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Nelly und Theo van Doesburg

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Schwitters und Theo van Doesburg arbeiten erstmals intensiver während der Vorbereitungen für einen internationalen Konstruktivisten- und Dadaisten-Kongress zusammen, der im späten September 1922 in der Klassikstadt Weimar stattfindet, seit 1919 Sitz der Bauhausschule.278 Wie so viele andere Berliner Dadaisten nimmt Hannah Höch an dem Kongress nicht teil, allerdings weil sie die Einladungskarte nicht rechtzeitig erreicht.279

Kurz nach Neujahr 1923 starten Schwitters, Theo und Nelly van Doesburg und Vilmos Huszár eine gemeinsame Dada-Tour durch Holland.

Über den Erfolg der Unternehmung berichtet Nelly von Doesburg stolz: »Wir haben in Holland sehr viel succes mit Dada! Nie ist hier über etwas soviel in die Zeitungen geschrieben worden.« Und am Ende fragt sie Hannah Höch: »Geht es Ihnen gut?«280 Auf der gleichen Postkarte richtet auch Schwitters noch ein paar Zeilen an die Freundin: »Liebe Hannah! Du hast schwere Wochen hinter Dir. Wie geht es Deiner Schwester? Doesburg hat die 2 Zeichnung von Dir für Mecano angenommen. [...].« Schwitters spricht verklausuliert die Trennung zwischen Hannah Höch und Raoul Hausmann an, die noch einmal deutlich macht, dass das Ende der Beziehung für Hannah Höch keineswegs eine Erleichterung bedeutete. Hinzu kam, dass ihr Vater Anfang 1923 starb.281

Zu der von Schwitters angekündigten Publikation von Hannah Höchs Werken in Theo van Doesburgs De-Stijl-Zeitschrift »Mecano« kommt es nicht.282 Der Austausch zwischen Theo van Doesburg und Hannah Höch lief, anders als mit Schwitters, eher auf einer theoretischen Ebene ab. Bis zu Doesburgs frühem Tod Anfang der dreißiger Jahre wird in keiner seiner Publikationen oder Ausstellungen ein Beitrag von Hannah Höch vertreten sein, was aber nicht heißt, dass Doesburg Höchs Arbeiten nicht schätzte. In ihrem Nachlass finden sich Briefe des De-Stijl-Mitbegründers, die auf witzige und zugleich bitterernste Weise den Kunstdiskurs, der zwischen beiden stattfand, demonstriert. So beschwert sich Doesburg im Rahmen einer von ihm veranstalteten Tournee in Wien über den dort, aber auch in seiner neuen Wohnstadt Paris verbreiteten »Popoismus«, womit er die figurative Tendenz in der zeitgenössischen Malerei umschreibt.283 Doesburg beklagt sich darüber, dass mit Bildern von Frauenpopos viel Geld zu verdienen sei, während abstrakte Kunst keine Absatzmärkte fände. Hannah Höch fühlte sich als auch figurativ und gegenständliche Bilder malende Künstlerin von diesem Vorwurf durchaus angesprochen.284

Doch ihrem freundschaftlichen Verhältnis tat das offenbar keinen Abbruch, ebenso wie die Versuche der Künstlerin, Theo van Doesburg für eine Beteiligung an Ausstellungsprojekten zu gewinnen, die die Novembergruppe initiiert hatte. Ihre Bemühungen scheiterten wohl auch hierbei an Theo van Doesburgs Beharrlichkeit und daran, dass er »eisern darüber wachte, dass ›Stijl‹ (seine Zeitschrift) ›quadratisch rein‹ gehalten wurde«, wie Hannah Höch es ihrem Biographen Heinz Ohff gegenüber darstellte.285

