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»Erste Internationale Dada-Messe«
ОглавлениеZu einer direkten Konfrontation zwischen Militärs und den Dadaisten kommt es nur wenig später in Zusammenhang mit der »Ersten Internationalen Dada-Messe« in Berlin.
In der Kunsthandlung Dr. Otto Burchard, einer im Hinterhof des Hauses am Lützow-Ufer in Berlin Tiergarten gelegenen Galerie, findet vom 30. Juni bis zum 25. August 1920 die umfangreichste Ausstellung der internationalen Dada-Bewegung statt.189 Die Initiative geht maßgeblich von George Grosz aus, der den Spezialisten für chinesische Keramik, Burchard, auf einer Künstlerparty kennengelernt hat und ihn für das Projekt gewinnt.190 Grosz zeigt auch die meisten Werke.191 Neben den Berliner Dadaisten werden Arbeiten der Kölner Dada-Gruppe von Max Ernst, Johannes Baargeld und Hans Arp gezeigt sowie Werke von Rudolf Schlichter, Otto Dix, Francis Picabia und anderen. Auch wenn Man Ray und Marcel Duchamp in der Ausstellung fehlen, wurde man doch dem internationalen Anspruch gerecht. Zwei Wochen nach Eröffnung erscheint ein Katalog mit einem einleitenden Essay von Raoul Hausmann unter dem Titel: »Was die Kunstkritik nach Ansicht des Dadasophen zur Dadaausstellung sagen wird«, in dem er den Kritiken vorgreift und die Ausstellung ganz im Sinne von Dada verreißt.192
Hannah Höch ist mit mehreren Arbeiten sowohl in der Ausstellung als auch im Katalog vertreten. Ihre Beteiligung hatte Hausmann erstritten. Die Macher der Künstlerinitiative, allen voran George Grosz, hatten eine Teilnahme Höchs zuvor abgelehnt. Hausmann musste seine eigene Beteiligung an der Ausstellung erst in die Waagschale werfen und knüpfte sein Mitwirken an das von Hannah Höch, ehe George Grosz und John Heartfield offenbar bereit waren, ihre Arbeiten als repräsentativ für Dada zu erachten.193 Letztlich werden in der Schau mehrere Positionen gezeigt, die vorher gar nicht oder auch nur am Rande mit Dada in Verbindung gebracht wurden, unter anderem George Grosz’ Frau Maud, die dadaistische Kissenbezüge zeigt, sowie die dadaistische Jugendfraktion mit Collagen des Musikers Hans Heinz Stuckenschmidt sowie Arbeiten des erst vierzehnjährigen Bruders des Dichters und Zeichners Paul Citroen, Hans Citroen.194
Die Ausstellung, von den Dadaisten gezielt mit dem zweideutigen Begriff »Messe« bezeichnet, steht für alles, was Dada als Antikunst darstellt. Die Wände der Galerie sind von der Fußbodenleiste bis zur Decke mit Bildern zugepflastert (Abb. 4). Das ist zunächst nicht außergewöhnlich, denn das Publikum ist die sogenannte Petersburger Hängung gewöhnt, in der Gemälde über mehrere Reihen übereinander hängend in Galerieräumen präsentiert werden.195 Doch die Dadaisten zeigen neben großformatigen Ölbildern von Grosz und Dix ungerahmte Plakate oder Schriftzüge, die sie direkt auf die Wand montieren und die sich gegenseitig überdecken. Sie ergreifen keinerlei Maßnahmen, den Raum für die Präsentation »schöner« zu gestalten. Eine Staffelei steht vor einer Tür, damit auch hier noch etwas gezeigt werden kann. Mit der Präsentationsweise nimmt die Dada-Ausstellung bei Burchard Formen jener Kunstausstellungen vorweg, die in den späten sechziger und siebziger Jahren gängig werden. Die gezielte Verneinung einer das Einzelwerk positiv hervorhebenden Inszenierung durch die Dadaisten werden sich auch die schärfsten politischen Gegner von Dada, die Nationalsozialisten, in den dreißiger Jahren zu eigen machen, um die von ihnen als minderwertig betrachtete Kunst in einem möglichst »schlechten Licht« zu zeigen.
