Читать книгу Träume - Calin Noell - Страница 19
Оглавление»Nein«, schrie ich und schreckte hoch, spürte die unruhigen Wölfe, die sich sofort an mich drückten und leise winselten. Verwirrt fuhr ich mir übers Gesicht und hielt plötzlich ein feuchtes Tuch in Händen. Ich blickte auf und sah in Wiltons durchdringende Augen. Starke Wut erfasste mich, doch ich war kaum in der Lage, ein Bein zu heben und begann am ganzen Körper zu zittern.
»Warte noch einen Moment, es wird gleich besser. Das Fieber hat deinen Leib sehr geschwächt.«
Meine Wut blieb, da ich mich aber so zerschlagen fühlte, ließ ich mich matt zurück auf den Rücken sinken. »Es ist von Vorteil, dass du harten Boden gewöhnt zu sein scheinst. Dass du dich überhaupt bewegen kannst, ohne einen Schmerzenslaut auszustoßen, ist erstaunlich«, fuhr er unbekümmert fort.
»Was soll das alles?«, fragte ich, unendlich müde von diesen Erlebnissen, ausgelaugt von diesem Auf und Ab der Geschehnisse, meiner Gefühle.
»Du bist die letzte lebende Seelenwandlerin vom Volk der Dunkelelben, die den Wolf in sich trägt. Doch darüber hinaus ruht in dir die Macht der Splitterseele, unentdeckt und verkümmert. Die Geister unserer Ahnen zeigen dir, was nur für dich allein bestimmt ist. Ich kenne den Inhalt vorher nicht, denn ich bin nur der einstige Mittler zwischen den Welten. Durch die Macht unserer Ahnengeister ist es mir erlaubt, zeitweise in der Welt der Lebenden zu verweilen. Du musst sehen, lernen und verstehen und darfst nicht vergessen. Du siehst Vergangenes und Zukünftiges. Doch es ist der Blick auf das Bevorstehende, denn dies allein ist letztendlich maßgebend. Die Zukunft zeigt dir, wohin der Weg all derer führt, die dir begegnet sind, auf deren Leben du bewusst oder unbewusst Einfluss genommen hast.
Jede Begegnung hinterlässt ihre Spuren, ob wir wollen oder nicht und auch wenn du nicht verantwortlich für die Geschehnisse bist, so trägst du dennoch deinen Anteil daran. Du bist in der Lage, sie zu verhindern, sie zu ändern, wenn du denn die Entscheidung dazu triffst.«
Nachdenklich betrachtete ich ihn. In meinem Kopf herrschte ein heilloses Durcheinander, und ich bekam meine Gedanken nicht mehr sortiert. Seine Erklärung hallte nur seltsam in mir nach, ohne dass ich in der Lage war, den Sinn zu erfassen.
»Aber warum? Dies wird wohl kaum jeder Dunkelelb erleben, sobald er auf dem falschen Pfad wandelt.«
Er lächelte. »Wandelst du denn auf dem falschen Pfad?«, fragte er herausfordernd.
Wütend funkelte ich ihn an. »Deswegen bin ich doch hier, oder nicht? Weil alle der Meinung sind, ich befände mich auf dem Holzweg. Ich verhalte mich unfair oder was auch immer, aber was ist mit mir? Ja, ich bin geflohen, wenn du so willst, doch ich tat es nicht nur, um mich zu schützen. Ich beschützte auch sie damit. Ich bin innerlich zerbrochen, warum begreift das denn niemand? Und schließlich waren sie es, die mich behandelten, als würde ich jeden Moment durchdrehen und ich weiß nicht, ein Massaker anrichten, was auch immer«, rief ich aufgebracht und fuhr mir durch die Haare.
»Du bist zutiefst verletzt und das in vielen Belangen auch zu Recht. Dennoch musst du begreifen, dass eine Auseinandersetzung in einer Beziehung nun einmal andersartig vonstattengeht. Man streitet sich, aber man versöhnt sich auch wieder. Das ist der Lauf der Dinge, das Leben in einer Familie und in einem Clan, der alle miteinander verbindet. Du jedoch hast die Entscheidung getroffen, allen den Rücken zu kehren, für immer. Und das hat Konsequenzen, weitreichende, wie du selbst bereits erlebtest. Du bist hier, weil du genug gelitten, deinen Frieden verdient hast. Doch den Frieden, den du suchst, wirst du nirgendwo anders finden, als bei deiner Familie und bei deinen Freunden. Wenn du dir etwas anderes einredest, dann belügst du dich selbst und genau das musst du erkennen, bevor du an den Anfang zurückkehrst«, antwortete er, immer aufgebrachter, bis er selbst anfing zu schreien.
»Du kennst mich nicht einmal, weshalb bist du so wütend?«, schrie ich zurück. Seine ganze Art machte mir Angst, nicht, dass ich mich vor ihm fürchtete, doch irgendetwas verbarg er, wirkte so verzweifelt, als würde ich etwas Wichtiges wissen müssen, könnte es aber nicht sehen.
