Читать книгу Träume - Calin Noell - Страница 18
ОглавлениеNoch bevor ich meine Augen richtig geöffnet hatte, nahm ich als Erstes einen scharfen Geruch wahr und verzog das Gesicht.
»Du bist wirklich gekommen«, hörte ich die leisen, angestrengt wirkenden Worte und sah mich um. Ich befand mich ganz offensichtlich bei unseren Heilern und ging zögernd auf das Bett zu. Überrascht bemerkte ich, dass ich mich diesmal in meiner wahren Gestalt befand. »Du bist es wirklich«, flüsterte Ean leise, und ich tat den letzten Schritt. In mir zog sich alles zusammen, und ich unterdrückte krampfhaft den aufkommenden Schrecken. Vollkommen eingefallen lag er da, die Augen stumpf und tief in den Höhlen schien er nur noch ein Schatten seiner selbst.
Er verzog das Gesicht zu einem Lächeln, doch in seinem abgemagerten Zustand wirkte es eher wie eine Grimasse. »So lange warte ich nun schon auf dich. Nur deinetwegen bin ich noch hier.« Er hustete und hob seine zitternde Hand.
Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, dass mir das nicht nahe ging. Es war furchtbar, so grauenvoll, dass ich sogar meine aufgestaute Wut und meine Enttäuschung vergaß.
Ich ergriff den Becher und half ihm beim Aufrichten. Nur mühsam gelang ihm das Trinken von winzigen Schlucken. Vollkommen erschöpft ließ er sich auf die Kissen zurücksinken und lächelte erneut. »Ich weiß, dass ich kein Recht auf Vergebung habe, doch das ist nicht der Grund, weshalb ich auf dich warte.« Hustend ballte er die Hand zur Faust, sah mich flehend, fast hilfesuchend an. Erst als der Anfall vorüberging und er einige Male zitternd Luft holte, entspannte er sich ein wenig. »Es tut mir leid, so unendlich leid«, flüsterte er, während seine Tränen nun ungehindert seine Wangen hinabliefen, dennoch blickte er mich intensiv an.
»Nur deswegen bin ich noch hier, weil du ein Recht auf diese Worte hattest. Es war mir so unglaublich wichtig und doch erscheint es mir nun erbärmlich, weil es einfach nicht genug ist. Du musst mir glauben, Talil. Es tut mir aufrichtig leid«, wiederholte er eindringlich. Ich nickte stockend. Schwerfällig holte er ein weiteres Mal Atem. Nach meinem Nicken aber entspannte er sich plötzlich, ein leichtes Lächeln auf den Lippen, regte er sich nicht mehr. Die Stille des Todes füllte den Raum.
»Ich fange wirklich an, dich zu hassen«, erklang es unvermittelt hinter mir.
Langsam wandte ich mich um. Ich hatte Jul bereits an der Stimme erkannt, dennoch erschrak ich erneut, als ich ihn ansah.
»Ich sagte dir, dass du zu den Heilern gehen sollst«, fuhr er wütend fort.
Verwirrt erwiderte ich seinen Blick. »Ich bin doch hier«, entgegnete ich.
Jul schnaubte. »Ja, sechs volle Monde später. Ist dir eigentlich klar, wie sehr er gelitten hat, nur um dich noch einmal zu sehen?«
Ich war so irritiert, dass ich nicht mal auf seinen Ton einging. »Sechs Monate?«, fragte ich und sah wieder zu Ean. »Er ist tot«, flüsterte ich erschüttert.
»Nein, er ist endlich erlöst«, antwortete Jul aufgebracht.
»Aber es sind doch nur Träume. Ich habe keinerlei Einfluss darauf, Jul.«
Niedergeschlagen sah er mich an und schüttelte den Kopf. »Natürlich hast du Einfluss darauf, Talil. Es sind deine Träume. Wenn du es gewollt hättest, dann wärst du einfach gekommen. Aber wir sind dir alle vollkommen gleichgültig.« Er trat auf das Bett zu und legte eine Decke über den leblosen Körper.
»Es ist wahr, dass dir furchtbare Dinge angetan wurden, das rechtfertigt jedoch nicht alles. Du verletzt so viele mit deinem Verhalten, so viele, die das gar nicht verdienen. Seit deinem Verschwinden aß Ean kaum noch etwas. Immer wieder ging er in den Wald und suchte nach dir. Kiljan begleitete ihn oft. Mehrere Mondgänge blieben sie verschwunden.« Eindringlich betrachtete er mich, und mich überkam ein Gefühl von Unbehagen. Was geschieht hier nur, fragte ich mich besorgt.
