Читать книгу Träume - Calin Noell - Страница 20

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Du musst endlich aufhören, dich zu wehren. Du musst verstehen und lernen, nur so kannst du heilen, erklang plötzlich die eindringliche Stimme von Wilton in ihrem Kopf. Fast schon verzweifelt hörte er sich an.

Talil aber erkannte nicht, dass ihre Träume sie noch immer gefangen hielten. Wilton jedoch beschwor die Geister, um die nächste Stufe der Visionen zu beginnen ...

Als ich diesmal erwachte, lag ich in Wolfsgestalt auf dem Boden und spürte die warmen Körper der Wölfe an meiner Seite. Ich erhob mich und sah mich um. Irritiert reckte ich die Nase in die Luft, nahm jedoch nichts Ungewöhnliches wahr. Die Baumgruppe lag vollkommen einsam und verlassen vor mir. Verschwunden war das Lagerfeuer, nicht einmal Reste waren zu sehen und ich schritt langsam darauf zu. Erneut hob ich die Nase, dennoch gab es keinerlei Anzeichen dafür, dass hier jemals ein Lagerfeuer gebrannt hatte. Auch Wilton war fort, mit ihm die Taschen und Beutel, die noch zuvor überall verstreut herumgelegen hatten.

Ich drehte mich einmal im Kreis, doch nichts ließ darauf schließen, dass auch nur eine einzige fremde Seele jemals diesen Ort betreten hatte.

»Talil, hörst du mich?«, vernahm ich plötzlich Juls Stimme in meinem Geist. Zögernd, ängstlich sprach er sie und erst jetzt bemerkte ich, wie sehr er mir gefehlt hatte.

»Ja, Jul, ich höre dich. Geht es dir gut?«, fragte ich und spürte sogleich seine Verwunderung. Ich hörte sein Seufzen und zuckte innerlich zusammen. Mir war bewusst, dass es nicht einfach werden würde, doch dass sich mein Wohlbefinden schon nur durch einen einzigen Seufzer quasi in Wohlgefallen auflöste, schockierte mich zutiefst.

»Ich bin ehrlich gesagt total erleichtert«, antwortete er aufgelöst.

»Ich weiß, Jul und es tut mir leid.« Intuitiv wusste ich, dass diesmal nur die wenigen Tage meiner Heilung zwischen uns lagen, und ich grübelte darüber nach, was das alles bedeutete.

»Ist es so weit?«

»Ja, heute Abend erweisen wir Cadan die letzte Ehre. Wirst du kommen?«

Ich spürte seine Angst förmlich. »Ja, ich mache mich gleich auf den Weg. Ich gebe dir Bescheid, sobald ich bei der Hütte angekommen bin, in Ordnung?«

»Ja«, rief er und war nicht mehr in der Lage, seine Freude zu verbergen.

Ich verließ die Baumgruppe und ging um den Felsen herum. Ich musste mich nicht umwenden, um zu sehen, dass er und alles was dahinter lag, verschwanden, ich wusste es einfach. Dennoch konnte ich dem Drang nicht widerstehen und blickte zurück. Ich sah nichts weiter als einen scheinbar undurchdringlichen Wald, kein Felsen ragte in den Himmel empor und ein Schauder durchlief meinen Körper.

Ich folgte dem kleinen Pfad durch den Wald und vertraute einzig und allein auf meine Sinne. Ich spürte, dass meine Kräfte vollständig zurückgekehrt, meine Verletzungen vollkommen verheilt waren, und dachte erneut an die vergangenen Tage zurück, noch immer unentschlossen, was ich davon halten sollte.

Je näher ich meinem Ziel kam, umso mehr kehrte ganz allmählich meine Unruhe zurück und mein Unbehagen wuchs. Ich wollte nicht, dass die Dinge geschahen, die ich in den Träumen gesehen hatte, dennoch änderte das nichts an meinen Empfindungen oder an meiner Einstellung den Geschehnissen gegenüber.

Meine Unsicherheit wuchs mit jedem weiteren Schritt. Schließlich blieb ich stehen, unschlüssig, was ich tun sollte. Ich hatte die Hütte fast erreicht, doch nun stand ich hier und zögerte.

Was will ich? Unentwegt fragte ich mich das und konnte nicht verhindern, dass sich mehrere Bilder aus meinen Erinnerungen in den Vordergrund drängten.

Ich sah Rian, wie er mich herausfordernd zu meinem Versprechen zwang, Jul, wie er unablässig quasselnd an meinem Krankenbett saß, sein Bild aus einer der Visionen, vollkommen verändert, wütend, äußerst enttäuscht. Dann sah ich Mael und Kiljan in meinem Zimmer und schließlich Kiljan, wie er sichtbar zufrieden auf der Terrasse saß und auf den See hinausblickte.