Im vorderen Ausstellungsraum schwebt die ausgestopfte Figur eines preußischen Offiziers mit verdrehten Beinen von der Decke, dessen Haupt durch die Nachbildung eines Schweinskopfs ersetzt worden ist. Der Katalog verzeichnet Schlichters Arbeit als »Preußischen Erzengel«. Und in der kleineren, hinteren Ausstellungskammer zeigt Johannes Baader sein »großes Plato-Dio-Dada-Drama«, ein komplexes Gebilde aus Zeitungen, Alltagsgegenständen, das zu einer turmartigen Skulptur aufgebaut und zusammengefügt ist und als erste »Environment-Assemblage« in die Kunstgeschichte eingeht.196
Mit ihrer Ausstellung verfolgen die Beteiligten politische Ziele, die sie auf Dada-typische Weise zum Ausdruck bringen. Neben Schriftparolen wie »Dada ist politisch«, »Dilettanten erhebt Euch gegen die Kunst« oder »Dada steht auf Seiten des revolutionären Proletariats« besitzen die ausgestellten Fotomontagen und Gemälde von Dix und Grosz eine eindeutige Zielrichtung. Otto Dix präsentiert sein großformatiges Bild »45 % erwerbsfähig«, das 1920 zerstört wird und in dem drei Kriegskrüppel, von einem das Eiserne Kreuz tragenden Unteroffizier angeführt, durch eine Großstadtstraße ziehen. Seinen Gegenpart findet das Bild in Grosz’ Werk »Deutschland ein Wintermärchen«. Die Parolen, die von den Plakaten herunterschreien, und die karikierende Bildsprache der Gemälde rücken die Ausstellung in die Nähe einer Wahlkampfveranstaltung. Die »Erste Internationale Dada-Messe« versteht sich als ein Angriff auf das deutsche Spießertum, den Militarismus und die bürgerliche Kunstauffassung. Dass die Dadaisten zumindest symbolisch wenig von ihren künstlerischen Vorfahren halten, haben sie bereits im Rahmen der Auseinandersetzung um den zerstörten Rubens im Dresdner Zwinger mit dem Akademieprofessor Oskar Kokoschka gezeigt. In der »Ersten Internationalen Dada-Messe« muss nun neben Rubens auch das berühmte Gemälde des italienischen Malers Sandro Botticelli, »Frühling«, daran glauben. Hausmann überklebt die Reproduktion des Bildes im Katalog mit zwei Klebestreifen. Und Botticellis »Frühling« erhält einen neuen Untertitel: »Mißachtung eines Meisterwerks«. Außerdem kommt es zu Verbesserungen von zeitgenössischen Kunstwerken, unter anderem werden an den Abbildungen eines kubistischen Gemäldes von Picasso und an dem Selbstbildnis von Henri Rousseau Korrekturen vorgenommen.197
Hannah Höch zeigt zwei ihrer Dada-Puppen. In einer Ecke des Ausstellungsraumes hocken sie auf einem hohen schmalen Schrank. Im Katalog zur Ausstellung werden Raoul Hausmann und Hannah Höch als »Eltern« der Puppen bezeichnet, was die Kunsthistorikerin Karoline Hille als einen Seitenhieb gegen Hausmann durch die Katalogmacher George Grosz und Helmut Herzfeld interpretiert, da er sich für eine Beteiligung seiner Partnerin eingesetzt hatte.198 Seit 1916 fertigt Hannah Höch aus unterschiedlichsten Vorgefundenen Materialien, verschiedenen Textilien, Kartons und Perlen Puppen an.199 Zwei dieser Puppen kann sie noch vor der Dada-Messe im Rahmen ihrer Beteiligung bei einer Ausstellung der Münchner Expressionistischen Werkstätten in die USA verkaufen.200 Es existiert ein Foto, das die beiden Puppen auf ihrem Sockel thronend im Ausstellungsraum der Galerie Burchard zeigt. Auf der Rückseite des Fotos befindet sich ein Stempel der Firma »R. Sennecke Internationaler Illustrationsverlag«.201 Wahrscheinlich wurde es von dem eigens beauftragten professionellen Fotografen aufgenommen, von dem einige der wenigen überlieferten Fotografien stammen, die die Ausstellung dokumentieren.202 Daneben entstehen weitere Aufnahmen von Hannah Höch und ihren Puppen im Zusammenhang mit der Dada-Messe (Abb. 5). Ein Foto zeigt die Künstlerin während einer spielerischen Interaktion mit ihren beiden Kreaturen. Hannah Höch sitzt auf einem Hocker in dem Hinterhof der Galerie, vor einer kahlen Wand, an der Bauschutt und Kohlenreste liegen. Sie trägt ein dunkles Kleid mit Nadelstreifen und Seemannskragen, wie es in den frühen Zwanzigern up to date war. Mit einem Haarkamm fasst sie ihr dunkles Deckhaar auf der einen Seite des Kopfes zusammen und verleiht dem Bobschnitt eine exotische Variante. Hannah Höch ist im Profil gezeigt. Sie betrachtet eines der Püppchen, das wie ein Kind seine Arme auf ihre Schultern legt. Das andere sitzt währenddessen auf dem Schoß der Künstlerin. Hannah Höch inszeniert sich in diesem Foto als Puppenmutter, als Mädchen, das, die Rolle der Mutter nachahmend, mit seinen