»Niemals darfst du vergessen, dass du bei jedem, der deinen Weg kreuzt, Spuren hinterlässt. Hier aber bist du Zuhause, hast wieder einen Platz gefunden. Du willst nicht begreifen, dass es Dunkelelben gibt, denen du eine Menge bedeutest und denen dein Verhalten verdammt wehtut.« Er wurde immer lauter und je lauter er sprach, desto fassungsloser starrte ich ihn an.
»Sind die Dinge, die geschehen sind, etwa meine Schuld? Glaubst du das wirklich, Jul?«
»Nein, natürlich nicht. Doch selbst wenn man wütend und enttäuscht ist, läuft man nicht einfach weg und kommt nie wieder. Und genau das werfe ich dir vor. Du hättest wiederkommen müssen«, schrie er, wandte sich abrupt um und lief plötzlich davon. Dennoch hatte ich seine Tränen bemerkt, obwohl er krampfhaft versuchte, sie vor mir zu verbergen.
Mit einem letzten Blick auf den verhüllten Körper von Ean verschwand die Szene vor mir und erneut hüllte mich willkommene Schwärze ein.
Ächzend richtete ich mich auf und sah mich um. Ich befand mich wieder in einem Wald, doch ich war allein, niemand sonst war hier, kein Feuer brannte und auch Wilton wartete diesmal nicht mit einer Schale Eintopf auf mich.
Zögernd erhob ich mich, spürte die leichten Schmerzen und fasste an meine Seite. Erneut sah ich mich um und versuchte, das Unbehagen abzuschütteln, das mich inzwischen vollkommen in Besitz nahm. Ich bekam weder die Szenen mit Kiljan noch die mit Ean und Jul aus meinem Kopf.
Hat Ean wirklich so lange Zeit gelitten, nur um mir zu sagen, dass ihm das alles unglaublich leidtat?
Diese Frage ließ mich nicht wieder los. Auch Kiljans bleiches Gesicht, seine von Kummer gezeichneten Züge ... Verärgert über mich selbst, schüttelte ich den Kopf. Was interessierte es mich?
Langsam trat ich aus der Baumgruppe heraus und erstarrte. Das darf doch alles nicht wahr sein. Entnervt sah ich mich um, doch ich war mir sicher, dass ich diesen Ort nicht kannte, noch nie gesehen hatte und ging zögernd auf das geöffnete Tor zu. So allmählich wurde mir klar, dass auch dies ein Traum sein musste.
Mein Unbehagen wuchs und der gewaltige Bau vor mir erschien mir riesiger, unheilvoller, je näher ich gelangte. Dieser Anblick erinnerte mich an die Festung eines schaurigen Psychothrillers, den ich während meiner Zeit bei den Menschen im Fernsehen gesehen hatte.
Hohe dicke Mauern zogen sich, soweit das Auge reichte, und der einzige Zugang schien das riesige, doppelflügelige Tor zu sein. Das Mauerwerk schimmerte dunkel, wirkte regelrecht bedrohlich. Während ich durch das Tor schritt, überzog eine Gänsehaut meinen Körper. Kurz hinter der Schwelle verharrte ich und hielt überrascht den Atem an.
Im Innenhof herrschte reges Treiben, viele Dunkelelben liefen aufgeregt hin und her und schienen im Begriff, aufzubrechen. Obwohl ich mir inzwischen sicher war, dass niemand mich sehen konnte, brach mir dennoch der Schweiß aus, und ich bewegte mich noch immer nicht von der Stelle. Erst nachdem zwei Dunkelelben an mir vorübergingen, ohne mich zu beachten, setzte ich mich zögernd in Bewegung.
Was soll ich hier?
Dann entdeckte ich einen Hüter, an den ich mich aus meiner Kindheit zwar irgendwie erinnerte, den ich jedoch nicht einordnen konnte. Auch sein Name fiel mir nicht wieder ein.
Er wandte mir den Rücken zu und redete auf jemanden ein, schien angespannt und meine Neugierde trieb mich voran. Es war ein beklemmendes Gefühl, in sein Blickfeld zu treten und darauf zu warten, dass er mich ansprach. Als er es nicht tat, weil er mich anscheinend tatsächlich nicht wahrnahm, ging ich noch einen Schritt näher. Ich wollte endlich einen Blick auf seinen Gesprächspartner werfen und erstarrte im selben Moment.
Rian.