Innerlich stieß ich einen tiefen Seufzer aus. Ich sehnte mich nach ihm, noch immer, trotz allem, das wurde mir plötzlich bewusst und diesmal seufzte ich laut. Unabhängig davon, was ich wollte, war ich dennoch nicht sicher, ob ich auch in der Lage zu all dem wäre.

Einen Schritt nach dem anderen. Erst einmal der Abschied von Cadan., dachte ich und bei diesem Gedanken schnürte es mir augenblicklich das Herz zusammen.

Verärgert über mich selbst, schüttelte ich den Kopf. Er war tot, ich aber lebte und er hätte mit Sicherheit nicht gewollt, dass ich alles einfach so wegwarf. Schuldete ich es nicht wenigstens ihm, dass ich es versuchte?

»Du musst es für dich begehren, Talil. Du musst leben wollen, einzig für dich selbst«, hörte ich plötzlich Wiltons Stimme in meinem Geist, die traurig in mir nachhallte. Seltsamerweise überkam mich das Gefühl, dass es wirklich seine Niedergeschlagenheit war, die ich spürte.

»Bist du schon da?«, erklang Jul aufgeregt in meinem Kopf und verdrängte die Emotionen von Wilton. Ich lächelte und in diesem Moment wurde mir noch etwas anderes bewusst: Ich wollte auf keinen Fall für diese Enttäuschung verantwortlich sein, für das Leid, dass ich in der Vision nicht nur gesehen, sondern vor allem auch bei Jul gespürt hatte. Er war noch so klein, so jung und verdiente Besseres.

»Gleich.« Ich seufzte erneut. Immer ruhig, ermahnte ich mich selbst stumm und wandelte mich.

Als der vertraute Schmerz ausblieb, stand ich gänzlich erstarrt und wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Die Wandlung ging so natürlich vonstatten, die Gefühle so berauschend in ihrer Vollkommenheit und doch so angsteinflößend, dass ich nicht in der Lage war, mich zu bewegen. Was würde ich nun tun, wenn ich nicht mehr wusste, wie ich meine Empfindungen in den Griff bekommen sollte? Mit einem Mal überkam mich unsagbare Furcht, Panik durchflutete mich.

Der Schmerz war ein ständiger Begleiter in meinem Leben. Was konnte ich stattdessen tun? Ich hatte mir selbst geschworen, nie wieder ein Messer zu benutzen, nun jedoch schien die beste Alternative einfach verschwunden und mein Innerstes begann, nervös zu flattern. Schlagartig spürte ich die Angst vor den Begegnungen, vor dem, was geschehen könnte, doppelt so stark.

»Fürchte dich nicht«, vernahm ich plötzlich Juls Stimme. Er trat auf mich zu, fasste behutsam meine Hand und ließ sie nicht mehr los. »Ich habe sie alle weggeschickt«, flüsterte er und konnte seine Tränen nicht länger zurückhalten.

Zögernd kniete ich mich hin und schloss ihn in die Arme, hielt ihn fest. Schließlich erhob ich mich mit ihm. Langsam, beinahe widerwillig schritt ich auf die Hütte zu. »Alles wird gut, Jul. Irgendwie bekommen wir das hin.« Ich spürte sein Nicken, doch er war noch nicht bereit, mich wieder anzusehen. Sanft streichelte ich ihm über den Rücken. An der Türschwelle verharrte ich einen Moment und holte tief Luft, bevor ich sie öffnete und eintrat. Ich wusste sofort, dass Kiljan sich im Haus befand, und war dankbar, dass ich mich an Jul klammern konnte.

»Du sagtest, du hättest alle weggeschickt«, flüsterte ich leise, ohne dass es mir gelang, den Vorwurf aus meiner Stimme zu verbannen.

Ruckartig hob er den Kopf und musterte mich. »Das ist doch nur Kiljan«, antwortete er ebenso leise, als wäre das die logischste Erklärung und ich nur zu dumm, das zu verstehen.

Zögernd kam Kiljan die Treppe hinunter. Als er die letzte Stufe erreicht hatte, blieb ich stehen. Mir stockte der Atem bei seinem Anblick und ganz oberflächlich betrachtet, wusste ich sofort wieder, was ich so sehr an ihm mochte. Seine Ausstrahlung warf mich aus der Bahn und mein Innerstes focht augenblicklich ein Duell mit meinen Nerven.

