Читать книгу Schrankenlose Freiheit für Hannah Höch - Cara Schweitzer - Страница 5

1. Kapitel

Оглавление

»Kunstgewerblerin war immerhin nicht Künstlerin«

Kindheit und Ausbildung

(1889–1915)

Am 1. November 1889 wird Hannah Höch, deren vollständiger Geburtsname Anna Therese Johanne lautet, als ältestes von fünf Kindern in der thüringischen Residenzstadt Gotha geboren. Sie wächst in behüteten bürgerlichen Verhältnissen auf. Ihr Vater, Friedrich Höch, ist Generalagent der Württembergischen Feuerversicherung und baut als Subdirektor die Niederlassung der Stuttgarter-Berliner Versicherungsanstalt für Thüringen aus.1 Ihre Mutter Rosa Höch, geborene Sachs, war vor ihrer Eheschließung in den Häusern adliger Damen als Haushaltsvorsteherin und Vorleserin tätig.2 Wie in vielen bürgerlichen Familien zählte künstlerische Bildung zum guten Ton bei den Höchs. Die Mutter fördert Hannah Höchs Freude am Zeichnen und Malen. Auch sie selbst ging »bescheidenen künstlerischen Ambitionen« nach und »malte nach Vorlagen« Ölbilder.3 Mit einer kurzen berufsbedingten Unterbrechung, die die Höchs nach der Geburt ihrer ersten Tochter nach Weimar führt, lebt die Familie in Gotha, in einem dreistöckigen Gründerzeithaus in der Kaiserstraße 28, die heute 18.-März-Straße heißt.4 Die Fassade des Höch’schen Wohnhauses erscheint wohlgeordnet, wenige schlichte Stuckelemente gliedern die Front. Das Gebäude wirkt großzügig, aber nicht protzig. Hinter dem Haus öffnet sich ein Garten, der an eine kleine Parkanlage angrenzt, die zum Gut des Barons von Leesen gehört.5 Für das Familienleben und die intensive Beziehung zwischen Hannah Höch und ihrem Vater ist der Garten von zentraler Bedeutung. Den grünen Daumen hat sie offenbar von Friedrich Höch geerbt: »Mittags, zwischen zwölf und zwei Uhr, wenn die Büros geschlossen waren, pflegte mein Vater seinen Rosengarten, und ich lernte dabei helfend, schon mit sechs oder sieben Jahren, Rosen veredeln. Ich musste den Bast aufbinden, für die richtige Feuchtigkeit sorgen, das Okuliermesser reichen.«6 Ihre Familie bedeutet Hannah Höch sehr viel. Hier findet sie Verständnis und Rückhalt auch in schwierigen Lebenssituationen. Die Geborgenheit erzeugt in ihr einen großen Schatz an Vertrauen. Dieses Lebensgefühl trägt sie in sich und es bietet ihr in Krisensituationen Halt. Dennoch hat sie für das harmonische Zusammenleben in der Familie auf ihr wichtige Anliegen und Ziele verzichten müssen. 1904 verlässt Hannah Höch auf Wunsch der Eltern vorzeitig als Fünfzehnjährige die Höhere Töchterschule. Eigentlich hatte ihr die Schule viel Spaß bereitet, und der Unterrichtsstoff in vielen Fächern, auch in den Naturwissenschaften, interessierte sie. Der Grund für ihr vorzeitiges Ausscheiden aus der Schule lag in der Geburt der jüngsten Schwester Marianne, genannt Anni oder Nitte (1904–1994) begründet.7 Hannah Höch sollte als älteste Schwester die Mutter bei der Betreuung und Erziehung unterstützen und Verantwortung in der Familie übernehmen. Als die Kleine drei Tage alt ist, übernimmt Hannah Höch die Säuglingspflege. Sie wird die Schwester bis zur Einschulung betreuen.8 »Ich liebte dieses Kind sehr, aber dadurch zögerte sich zu meinem großen Kummer mein Studium beträchtlich hinaus – sehr zur Befriedigung meines Vaters, der ein Mädchen verheiratet wissen, aber nicht Kunst studieren lassen wollte, was übrigens um 1900 noch der allgemeinen bürgerlichen Ansicht entsprach.«9

Ein um 1905 entstandenes Foto zeigt die etwa sechzehnjährige Johanne Höch in einem weißen, mit Rosen und Blüten geschmückten Ballkleid. Aufrecht sitzend schaut sie stolz aus dem Bild (Abb. 1). Die junge Frau scheint den für sie vorbestimmten Weg anzunehmen, wenn da nur nicht dieser selbstbewusste Blick wäre.