Puppen spielt. Mit ihrer ungewöhnlichen Frisur schlüpft sie selbst in eine Verkleidung und in die Rolle einer Puppe. Dieses Doppelspiel hat Hannah Höch mit ihren Puppen mehrfach wiederholt, wofür auch das Coverbild dieses Buches ein Beispiel ist, das Anfang der zwanziger Jahre auf einem der zahlreichen Künstlerbälle entstand, die Hannah Höch besuchte. Es zeigt die Künstlerin im Moment einer Bewegung, leichtfüßig eine ihrer Puppen auf den Schultern balancierend. Hannah Höch animiert die Puppe, indem sie ihre dünnen Ärmchen weit über den Körper hebt. Man könnte meinen, dass sich das auf den ersten Blick niedliche Puppenkindchen tatsächlich selbst bewegen kann. Der ausladende Reifrock des Püppchens, das Hannah Höchs Kopf bedeckt, verwandelt sich in dem Foto in Höchs Hut. Wie die Puppe trägt auch die Künstlerin einen breiten, mit einem dünnen Band vor dem Bauch gebundenen dunklen Reifrock und eine fransige Halskrause, die in den wolligen Wuschelhaaren der kleinen Kreatur ihr Pendant findet. In diesem Foto verschmelzen Puppe und Künstlerin zu einer Figur. Ihre Puppen werden von Hannah Höch in der Interaktion zum Identifikationsmodell. Die Künstlerin ruft in ihrer spielerischen Einlage Erinnerungen an ihre Kindheit wach, die als Teil ihrer Biographie angenommen werden. Zugleich setzt sich Hannah Höch mit der regressiven Spielerei mit ihren Püppchen auf selbstironische Weise mit den Klischees über Künstlerinnen auseinander, die den männlichen Blick, auch den ihrer Ausstellungspartner, auf Höchs Rolle im Dada-Kreis persiflieren. Hannah Höchs Puppen entsprechen bei näherem Hinsehen nicht den niedlichen Püppchen, mit denen Mädchen spielen. Janina Nentweg hob hervor, dass die Figuren mit ihren Brüsten aus Perlen, Wuschelhaaren und eingeschnürten Taillen alles andere als »harmloses Spielzeug« seien.203 Mit ihrem provokanten, frechen Ausdruck unterscheiden sie sich ebenso von »zeitgenössischen dekorativen Künstlerpuppen, wie sie etwa Lotte Pritzel schuf«.204 In der gespielten Ernsthaftigkeit, mit der Hannah Höch ihre Puppen versorgt und in der sie sich selbst in eine Puppe verwandelt, löst sie die ihrer Rolle zugewiesene, festgeschriebene Form auf. Die Maskerade verschafft Freiraum.205 Hannah Höch entwirft mit ihren Püppchen, ähnlich wie in ihrer Collage »Da-Dandy«, einen dadaistisch-weiblichen Gegenpart.206
Die Künstlerin war nicht die Erste und Einzige, die Puppen für ihre künstlerische Arbeit zu instrumentalisieren wusste. Puppen und Maskeraden hatten schon zu Beginn der Dada-Bewegung in Zürich maßgeblichen Anteil an den Vorführungen im Cabaret Voltaire. Marcel Janco war einer der Ersten, die für ihre Auftritte Masken anfertigten, deren Träger sich in eine künstliche Bewegungsform versetzten.207 Starken Anteil an den dadaistischen Verkleidungen hatte auch Sophie Taeuber, Hans Arps spätere Frau, die hauptberuflich an einer Gewerbeschule Textilgestaltung unterrichtete und auch bei der Laban-Tanzschule mitwirkte.208 Sophie Taeuber entwirft 1918 für ein Bühnenstück mehrere Marionetten, deren langgestreckte Glieder und Kostüme aus Federn und Tüll Gemeinsamkeiten mit Höchs Figurinen haben. Die Maskeraden und Puppen verkörpern in ihrer Notwendigkeit, bewegt zu werden, um lebendig zu erscheinen, ein zentrales Anliegen von Dada, die Negation von allem Statischen und Starren.
Hannah Höchs Puppen sind auf der Dada-Messe nicht allein. In Gestalt von hölzernen Marionetten, Gliederpuppen, wie sie Künstler zu Proportionsstudien nutzen, und Schaufensterpuppen tauchen sie in den Fotomontagen, Gemälden oder in Gestalt skulpturaler Objekte in der Ausstellung auf. Puppen oder einzelne Teile der Puppenkörper verweisen sowohl auf negative als auch auf positive Bedeutungszusammenhänge. Einerseits repräsentieren etwa die marionettenhaften Kriegskrüppel von Otto Dix in seinem Gemälde »45 % erwerbsfähig« mit ihren Prothesen die negativen Folgen einer Welt, die zusehends durch Maschinen organisiert und zerstört wird, wie es die Materialschlachten des Ersten Weltkriegs gezeigt hatten. Andererseits huldigen die Dadaisten, etwa Hausmann in einer heute verschollenen Fotomontage, dem neuen, utopischen Typus des Menschen, dessen Gehirn wie ein technisches Instrument Maschinenkunst produziert, angelehnt an das große Vorbild, den russischen Suprematisten Tatlin.209 Hannah Höchs flexible Püppchen aus weichen Materialien spielten eine Sonderrolle auf der Messe, wie sie selbst im Kreis der Berliner Dadaisten.