»Du bist wirklich gekommen«, begann er plötzlich und schaffte es endlich, mich direkt anzusehen. Nur dieser eine Blick genügte, um eine erste Entscheidung zu fällen.

Jul kämpfte sich aus meiner Umarmung frei und grinste. »Ich warte draußen. Ihr habt ja noch ein bisschen Zeit, also, ein bisschen mehr. Ist ja noch ganz hell.«

Ich spürte, dass er immer wieder zwischen Kiljan und mir hin und her sah, während er langsam zu der Tür trat. Ich war nicht in der Lage, meinen Blick von Kiljan abzuwenden und ihm schien es ähnlich zu ergehen.

Als Jul die Tür hinter sich schloss, machte Kiljan einen zögernden Schritt auf mich zu, stockte dann jedoch unsicher. »Es tut mir so unendlich leid, Talil«, brachte er flüsternd hervor. Ich hörte das Zittern in seiner Stimme.

»Ich weiß«, flüsterte ich ebenso leise zurück. »Lass es für heute gut sein. Wir reden ein anderes Mal darüber.«

»Wird es ein anderes Mal geben?« Ich sah, wie er nach seiner Frage aufhörte zu atmen, als könne er die Spannung kaum ertragen. Ich nickte, nicht in der Lage, die Worte laut auszusprechen, zu quälend war sein Anblick, zu schmerzhaft.

Geräuschvoll stieß er den Atem aus. »Du sagst das auch nicht nur einfach so?« Aufmerksam musterte er mich.

»Nein.« Er überbrückte die letzten zwei Schritte und zog mich an sich, seitlich, nicht frontal.

Als sich seine starken Arme fest um mich schlossen und er dann noch sein Kinn auf meinen Scheitel legte, war es um meine Selbstbeherrschung geschehen. Ich weinte, um Cadan, um mich, um mein Leben, um Kiljan und Rian. Schweigend hielt er mich fest. Als ich kraftlos in die Knie zu sinken drohte, hob er mich hoch und setzte sich mit mir auf das Sitzpolster. Mein Kopf ruhte auf seiner Brust und sein rasender Herzschlag, der sich einfach nicht beruhigte, brachte schließlich irgendwann mein Lächeln zurück.

Ich hob meinen Kopf und legte meine Hand auf sein Herz. »Hast du dich jetzt meinetwegen oder deinetwegen hingesetzt?«, fragte ich herausfordernd und hob den Blick von meiner Hand in sein Gesicht. In dem Moment, in dem sich unsere Blicke trafen, hätte alles geschehen können, doch plötzlich wurde die Tür aufgerissen und Mael stürzte herein.

»Kiljan, wir können die Fackeln nicht fin...den ...«

Wir sahen ihn beide an, ich noch immer seitlich auf seinem Schoß. Mael erstarrte, kaum dass er zwei Schritte eingetreten war. Sichtbar aufgebracht fuhr er sich durch die Haare, erkannte sehr wohl, wobei er gerade störte, und wiederholte die Geste. Ein vollkommen geknickter Ausdruck legte sich auf seine Züge.

»Bei allen Geistern, bin ich dämlich«, stieß er hervor, trat unschlüssig von einem Bein auf das andere.

Ich lachte. »Ich freue mich auch unheimlich, dich zu sehen, Mael«, entgegnete ich belustigt und erhob mich. Unsicher ging ich auf ihn zu und er zuckte entschuldigend mit den Schultern. Ich sah Kiljans Blick nicht, aufgrund Maels Miene vermutete ich aber, dass er nicht besonders freundlich ausfiel. Vorsichtig schloss er mich in seine Arme, achtete jedoch ebenfalls darauf, nicht vollkommen frontal zu stehen. Innerlich seufzte ich. Sie gaben sich immer so viel Mühe, waren stets darauf bedacht, Rücksicht zu nehmen, was ich wirklich dankbar annahm, dennoch wog der Brocken auf meinem Herzen plötzlich doppelt so schwer.

Er drückte mich an sich und ließ mich nur zögernd wieder los. »Du siehst viel besser aus, als beim letzten Mal«, sagte er grinsend und drückte kurz meine Schulter.

Ich grinste zurück. »Kaum jemand hat so elend ausgesehen wie du. Allerdings muss ich gestehen, dass du ebenfalls gut aussiehst.«

Sichtbar verlegen senkte er seinen Blick, doch bevor er auf meine Worte eingehen konnte, räusperte sich Kiljan.

