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»Dada ist das bedeutende Nichts, an dem Nichts etwas bedeutet«
ОглавлениеAuch für Richard Huelsenbeck wird die Gruppe um die Zeitschrift »Neue Jugend« eine erste Anlaufstelle in Berlin. Anfang des Jahres 1917 war er aus Zürich nach Berlin zurückgekehrt. Huelsenbeck hatte 1914 in Berlin angefangen, Medizin zu studieren. Um seiner Einberufung zum Kriegsdienst zu entgehen, flüchtet er in die Schweiz. Gemeinsam mit den Exilanten Hugo Ball, Hans Arp, Tristan Tzara sowie Emmy Hennings und Marcel Janco hatte er Anfang 1916 im Hinterzimmer einer Weinstube in der Züricher Spiegelgasse das »Cabaret Voltaire« ins Leben gerufen, die Geburtsstätte von DADA.90 Mit wechselndem Programm wurden Lieder, Texte und Tänze vorgetragen. Schnell erweiterte sich der Kreis der Beteiligten und wurde zu einem internationalen Treffpunkt von Künstlern, die verschiedene Positionen vertraten. Futuristen, Kubisten und Expressionisten verband im Cabaret Voltaire ihr Streben nach einer radikalen Erneuerung in der Kunst und ihr Auflehnen gegen den sinnlos gewordenen Krieg in Europa. Die Vortragspraktiken brachen mit sämtlichen bis dahin herrschenden Regeln. Das Publikum wurde von den Mitgliedern des Cabaret Voltaire, die sich mit Kostümen aus ungewöhnlichen Materialien verkleideten, in dadaistischen Lautgedichten verspottet und beschimpft oder gar unter Gewaltandrohung »bruitistisch« angegriffen. Bruitismus war eine futuristische Musikrichtung, die sich außermusikalischer Geräusche und visueller Effekte bediente. Während eines Vortrags im Cabaret Voltaire, den Huelsenbeck im Frühjahr 1916 dem Publikum entgegenschmetterte, erklärte er: »Ich hoffe, dass Ihnen kein körperliches Unheil widerfahren wird, aber was wir Ihnen jetzt zu sagen haben, wird Sie wie eine Kugel treffen. Wir haben beschlossen, unsere mannigfaltigen Aktivitäten unter dem Namen DADA zusammenzufassen. Wir fanden DADA, wir sind DADA, und wir haben DADA. DADA wurde in einem Lexikon gefunden, es bedeutet nichts. Dies ist das bedeutende Nichts, an dem nichts etwas bedeutet. Wir wollen die Welt mit Nichts ändern, wir wollen die Dichtung und die Malerei mit Nichts ändern und wir wollen den Krieg mit Nichts zu Ende bringen.«91
Huelsenbeck füttert die Berliner Künstlerszene, die sich um die Zeitschriften »Die Neue Jugend« und »Die freie Straße« zusammengefunden hatte, mit Materialien aus der Züricher Dada-Gruppe und liefert damit den Zündstoff für die Entstehung des Berliner Dada-Clubs.92 Doch es bedurfte noch einiger Monate, ehe auch die Öffentlichkeit von der Entstehung des Berliner Dada-Kreises Kenntnis nahm.
