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Kurt Schwitters

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Vor allem mit ihrem Freund Kurt Schwitters kommt es zu einem künstlerischen Austausch und zu einer für beide Seiten inspirierenden Zusammenarbeit. In der Trennungsphase von Hannah Höch und Raoul Hausmann scheint Schwitters gewissermaßen für beide Ohren zu haben. Mit Raoul Hausmann verbindet ihn in der Zeit ein Arbeitsverhältnis, während er bereits an einem Austausch mit Hannah Höch interessiert ist, aber vermeiden möchte, dass sich beide bei ihm begegnen: »Liebes Fräulein Höch! Hausmann ist am Dienstag 13.6. nach Berlin abgereist. Wir erwarten Sie also Sonnabend 17.6., da wir am 24. od. 26.6. selbst verreisen. Hausmann weiß nicht, dass Sie uns besuchen. Bringen Sie Arbeiten mit«, teilt Schwitters Hannah Höch auf einer Postkarte mit.261

Die Berliner Dadaisten betrachteten Schwitters auf Grund seiner Strategie, direkte politische Stellungnahmen zu vermeiden, mit Skepsis und Ablehnung. Schwitters hat indessen mit seinem Prinzip Merz eine eigenständige, der Poesie verpflichtete dadaistische Position entwickelt, die auch seine künstlerischen Gemeinsamkeiten mit Hannah Höchs Arbeiten erklären.262 Sie äußerte sich über ihre Wahlverwandtschaft mit Schwitters in ihrem Rückblick: »Er wollte auch Dada niemals seiner musischen Elemente entkleiden und stand damit Hans Arp, Sophie Täuber und auch mir immer näher als z.B. Huelsenbeck. Meine bedingungslose Kameradschaft mit Schwitters hatte wohl hier ihre Wurzeln.«263 In ihrem Erinnerungsvortrag über Dada, den sie 1966 in Düsseldorf hielt, erklärte Hannah Höch die Ursachen für die Ablehnung von Schwitters in der Berliner Dada-Gruppe auch mit seiner Verbundenheit mit Herwarth Waldens Sturmbewegung. Schwitters habe Dada in Hannover im »Alleingang betrieben. Es standen ihm zwar Hannoveraner Freunde treu zur Seite, aber seinen Verleger Steegemann, Christof Spengemann, Käte Steinitz und andere kann man ja nicht als DADAisten bezeichnen.«264

In einem Brief an Hausmann bekennt Schwitters: »Schwieriger scheint mir der Fall Walden. Ich sehe, daß du innerlich gegen Walden noch immer bist. Aber das wird eine Gefahr sein für ein enges Zusammenarbeiten zwischen uns beiden. Ich schätze Walden ganz außerordentlich als Künstler und als den Mann, der die neue Kunst erkennt und mit allen Kräften gefördert hat. Du siehst in Walden statt dessen den Kaufmann; mit Unrecht. Ich lasse dir deine Ansicht, laß mir meine auch, dann können wir eine Strecke weit gut zusammenarbeiten.«265 Dieser Brief, in dem Schwitters Hausmann auffordert, nichts mehr gegen Walden zu schreiben, sofern er mit ihm ein gemeinsames Projekt durchführen wolle, demonstriert seine Kompromissbereitschaft, aber zugleich auch seine kompromisslose Haltung. Offenbar konnte sich Hausmann damit arrangieren. Nach den klaren Worten von Schwitters stand der Zusammenarbeit beider in der Aufführung in Prag nichts entgegen. Auch wenn Hannah Höch sich erinnerte, dass es zwischen Schwitters und Hausmann auf der Bühne zu erheblichem Konkurrenzgerangel gekommen war, das sich in Form brüllend vorgetragener Lautgedichte äußerte. Ursache für den Hahnenkampf war Hausmanns Vorwurf an Schwitters, er habe für eine seiner Lautsonaten bei ihm geklaut.266

1919 verfasste Kurt Schwitters ein Lautgedicht mit dem Titel »Anna Blume«. »Anna Blume« verselbständigte sich in der folgenden Zeit in seinem Werk und erhielt den Charakter eines Synonyms für den merzenden Schwitters. Er ließ rot-weiße Marken drucken, auf denen der Name »Anna Blume« stand und die er in seine Werke integrierte. Mit seinem Signet markierte Schwitters aber auch den öffentlichen Raum. »Anna Blume« versinnbildlichte Schwitters’ poetisches Prinzip der Kunst, was sich in der dem Namen »Anna« immanenten wortspielerischen Facette zeigt. Vor- und rückwärts gelesen ergibt sich derselbe Name. Auch wenn sich Hannah Höch lange vor Schwitters als »Hannah« mit »h« bezeichnete, und nicht ihren Mädchennamen Johanne verwandte, so hat Schwitters einen erheblichen Anteil daran, dass sie das Schluss-h in ihrem Vornamen »kanonisierte«.267