»Ach, ja, genau«, stieß Mael hervor. »Ich wollte ja die Fackeln finden. Kiljan, du weißt nicht zufällig ...?!« Er warf einen kurzen Blick zu seinem Freund, wandte sich dann jedoch abrupt wieder um. »Nein, anscheinend nicht. Ich suche mal weiter. Bis später, Talil, es ist schön, dass du wieder Zuhause bist. Er war wirklich unausstehlich«, rief er, sah noch einmal zurück und verließ dann hastig das Haus.

Lachend drehte ich mich um und erstarrte. Kiljan stand so nah bei mir, dass mir der Atem stockte und mein Innerstes sich verkrampfte. Er sah mich an, sein Kopf neigte sich. Zögernd gelangten seine Lippen in mein Blickfeld und ich spürte, dass er mir genügend Zeit zu geben versuchte, um ihm auszuweichen. Doch das Problem war, dass ich gar nicht sicher wusste, was ich selbst eigentlich wirklich wollte. Mein Körper jedoch schon, und zwar sehr genau.

Ich griff in sein Haar und zog ihn zu mir herunter. Als unsere Lippen sich endlich trafen, überrollte mich augenblicklich eine Welle der Leidenschaft. Schockiert wurde mir bewusst, dass es sich dabei einzig und allein um meine eigenen Gefühle handelte. Ich wollte ihn. Unbedingt. Jetzt.

Kiljan ergriff schweratmend meine Handgelenke und löste sich. Sein Blick sprach Bände und doch sah ich sie ganz deutlich, seine abgrundtiefe Angst. »Wir sollten nichts überstürzen, Talil. Ich will dich, wirklich, mehr als alles andere auf dieser Welt, doch ich kann nicht, solange ich nicht sicher weiß, dass du vorhast hierzubleiben. Diese Unsicherheit bringt mich um den Verstand.«

Ich wollte so gerne einfach meinem Impuls nachgeben und mir nehmen, was ich gerade am dringendsten brauchte. Stattdessen trat ich einen Schritt zurück und seufzte. Mir war klar, dass er recht hatte und mein Verhalten unfair wäre, mehr als das. Verwirrt und frustriert fuhr ich mir übers Gesicht und durch die Haare.

»Ach, verdammt!«, stieß er hervor, hob mich plötzlich hoch und trug mich die Stufen hinauf, direkt zu dem Bett. Die ganze Zeit über küsste er mich wild, leidenschaftlich, und ich vergaß ebenfalls all meine guten Vorsätze. Erneut griff ich in sein Haar und zog ihn näher heran.

Inzwischen hatte er mich auf das Bett gelegt und kniete neben mir, versuchte vergeblich, die Knöpfe von meinem Hemd zu öffnen, und fluchte. Ich grinste, bis er mit einem unvermittelten Ruck das Hemd aufriss. Ungestüm schob er die Kleidung beiseite und sog an meinem Nippel, während er mit der Hand die andere Seite streichelte. Überrascht schnappte ich nach Luft, schockiert über seine Heftigkeit und versuchte krampfhaft, die Bilder zu unterdrücken, die sich, ausgelöst durch den Schreck, an die Oberfläche drängten.

Kiljan merkte wohl, dass ich mich verkrampfte, und richtete sich auf. »Warte!«, wisperte ich erstickt, schloss zitternd die Augen und kämpfte noch verbissener gegen die mächtige Bilderflut an. Ich atmete schwer, nun jedoch nicht mehr aufgrund meiner Erregung. Ich spürte sehr genau, wie ich allmählich den Kampf verlor …

»Was soll ich tun?«, flüsterte ich verzweifelt und griff mir mit beiden Händen an den Kopf, weil diese verdammten Bilder einfach nicht wieder weichen wollten.

»Rede mit mir«, bat Kiljan plötzlich leise. »Wehr dich nicht dagegen, sondern erzähle es mir.«

Panisch sah ich ihn an. War er jetzt übergeschnappt? Aufgebracht erhob ich mich, zog meine Kleidung zurecht und atmete tief durch. »Kiljan, du begreifst das nicht. Ich kann mit niemandem über diese Dinge sprechen. Und mit dir schon gar nicht.«

Sein Blick wirkte gekränkt und er musste gar nichts sagen, denn ich sah seine innere Wunde, die meine Worte verursacht hatten. Genervt runzelte ich die Stirn.

»Du verstehst das vollkommen falsch. Gerade mit dir will ich darüber nicht reden. Ich könnte dir nie wieder in die Augen sehen. Nein, das stimmt nicht, verdammt.« Rastlos lief ich auf und ab, wandte mich ihm dann erneut zu. »Du könntest mir nie wieder in die Augen sehen. Dieses Wissen würde dich vergiften. Es würde alles zerstören, was gut ist, zwischen uns.«

Hilflos schaute er mich an. »Nevan meinte, du müsstest erkennen, dass nur das dir helfen kann. Sonst wirst du niemals darüber hinwegkommen.«

Gequält betrachtete ich ihn. Deswegen wollte ich nicht wieder hierher. Wollte all diesen Kummer nicht verursachen. »Ich muss zu Rian«, stieß ich hervor und streifte mir hastig ein Hemd über, bevor ich auf die Treppe zutrat.