Im Verlauf des Jahres 1917 bekommt Raoul Hausmann die scharfen Maßnahmen der Zensurbehörden zu spüren. Seine politische Beteiligung bleibt nicht mehr nur theoretisch. Er hat Kontakte zu den Arbeiterführern Ernst Neumann und Titus Tautz, die an der Verbreitung der privaten Aufzeichnungen des ehemaligen deutschen Botschafters in London, Karl-Max Lichnowsky, beteiligt waren. Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs hatte Lichnowsky in seiner Rolle als Diplomat versucht, den deutschen Kaiser vor einer einseitigen Bündnispolitik mit Österreich-Ungarn zu warnen.93 Auch in den letzten Tagen vor der Kriegserklärung durch Deutschland setzte er sich beim Kaiser für eine friedliche Lösung ein. Seine persönlichen Aufzeichnungen wurden gegen seinen Willen publiziert. In der Folge verlor Lichnowsky seinen Sitz im Preußischen Herrenhaus. Bei den Intellektuellen in Deutschland, die einst wie Ernst Toller begeistert in den Krieg gezogen waren, verstärkte seine Denkschrift die im Angesicht des sinnlosen Mordens auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs desillusionierte Haltung. Mit der Lichnowsky-Denkschrift war nachgewiesen, dass Deutschland keineswegs einen Verteidigungskrieg führte, sondern eine erhebliche Mitschuld am Ausbruch des Ersten Weltkriegs trug.94 In der Folge der Veröffentlichung des Lichnowsky-Memorandums erhielt die sozialistisch orientierte Arbeiterschaft erheblichen Zulauf aus Künstler- und Intellektuellenkreisen. Raoul Hausmann behauptete 1970, ein Jahr vor seinem Tod, dass er direkt an der Verbreitung der Broschüre beteiligt gewesen sei.95 Im Zusammenhang mit der illegalen Veröffentlichung der Lichnowsky-Broschüre wird er ein Jahr später, im Juni 1918, von der Polizei verhört und beschattet.96 Über seine Konfrontation mit den Polizeibehörden schreibt Hausmann an Hannah Höch:
»Heute war wieder 2 Stunden die Polizei bei mir. Man hat verschiedene Verdächte und versucht mich in Dinge hineinzuziehen, mit denen ich nichts zu tun habe – darum muß ich mit meinen Äußerungen sehr vorsichtig sein. Zuletzt frug ich direkt, was man mir denn in Wirklichkeit tun könne. Antwort: ich habe mich durch Begünstigung und Unterlassung der Anzeigepflicht strafbar gemacht, darauf gäbe es ein bis 2 Monate – allerdings lägen noch verschiedene Belastungsaussagen des Hausschild gegen mich vor. Eine Ausweisung wäre die anschließende Folge nach der Strafverbüßung. Man habe meinen Fall vorläufig bis zur Verhandlung vor dem Reichsgericht (Lichnowskisache) zurückgestellt – da würde die Angelegenheit dann aufgerollt werden. Ich könne der Strafverfolgung nur entgehen, wenn ich ein Jahr Polizeispitzel abgäbe. Außerdem würde mein Vater seine Stellung verlieren – also! – Daß ich nicht bereit bin, den Polizeispion zu spielen, weißt Du. Und die Verhandlung in Leipzig wird in ein paar Wochen sein. Jetzt weißt Du genau, was passieren wird. Und nun frage ich Dich: ist das ein Leben, wobei man ganz ruhig sein kann, – alle 14 Tage kommt die Polizei. [...]«97
Hannah Höch ist an Hausmanns politischen Aktivitäten nicht beteiligt, doch sie weiß davon. Über seine Kontakte zu Ernst Neumann, dem Vorsitzenden der Arbeiterjugend, war sie vor Hausmanns Verhaftung informiert. In ihrem Nachlass befinden sich zwei Postkarten, die Neumann bereits im Sommer 1917 an Hausmann sandte. Die Karten haben einen belanglosen Inhalt, warum hätte Höch sie aufbewahren sollen, wenn sie den Zusammenhang nicht zumindest geahnt hätte.
Im April 1917 kann Hannah Höch einen ersten künstlerischen Erfolg verzeichnen. In der Luxusausgabe der Zeitschrift »Das Kunstblatt«, dem von dem Kunstkritiker und Kunstschriftsteller Paul Westheim gegründeten und herausgegebenen Periodikum, das mit bibliophilem Anspruch über zeitgenössische Kunst berichtet, erscheint ihr Holzschnitt, der »Prophet Matthäus«. Es handelt sich um einen Faksimile-Nachschnitt aus dem mittelalterlichen Blockbuch »Ars memorandi«. Als Vorlage diente Hannah Höch eine Ausgabe der Schrift, die sich in der Herzoglichen Bibliothek zu Gotha befand. Die »Kunst des Erinnerns« richtete sich an den theologisch gebildeten Leser, der sich anhand von Bildern den Inhalt der Evangelien einprägen konnte. Der Zeichencharakter der frühen Graphiken und ihre auf Umrisslinien, wenige Schraffuren und harte Schwarz-Weiß-Kontraste konzentrierte Formensprache inspirierte viele dem Expressionismus zugewandte Künstler.
