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»Schnitt mit dem Küchenmesser Dada durch die letzte Weimarer Bierbauchkulturepoche Deutschlands«
ОглавлениеNeben den Puppen zeigt die Künstlerin auf der umfangreichen Dada-Ausstellung in der Galerie Burchard unter anderem ihre heute bekannteste Fotomontage »Schnitt mit dem Küchenmesser Dada durch die letzte Weimarer Bierbauchkulturepoche Deutschlands« (Abb. 6), die zwischen 1919 und 1920 entstand. Über ihre erste öffentliche Präsentation von Fotomontagen im Zusammenhang mit der Dada-Messe berichtet Höch kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in ihrem Aufsatz über die neue künstlerische Gattung: »Die Ausstellung zeigte Fotomontagen in großer Menge. Wochenlang hatte es in den Ateliers der beteiligten Künstler wie in Papierkörben ausgesehen. Auf den ersten Blick bot sich dem die Ausstellung Besuchenden ein überaus heiteres Bild. Beim näheren Hinsehen stellte es sich allerdings heraus, daß die Sache gar nicht so lustig war, denn die Schere – geführt – wenn man so sagen darf – hatte die seelische Not, das verzweifelte Ringen der auch damals gequälten und enttäuschten Jugend.«210
Das von Hannah Höch in der großformatigen Fotocollage verwendete Bildmaterial enthält mit seinen zeitgenössischen Pressemitteilungen entnommenen Vorlagen die meisten Anspielungen auf das politische Tagesgeschehen der jungen Weimarer Republik in Höchs Œuvre. Zeitgenössischen Besuchern werden die Bildvorlagen bekannt gewesen sein. Sie stammten vornehmlich aus der im Ullstein Verlag erschienenen »Berliner Illustrirten«, die Millionenauflagen erreichte.211 Oft wurde in der Literatur das vielfältige Ineinanderspiel von ausgeschnittenen Zeitungsbildern und Schriftelementen beleuchtet und interpretiert. Erst jüngst untersuchte der amerikanische Kunsthistoriker Peter Chametzky den »Schnitt mit dem Küchenmesser Dada durch die letzte Weimarer Bierbauchkulturepoche« im Hinblick auf die Repräsentation jüdischer Personen, die die frühe Phase der Weimarer Gesellschaft und Kultur prägten. Er weist nach, dass Hannah Höch sich mit ihrer Fotomontage gegen antisemitische Tendenzen wendet, indem sie »eine Vision möglicher Funktionen und potentieller Gefahren für deutsche Juden in der Weimarer Gesellschaft thematisiert«.212
Die Komplexität des kompositorischen Aufbaus der Fotomontage findet ein Echo in dem langen und martialische Phantasiebilder evozierenden Titel der Arbeit. Wer schlitzt hier wem den Bierbauch auf? Das Küchenmesser als Waffe deutet auf einen weiblichen Täter hin. Und in der Tat seziert Hannah Höch, wenn auch nicht mit dem Küchenmesser, sondern mit ihrer Schere in der Fotomontage Schicht für Schicht den aktuellen Stand der Weimarer Republik.