»Rian?«, wiederholte Kiljan, hörbar verwirrt.

Zögernd blieb ich stehen. »Ja, ich muss mit ihm sprechen. Wo finde ich ihn?« Sein Ton hatte mich aufhorchen lassen. Eine eisige Gänsehaut lief meinen Rücken hinab, schon während ich mich ganz langsam wieder zu ihm umwandte. Anhand seines Tons, seiner Stimmlage, kannte ich die Antwort auf meine Frage bereits und dennoch stellte ich sie erneut.

»Wo ist Rian?« Mein Körper erbebte und Kiljans Stirnrunzeln vertiefte sich noch eine Spur.

»Er ist in den Bergen von Tari. Reed ist noch einmal unterwegs dorthin. Er begleitet ein paar Nachzügler von uns und wollte versuchen, ihn zur Rückkehr zu überreden.«

Ich wich zwei Schritte zurück. In mir arbeitete es auf Hochtouren und verdrängte die Panik, die sich breitzumachen versuchte. »Seit wann ist er fort? Können wir ihn irgendwie erreichen?«

Kiljan schüttelte irritiert den Kopf. »Er ist vor vier Mondgängen aufgebrochen. Er muss einen Umweg machen, da sie noch bei Gins Vater vorbei müssen. Palo benötigt ein paar Dinge und schafft den Weg zu uns momentan nur sehr selten.«

»Wer kennt den Weg?«, fragte ich unruhig.

»Ich kenne ihn. Talil, was ist denn los? Rede mit mir.«

Ich ließ mich auf den Stufen nieder und vergrub mein Gesicht in den Händen, dann seufzte ich. »Ich kann es dir nicht erklären, ich muss sofort zu Rian. Ich muss in Tari ankommen, noch bevor Reed wieder von dort aufbricht. Also erklärst du mir jetzt den Weg oder nicht? Ich habe keine Zeit, Kiljan. Bitte!«

Zögernd erhob er sich, doch ich sah ihm sein Unbehagen an. »Du wirst den Weg nicht finden, Talil. Du musst jemanden mitnehmen.«

Noch bevor er den Satz ausgesprochen hatte, schüttelte ich bereits den Kopf. Ich wusste, dass die Berge auf unserer Seite des Waldes lagen, und dadurch die Möglichkeiten zu reisen begrenzt waren. Mein geliebtes Motorrad funktionierte hier nicht, also gab es auch keine Autos oder derlei Dinge.

»Als Wolf bin ich schneller als alle anderen. Ich gehe allein.« Wie hätte ich ihm erklären sollen, dass ich Rians Tod gesehen hatte? Ich erhob mich und stieg die Stufen hinab, als es kurz klopfte und Ean eintrat. Zögernd blieb er auf der Schwelle stehen. Ich grinste, denn er war genau derjenige, den ich brauchte.

»Ich will keine Rechtfertigung und keine Entschuldigungen hören. Wenn du mir helfen willst, zeigst du mir jetzt den Weg nach Tari, wie du es schon einmal getan hast. Ich muss, so schnell es geht, dorthin und zwar sofort.«

Er sah von mir zu Kiljan, der noch immer oberhalb der Treppe stand und wieder zu mir zurück. Wortlos fasste er meine Stirn und zeigte mir den Weg. Bilder füllten meinen Kopf, und ich wusste, ich würde die Festung der Hüter nicht verfehlen.

»Ich kehre zurück«, rief ich noch, dann lief ich los, aus der Tür hinaus.

»Talil, wo willst du hin? Was ist mit Cadan?«, hörte ich Juls gequälte Stimme. Abrupt blieb ich stehen und wandte mich langsam zu ihm um.

»Ich muss zu Rian. Er lebt, Cadan jedoch ist längst fort. Er wird es verstehen, und ich verabschiede mich später in aller Ruhe von ihm.« Unglücklich nickte Jul. »Ich komme wieder, ich verspreche es dir.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, lief ich bereits weiter. Ich wandelte mich im Lauf, erneut irritiert, weil der unsägliche Schmerz ausblieb, der meinen Körper zwar immer qualvoll durchströmte, mich damit aber jedes Mal erlöste – und vor mir selbst beschützt hatte.

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