Mein Innerstes drehte sich und krampfte sich gleich darauf schmerzhaft zusammen. Er sah schrecklich aus.
Was geht hier nur vor sich?
»Rian, ich bitte dich. Kehr wieder mit uns heim. Du hast es lange genug hier ausgehalten und kannst wirklich stolz auf dich sein, doch es reicht jetzt.«
Rian aber schüttelte vehement den Kopf. »Ich sagte nein! Ich habe ihr geschrieben, dass ich erst zurückkehre, wenn sie das Gute sieht, und bleibe so lange, bis sie dazu bereit ist.«
Verärgert presste er die Lippen aufeinander. »Das ist lächerlich Rian. Sie kehrt nicht zurück, auch du wirst dich damit abfinden müssen. Was soll das also? Bohl hat mir berichtet, wie sehr sie dir hier zusetzen. Sie hat uns allen den Rücken gekehrt. Du bist ihr nichts mehr schuldig, also komm schon.«
»Du verstehst das nicht, Reed. Ich bin hierhergekommen, um meine Schuld ihr gegenüber abzutragen. Ihr alle mögt das lächerlich finden, doch ich schulde es ihr. Verstehst du es denn nicht? Sie hat all das erlitten, weil sie mich nicht wollten, weil mein Onkel sie gegen mich austauschte und ich es nie jemandem erzählte. Ich stehe auf ewig in ihrer Schuld, und zwar so lange, bis sie mir vergibt. Niemand sonst könnte es.«
Schockiert hörte ich die Worte, die Rian voller Überzeugung aussprach. Reed hingegen schüttelte resignierend den Kopf. »Rian, tu das nicht. Opfere dich nicht. Du selbst warst ein Kind, vollkommen unschuldig an den Geschehnissen. Glaubst du, sie würde wollen, dass du dich zerstörst? Zwölf volle Monde überstehst du nicht, sieh dich doch an, verdammt!«
Stur verschränkte Rian die Arme vor der Brust, sein Blick funkelte wütend.
Reed seufzte. »Sie öffnen die Tore noch einmal, wenn der Mond erneut voll am Himmel steht, und ich werde wieder hier sein, gemeinsam mit Mael. Solltest du dennoch bleiben wollen, wirst du zwölf volle Monde hier festsitzen, also überlege dir gut, ob sie all das wirklich wert ist.«
Er wandte sich ab, sichtbar verzweifelt und stapfte davon. Rian aber zog die Schultern hoch und lief in die andere Richtung, auf einen Nebentrakt des größten Gebäudes zu. Zögernd ging ich ihm nach, während sich das bedrückende Gefühl, das mich beschlich, immer mehr verstärkte, je länger ich ihm folgte.
Er durchquerte eine Tür und stieß mit einem Kerl zusammen, der mir vom ersten Moment ein derart beklemmendes Gefühl bescherte, dass sich mir die Nackenhaare aufstellten. »Oh, sieh an, wen haben wir denn hier? Seht mal, Riiienaaa ist wieder da. Was ist geschehen, hat Mami dich nicht abgeholt?« Allgemeines Gelächter erklang, doch Rian ignorierte es, ebenso den Dunkelelb. Wortlos ging er auf sein Feldbett zu. Scheinbar ruhig schnallte er sich einen Gurt um und erst auf den zweiten Blick erkannte ich das Schwert, das daran festgebunden war.
Plötzlich wandte er sich um, und ich erstarrte. Rian lächelte und dieses Lächeln jagte mir einen eisigen Schauder den Rücken hinab. »Du kannst mich nennen wie du willst, Jesse, das kümmert mich nicht. Du schuldest mir noch eine Revanche und die fordere ich jetzt ein. Bohl und die anderen sind damit beschäftigt, die An- und Abreisenden zu versorgen, also warum gehen wir nicht rüber auf den alten Trainingsplatz und klären diese Angelegenheit ein für alle Mal?! Und zwar endgültig.« Herausfordernd sah er die Gruppe an.
»Das ist nicht das Übungsschwert«, antwortete Jesse gepresst und diesmal war es Rian, der selbstgefällig grinste.
Der nächste eisige Schauder erfasste mich, während ich langsam den Kopf schüttelte. »Nein, Rian«, bat ich flüsternd, doch niemand von ihnen reagierte, niemand hörte mich.