Sich selbst hat sie in dem Bilderkosmos nicht vergessen und ihren ausgeschnittenen Kopf an jene Stelle in der rechten unteren Ecke der Fotomontage platziert, an der für gewöhnlich die Künstlersignatur zu finden ist. Das ist ihre Reaktion auf die von den Dadaisten in der Ausstellung eingeforderte technische Anonymisierung der Kunst. Dort, wo Grosz etwa den Stempel mit seinem Namen hingedrückt hätte, klebt Höch den Bildausschnitt ihre Kopfes. Ihr Haupt ist zur einen Hälfte in das Abteilfenster eines Zuges montiert, zur anderen Hälfte überschneidet es den Zeitungsausschnitt einer Europakarte, in dem Länderumrisse und Informationen über das Frauenwahlrecht dargestellt sind. In ihrer ausführlichen Analyse der Fotomontage stellt Jula Dech fest, dass die in der unteren rechten Ecke der Arbeit platzierte Karte einen Hinweis auf die Lesart der Fotomontage bietet. Sie ist an jener Stelle platziert, wo man bei Landkarten sonst die Legende vermutet.213
Beim ersten Blick fallen sofort die zahlreichen Porträts prominenter Politiker, Wissenschaftler und Künstler auf, die in scheinbar willkürlicher Anordnung über die gesamte Bildfläche purzeln. Die berühmten Häupter sitzen jedoch in der Regel nicht auf den dazugehörigen Leibern. Vielmehr hat Höch die meisten geköpft und auf die Büsten anderer verpflanzt. Der bärtige Kopf Hindenburgs etwa findet sich auf dem erotisch inszenierten Körper einer orientalischen Tänzerin wieder.214 Neben den durcheinandergewürfelten Figuren tauchen große Radwerke in der Fotomontage auf. Sie zählen zum Bereich der Technik. Ausschnitte von Kugellagern und Autoreifen, eine Eisenbahnlokomotive und ein Auto verweisen auf maschinelle Fortbewegungsmittel. Den Gegenpol zu den Bildern der Technik bilden die Tiermotive.215 Ein Elefant und ein Zwitter aus Gnu und Zebra tauchen im Bildzentrum auf. Ausschnitte von New Yorker Wolkenkratzern platziert die Künstlerin neben Zeitungsbildern von Massendemonstrationen.216 Hannah Höchs Figuren wirken mit ihren viel zu großen oder zu kleinen Köpfen und ihren überklebten Augen verzerrt. Die Künstlerin kaschierte die Schnittstellen ihrer Manipulationen mit der Schere nicht. Ebenso wenig leugnet die Fotomontage ihren künstlerisch-technischen Entstehungsprozess. Wie bei einer Fahrt durch die Großstadt, bei der Reklameschilder, Verkehrssignale und Passanten vor dem Hintergrund von Häuserfassaden auftauchen und im nächsten Moment wieder verschwinden, springen aus der Gesamtkomposition der Fotomontage einzelne Bildmotive ins Auge.217 Diesem Prinzip wird Hannah Höch auch in späteren Fotomontagen treu bleiben und gerade hiermit eine eigene künstlerische Position in der Fotomontagetechnik besetzen.218 Ihre Fotomontagen sind weiterhin originale Kunstwerke. Hierin unterscheiden sich Höchs spätere Arbeiten von denen John Heartfields, der seine Fotomontagen gezielt für die Massenproduktion politischer Propagandabilder entwerfen wird. Heartfield bediente sich dabei in der Reklame verbreiteter technischer Verfahren.219
In den vier Bildecken der Fotomontage verdichten sich die montierten Zeitungsausschnitte. Hannah Höch hat ihren Kopf in die Ecke der »Dadaisten« gesetzt, wie ein Schriftelement aus verschiedenen Typen bekanntgibt. Neben ihr blickt aus einem anderen Abteilfenster des Zuges das Profil Raoul Hausmanns. Weiterhin sind die Köpfe von Johannes Baader, Walter Mehring, George Grosz, Wieland Herzfelde und John Heartfield in der unteren rechten Ecke zu sehen, deren Häupter sich locker auf einem hellen Hintergrund verteilen.220 Eine vergleichbar übersichtliche Anordnung findet sich auch in der diagonal gegenüberliegenden Ecke der Fotomontage links oben wieder, in der ein riesiger Kopf Albert Einsteins die Komposition dominiert. Sein rechtes Auge überklebte die Künstlerin mit zwei Rädchen. Zeitungsausschnitte des Reichspräsidenten Friedrich Ebert sind ihm zugeordnet, ebenso wie ein Kugellager, eine Rangierlokomotive oder ein Flaschenzug. Wie als würde Hannah Höch an den Entdecker der Relativitätstheorie einen Appell richten, findet sich unter dem Zeitungsausschnitt seines Kopfes die Bildunterschrift: »He, he, Sie junger Mann, Dada ist keine Kunstrichtung« – eine Aufforderung an den Physiker, Dada als allumfassendes Gesellschaftsprinzip ernst zu nehmen.