Die Beziehung zu Raoul Hausmann erweist sich auch 1917 als eine ständige Berg-und-Tal-Fahrt. Zusehends wird Hannah Höchs Familie, vor allem ihre Schwester Margarete, in die Auseinandersetzungen involviert. Sie soll auf Hausmanns Veranlassung hin vermitteln. Hausmann berichtet Grete, dass die Nachricht, Hannah Höchs Freundin Maria Uhden werde den auch mit ihm bekannten Maler Georg Schrimpf heiraten, ihr einen erneuten Anlass gegeben habe, sich von Hausmann trennen zu wollen.98 Hannah Höchs Freundin aus Gotha, die wie sie selbst aus einer bürgerlichen Familie stammende Maria Uhden, heiratete im Frühjahr 1917 den »ehemaligen Arbeiter« Georg Schrimpf.99 Im Sommer wurde ihr Sohn geboren. Uhden stirbt drei Wochen nach der Geburt ihres Kindes im August, im Kindbettfieber. Aus Anlass des Todes ihrer Freundin schreibt Hannah Höch auf die Rückseite einer Abbildung, die einen von Uhdens Holzschnitten zeigt:
»Liebe Mizzi Uhden ...
unser Start in die Kunst
war gemeinsam.
Auch wenn Du Dich ein Jahr
vor mir aus Gotha loseisen
konntest.
Wie gern wüsste ich, wie Du das
Leben weiter gemeistert hättest –
und wohin DEIN leidenschaftlicher
Wille zur Kunst geführt hätte.
Deine sanften Rehaugen schlossen
sich sehr früh für immer.«100
1917 ist das Jahr der vielen Umzüge von Hannah Höch in Berlin. Ihre einstige Vermieterin hat ihr gekündigt: »Sie verdient zu wenig an mir und dann paßt’s ihr nicht, daß ich jetzt öfter in der Küche herumhantiere. Das ist mir aber sehr egal, ich bin froh, daß sich alles so herrlich friedlich löst«, berichtet sie ihrer Schwester.101 Mehrfach wechselt sie ihren Wohnsitz in dem südwestlichen und dennoch zentral gelegenen Berliner Bezirk Friedenau. Zum Jahreswechsel findet sie eine Dachgeschosswohnung in der Büsingstraße 16. Die Mansarde ist mit ihren schräg liegenden Dachfenstern ein ideales Wohnatelier (Abb. 3). Höchs neue Zweizimmerwohnung liegt im fünften Stock. Ein Ofen beheizt den vorderen Raum. Unter der großen Fensterfront befinden sich geräumige Schränke, eingebaut in die Dachschräge. An der Wand, die das eine Zimmer vom anderen trennt und die direkt an die Glasfront stößt, montiert Hannah Höch Regalbretter, auf denen ihre Kakteensammlung Platz findet. In der Büsingstraße wird sie, lediglich unterbrochen durch ihren Aufenthalt in Den Haag Ende der zwanziger Jahre, bis 1932 wohnen. Ihr Freund Kurt Schwitters wird Höchs Wohnung für seine Merz-Abende nutzen und, wie viele andere mit ihr befreundete Künstler, den Stauraum in der Dachschräge mit Kunstwerken und anderen brauchbaren Dingen füllen. Das Atelier in der Büsingstraße, zu dem man 107 Treppenstufen emporsteigen muss,102 bietet auch einen ersten dauerhaften Standort für all die ihr wichtig erscheinenden privaten Briefe und Dokumente, von der Einladungskarte zum dadaistischen Groteskenabend bis zu Zeitschriftenartikeln, die Hannah Höch ihr Leben lang aufbewahren wird. Ihre Sammelleidenschaft erweist sich als Teil ihrer künstlerischen Arbeit. Wie ihre Liebe zur Natur – wenn auch vorerst