Um die praktischen und kaufmännischen Fähigkeiten seiner Tochter weiter zu fördern, verlangt der Vater von Hannah Höch, dass sie ihn ein Jahr lang in seinem Versicherungsbüro unterstützt.10 Trotz der klaren Vorstellungen des Vaters über den weiteren Lebensweg seiner Tochter, der nicht ihren eigenen Wünschen entsprach, beschreibt Hannah Höch das Verhältnis zu ihm als liebevoll und positiv. Friedrich Höch stellt mit seiner Lebenshaltung und seinem pädagogischen Konzept keine Ausnahme unter den bürgerlichen Familien in Deutschland vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs dar. Hannah Höchs Biographie entspricht bis dahin dem typischen Bild einer behüteten Tochter aus bürgerlichem Hause. Doch all die Versuche der Eltern, ihre Tochter zu einem »bodenständigen« Beruf zu bewegen, scheitern an Hannah Höchs starkem Willen: »Lieber will ich mich in Berlin zu Tode schuften, als dass ich einen Tag länger in Gotha bliebe.« So jedenfalls schilderte sie retrospektiv ihren Entschluss, als junge Frau ihrer Heimatstadt den Rücken zu kehren, in dem 1977 von Hans Cürlis gedrehten Film »Hannah Höch – jung geblieben«.11 Erst acht Jahre nachdem sie von der Schule abging, fast zweiundzwanzigjährig, verlässt sie 1912 die wohlgeordneten Verhältnisse und zieht nach Berlin. Trotz vieler Vorbehalte der Eltern beginnt sie eine Ausbildung an der privaten Kunstgewerbeschule Charlottenburg, wo sie in die von Harold Bengen geleitete Klasse für Gestaltung aufgenommen wird.12 Bengen war selbst Maler und hatte 1910 unter anderem mit Max Pechstein gemeinsam die Neue Sezession in Berlin gegründet. Sein künstlerischer Ruf basierte auf Entwürfen für Mosaiken und Glasfenster. Er gestaltete Teile der ornamentalen Ausschmückung für das Museum in Magdeburg, das Friedenauer Rathaus und die Berliner Charité. Die Charlottenburger Kunstgewerbeschule war den Ausbildungstraditionen des 19. Jahrhunderts verpflicht. Das Entwerfen und Zeichnen von Ornamenten, Kalligraphie und Schriftgestaltung bestimmten das Curriculum, wobei das Kopieren historischer Vorlagen einen zentralen Stellenwert einnahm.13 Ursprünglich war es Hannah Höchs oberstes Ziel, an einer Akademie freie Kunst zu studieren. Doch die Erfüllung dieses Traumes wäre eine allzu provokative Entscheidung gegen die Pläne ihrer Eltern gewesen. »Kunstgewerblerin war immerhin nicht Künstlerin«.14 Kunstgewerbeschulen etablierten sich seit dem späten 19. Jahrhundert zusehends in Deutschland. Die Ausbildung setzte einen starken Akzent auf die praktische Anwendbarkeit des Gelernten und auf fundierte Kenntnisse handwerklicher Techniken. Das Angebot war breit gefächert. Entwerfen von Stoff- und Tapetenmustern, das Gestalten von Schnittmustern und das Erlernen druckgrafischer Verfahren zählte ebenso zum Curriculum wie Techniken der Glasmalerei. Vieles, was an diesen Schulen unterrichtet wurde, konnte sinnvoll in einem handwerklichen Beruf oder in der industriellen Warenproduktion eingesetzt werden. Es war ebenso in einem bürgerlichen Haushalt von Nutzen. Dieser Aspekt scheint, trotz der tendenziell eher liberalen und der Kunst durchaus zugeneigten Erziehung im Hause Höch, bei der Zustimmung der Eltern eine Rolle gespielt zu haben. An den Kunstakademien hingegen wurden die Studenten zu »freien« Künstlern in der sogenannten »hohen« oder »freien« Kunst ausgebildet, auch wenn aus heutiger Sicht der Lehrplan mit seinen verpflichtenden Kursen wie dem Zeichnen vor Originalen verschult wirkt.15 In der rückblickenden Äußerung Hannah Höchs klingt an, dass sie wohl nicht nur mit den im Großen und Ganzen ihr sehr wohlwollenden Eltern Schwierigkeiten bekommen hätte, wenn sie sich an einer Kunsthochschule oder Akademie für den Bereich »freie Malerei« beworben hätte. Ein Universitätsstudium war Frauen in Preußen offiziell erst seit wenigen Jahren, seit dem Wintersemester 1908/1909, gestattet.16 Als Hannah Höch ihre Ausbildung in Berlin beginnt, herrschen nach wie vor starke politische und gesellschaftliche Ressentiments gegen den gleichberechtigten Zugang von Frauen und Männern zu Bildungseinrichtungen. Die rückschrittliche Haltung in Deutschland demonstriert ein Vergleich mit anderen europäischen Ländern, wie etwa der Schweiz, die bereits in den 1840er Jahren erste Gasthörerinnen akzeptierte und bald darauf auch die Vollimmatrikulation von Frauen erlaubte. Ähnliches gilt für Frankreich, Schweden, Dänemark und Belgien und die USA, in denen sich nach englischem Vorbild Frauen-Colleges etablierten.17 Nicht nur in den medizinischen, theologischen und juristischen Fakultäten sind starke Vorbehalte gegen das Frauenstudium verbreitet. Vor allem die Kunstakademien verweigerten ihnen den Zugang zur Ausbildung. Einzelne renommierte Kunsthochschulen wie etwa die Münchner Akademie setzten in ihren Statuten noch 1911 fest, dass sie ihren Bildungsauftrag ausschließlich in der Schulung von »jungen Männern« definierten, »welche die Kunst als Lebensberuf gewählt haben«. Ihnen seien »jene Kenntnisse zu vermitteln, deren sie zur selbstständigen erfolgreichen Ausübung des Künstlerberufes bedürfen«.18 Erst nach dem Ersten Weltkrieg konnte sich auch die Münchner Kunstakademie auf Grund des in der Weimarer Verfassung festgeschriebenen Gleichheitsprinzips nicht länger der Immatrikulation von Studentinnen verschließen. Die frauenfeindliche Haltung der Akademien spiegelt sich auch in der allgemein verbreiteten Abneigung wider, die die spätwilhelminische Gesellschaft Künstlerinnen entgegenbrachte. In Satirezeitschriften wie dem »Simplicissimus« oder auch in sonst so fortschrittlichen Kunstjournalen wie der »Jugend« wurden bartwüchsige Künstlerinnen in Männerkleidung und Herrenschnitt vor der Staffelei stehend als »Malweiber« diskreditiert, die, falls sie es je zu künstlerischen Leistungen bringen sollten und nicht im Dilettantismus verharrten, zu halben Männern mutieren würden.19 Die Vorstellung, dass eine ernstzunehmende Künstlerin notwendigerweise einen Verwandlungsprozess durchlaufen müsse, der einer Geschlechtsumwandlung gleichkommt, entsprang einer abwehrenden Einstellung gegenüber Frauen, die einem intellektuellen Beruf nachgingen. Kritiker sprachen Frauen auf Grund ihrer angeblichen psychischen und biologischen Konstitution die Fähigkeit ab, selbständig neue künstlerische Ideen zu entwickeln.20 Zu diesem Urteil trugen Theorien über die »Biologie« der Frau aus dem Bereich der Naturwissenschaften bei. Frauen dichtete man auf Grund ihres Geschlechts einen Mangel an Erfindergabe, an »inventio«, an, die jedoch als maßgebliches Zeichen künstlerischer Genialität galt. Eben diese Begabung bestimmte wenige Ausgewählte und selbstverständlich nur Männer zu Künstlern. Hierin unterschied sich der Künstler, der nach seiner freien Eingebung Neues schafft, von den Kunstgewerbetreibenden, die nach Vorgaben und Aufträgen angewandte oder gewerbliche Arbeiten ausführten.

