Читать книгу Schrankenlose Freiheit für Hannah Höch - Cara Schweitzer - Страница 9
Die Fotomontage
ОглавлениеFür die weitere künstlerische Entwicklung von Hannah Höch und Raoul Hausmann sowie für Dada Berlin wird ihre Fahrt an die Ostsee Folgen haben. In ihrer Unterkunft hängt ein gerahmtes Militärgedenkblatt an der Wand, das einen entscheidenden Anstoß für die Entstehung der dadaistischen Fotomontage liefern wird.137 Diese Art Erinnerungsbild war weit verbreitet. In eine graphische oder fotografische Vorlage, die eine Landschaft oder eine andere anschauliche Kulisse bot, montierten Berufsfotografen nur noch die Köpfe einzelner Soldaten auf die Körper vorgefertigter Modelle, die in heroischer Haltung posierten und in strahlende Uniformen gekleidet waren. Angesichts des Massensterbens an den Kriegsfronten verfehlten die im Bild freiwillig skalpierten Soldaten auf Hannah Höch und Raoul Hausmann nicht ihre Wirkung: »Aber so etwas könnte man doch überhaupt mit Photos machen«, habe Raoul Hausmann im Anblick des collagierten Bildes festgestellt, erinnerte sich Hannah Höch.138 Nachdem Hannah Höch und Raoul Hausmann im September 1918 nach Berlin zurückgekehrt waren, entstanden ihre ersten Fotomontagen. Hannah Höch hat sich auch später nicht an Hahnenkämpfen beteiligt, die um die Erfinderidee zur Fotomontage unter den Beteiligten bei Berlin Dada entbrannten. Ihr scheint die Naivität der Selbstbehauptungen ihrer männlichen Kollegen auch aus kunsthistorischer Sicht bewusst gewesen zu sein. Das Prinzip der Collage, auf dem die Fotomontage basiert, hatten sich bereits vor den Dadaisten die Kubisten und Futuristen zu eigen gemacht. Die Dadaisten radikalisierten die Infragestellung traditioneller künstlerischer Materialien, indem sie neben Schriftelementen auch Fotografien in ihre Arbeiten integrierten. Zeitungsfotos, die die aktuelle politische Entwicklung im Bild dokumentierten, wurden von den Dadaisten genauso verwandt wie persönliche Aufnahmen. Zumindest in der Anfangsphase bezeichneten die Dadaisten ihre Arbeiten noch als »Klebebilder«.139 Bald eignete sich der Begriff Montage besser dazu, die zentrale Forderung der Dadaisten nach einer Revolutionierung und Erneuerung der Kunst zum Ausdruck zu bringen. Der aus dem Bereich der technischen und maschinellen Industrieproduktion entlehnte Begriff bot sich an, weil er den mechanistischen Entstehungszusammenhang ihrer Arbeiten betonte. Dadaisten definierten sich als Techniker und Ingenieure. Auch wenn sich jeder Einzelne von ihnen durchaus für genial hielt, verweigerten sie sich dem herkömmlichen Bild vom Künstler, der aus genialer Inspiration heraus mit seinen Händen Zeichnungen oder Gemälde schuf. Antikunst lautete die Parole. Die Montage schien ein geeignetes Mittel zu sein, um die in eine Vielzahl von Eindrücken fragmentierte Wahrnehmung in der Großstadt, das Aufleuchten riesiger Werbeschriftzüge und die Bewegung des Verkehrs sowie die neuen Erfahrungen im Arbeitsalltag der Industrieproduktion sinngemäß wiederzugeben. Richard Huelsenbeck erklärte Dada zum »Geschrei der Bremsen« und zum »Gebrüll der Makler an der Chicagoer Produktenbörse«.140
Bereits während ihrer Ausbildung bei Emil Orlik hatte Hannah Höch sich mit dem Verfahren der Collage beschäftig. Aus den Resten von Schnittmusterbögen entstand 1916 ihr erstes Klebebild »Weiße Wolke«, dessen abstrakte splittrige Formen und auf Schwarz-Weiß reduzierte Farbigkeit von abstrakten Strömungen in der Kunst sowie der expressionistischen Holzschnitttechnik beeinflusst ist.141 Höchs erste dadaistische Fotomontagen zeichnen sich durch eine dichte Komposition von aneinandergesetzten und sich überschneidenden Zeitungsausschnitten aus, die um das Bildzentrum herum angeordnet sind.
