. Als sie sich jedoch bequemer hinsetzen wollte, erbleichte sie.
»Nicht«, riefen sie fast zeitgleich, doch es folgte zu spät. Talil kämpfte unübersehbar gegen die nächste Ohnmacht an, hielt sich den Kopf und atmete bewusst ein und aus. Schließlich fokussierte sich ihr Blick und plötzlich lächelte sie.
»Ich bin rechtzeitig gekommen«, sagte sie leise und strahlte noch mehr. Rian schluckte sichtbar und nickte. Reed, Bohl und Ilmari hörten und sahen verwirrt zu. »Geht es dir gut?«, erkundigte sie sich hörbar besorgt.
»Ja, im Gegensatz zu dir«, fügte er gequält an, sie jedoch grinste weiterhin.
»Wichtig ist nur, dass du hier bist.« Ernst musterte sie ihn und er nickte erneut, stockend diesmal.
»Was genau geht hier eigentlich vor?«, fragte Bohl leise. Er brannte vor Neugierde und wollte nur zu gerne wissen, was das alles zu bedeuten hatte. Talil aber sah von Rian zu ihm und zuckte lediglich mit den Schultern, woraufhin Rian sich sein Lächeln nur noch mühsam verkneifen konnte.
»Du wirst warten müssen«, schaltete sich nun Ilmari ein, während er sie eingehend betrachtete. Er wandte sich seiner Tasche zu und reichte Reed einen Beutel. »Tu einen Hut davon in erhitztes Wasser. Aber achte darauf, dass es nicht zu heiß ist, und seht zu, dass ihr etwas zu essen auftreibt. Die junge Dunkelelbin sieht aus, als wäre es eine Weile her, dass sie eine anständige Mahlzeit bekommen hätte.« Talil verzog ihr Gesicht zu einer Grimasse. »Ich injiziere dir ein schmerzlinderndes Mittel, danach sehe ich mir dein Bein an«, sagte er ruhig.
Talils Blick fixierte ihn. »Keine Spritzen, und ich schlucke keine Heilmittel. Tu, was du tun musst, doch ich nehme weder das eine noch das andere ein.«
Ilmari betrachtete sie vorwurfsvoll. »Dann verlierst du wieder dein Bewusstsein. Ich vermute einen Bruch, der eine Fixierung benötigt, da kann ich nicht so zimperlich sein. Ich muss dein Bein anfassen und bewegen.«
»Wenn ich meine Besinnung verliere, auch gut, sollte ich Schmerzen erleiden, sei es drum. Du brauchst nicht besonders zart mit mir umzugehen, denn ich halte eine Menge aus. Doch selbst wenn ich bewusstlos werde, gibst du mir weder eine Injektion noch irgendwelches anderes Zeug! Ich verspreche dir, dass du in diesem Fall die nächste Nacht nicht überlebst.« Seine Pupillen weiteten sich überrascht. Sichtbar verärgert kniff er die Lippen aufeinander, nickte jedoch.
Bohl verfolgte das Gespräch interessiert und lachte in sich hinein. Oh, er konnte sich durchaus vorstellen, dass sie keine hohlen Phrasen sprach.
»Vorher solltest du dich waschen, so gut es geht. Mit dem Verband wirst du mindestens einen halben Mond nicht duschen können.« Nachdenklich sah Ilmari sich um.
»Gibt es hier ein Bad?«, fragte sie hörbar genervt.
»Natürlich!«, antwortete Bohl entrüstet über diese Frage.
»Säubere mein Bein, und verbinde es stramm. Dann mache ich den Rest allein«, erklärte sie und ihr Blick bohrte sich in den von Ilmari.
Er lachte höhnisch. »Na klar. Nichts leichter als das.« Als Talil nicht reagierte, sondern ihn nur weiterhin in die Augen schaute, seufzte er. »Ist sie immer so?«, fragte er in die Runde und sowohl Reed als auch Bohl sahen zu Rian. Dieser jedoch zuckte ebenso ratlos die Schultern.