Die Zusammenarbeit zwischen Höch und Schwitters zeigt sich in zahlreichen Postkarten, die die Freunde einander schicken und die sie gegenseitig bearbeiten. Es kommt zu vielen Besuchen Schwitters’ in Berlin und Hannah Höchs in Hannover. Während seiner Berlinaufenthalte wohnt er in ihrer Atelierwohnung in der Büsingstraße, die er als Bühne für seine Merz-Abende umfunktioniert, bei denen er gegen ein Eintrittsgeld Gedichte vorträgt.268 Hannah Höch erinnert sich, dass Schwitters ständig für seine Vorträge unterwegs war und durch Deutschland reiste. Überall legte er sich kleine Lager an, in denen er Fundstücke zusammentrug, um für das nächste Mal gleich Material für neue Arbeiten vorzufinden. Ein solcher Ort findet sich nun auch in Höchs Dachgeschosswohnung. In dem Zwischenraum zwischen der schrägen Innenwand und den Dachziegeln legt er ein Materiallager an, das er durch eine Tür, die er kurzerhand in Höchs Wand einsetzt, zugänglich macht. Die Künstlerin beschwerte sich über den eigenmächtigen Einbau einer Art Geheimtür in ihrem Atelier, aus der es im Winter immer fürchterlich gezogen habe.269

Hannah Höch fährt oft nach Hannover. Hans Arp, zu dem sie, wie auch zu seiner Frau Sophie Taeuber über Schwitters vermittelt, ebenfalls bald eine herzliche Freundschaft entwickelt, beschrieb in seinen Erinnerungen einen typischen Dialog zwischen Schwitters und seiner Frau Helma, der im Zusammenhang mit einem von Höchs angekündigten Besuchen stand:

»Kurt Schwitters: ›Helmchen! Vergiß bitte nicht, dass heute Nachmittag Hännchen aus Berlin kommt!‹

Helma Schwitters: ›Aber Kurtchen, wo soll sie denn schlafen?‹

Kurt Schwitters: ›In meinem Bett natürlich!‹

Helma Schwitters: ›Aber das geht doch nicht, Kurtchen!‹

Kurt Schwitters: ›Warum denn nicht?‹

Helma Schwitters: ›Du hast doch deinen Kleistertopf beim Arbeiten im Bett umgeworfen.‹«270

In der witzigen Gesprächsdokumentation des Dialoges durch Hans Arp spiegelt sich nicht nur die humor- und liebevolle Atmosphäre, die ihre Freundschaft auszeichnet, sie verweist auch auf Schwitters’ alltägliche Praxis, Kunst herzustellen. Er hatte Anfang der zwanziger Jahre in seinem Wohnhaus begonnen, den sogenannten »Merzbau« oder die »Kathedrale des erotischen Elends«, wie er die Arbeit auch bezeichnete, zu errichten. Dabei handelt es sich um ein turmartiges Gebilde, eine Akkumulation verschiedener Alltagsgegenstände. Bis zu seiner Flucht aus Deutschland im Winter 1938 erobert diese immer weiter wuchernde skulpturale Arbeit Stück für Stück das Wohnhaus der Schwitters’. Der Kleistertopf im Bett ist also nicht nur ein Hinweis seiner Frau auf Schwitters’ bewusst eingesetztes infantiles Verhalten, sondern ein Beleg seines Alltags als Künstler. Während eines Bombenangriffs im Zweiten Weltkrieg wurde der Merzbau zerstört, das Kunstwerk, das sich wohl am radikalsten dem Traum der Avantgarden von einer Auflösung der Grenzen zwischen Kunst und Leben annäherte. In seinen Merzbau hatte Schwitters nischenartige Räume integriert, die er Grotten nannte. Künstlerfreunde forderte er auf, diese Grotten zu gestalten. Hannah Höch durfte als Einzige zwei der Nischen ausstatten. Ihre Arbeiten sind mit der Kriegszerstörung des Merzbaus verloren gegangen. In einem seiner späteren »Merz Hefte« aus den frühen dreißiger Jahren, einer von Schwitters herausgegebenen Zeitschrift, beschreibt er die verschiedenen Grotten. Eine der von Höch gestalteten Nischen nennt er »Bordell, mit einer Dame mit 3 Beinen«.271

Aus den von Hannah Höch über ihre Zusammenarbeit und Freundschaft bekannten Beschreibungen geht hervor, dass beide häufig gemeinsame Ausflüge in die Natur unternahmen, um dort Lautgedichte zu rezitieren oder zu zeichnen. Ebenso erwähnt die Künstlerin, dass Schwitters und sie in Dresden oft einen Trödler besuchten, der seine Waren im Kellergewölbe eines einstigen Palais feilbot. Der Altwarenhändler Gassert sei gewissermaßen das Einkaufsparadies von Schwitters gewesen, in dem er Dinge fand, die »die Stadt Dresden ganz und gar und absolut nicht mehr brauchen konnte«.272 Die Kunstgeschichte würdigt Schwitters unter anderem, weil er Müll, für den es keine Verwendung mehr gab, künstlerischen Wert verlieh. Schwitters gilt gewissermaßen als einer der ersten Künstler, die auf poetische Weise Zivilisationskritik in Kunst verwandelten. Mit der Verwendung zunächst kunstferner Materialien und Abfallprodukte besetzt er für zahlreiche künstlerische Positionen in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg die Rolle eines Vorläufers.