Die Ressentiments gegenüber Künstlerinnen demonstrieren aber auch, wie entschieden man das kreative Potential des Kunstgewerbes unterschätzte. Neben diesen angeblich von der Natur vorgegebenen Beschränkungen der Frau wurde vor allem das für die künstlerische Ausbildung notwendige Studium des nackten menschlichen Körpers als Argument gegen Studentinnen an den Kunstakademien angeführt. Moralisch anstößig war für viele Professoren die Vorstellung, dass junge Studenten und Studentinnen gemeinsam vor dem Akt zeichneten. Im späten 19. Jahrhundert galt das Zeichnen des entblößten weiblichen Körpers allerdings generell als Gefährdung der Sittlichkeit. Der preußische Staatskünstler und kunstpolitisch äußerst einflussreiche Historienmaler Anton von Werner lehnte 1874 aus diesem Grund einen Antrag seiner männlichen Studenten ab, weibliche Modelle einzustellen.21 Die Vorbehalte und Verbote waren Ausdruck des tabuisierenden und unterdrückenden Umgangs mit dem weiblichen Körper um 1900 in Deutschland. An Koedukation vor dem unbekleideten Modell war auch noch lange nach der Jahrhundertwende nicht zu denken. Das gilt übrigens auch und vor allem für die Medizin. Anatomie lernten Frauen hier in von ihren männlichen Kollegen getrennten Kursen.