»Na, immerhin bist du nicht so dumm, wie du aussiehst«, spottete Rian. »Du wolltest es doch ein für alle Mal klären, also wozu sollten wir dann ein stumpfes Schwert benutzen? Komm schon, oder hast du etwa Angst, Jessiiiieeee?«
Bei dieser Aussprache seines Namens zuckte Jesse zusammen und verzog wütend das Gesicht. »Dir werde ich es zeigen. Wir wissen beide, dass du mich niemals besiegen kannst«, rief er erbost und eilte zu seinem Schlafplatz. Sichtbar aufgebracht schnallte er sich ebenfalls seinen Gürtel um.
»Nicht, Jesse, was soll das? Das ist kein Spaß mehr«, warf einer der anderen ein, jedoch ohne Erfolg. Sowohl Rian als auch Jesse waren bereits auf dem Weg durch eine rückwärtige Tür, am Trubel vorbei, zu dem Übungsplatz.
Ich folgte ihnen und mein unbestimmtes Gefühl lag mir inzwischen wie ein Klumpen Eis im Innern, denn ich ahnte, was er vorhatte, ebenso wie er es vor seinem Aufbruch nach Tari bei mir geahnt hatte.
Der Übungsplatz befand sich am anderen Ende des von der gigantischen Mauer eingeschlossenen Geländes und meine Hoffnung zerstob. Niemand würde die beiden aufhalten, das jedenfalls war sicher. Viel zu abgelegen lag dieser Platz, und wenn ich an die Bezeichnung - alter Trainingsplatz - dachte, waren spätestens jetzt jegliche Hoffnungen dahin. Ganz offensichtlich wurde dieser Ort nicht mehr genutzt.
Sie nahmen gegenüber voneinander Aufstellung und Rian grinste, doch auch Jesse zeigte ein herablassendes Lächeln. »Jetzt zeige ich dir, zu was ein wahrer Hüter in der Lage ist«, rief er verächtlich, Rian jedoch grinste nur noch mehr.
»Du warst einige Zeit fort und solltest dir deiner Sache nicht zu sicher sein.« Sie verneigten sich voreinander und schon stürzte Jesse vor.
Das Klirren, das erklang, als die Stahlschwerter aufeinandertrafen, erschien ohrenbetäubend. Erst jetzt fielen mir die Veränderungen an seiner Körperhaltung auf. Nichts hatte er mehr mit dem zarten jungen Dunkelelben gemein. Seine Züge schienen verändert, wesentlich härter als noch bei unserem letzten Aufeinandertreffen. Doch besonders sein Körper war inzwischen von dem Training geformt. Dennoch sah man die Unterschiede deutlich. Zwar besaß er genügend Kraft, um den gewaltigen Hieben von Jesse standzuhalten, ihm fehlte jedoch die richtige Technik.
Immer öfter gelang es Jesse schließlich, kleinere Schläge auszuteilen, während Rian damit beschäftigt war, das Schwert zu halten.
Fassungslos sah ich dem Kampf zu, konnte kaum glauben, was dort geschah und flehte inständig alle Ahnengeister an, dass jemandem auffallen würde, was die beiden hier trieben. Doch niemand kam.
Erneut prallten die Schwerter aufeinander, Jesse ging einen Schritt vor, drängte Rian nach hinten und dieser fiel rückwärts über Jesses gestellte Bein. Hart prallte er mit dem Rücken auf den Boden.
Jesse genoss dieses Schauspiel nur zu offensichtlich und trat lachend drei Schritte zurück. O ja, er hatte noch lange nicht genug.
»Na, Riiienaaa, war das bereits alles? Für diese jämmerliche Vorstellung hast du aber ganz schon große Töne gespukt. Was hast du die letzten Monde getrieben? Ich meine, außer dass du geheult und in deinen Träumen nach dieser Talil geschrien hast.«
Zornig erhob er sich, doch seine Schmerzen waren nicht zu übersehen, und ich lief auf ihn zu.
»Nicht, Rian, tu das nicht, bitte!«, rief ich verzweifelt, doch noch immer hörte er mich nicht, ging einfach an mir vorbei, als wäre ich gar nicht hier.
Bin ich wohl in Wirklichkeit auch gar nicht, dachte ich frustriert und fluchte.
»Verdammt. Was soll das alles?«, rief ich aufgebracht, wollte das nicht mehr mit ansehen müssen, hatte genug.