Ein noch erhaltenes Beispiel ihrer Zusammenarbeit ist die Postkarte, die die Fotomontage »Astronomie« von Hannah Höch abbildet, die Schwitters mit Schriftzügen weiter bearbeitet und in seinem Sinn vermerzt hat. In der Fotomontage »Astronomie« setzte Hannah Höch Fragmente einer Sternenkarte, Stoffreste und eine abstrakte technische Zeichnung, die an einen Schaltkreis erinnert, zu einer architektonischen Form zusammen. Konstruktivistische Einflüsse in Höchs Werk werden in der Arbeit sichtbar, die die Künstlerin wahrscheinlich als Eigenwerbung auf eine Postkarte drucken ließ. Inspiriert durch das verspielte und zugleich seine Konstruiertheit offenlegende Bild, klebte Schwitters an den unteren Bildrand der Karte einen rötlich eingefärbten Zeitungsstreifen mit der Inschrift »Was bietet uns Fremden«. In die linke obere und untere Ecke schrieb er handschriftlich: »Kaufen Sie den Saturnroten Führer durch das Hoech = Museum für alten und neuen Haus- und UN-Rat.«

Zusammengelesen verweist Schwitters’ Inschrift auf die Verbindung zwischen »Rationalität und Spielerei« in Höchs Œuvre, versinnbildlicht durch das Bild des Saturn, dem entgegen der »Mythologie nicht Schwarz«, sondern das »lebendigere Rot« beigemessen wird.273 In seiner Beschriftung findet sich zugleich auch ein Hinweis auf Höchs Sammelleidenschaft. Schwitters scheint die museale Qualität ihrer Kollektion bereits Anfang der zwanziger Jahre erkannt zu haben.

Aus der Zeit der intensiven Freundschaft zwischen Höch und Schwitters sind vor allem ihre Entwürfe für eine gemeinsam geplante Revue, die sogenannte Anti-Revue »Schlechter und Besser«, Zeugnisse ihrer Zusammenarbeit. Hannah Höch hat in ihren Erinnerungen die Vorarbeiten für das nie verwirklichte Gemeinschaftsprojekt in einem humorvollen Bericht über eine gemeinsame Reise mit Kurt Schwitters geschildert. Die Idee, selbst eine Revue zu entwerfen, sei ihnen nach einem Besuch im Berliner Metropoltheater gekommen, wo sie ca. 1924 eine der für die Goldenen Zwanziger typische Veranstaltung besucht hätten: »Eine der Kitschdarbietungen, die mit brutalen Mitteln nur auf Sex-Wirkung eingestellt waren«, kommentiert Höch.274 Schwitters konnte für die geplante Revue den jungen Komponisten und Musikwissenschaftler Hans Heinz Stuckenschmidt gewinnen, der sich bereits bei der Dada-Messe beteiligt hatte. Außer Hannah Höchs Bericht über die widrigen Umstände einer gemeinsamen Fahrt mit übermäßig viel Gepäck vom Potsdamer Bahnhof über Magdeburg nach Hannover ist ein Konvolut von Zeichnungen der Künstlerin erhalten, die ihre Arbeit für die Figurinen und die Bühnenausstattung belegen.275 Das Personal von »Schlechter und Besser« sollte nach den Vorstellungen von Höch in grotesken Maskeraden auftreten. Da gibt es die Figur eines »warmen Ofens« und eine ihm an die Seite gestellte »Frau«. Beides sind Gestalten, für die Hannah Höch auf geometrische Grundformen reduzierte, unhandliche Kostüme entwarf. In einzelnen Bühnenbildern der Künstlerin tauchen in quietschbunten Farben schematisierte Gestalten auf, die Comicfiguren ähneln. Höchs Figurentypen wirken wie Außerirdische. Bis in die späten zwanziger Jahre werden die »merkwürdigen Geschöpfe«, wie Hannah Höch die Figurinen verwandten Wesen in einem ihrer späteren kleinformatigen Aquarelle getauft hat, ihre symbolischen Bilder bevölkern.276

Neben Hans Arp und Sophie Taeuber-Arp, mit denen Hannah Höch gemeinsam mit den Schwitters ihren Sommerurlaub 1923 auf Rügen verbringt277, vertieft sich in den folgenden Jahren, auch über Schwitters vermittelt, die Freundschaft mit dem niederländischen De-Stijl-Künstler Theo van Doesburg und der Pianistin Nelly van Doesburg, die ursprünglich Petronella Johanna van Moorsel hieß und 1899 in Scheveningen in Holland geboren wurde (Abb. 9).

Schrankenlose Freiheit für Hannah Höch

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