Hannah Höchs Entscheidung gegen eine Bewerbung an einer Kunstakademie entsprach dem Ausbildungsweg der meisten künstlerisch begabten und interessierten jungen Frauen ihres Alters. Als Kompromiss bot sich zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts die Wahl einer privaten Kunst- oder Kunstgewerbeschule an.22

Der Eintritt des deutschen Kaiserreichs in den Ersten Weltkrieg am 1. August 1914 und die damit verbundene Schließung ihrer Schule zwang Hannah Höch, noch einmal zu ihren Eltern zurückzukehren, um in Gotha einige Monate für das Rote Kreuz zu arbeiten. Hannah Höch erlebt den Kriegsausbruch in Köln. Die Kunstgewerbeschule hatte ihr, gemeinsam mit drei Kommilitonen, ein Reisestipendium zur Werkbund-Ausstellung verliehen, die 1914 auf dem am rechten Rheinufer gelegenen Messegelände gezeigt wird. Der Werkbund war 1907 von zehn führenden Künstlern, Formgestaltern und Architekten ins Leben gerufen worden. Dazu zählten unter anderem Peter Behrens, Theodor Fischer, Joseph Hoffmann, aber auch Paul Schultze-Naumburg. Ziel der Gründung war es, deutsches Kunstgewerbe mit hohem künstlerischem Anspruch auf Weltmarktniveau zu bringen und der verbreiteten Devise »German goods are cheap and nasty« (deutsche Waren sind billig und scheußlich) entgegenzutreten.23 Seine Gründer legten die Ziele in ihrem Programm fest. Die Veredelung gewerblicher Arbeit und Steigerung der Qualität wurden festgeschrieben. Die Werkbundschau, die Hannah Höch besuchte, sollte maßgeblich Einfluss auf zukünftige künstlerische und architektonische Entwicklungen in Deutschland nehmen. Hannah Höch konnte in Köln unter anderem Bruno Tauts Glaspalast besichtigen, das utopische Sinnbild kristalliner Architektur.

In ihrem Lebensüberblick von 1958 schrieb Hannah Höch, sie sei vom Ersten Weltkrieg »überrascht« worden. Lange vor dem 1. August 1914 prägten Vorzeichen der Mobilmachung in Deutschland das Straßenbild. Hannah Höchs Blindheit für die Kriegseuphorie hing mit ihrer Einstellung zusammen. Anders als viele Altersgenossen, vor allem auch in Künstlerkreisen, verband sie mit der sich anbahnenden kriegerischen Auseinandersetzung keinerlei positive Vorstellungen: »Aus den schwerelosen Jugendjahren kommend und glühend mit meinem Studium beschäftigt, bedeutete diese Katastrophe den Einsturz meines damaligen Weltbildes. Ich übersah die Folgen für die Menschheit und für mich persönlich sofort und litt unter dem munteren Aufbruch meiner Umwelt in den Krieg sehr.«24 Ihr klares Bekenntnis zum Pazifismus wird Hannah Höchs persönlichen und künstlerischen Werdegang maßgeblich beeinflussen.