Nelly van Doesburg war über mehrere Jahre hinweg eine liebevolle Freundin von Hannah Höch. In zahlreichen im Nachlass der Künstlerin erhaltenen Briefen ist der persönliche Kontakt zwischen beiden dokumentiert. Wie Hannah Höch wurde Petronella van Moorsel in eine kinderreiche, wohlsituierte Familie geboren. Auch in Hinblick auf ihre Partnerschaft mit Theo van Doesburg gibt es biographische Überschneidungen mit der Beziehung zwischen Hannah Höch und Raoul Hausmann. Doesburg ist bereits das zweite Mal verheiratet, als er 1919 in Amsterdam Nelly erstmals begegnet. Ihr Vater akzeptierte die Beziehung zu dem verheirateten Mann nicht, was zu einem Familienzerwürfnis führt, in dessen Folge sich Nelly zu ihrem Geliebten flüchtet. Zwischen Theo van Doesburg, seiner Ehefrau Lena Milius und Nelly entwickelte sich zunächst eine Dreiecksbeziehung. 1923 reicht Doesburg seine Scheidung ein. Aber erst einige Jahre später heiraten Nelly und Theo van Doesburg.286 Ein Foto in der von Wies van Moorsei verfassten Biographie von Nelly van Doesburg zeigt die Pianistin im Atelier von Hannah Höch nackt vor dem Spiegel sitzend, die Dadapuppen der Künstlerin auf dem Schoß. Mehrfach scheint sie Höch als Modell gedient zu haben.

Im April 1924 fährt die Künstlerin über Ostern nach Paris und verbringt dort viel Zeit mit den Doesburgs. Sie führt ein Reisetagebuch, in dem sie ihre Pariser Alltagserfahrungen notiert. Neben Kommentaren zu preiswerten Unterkünften finden sich zahlreiche Namen von Künstlern, die in der französischen Hauptstadt leben. Ihre Einträge lesen sich wie ein Who’s who der modernen Kunst, Man Ray, Constantin Brancusi, Fernand Léger, Sonia Delaunay, Pablo Picasso, Max Ernst und viele mehr.287 Alle hat sie nicht getroffen, doch durch Nelly und Theo van Doesburg vermittelt besucht sie viele Künstler in ihren Ateliers. Unter anderem begegnet sie auch Tristan Tzara persönlich, mit dem zusammen sie den aus Rumänien stammenden Bildhauer Constantin Brancusi besucht. Hannah Höch überlässt Tzara in Paris einige ihrer »Klebebilder« (Fotomontagen). An der langsam erwachenden internationalen Anerkennung Hannah Höchs als Künstlerin hat Tzara als Verteiler ihrer Fotomontagen einen Anteil. Eines der Höch-Werke aus Tzaras Sammlung wird, während in Deutschland der Nationalsozialismus ihre künstlerische Freiheit nahezu gänzlich einschränkte, auf der von Alfred Barr kuratierten Ausstellung »Fantastic Art, Dada, Surrealismus« 1936 im noch jungen Museum of Modern Art in New York ausgestellt werden.288

In ihrem Paristagebuch finden sich zahlreiche Anspielungen in bissigem Ton, die darauf hindeuten, dass Hannah Höch Berlins überdrüssig geworden war, etwa in einer Beschreibung von spielenden Kindern im Jardin du Luxembourg:

»Kinder, viele viele Kinder alle Kinder der Welt sind sich gleich. Die Fontaine hat ein ganz grosses Bassin darauf schwimmen ungezählte Segelschiffchen bis zu 2 m gross und die Kinder, mit Bambusstöcken bewaffnet, mit denen sie ihre Schiffe wieder flott machen, falls sie zum Aussenrand kommen, setzen ihren Ehrgeiz hinein, dass ihr Boot immer auf der Mitte des Bassins bleibt. Jedes dritte Kind hat irgend ein seltsames Spielzeug auf 4 Rädern, was aber immer ein Auto darstellen soll, oft Hausmacherarbeit – und kaum als das, was es bedeuten soll zu erkennen. Kinder sind Kinder und in Berlin wie in Rom oder Paris etwas Göttliches. Auch elegante Väter gibt es hier, die ihre Kinder in der Sonne spielen lassen. Aber – – auch Mütter sind Mütter – und liebe, doofe Berliner Hausfrau, auch die geschminkte Pariserin kann eine sehr gute Mutter sein.«289