»Was verschweigst du mir?«, fragte ich leise, nicht sicher, ob ich die Antwort überhaupt hören wollte.
»Du wirst die Möglichkeit bekommen, den Zeitenfluss zu verändern, doch du musst dafür bereit sein, mit jeglicher Konsequenz. Nicht alles ist änderbar, Schicksale, die festgeschrieben sind und deren Verlauf du nicht zu korrigieren vermagst. Du musst dich dem stellen und stark sein. Es wird eine Zeit geben, in der du uns verfluchen wirst. Doch der Schlüssel zu deiner Macht sind deine Erinnerungen.« Aufgebracht fuhr er sich durchs Haar. »Dahinten befindet sich ein Fluss, in dem du dich waschen kannst. Dort liegt eine Tasche, in der du alles Nötige findest, was du dazu brauchst. Wenn du fertig bist, kehre hierher zurück, dann essen wir«, entgegnete er nun tonlos und ging davon, ohne mich auch nur ein einziges Mal anzusehen.
Schwerfällig erhob ich mich, griff die Tasche und wandte mich in die Richtung, in die er gezeigt hatte. Schon nach wenigen Minuten hörte ich das leise Plätschern und eine seltsame Ruhe erfasste mich. Mit einem Tuch und Seife in der Hand stieg ich zum Wasser hinunter und entkleidete mich. Ich genoss die vollkommene Stille, die mich auch innerlich ausfüllte. Meine Gedanken kamen endlich zur Ruhe, drehten sich nicht mehr ständig im Kreis und schließlich schien ich in der Lage zu sein, mich auf die Geschehnisse zu konzentrieren. Gleichgültig wie es weitergehen würde, eines wusste ich mit absoluter Gewissheit: Niemals könnte ich Rian diesem Schicksal überlassen. Ich konnte ihn nicht einfach sterben lassen in dem Wissen, dass ich selbst dafür den Ausschlag gab. Alles andere würde sich zeigen.
Nachdem ich mich gewaschen und angezogen hatte, ging ich zurück zu der Baumgruppe, aus der mir bereits ein verführerischer Duft entgegenwehte. Sofort drängte mein Hungergefühl in den Vordergrund, und ich seufzte.
Schwanzwedelnd liefen mir die Wölfe entgegen, ich lächelte bei ihrem Anblick und begrüßte sie ausgiebig. Ich fühlte mich, das erste Mal seit meinem Weggang, einigermaßen gut.
Als ich zwischen den Bäumen hindurchschritt, saß Wilton bereits vor dem Feuer und aß. Mein Hunger überwältigte mich, und ich ergriff hastig die Schale, die er mir hinhielt. »Wie lange habe ich diesmal geschlafen?«, fragte ich und beobachtete ihn verstohlen.
Scheinbar niedergeschlagen fuhr er sich übers Gesicht. »Es tut mir leid, dass ich die Fassung verlor, das hätte ich nicht tun dürfen.« Er wandte mir den Blick zu und betrachtete mich. »Verzeih mir«, sagte er leise und ich nickte. »Etwas weniger als vier Mondgänge. Das Fieber ist hartnäckig, nun jedoch scheint es überstanden zu sein.«
Fassungslos sah ich ihn an. »Vier Tage?«, wiederholte ich vorsichtshalber und er nickte. »Wenn ich zurückgehe, dann werden all diese Dinge niemals geschehen?«, fragte ich, während ich ihm auffordernd meine Schale erneut reichte.
»Nur wenn du die aufrichtige Entscheidung triffst zu leben, für dich selbst, wirst du zurückkehren und den Verlauf beeinflussen. Doch deine Reise hier ist noch nicht zu Ende«, antwortete er kryptisch.
Gedankenverloren blickte ich in die Flammen. Hätte ich die Kraft dazu, mich mit Kiljan und Ean auseinanderzusetzen? Wollte ich das überhaupt?
»Du musst den Entschluss fassen. Du musst den Willen besitzen, es schaffen zu wollen. Und du musst bereit sein, dich zu erinnern. Kiljan ist dein Halt in der Welt der Lebenden. Doch du musst lernen, auf die Geister und Ahnen zu vertrauen, denn sie werden dich führen, wenn du glaubst, dass es keinen Ausweg mehr gibt. Du darfst die Hoffnung nicht verlieren, denn dein Weg wird schmerzhaft sein. Nicht alles lässt sich aufhalten. Es tut mir wirklich leid.«
Alarmiert sah ich auf. Was war das jetzt wieder für eine undurchsichtige Aussage? »Was genau willst du mir damit sagen?«, fragte ich misstrauisch, doch er sah mich nicht noch einmal an.
Wortlos nahm er meine leere Schale entgegen, und bevor ich reagieren konnte, erfolgte erneut diese Handbewegung, und das geflüsterte Wort: »Schlaf.« Schon sank ich zusammen, ohne dass ich eine Antwort auf meine Frage erhielt, wieder einmal.