»Ja, ich bin immer so. Und nun mach schon, bevor ich einschlafe.« Grinsend blickte sie zu Rian, der es sofort erwiderte.
»Wir gehen mal einen Moment vor die Tür.« Bohl zog Reed mit sich.
»Aber nicht zu lange. Du musst den Aufguss gleich rausnehmen, sonst verfehlt er seine Wirkung.«
Reed und Bohl gingen vor die Tür und setzten sich ein paar Schritte davon entfernt auf die Bank, die unter einem ausladenden Baum stand. »Ich kann dir nicht viel über sie erzählen«, begann Reed, noch bevor Bohl überhaupt eine Frage gestellt hatte und beide lächelten. Sie kannten einander zu gut und Reed wusste genau, dass Bohl inzwischen vor Neugierde schier platzte.
»Und vieles von dem, was ich weiß, werde ich dir nicht sagen.« Sein Lächeln war verschwunden. »Sie heißt Talil und ist die Tochter von Alasdair. Du erinnerst dich?« Er nickte. »Sie war lange Zeit fort, kehrte jedoch plötzlich zurück. Kurz darauf folgte der Angriff von Arel und seinen Getreuen. Sie war es, die ihn ausschaltete. Du weißt ja, dass ich nicht dabei war.« Wütend darüber schüttelte er den Kopf, sich durchaus bewusst, dass sich daran nichts mehr ändern ließ. Er hätte es nicht verhindern können, auch das wusste er. Dennoch wünschte er sich, er hätte ihnen beigestanden.
»Sie besitzt eine starke Verbindung zu ihrem Seelensplitter«, fügte er hinzu.
»Wolf«, sagte Bohl nachdenklich. »Reed, ich weiß, dass du kein Schwätzer bist, deswegen mag ich dich ja auch so. Natürlich möchte ich nicht, dass du mir Dinge anvertraust, die ich nicht wissen sollte, doch versuche bitte wenigstens, es mir zu erklären.«
Reed fuhr sich durchs Haar. »Sie hat Schlimmes erlebt, während sie fort war und du musst in ihrer Gegenwart stets bewusst handeln.« Irritiert zog Bohl die Stirn kraus. »Schleich dich niemals an sie heran, mach dich immer bemerkbar und fass sie nicht an, solange sie dich nicht dazu auffordert«, fügte er hinzu. »Und vielleicht noch viel wichtiger: Sperr sie nie in einen Raum.«
Er selbst war ihr seit ihrer Rückkehr nicht begegnet, wusste nur das, was Kiljan, Mael, aber vor allem auch Ben und Arendt ihm anvertraut hatten. Sie waren tief beeindruckt von ihr, und die Meinung seiner beiden Freunde zählte für ihn mehr, als jede andere. Doch sie erzählten ihm auch von ihrer Rache an Sgrios, dem Video und den Geschehnissen hinterher. Er konnte kaum glauben, was sie ihm alles berichtet hatten, dennoch wusste er, dass sie niemals etwas übertreiben oder beschönigen würden.
»Aber weshalb bist du mit ihr über die Mauer geklettert?«
Nachdenklich betrachtete Reed ihn. »Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Sie rannte mich in Wolfsgestalt fast über den Haufen. Erst dachte ich, der Wolf will mich angreifen, doch inzwischen bin ich sicher, dass sie mich überhaupt nicht wahrnahm und nicht mehr ausweichen konnte. Also sprang sie, und ich ließ mich zu Boden fallen. Zum Glück, das wäre sonst sehr schmerzhaft geworden.« Er grinste. »Sie lief einfach weiter, ich hinterher, und erst als sie sich an der Mauer wandelte, wusste ich, wer sie sein musste. Sie kletterte hoch, und ich zog sie herunter ...« Gedankenverloren fuhr er den leichten Schnitt an seinem Hals nach.
»Du hast dich wohl auch nicht an deine eigenen Ratschläge gehalten«, witzelte Bohl.