ausgelebt in Gestalt der wenig kapriziösen Kakteen – zählt sie zu jenen besonderen Charaktereigenschaften, die die Künstlerin auszeichnen. Neben den Fotos und Papieren, die sie aufbewahrt, trägt Hannah Höch auch kleine merkwürdige Dinge zusammen, die sie später in einer eigens dafür bereitgestellten Glasvitrine, ihrem »Rarit Schrank«, aufbewahrt. Hier finden Glaseier, Zinnsoldaten, Schachfiguren neben Miniaturvogelkäfigen, kitschigen christlichen Devotionalien, »ungarischen Väschen«, »Porzellankörbchen« und Tanzenden aus Glas ihren Platz.103
Ihre eigene Wohnung, in der sie sich ohne Rücksicht auf die Anweisungen unzufriedener Zimmerwirtinnen bewegen kann, verleiht ihr einen neuen Freiraum für ihre Arbeit. Man möchte meinen, dass sich das zumindest kurzfristig auch positiv auf ihre Beziehung zu Raoul Hausmann auswirkt. Doch bereits kurz nach Neujahr 1918 eskalieren die Konflikte erneut. Hannah Höch ist ein zweites Mal schwanger. Karoline Hille beschreibt in ihrer Darstellung der Beziehung, dass diese zweite Schwangerschaft für beide zunächst gar nicht in ihrem Vorstellungshorizont gelegen habe.104 Hannah Höch rechnete zunächst lediglich damit, dass sich ihre Periode verzögerte. Im Zusammenhang mit dem erneut ausgebrochenen Konflikt versucht sich Hausmann an einer esoterisch aufgeladenen Deutung der weiblichen Entwicklung, die an Strindberg angelehnt ist. Seine Haltung hat mittlerweile offensichtliche misogyne Züge angenommen: »›Und während der Periode des Weibes, die sehr geheimnisvoll ist, scheint sie in Verbindung mit dem Unterirdischen zu treten. Eine höllische Bosheit ist verbunden mit einer Unmaskierung; sie bekommt ein neues Gesicht, neue Begierden und Neigungen, aber meist Verlangen nach dem Unsinnigen. Sie sondert während dieser Tage ein Gift ab, das ist Jod; und ihr ganzes Wesen ist dann giftig‹«, zitiert Hausmann den als Frauenfeind bekannten schwedischen Schriftsteller und Künstler. Er kann die Beschreibung der dämonischen Verwandlung von Frauen während ihrer Menstruation sogar noch steigern und ergänzt hinter dem Zitat: »(Bei Verzögerung der Periode können die Tage vorher schon so eine Auto-Toxikation vorstellen; siehe übrigens die Tatsache, dass manche Blumen welken, wenn eine Frau während der Periode sie berührt.)«105
Nach der erneuten Abtreibung versucht Hannah Höch, sich endgültig von Hausmann zu trennen. Und er schreibt wieder seitenlange Briefe, in denen er ihre Beziehungssituation sezierend analysiert. Äußert er hier noch eine Liebeserklärung, folgen im nächsten Satz Anklagen oder Schuldeingeständnisse. Hausmann ist hartnäckig und versucht ein weiteres Mal, Hannah Höch zurückzuerobern: »Meine Hannah – eine zweite Nacht nicht bei Dir sein, ertrage ich nicht. Laß mich doch zu Dir. Zarte, Süße – vergib mir doch. Ich liebe Dich – ich kann nicht leben vor Sehnsucht nach Dir. Ich werde heute Nacht von 11–½ 12 Uhr auf der Straße auf Dich warten, ganz ruhig. Laß mich doch meine große Schuld gut machen –«, schreibt er zwei Monate später.106