Eine ihrer frühesten Fotomontagen, »Da Dandy« (1919), erweist sich als eine weibliche Umdeutung jenes Images, das vor allem Raoul Hausmann, aber auch George Grosz als Dadaisten verkörperten.142 Bis auf einen schmalen Rand, der wie ein Passepartout die Fotomontage rahmt, ist das ganze Blatt mit farbigen Bildausschnitten überzogen. Schichten von roten, blauen, gelben und grauen Papierflächen bilden den abstrakten Hintergrund. Motive sind nur noch in wenigen Details zu erkennen. Darüber klebte Hannah Höch mehrere übereinandergesetzte Bildausschnitte von elegant gekleideten Frauen. Sie tragen Perlenschmuck und das kleine Schwarze. Die Frauen sind so aneinandergefügt, dass der Eindruck entsteht, sie würden zusammen eine Figur ergeben. Ein Paar Füße in elegant verspielten Pumps scheint gemeinsam mit Armfragmenten die Extremitäten der mehransichtigen Gestalt zu bilden. Die sich überschneidenden Bildausschnitte erzeugen ein Bewegungsmoment, das an die »Überschneidungstechnik bei der Filmmontage« erinnert.143 Den Frauenköpfen überklebte Hannah Höch ein Auge und ersetzte es durch ein im Verhältnis zum sonstigen Gesicht zu großes Sinnesorgan. Die Vergrößerung erinnert an den Lupeneffekt bei Hausmanns Monokel. Hannah Höch kreiert in ihrer Fotomontage »Da Dandy« den Typus eines weiblichen Gegenbilds zum Dada-Dandy. Wortspielerisch taucht das Motiv im Titel der Montage auf, der in verschieden großen Typen auch ins Bild gesetzt ist und der sowohl als Widmung in italienischer Sprache an den »Dandy« interpretiert werden kann oder durch die Ergänzung der Silbe »da« als »Dada-Dandy« lesbar ist. Die lässige Eleganz der Damen in Höchs Fotomontage zeichnet sie als jenen Frauentypus aus, der zum Ende des Ersten Weltkriegs und vor allem während der Weimarer Republik zum Idol der erstarkenden Massenmedien werden sollte, als sogenannte »neue Frau«.144 Hannah Höch wird sich immer wieder mit diesem Typus auseinandersetzen. In einer ihrer ersten Fotomontagen, die gezielt auf den Kontext der Dada-Bewegung verweist, reflektiert die Künstlerin mit kritisch-ironischem Witz die Prinzipien, mit denen sich die meisten Mitglieder des Dada-Kreises als Künstler inszenierten.
Hannah Höch beginnt in der Fotomontage gängige Rollenbilder der Geschlechter in der Gesellschaft zu thematisieren. In der ebenfalls 1919 datierten Fotomontage »Bürgerliches Brautpaar« sind zwei Figuren vor die Bildausschnitte von Haushaltsgeräten montiert. Auf den Rumpf einer Frau im Badeanzug klebte Hannah Höch den Kopf eines weinenden Babys, das hilflos zur linken Seite aus dem Bild schaut. Der recht kräftige Körper wirkt mit seinen viel zu dünnen Beinchen in hohen dunklen Stiefeln unbeholfen. Währenddessen gibt sich der Mann in verzerrter Geste dem Sport hin. Doch so recht von der Stelle scheint der Sprinter nicht zu kommen. Vielmehr windet er sich unter einem viel zu großen Hut. Auch er hat das Haupt eines Kinderkopfes, der jedoch im Verhältnis zum athletischen Körper viel zu klein ist. Zwischen beiden Figuren entsteht keine Beziehung. Das Einzige, was sie zu verbinden scheint, ist ihre Sportkleidung, die Assoziationen an eine Wettkampfsituation hervorruft. Bereits in ihren ersten Dada-Montagen erweitert Hannah Höch das dadaistische Repertoire an Bildthemen um eine spitzfindig kritische Analyse der Alltagskultur.145