Reed grinste erneut. »Sie reagierte verdammt schnell. Ich hätte keine Chance gehabt.«
Eine solche Aussage, ausgerechnet von Reed, überraschte Bohl, doch dieser zuckte nur mit den Schultern. »Sie überwältigte mehr bei dem Angriff von Arel als alle anderen und rettete dazu noch Jul und Leif, obwohl sie selbst vollkommen am Ende war. Dass sie nach der Geschichte mit Shar dennoch alles aufs Spiel setzte, um Rian ... Ich weiß nicht ... An der Mauer überkam mich das Gefühl, es würde um Leben und Tod gehen ... Weshalb auch immer sie glaubte, zu ihm gelangen zu müssen, sie tat es, einzig und allein für Rian, trotz all dem, was geschehen ist. Das werde ich ihr immer hoch anrechnen, ebenso wie Hollies Rettung. Ob sie nun wirklich einen Grund für ihre Handlung besaß oder nicht, spielt für mich kaum eine Rolle, denn ich sah ihren Gesichtsausdruck, als sie das Tor verschlossen vorfand.«
Ilmar trat aus der Tür und ging auf die beiden zu. »Sie steht allen Ernstes unter der Brause. Ist das zu fassen. Ich durfte sie ins Bad begleiten, doch dann warf sie mich einfach raus. Normalerweise hätte sie nicht einmal aufstehen können, ohne wie am Spieß zu schreien.« Er schüttelte den Kopf, nicht sicher, ob er sie bewundern oder bemitleiden sollte.
»Und weder beim Säubern noch während des Verbindens kam ein Laut der Klage über sie. Nur als ich ihre Hose bis zu ihrem Knie aufschnitt, dachte ich, sie geht mir gleich an die Kehle. Das reicht, hat sie mich angezischt, und ich wagte es nicht, sie auch nur noch ein winziges Stück weiter nach oben zu schieben. Ich habe Rian losgeschickt, ein paar Kleidungsstücke zu suchen. Lasst uns reingehen.« Er wandte sich der Tür zu. Reed erhob sich, um ihm zu folgen.
»Was ist mit ihrem Bein?«, fragte Bohl, während er ebenfalls aufstand.
»Der Knochen ist glatt durch. Doch sie hat mich bereits davon in Kenntnis gesetzt, dass ein einfacher Verband vollkommen ausreicht.« Kopfschüttelnd verschwand Ilmari im Haus und die beiden folgten ihm. Nur einen Moment später kam Rian angelaufen, im Arm ein Bündel Kleidung. Entschuldigend zog er die Schultern hoch. »Diese hier müssten einigermaßen passen.« Er ging in das Haus hinein und klopfte an die Badezimmertür. »Talil? Ich habe hier ein paar Sachen. Ich reiche sie dir rein, in Ordnung?«
Sie öffnete einen winzigen Spalt, nahm ihm die Sachen ab und Rian wandte sich wieder um. Unschlüssig stand er dort, sein Blick huschte unruhig hin und her.
»Während wir warten, könntest du uns erzählen, was das alles zu bedeuten hat. Weshalb warst du mit Jesse auf dem alten Übungsplatz und warum, bei allen Geistern, hattet ihr die Schwerter dabei?«, fragte Bohl herausfordernd. Rian wand sich sichtlich, holte mehrere Male hintereinander tief Luft und setzte zum Sprechen an, schwieg jedoch schließlich. Es erschien offensichtlich, dass er nach Worten rang, doch kein einziger Ton verließ seine Lippen.
»Sie hatten etwas miteinander zu klären und das haben sie, ein für alle Mal. Und Rian wird sich nicht noch einmal über die Regeln hier hinwegsetzen«, erklang die gepresste Stimme von Talil. Sie wandten sich zu ihr um und erstarrten. Verärgert presste sie die Lippen aufeinander, sich der Blicke sehr bewusst.
Bohl schluckte. Trotz der locker sitzenden Kleidung war sie wunderschön, strahlte eine ungeheure Eleganz aus. Ihre leicht gewellten Haare reichten ihr bis zur Taille und schimmerten ein wenig feucht. Ihr Gesicht leicht gerötet, auch wenn man die Blässe noch deutlich erkannte.