In der rechten oberen und in der linken unteren Bildhälfte sind die Zeitungsfragmente teilweise so dicht aneinandermontiert, dass sie sich zu mehreren Schichten überlagern. Ein großes Porträt Kaiser Wilhelms II. bildet einen Kontrapunkt zum Einstein-Kopf. Hier konzentriert die Künstlerin die Motivgruppe, die ein aus verschiedenen Typen zusammengesetzter Schriftzug als »Die antidadaistische Bewegung« bezeichnet. Hindenburgs Haupt auf dem Leib der Tänzerin, der Kronprinz und ein Stahlhelm tragender Soldat sind im Kreis um Wilhelm II. angeordnet, ebenso wie ein Maschinengewehr und das Zeitungsbild eines Demonstrationszugs von Arbeitslosen.221
Mit den alten Eliten des Kaiserreichs, die sich teilweise in die Weimarer Republik hinübergerettet haben, kontrastiert die Künstlerin in der linken unteren Bildecke mit Zeitungssauschnitten von demonstrierenden Kindern, Massenaufläufen vor dem Berliner Schloss sowie einer Darstellung der besetzten Ränge in der Weimarer Nationalversammlung. »Trete Dada bei«, brüllt der Kopf des Matrosenführers Raimund Tost zu den Massen, der auf einen zierlichen Körper montiert ist.222
Bereits in der hier nur angedeuteten kompositorischen Struktur der Fotomontage und den verwendeten Motiven wird der politische Bedeutungszusammenhang von Höchs Fotomontage ersichtlich. Mehrfach wurde in der Literatur über die Arbeit betont, dass Höch nicht nur das aktuelle politische Tagesgeschehen aufgreift, sondern in der Art der Darstellung ihrer Figuren gezielt einen weiblichen Blick auf die Gesellschaft richtet.223 Oft sind die Männerköpfe ohne Hals direkt an die Körper montiert. Sie wirken auf diese Weise eher starr. Wenn Hannah Höch Frauen in der männerdominierten Welt in ihrer Fotomontage auftreten lässt, dann sind es Künstlerinnen, Tänzerinnen oder Schauspielerinnen, deren Körper anders als die der Männer in Bewegung versetzt sind. Im Zentrum der Fotomontage balanciert der als Pritzel-Puppe verkleidete Körper der berühmten Tänzerin Nidda Impekoven den ernst blickenden Kopf der Künstlerin Käthe Kollwitz in tänzerischer Geste, leichtfüßig und spielerisch zwischen den ausgestreckten Armen.224 Sie wird zum Sinnbild des Balanceaktes, in dem sich starre Rollenbilder in der historischen Umbruchssituation zum Ende der Ersten Weltkrieges und der frühen Weimarer Republik in Auflösung befanden. Davon waren Männer und Frauen gleichermaßen betroffen, wie Hannah Höch mit ihren starren Männerfiguren, aber auch durch die zahlreichen männlichen Köpfe auf zierlichen weiblichen Körpern sichtbar macht. Doch die von den Dadaisten eingeforderte ständige Bewegung manifestiert sich in Hannah Höchs berühmter Fotomontage, die ihrer eigenen Aussage zufolge ein zeitgenössisches Epochenbild sein soll, vor allem in den weiblichen Figuren.225 Wenn auch Raoul Hausmann und Hannah Höch in der Fotomontage im gleichen Zug zu sitzen scheinen, dem Balkanexpress, fahren sie in verschiedenen Abteilen und ihre Gesichter weisen in verschiedene Richtungen. Ihre frühe Fotomontage »Schnitt mit dem Küchenmesser Dada durch die letzte weimarer Bierbauchkulturepoche Deutschlands« integriert auch subjektive Erfahrungen der Künstlerin, die sich in der allen Figuren immanenten Beziehungslosigkeit und Isolation manifestiert.226
In ihren Fotomontagen, die im Kontext der Dada-Bewegung entstanden, hat Hannah Höch sich immer wieder auch selbst ins Spiel gebracht. So auch in der gleichfalls auf der Dada-Messe gezeigten Fotomontage »Dada-Rundschau«, in der die Künstlerin erneut mit sezierender Schärfe die zeitgenössische politische und gesellschaftliche Entwicklung offenlegt (Abb. 7). Um die Männer, die nun in Deutschland die Macht in den Händen halten, den Reichspräsidenten Friedrich Ebert und Gustav Noske in Badehose, den Reichsfinanzminister Matthias Erzberger und den französischen Verhandlungsführer während der Versailler Friedensverhandlungen George Clemenceau, werden hier aus Zeitungen herausgeschnittene Schriftzeilen gruppiert: »Deutsche Frauen in die Nationalversammlung«, heißt einer der Appelle, die Hannah Höch in der Fotomontage an den Betrachter richtet, ebenso wie die Forderung »Schrankenlose Freiheit für H. H.«, die im Kontext des Bildes ironisch auf ihr künstlerisches Credo verweist.227 Es scheint eine Forderung gewesen zu sein, die Hannah Höch in vielen Lebensphasen immer wieder an sich selbst überprüft. Das totalitäre System der Nationalsozialisten wird die artistische und lebensphilosophische Losung der Künstlerin bis an die Grenze des Erträglichen einschränken.