»Ich werde dir zeigen, was ich in den vergangenen Monden gelernt habe, komm her du Weichling«, rief Rian voller Wut und forderte ihn mit einer Geste auf, näherzutreten. Jesse ließ sich nicht zwei Mal bitten und stürzte erneut auf ihn zu. Diesmal parierte Rian den Schlag jedoch, wich aus und ritzte Jesse mit der Schwertspitze die Seite auf. Fluchend trat dieser zwei Schritte zurück und besah sich die Wunde. Rian hatte nicht voll getroffen, doch in dem Hemd klaffte ein Riss, und eine feine Blutspur zog sich seinen Oberkörper hinab.
Lächelnd wandte Jesse sich wieder Rian zu und nickte. »In Ordnung. Vorbei mit den Spielchen«, und stürzte sich erneut auf ihn. Diesmal fiel es beiden schwerer, einen Treffer zu landen, doch Rian setzte bei Jesses Rückzug nach und verpasste ihm einen Schnitt auf dem Oberschenkel. Das war unübersehbar der Moment, in dem Jesse die Kontrolle über sich verlor, Rian aber wirkte das erste Mal wirklich zufrieden. Ich erkannte es im gleichen Augenblick wie die anderen Zuschauer und schüttelte fassungslos den Kopf.
Nun war ich mir absolut sicher, dass er es hier und jetzt beenden wollte, war mir sicher, dass er selbst dafür sorgen wollte, dass er verlor – und zwar endgültig.
Erneut prallten die Schwerter laut klirrend aufeinander und mein Innerstes zog sich zusammen. »Tu das nicht. Bitte, Rian«, flüsterte ich erstickt, als Jesse einen direkten Angriff vollzog und Rian plötzlich seine Deckung vollkommen öffnete.
»Nein!«, schrie ich auf und stürzte auf ihn zu, sprang, wollte ihn schützen und stand doch nur einen Wimpernschlag später wieder an genau derselben Stelle wie zuvor.
Fassungslos registrierte ich meine Unfähigkeit einzugreifen, musste mit ansehen, wie Rian sich mit voller Absicht in das Schwert fallen ließ. Es folgte ein Schrei, aber der kam weder von Jesse noch von Rian, doch ich wagte nicht, den Blick abzuwenden.
Das Schwert durchbohrte Rian, drang in den Oberkörper ein, und durchdrang ihn vollständig. Die Spitze lugte so gerade eben aus seiner Rückseite heraus, Jesse und die anderen starrten fassungslos zu Rian, der noch immer lächelnd, einfach reglos vor ihm stand.
»Ist es das, was du wolltest? Wie dämlich kann man eigentlich sein?«, schrie Jesse und verzog angewidert sein Gesicht.
»Der 1. Hüter Bohl«, hörte ich die ängstlich geflüsterten Worte hinter mir, doch noch immer war ich nicht in der Lage, den Blick von Rian zu nehmen.
Er trat einen unsicheren Schritt auf Jesse zu und sein Lächeln verbreiterte sich. »Ja, Jesse, genau das wollte ich. Du hast mich erlöst, ich bekam, was ich ersehnte, seit dem Verschwinden von Talil, doch du bekommst nun, was du verdienst. Du wirst unermessliche Qualen durchleben, so wie du sie mir beschertest.«
Er wandte den Blick ab, durch mich hindurch, grinste nun über das ganze Gesicht, und ich sah mich ebenfalls um. Das musste Bohl sein, der außer sich vor Zorn auf den Platz eilte. Hinter sich mehrere Hüter, wie ich vermutete, gefolgt von einem Anwärter, der vorher als Zuschauer mit Jesse hierhergekommen war und Bohl vermutlich über die Vorgänge hier informiert hatte.
Jesse aber erbleichte, zeitgleich drehten sowohl Rian als auch ich uns wieder zu ihm um. »Das alles war dein Plan?«, flüsterte er entsetzt und wich einen Schritt zurück, von Rian fort.
»Durch dich wurde das Leben hier für mich die reinste Qual, doch das wird nichts sein im Vergleich dazu, was dir nun bevorsteht. Du wirst all deine Ehren verlieren und deine Lebensbahn lang büßen. Ich jedoch bin endlich frei.« Er sackte auf die Knie und erst jetzt bemerkte ich die Blutlache, hörte das gurgelnde Geräusch, als er Atem holte. Ein Rinnsal aus Blut lief aus seinem Mundwinkel, dennoch lächelte er weiterhin.
Plötzlich sah er mich direkt an, strahlte, seine Augen funkelten und erst jetzt wusste ich, was ich die ganze Zeit vermisst hatte. Das Funkeln seiner Augen.
Mit einem röchelnden Laut kippte er zur Seite und regte sich nicht mehr.