Sie trug eine eher weite, graue Hose, die lässig auf ihren Hüften saß, das rechte Hosenbein schlampig bis zum Verband hochgekrempelt. Dazu ein Hemd, das zwar ebenfalls zu weit saß, aber aufgrund der vielen Wäschen nicht zu lang wirkte.
»Wo willst du die Bandage anlegen?«, fragte sie angespannt und löste so die starrenden Blicke. Reed erhob sich eilig, um sich um den Aufguss zu kümmern. Rian ging auf sie zu und reichte ihr seine Hand.
»Am besten auf dem Sitzpolster. Der Tisch ist zu hoch und der Boden zu niedrig.« Bohl griff nach der Decke, schüttelte sie aus und legte sie über das Polster.
»Ich brauche noch einen Moment, um die Lagen vorzubereiten. Trink in der Zwischenzeit schon einmal den Kräuteraufguss und iss etwas«, forderte Ilmari.
»Was ist das für ein Aufguss?«, fragte sie hörbar misstrauisch, und er wandte sich ihr zu.
»Ausschließlich Kräuter zur Stärkung, keinerlei Rauschmittel.« Herausfordernd sah er sie an, doch als er ihrem Blick begegnete, spürte er ihre ernsthafte Sorge und fuhr freundlicher fort: »Talil, glaube mir. Ich hänge an meiner Lebensbahn. Da ist nichts drin, was du nicht möchtest.«
Sie nickte und entspannte sich ein wenig. Schwer auf Rian gestützt humpelte sie voran und mit jedem Schritt wurde sie sichtbar blasser. An dem Sitzpolster angekommen hielt sie zögernd inne. Bohl trat hinter die Lehne und reichte ihr seinen Arm. Mit undeutbarer Miene sah sie von seiner Hand zu seinem Gesicht, atmete einmal tief durch und griff dann beherzt zu. Überrascht von ihrer Stärke, stützte er sie, während sie sich langsam niederließ. Behutsam drehte sie ihren Oberkörper und verlagerte ihr Gewicht auf ihr gesundes Bein und auf die Hände, die sie hielten. Sie schob sich an die Rückenlehne heran, bis sie aufrecht saß, und ließ augenblicklich los.
Bohl entging der Schweißfilm nicht, der sich auf ihrer Stirn und Oberlippe gebildet hatte. Dennoch war die ganze Zeit nichts von ihren Schmerzen in ihren Zügen zu erkennen gewesen.
»Danke«, stieß sie gepresst hervor und musterte ihn durchdringend.
»Weshalb bist du hergekommen?«, fragte er und fluchte stumm über sich selbst. Er hatte eigentlich einen besseren Moment abwarten wollen, doch nun war ihm die Frage herausgerutscht und er wartete gespannt auf ihre Antwort.
Plötzlich lächelte sie und Bohl warf einen verstohlenen Blick zu Rian, der sichtbar besorgt wirkte. »Ich wollte zu Rian und hatte keine Lust, weitere vier Wochen zu warten.« Scheinbar unbekümmert zuckte sie mit den Schultern, Rian entspannte sich sichtlich und Bohl wusste sofort, dass sie log. Nur weshalb, das konnte er sich nicht erklären. Auch ihre Wortwahl irritierte ihn zusehends.
»Einen Mond meinst du?«
Sie nickte und hob gleichzeitig die Schultern an. Rian reichte ihr ein Brot, das sie ohne zu zögern ergriff und schweigend aß.
»Du solltest dafür sorgen, dass sie nachher noch etwas Warmes zu Essen bekommt«, wies ihn Ilmari zurecht und er nickte nur, überlegte, wie er weiter vorgehen sollte, um die Wahrheit aus den beiden herauszubekommen.
»Ich bleibe nicht«, sagte sie plötzlich und sah mit gerunzelter Stirn auf. Ilmari lachte, doch Reed und Bohl tauschten einen wissenden Blick.