Zumindest was die Presseresonanz anbelangt, erweist sich die Dada-Messe als Erfolg, auch wenn die kunsthistorische Fachpresse es vermied, über die Ausstellung zu berichten.228 Neben dem Katalog dokumentieren die wenigen heute noch erhaltenen Fotos, die teilweise auch in Höchs Nachlass überlebten, die für die Kunstgeschichtsschreibung des zwanzigsten Jahrhunderts wichtige Präsentation. Die Besucherzahlen waren für die Dadaisten eher unerfreulich. Ursächlich für das Ausbleiben der Galeriebesucher waren nicht zuletzt die hohen Eintrittspreise. Drei Mark überstiegen deutlich die Möglichkeiten eines Fabrikarbeiters.229 Längst sind die Auswirkungen der Inflation zu spüren, die im November 1923 ihren Höchststand erreicht. Doch ein Hauptmann namens Matthäi ließ sich den Besuch der Messe etwas kosten. Das sollte gerichtliche Folgen für einige der Aussteller haben. Es kommt zu einer Anklage gegen Grosz, Schlichter und Herzfelde, vorgeladen wurden ebenfalls der Galerist Burchard und der angeblich verantwortliche Oberdada Johannes Baader. Letztere gehen straffrei aus. Der Vorwurf richtet sich vor allem gegen Schlichters von der Decke hängenden »Preußischen Erzengel« sowie die ebenfalls auf der Ausstellung gezeigte erste Graphikmappe von Grosz, »Gott mit uns«. Die Ankläger sehen in den Darstellungen der Künstler eine »verabscheuungswürdige Verunglimpfung« des deutschen Militärs in großem Stil.230 Wegen Beleidigung der Reichswehr werden die Delinquenten zu verhältnismäßig niedrigen Geldstrafen verurteilt. Die Künstler finden vor Gericht wichtige Fürsprecher, den Leiter der Städtischen Galerie Dresden, Paul Schmidt, sowie von ganz oberster Stelle den Reichskunstwart Edwin Redslob.231 Die offenbar eher defensive Haltung von Grosz und Herzfelde vor Gericht enttäuschte Raoul Hausmann im Rückblick: »Mich hatte man in Ruhe gelassen, als Tschechoslowake war ich Mitglied eines fremden Staates, da war man vorsichtiger. Schließlich gab es nur Geldstrafen, ein kümmerliches Resultat. Der Hauptzeuge der Verteidigung, der Direktor des Museums in Dresden, Paul Schmidt, hatte keine Mühe, den Richter zu überzeugen, dass sämtliche DADAistische Greuel nichts seien als jugendliche und wohl entschuldbare Knabenstreiche.«232
Hausmann hatte kurz zuvor, um sich von seiner Frau scheiden lassen zu können, die tschechische Staatsbürgerschaft angenommen. Er erinnert sich weiterhin, dass nach der Ausstellung ein großer Teil der »Gegenstands-Assemblagen« zerstört wurde.233
Die Dada-Messe ist der Höhepunkt der Berliner Dada-Bewegung und nimmt das nahende Ende vorweg. Die meisten Beteiligten gehen in der folgenden Zeit eigene Wege, auch wenn einige von ihnen, wie Raoul Hausmann und Hannah Höch, Dada noch nicht aufgeben. Im Sommer 1920 verbringen Hannah Höch und Raoul Hausmann gemeinsam ihre Ferien auf Rügen. Nach ihrer Rückkehr bricht das alte Beziehungsdrama wieder los.