Zu Beginn des Jahres 1915, als die Kunstschulen trotz des Krieges ihren Unterricht wieder aufnehmen, kommt sie nach Berlin zurück und schreibt sich neu in die Klasse für Graphik und Buchkunst von Emil Orlik ein, diesmal an der staatlichen Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums.25 Der Krieg ist auch in dieser Institution täglich präsent. Teile des Gebäudes werden als Lazarett genutzt. Unter anderem befindet sich eine Nervenstation im Reservelazarett Kunstgewerbemuseum, wie die Notunterkunft militär-bürokratisch genannt wird.26 Geleitet wird sie von Richard Cassirer, dem Bruder des Galeristen Paul Cassirer.

Anders als ihre erste Ausbildungsstätte genießt die staatliche Unterrichtsanstalt einen progressiven Ruf. Die Schule bietet ihren Studenten künstlerischen Freiraum.27 Der Unterricht bei Orlik, der während eines Aufenthaltes in Japan vom asiatischen Farbholzschnitt beeinflusst wurde und diese Technik mit nach Europa brachte, bot ihr auf künstlerischem Niveau höchste Anforderungen. Schon bald nach ihrem Eintritt in seine Klasse stellte Orlik sie als Assistentin ein. Hannah Höch schnitt nach seinen Vorgaben Holzstöcke. Ihre Schule lag zwischen Potsdamer Platz und Anhalter Bahnhof in der Prinz-Albrecht-Straße 7. Das Architektenteam Martin Gropius und Heiko Schmieden errichtete Ende der 1870er Jahre das monumentale kubische Gebäude. Das Besondere an dieser Einrichtung war die enge Nachbarschaft zwischen der Sammlung des Berliner Kunstgewerbemuseums, die zu den königlichen Museen zählte, und der Schule. Museum und Unterrichtsanstalt waren unter einem Dach untergebracht, wobei die Ausbildungseinrichtung im Nordflügel des Hauses lag. Die Studierenden lernten auf diese Weise problemlos hochwertige historische Zeugnisse handwerklich oder industriell hergestellter Produkte und Gebrauchsgegenstände kennen. Auch heute wird das Gebäude wieder für Ausstellungen genutzt. Es ist nach einem seiner Architekten Martin-Gro-pius-Bau benannt. Lehrer und Studenten der Schule standen in engem Austausch mit Kreisen der künstlerischen Avantgarde im Berlin der 1910er Jahre. Über Hannah Höchs Jugendfreundin und Studienkollegin Maria Uhden, die ebenfalls aus Gotha stammte und die bereits ein Jahr vor Höch in Berlin an der Kunstgewerbeschule zu studieren begonnen hatte, nahm sie erste Kontakte zum expressionistischen Künstlerkreis »Der Sturm« auf. Gründer und Namensvater der Vereinigung war der mit all seinen physischen und finanziellen Kräften für die Kunst kämpfende Schriftsteller, Musiker, Galerist und Verleger Herwarth Waiden. Ebenfalls Schüler in Orliks Klasse war George Grosz, mit dem Hannah Höch später, nach dem Ersten Weltkrieg, gemeinsam auf der »Ersten Internationalen DADA-Messe« in der Kunsthandlung Dr. Otto Burchard ausstellen wird. Allerdings hatte sie während ihres Studiums nur wenig Kontakt zu Grosz.

Hannah Höch hat ihre kunstgewerbliche Ausbildung auch später, als sie sich als freischaffende Künstlerin definiert, nie verleugnet. Vielmehr wird sie ihr technisches und handwerkliches Wissen in ihren Arbeitprozess integrieren. Und wie viele Künstlerkolleginnen ihrer Zeit interessiert sie sich weiterhin für ornamentale Strukturen von Stoffen und Stickereien. Mehrfach wird sie sich zum Ziel setzen, neue Tendenzen in der Kunst in den Bereich der Formgestaltung zu übertragen.

Im April 1915 lernt sie in der Bibliothek des Kunstgewerbemuseums, die den Studierenden auch in den vorgeschrittenen Abendstunden offenstand, ihre erste große Liebe kennen, Raoul Hausmann. Er ist verheiratet und Vater einer Tochter. Mit Hausmann wird sie eine siebenjährige Liebesbeziehung verbinden, die von tiefer Nähe, aber auch zermürbenden Auseinandersetzungen und vielen Zerwürfnissen geprägt ist. Über eigene freundschaftliche Beziehungen und vor allem durch Hausmanns Bekanntenkreis lernte Hannah Höch all jene Künstler kennen, die sich zum Ende des Ersten Weltkrieges in der Berliner DADA-Bewegung formierten.

Schrankenlose Freiheit für Hannah Höch

Подняться наверх