»Talil«, versuchte es nun Reed vorsichtig. »Es war kein Scherz, die Tore öffnen sich erst wieder, wenn der Mond voll am Himmel steht. Solange sitzen wir hier sozusagen fest.«
Sie lachte, und es klang ehrlich belustigt. »Wir sind auch hineingekommen, oder etwa nicht?!«
Reed lachte nun ebenfalls. »Ja, und nun sieh dich an. Auf diesem Weg kommst du jedenfalls vorerst nicht wieder hinaus.«
»Ja, danke, sehr witzig. Man wird es wohl öffnen können«, rief sie angespannt und blickte von einem zum anderen.
»Nein«, antwortete Bohl und betrachtete sie, doch bevor sie etwas erwidern konnte, schritt Ilmari ein.
»Das ist wohl vorerst bedeutungslos. Jetzt kümmere ich mich erst einmal um dein Bein und danach sehen wir weiter.« Sie nickte, dennoch war ihr Unbehagen deutlich sichtbar.
Rian reichte ihr den Aufguss, den sie in einem Zug leerte und sich dann schließlich langsam zurücklehnte. »Fang an«, stieß sie emotionslos hervor.
»Ich muss dein Bein an.«, begann er zögernd, als sie es selbst ein Stück in die Höhe hob, ohne auch nur einen einzigen Muskel in ihrem Gesicht zu verziehen. Ilmari starrte sie fassungslos an.
»Wenn du nicht willst, dass ich auch noch einen Krampf bekomme, solltest du anfangen.«
Das brachte ihn wieder zurück, und er entfernte augenblicklich den nassen Verband. Zügig, dennoch sehr gewissenhaft, wickelte er anschließend die einzelnen Lagen um den Unterschenkel, ohne dass sie eine einzige Regung erkennen ließ.
Nach einer Weile jedoch begann ihr Bein zu zittern, und als Bohl schon dachte, sie würde eher sterben, als eine Schwäche zuzugeben, öffnete sie ihre Augen. »Könnten wir eine kurze Pause machen?«, fragte sie, als wären sie gerade mit irgendwelchen langweiligen Aufgaben beschäftigt.
»Natürlich.« Ilmari nickte, erhob sich und verschwand in der Küche.
»Ich hätte gern noch etwas zu trinken«, sagte sie leise, ein wenig belegt und sah zu Bohl. »Bitte«, fügte sie tonlos hinzu.
»Was möchtest du? Wasser?«
Sie lächelte erneut. »Ich bevorzuge einen Malt, nehme dazu jedoch auch ein Wasser.«
Bohl und Reed grinsten nun ebenfalls. »Rian?«
Überrascht von der Frage zog er eine Braue in die Höhe. »Für mich lieber nicht, danke«, antwortete er und sein Gesicht rötete sich vor Scham.
Talil aber betrachtete ihn ernst. »Du solltest stolz darauf sein, dass du Derartiges nicht trinkst, statt dich dafür zu schämen«, grollte sie leise. Verwundert warfen sie ihr einen verstohlenen Blick zu. Reed drückte ihr einen Becher Wasser in die Hand, den sie in einem Zug leerte. Froh, etwas zu tun zu haben, füllt er ihn neu. Sie schüttelte den Kopf und Bohl reichte ihr den Malt, von dem sie nun ebenfalls einen kräftigen Schluck nahm. Diesmal behielt sie den Becher in ihren Händen, während sie sich wieder zurücklehnte.
»Wir können weitermachen, Doc«, rief sie und schloss die Augen, atmete bewusst ein und aus. Als Ilmari sich auf den Hocker neben sie setzte, hob sie erneut ihr Bein an. Einzig ihre Hände, die den Becher nun ein wenig fester umschlossen, ließen irgendetwas von ihrer Anspannung erkennen. Und natürlich der Schweißfilm, der nicht mehr zu weichen schien.
Reed und Bohl tauschten einen Blick. Sie dachten beide in etwa das Gleiche, nur Rian beeindruckte die Situation nicht. Aber das lag vielleicht auch nur daran, dass er nicht verstand, was sie da eigentlich vollbrachte. Bohl und Reed wussten es jedoch.