Vom Gare de l’Est nimmt die Künstlerin einen Zug, mit dem sie schweren Herzens Paris wieder verlässt. Nur ungern kehrt sie in das ihrer Ansicht nach muffige Deutschland zurück. Ihrem Tagebuch vertraut sie ihre Empörung in Form einer Episode an: »Deutsche sind eben doch nur Schweine. Hundert Schritte auf deutschen Boden bringen einem wieder mal diese Erkenntnis. In Frankfurt der lieblichen Stadt stelle ich dieses fest. Wirklich – mehr denn hundert Schritte habe ich noch nicht auf deutschem Boden hinter mir, setzte mich nach 18 stündiger Fahrt am Bahnhof in ein Kaffee, in dem ich ein Stück der Zeit bis zum Anschlusszug nach Berlin verbringen will (in 6 Stunden kann ich notabene erst weiter) da sagt mir so ein Ferkel von deutschem Kellner: Damen ohne Herrengesellschaft ist das Rauchen hier nicht gestattet. Oh du mein gräuliches Vater-Land290

Zu Beginn des Jahres 1925 besuchen die van Doesburgs Hannah Höch in Berlin und wohnen in ihrem Atelier in der Büsingstraße. Und in den Sommerferien reist die Künstlerin nach London. Von dort aus fährt sie für einige Tage auf die für ihre mediterrane Vegetation berühmte britische Kanalinsel Isle of Wight. »Unerhörte Üppigkeit«, notiert sie in ihr Reisetagebuch, neben zahlreiche Pflanzennamen und der Beobachtung: »Männer fahren ausschließlich die Kinderwagen. Halten die Kinder ab [...].«291 Im Anschluss an ihre Englandreise besucht Höch das befreundete Künstlerpaar auf der bretonischen Insel Belle Île, wo sie sich gemeinsam am Meer erholen. Die Rückreise führt Hannah Höch noch einmal über Paris. Sie frischt ihre Künstlerbekanntschaften aus dem Vorjahr auf und gewinnt neue Kontakte. Unter anderem begegnet sie der New Yorker Kunstkritikerin Jane Heap, die in der amerikanischen Metropole eine Galerie leitet. Mit Heap verbringt Hannah Höch einen »netten Tag«. Die Galeristin und Herausgeberin der New Yorker Avantgardezeitschrift »The Little Review«, die hohes Ansehen in der Kunstszene genießt, berichtet Höch, dass sie, durch Tristan Tzara vermittelt, in ihrer New Yorker Galerie Fotomontagen von Höch gezeigt hat.292

Vor ihrer Abreise in die Ferien kann Hannah Höch zumindest einen künstlerischen Teilerfolg erzielen. Auf der jährlich stattfindenden Ausstellung der Novembergruppe, die jetzt räumlich aufgewertet in der Berliner Sezession präsentiert wird, zeigt Hannah Höch im Frühsommer 1925 in der Abteilung »Malerei und Architektur« zwei gerade erst entstandene Gemälde, die aus heutiger Sicht zu den zentralen Werken der Künstlerin zählen, »Roma« und »Journalisten«.293 In beiden Bildern, »klassisch« in Öl gemalt, überträgt Hannah Höch formale Prinzipien ihrer Fotomontagen in die Malerei. Höch treibt ihr optisches Spiel mit Betrachtern.

In dem Gemälde »Journalisten« (Abb. 10) erzeugt die Künstlerin einen Trompe-l’œil-Effekt, indem sie in das Bild einen zweiten Rahmen malt, der dem Betrachter suggeriert, es handele sich um eine Anzeigentafel. Auf der Tafel scheinen Bilder mit Porträts zu hängen. Zugleich tauchen aus dem dunklen Grund des Bildes Köpfe auf, die einem anderen Bildraum entspringen. So scheint auch die zentrale Figur in Ganzkörperansicht im Bildmittelgrund den gemalten Rahmen der Tafel als Standfläche zu nutzten. Es entsteht ein vielschichtiges Vexierbild.