Sobald man sein Bein anhebt, spannt man es automatisch an. Selbst wenn es nur geringfügig war, so mussten das, mit einem gebrochenen Knochen, unvorstellbare Schmerzen sein.
»Also, Rian, jetzt erkläre uns doch mal, warum du mit Jesse dort warst«, versuchte Bohl es noch einmal, fordernd diesmal. Eindeutig hilfesuchend warf Rian Talil einen Blick zu, die bei der Frage ihre Augen geöffnet hatte.
»Wir haben trainiert und wollten niemanden stören«, antwortete er, woraufhin Talil lächelnd ihre Augen wieder schloss. Rian entspannte sich sichtlich und sagte nichts mehr. Als Bohl erneut in ihn dringen wollte, schüttelte Reed unbemerkt von den Beiden den Kopf und Bohl hielt inne. Er sah noch einmal zu Talil, die seinen Blick plötzlich fixierte.
»Du solltest dich mit dieser Antwort zufriedengeben, denn eine andere wirst du nicht bekommen. Weder von mir noch von Rian.« Mit einem Mal zuckte ihr Auge, und er warf Ilmari einen schnellen Blick zu, der noch immer mit den Verbandslagen beschäftigt war. Nun allerdings fasste er ihren Fuß und wickelte ihn bis zu den Zehenspitzen ein. Talil schloss die Augen, öffnete sie kurz, führte den Becher mit zitternden Händen an den Mund und trank ihn in einem Zug leer. Mit geschlossenen Augen ließ sie ihren Kopf an die Lehne sinken, während Bohl die Schweißtropfen verfolgte, die ganz langsam von ihrer Stirn die Schläfe hinabliefen.
»Pause«, krächzte sie schließlich und Ilmari nahm augenblicklich die Hände fort.
»Du darfst dich nicht bewegen«, mahnte er leise. »Sonst müssen wir von vorne beginnen.« Inzwischen klang er gequält, doch sie behielt die Augen geschlossen und antwortete nicht. Behutsam legte er feuchte Tücher über ihr Bein, damit nicht schon vorzeitig alles aushärtete.
»In welcher Kampfart bist du am besten?«, fragte Bohl plötzlich und ein kurzes Lächeln huschte über ihre Züge.
»Wir können die Schwerter nehmen oder aber den Degen. Solltest du solch eine direkte Art nicht bevorzugen, akzeptiere ich auch den Langbogen.« Überrascht holte Bohl Luft und ihr Lächeln zeigte sich deutlicher. »Ich bin weder blind noch dämlich. Man kann deine Gedanken quasi in deinem Gesicht ablesen. Du willst wissen, ob ich wirklich so gut bin, wie ich hier tue. Wenn ich dir also ebenbürtig bin, dann lässt du es auf sich beruhen«, forderte sie.
Diesmal lächelte Bohl. »Weshalb nur ebenbürtig?« Seine Stimme klang herausfordernd und sie öffnete ihre Augen, sah ihn direkt an.
»Du bist nicht umsonst der 1. Hüter und mir liegt nichts daran, dich hier vor allen bloßzustellen.«
Er lachte und betrachtete sie schmunzelnd. Sie gefiel ihm, das konnte er wohl kaum abstreiten. Sie fachte seine Neugierde an in einer Weise, wie er es lange nicht mehr verspürt hatte. Oh, es gab viele gute Anwärter hier, die auch Talent besaßen, doch ihnen fehlte ihre Zielstrebigkeit, ihr Biss. »Und wenn du mir nicht ebenbürtig sein solltest?«, fragte er begierig.
»Dann beantworte ich dir drei Fragen«, sagte sie gelassen, als gäbe es keinerlei Zweifel an dem Ausgang eines Gefechts.
»Fünf«, hielt er nun dagegen.
»Drei. Oder wir lassen es und sitzen im schlimmsten Fall die Zeit hier schweigend ab.«
Nachdenklich musterte er sie. »Gleichgültig was für Fragen?«, hakte er nach, und es war das erste Mal, dass er eine echte Regung sah: Verachtung. Dennoch nickte sie.
»Aber du wirst dich ausruhen, solange es Ilmari für angebracht hält, oder unsere Abmachung ist hinfällig.« Sichtlich verärgert kniff sie die Lippen aufeinander und schwieg. »Reed wohnt ebenfalls hier«, fügte er an, um sie zu beruhigen, und schüttelte über sich selbst den Kopf. Er empfand keine leidenschaftlichen Gefühle und hoffte, dass sie das nicht von ihm dachte. Zwar würde eine Spanne in ihrer Lebensbahn folgen, in der zwanzig volle Monde Altersunterschied eben keinen Unterschied mehr machten, doch noch war sie selbst viel zu jung. Trotzdem wollte er sie knacken, ihre harte Schale durchbrechen und freilegen, was darunter so sorgsam verborgen lag.
»Bring es zu Ende«, sagte sie hörbar genervt. Rian hockte sich neben sie und ergriff ihre Hand. Schüchtern lächelte er und sie entzog sich ihm nicht.
»Es dauert nicht mehr lange. Reed, könntest du hier bitte einmal halten.« Es war eine Aufforderung, dennoch sah er Talil an, bis sie zustimmend nickte und ihr Bein erneut anhob. Diesmal stöhnte sie auf, griff den Becher fester und hielt es schließlich Bohl hin.
»Bitte«, stieß sie hervor, schloss ihre Augen und verharrte absolut reglos, nur ihr Brustkorb hob sich schneller als üblich.
Behutsam nahm er ihr den Becher aus der Hand, die sich sofort zur Faust ballte. Ihre andere jedoch, die Rian noch immer hielt, lag vollkommen entspannt in seiner. Als er sich gerade abwenden wollte, lockerte sie ihre Faust, streckte die Finger aus und legte sie dann scheinbar gelassen auf die Lehne, ihr Atem aber beschleunigte sich.
O ja, das wird ein wahrer Kampf. Er bedauerte nur ihre Verletzung, die einen echten Nachteil darstellte. Doch er würde sich etwas einfallen lassen, um das auszugleichen. Er wollte einen ehrlichen Sieg.
»Ich bin fertig«, sagte Ilmari und Talil sackte sichtbar erleichtert ein wenig in sich zusammen.
»Danke«, antwortete sie hörbar befreit. »Es tut mir leid, dass ich dich bedroht habe.« Wortlos lächelte er, nickte und begann aufzuräumen. »Wie lange muss ich hier liegen?«, fragte sie und hielt den Atem an. Ilmari wandte sich ihr wieder zu und seufzte.
»Eigentlich wäre ein voller Mondlauf angemessen. Da ich aber bereits schon jetzt ahne, dass du das nicht einhältst, sorge ich dafür, dass du wenigstens die Hälfte dieser Zeit dein Bein schonst.«
Sie nahm den Becher von Bohl entgegen und trank erneut einen großen Schluck. »Wir werden sehen«, antwortete sie ausweichend.
Ilmari grinste. »O ja, das werden wir.« Ebenfalls lächelnd hob sie ihren Becher, prostete ihm zu und nahm diesmal einen sichtbar genüsslichen Schluck.
»Reed, komm, wir besorgen für uns alle mal etwas Vernünftiges zu essen. Ilmari, bleibst du und isst mit uns?«, fragte Bohl, doch er schüttelte bereits den Kopf.
»Nein, tut mir leid, so gerne ich auch würde. Wenn ich nicht gleich heimkehre, verflucht Nell mich.«
Reed und Bohl lachten, während Ilmari scheinbar schicksalsergeben lächelte. Er stellte eine Dose mit Pulver auf den Tisch und sah Talil an. »Das ist ein Mittel gegen die Schmerzen. Nicht mehr und nicht weniger. Solltest du es nicht länger aushalten, nimm einen Hut davon in einen Aufguss, aber höchstens zwei innerhalb von einem Mondgang.« Sie zog eine Augenbraue hoch und nickte.
Gemeinsam verließen Bohl, Ilmari und Reed das Haus und schlossen die Tür hinter sich.