Bei den Figuren handelt es sich ihren Gesichtern nach um Männer, doch auf den zweiten Blick erweisen sie sich, wie so oft in Höchs Arbeiten, als androgyne Mischwesen. Die rechte Figur etwa trägt elegante Damenschuhe und einen modischen Mantel. Sie grinst den Betrachter augenzwinkernd und mit rotlockigem Bart aus einem breiten Mund an. Die Gestalten wirken mit ihren viel zu großen oder zu kleinen Augen, Mündern und Ohren und ihren gegelten Haaren, Glatzen und schiefstehenden Zähnen reichlich verschroben. Höch betont durch die verzerrten Proportionen vor allem die Sehorgane, einer besitzt insektenhafte Glupschaugen und der andere hat ein trübes, offenbar erblindetes Auge.

Die Künstlerin hat im oberen Bildteil einen kleinen Zettel gemalt, ein Trompe-l’œil, dessen Inschrift die Dargestellten als »Journalisten« ausweist. Sie täuscht hier vor, das Papier sei mit einer Stecknadel auf der Anzeigentafel befestigt. Wie auch in dem fast zeitgleich entstandenen Gemälde »Roma« spielt die Künstlerin mit den Effekten einer Collage. Einige der »Journalisten« hinterlegt sie mit einer abgegrenzten monochromen Fläche und erzeugt den Eindruck, ihre gemalten Figuren seien aus anderen Papiervorlagen ausgeschnitten. Wie in einer echten Fotomontage überschneiden sich an einigen Stellen die Flächen, die vorgeben, Bildträger der Figuren zu sein.

In der übermäßigen Betonung der Sinnesorgane weist Hannah Höch auf wesentliche Arbeitsinstrumente der karikierten Berufsgruppe hin. Oft haben die Dadaisten Journalisten und in besonderem Maß Kunstkritiker karikiert. Ein Beispiel liefert etwa Raoul Hausmanns Fotomontage »Der Kunstkritiker« von 1919, die sich in der Sammlung der Tate Gallery befindet,294 sowie das ein Jahr nach Hannah Höchs »Journalisten« entstandene Gemälde »Die Stützen der Gesellschaft« (1926) von George Grosz, das einen Journalisten mit umgedrehtem Nachttopf auf dem Kopf darstellt.

Höchs Gemälde, das vorgibt, eine Collage zu sein, demonstriert mit seinen scharf umrissenen Figuren und der detailgetreuen Wiedergabe von Stofflichkeit, wie etwa in der gelben Decke, die sich einer der Journalisten umlegt, ihre Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Strömungen in der Malerei. Nahezu zeitgleich präsentiert der Kunsthistoriker Gustav Hartlaub in der Mannheimer Kunsthalle eine Ausstellung unter dem Titel »Neue Sachlichkeit«, in der er die sich auf sehr unterschiedliche Weise wieder der »Realität« zuwendende zeitgenössische Position vorstellte.

In der NS-Zeit werden Hannah Höchs »Journalisten« Wolfgang Willrich, einem der maßgeblich am Zustandekommen der Propagandakunstausstellung »Entartete Kunst« beteiligten NS-Kunstberichterstatter, dazu dienen, die Künstlerin als »Kulturbolschewistin« an den Pranger zu stellen.

Die Bedeutung der beiden Gemälde »Roma« und »Journalisten« für die Kunstgeschichte erkannte Mies van der Rohe, der die Leitung der Architekten-Sektion der Novembergruppe innehatte. Indem Hannah Höch in den Bildern das Prinzip der Montage- und Collagetechnik in die anerkannte künstlerische Gattung der Malerei überträgt, wertet sie mit ironischem Augenzwinkern die bis dahin nicht als eigenständig geltende Gattung der Fotomontage und Collage auf.

Mies van der Rohe schlug der städtischen Ankaufskommission vor, die beiden Gemälde aus dem dafür von Berlin vorgesehenen Etat zu erwerben. Doch der in Kultur- und Bildungspolitik einflussreiche Berliner Maler Hans Baluschek, selbst Mitglied der SPD, riet vom Ankauf ab.295

Schrankenlose Freiheit für Hannah Höch

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