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Der »Club Dada« in Berlin
ОглавлениеWährend Hannah Höch und Raoul Hausmann um ihre Beziehung ringen, entsteht Ende Januar 1918 in Berlin der Club Dada, gewissermaßen auf wahrhaft dadaistische Weise. Richard Huelsenbeck hatte die Initiative ergriffen, gegen den Willen einiger Beteiligter.107 Am 22. Januar findet ein Autorenabend im Graphischen Kabinett J. B. Neumann statt. Neben Huelsenbeck traten auf diesem Autorenabend unter anderem die Dichterin und Vortragskünstlerin Resi Langer auf und der expressionistische Schriftsteller Theodor Däubler sowie der ebenfalls vom Expressionismus beeinflusste Schriftsteller und Dichter Max Hermann(-Neisse).108 Huelsenbeck riss den Abend an sich und erklärte die Autorenlesung im Rahmen seiner »Ersten Dada-Rede« in Deutschland zur dadaistischen Veranstaltung: »Ich widme deshalb diesen Vortrag der respektierten Dichter dem Nichts. Bitte bleiben Sie ruhig, man wird Ihnen keine körperlichen Schmerzen bereiten. Das einzige, was Ihnen passieren könnte, ist dies: dass Sie Ihr Geld umsonst ausgegeben haben. In diesem Sinne, meine Damen und Herren. Es lebe die dadaistische Revolution«, rief Huelsenbeck dem Publikum entgegen.109 Wenige Tage später berichtete die Presse, dass in Berlin ein Dadaistenclub nach Züricher Vorbild gegründet worden sei. Als Mitglieder wurden unter anderem Franz Jung, George Grosz und Helmut Herzfelde genannt, neben den Mitbegründern des Cabaret Voltaire Hans Arp, Marcel Janco und Hugo Ball. Raoul Hausmann ist noch nicht erwähnt. Mit von der Partie waren nach Angaben in der »Vossischen Zeitung« allerdings auch Däubler und Hermann-Neisse.110 Letztere waren zumindest nach Huelsenbecks späteren Angaben durchaus nicht damit einverstanden, in Zusammenhang mit Dada genannt zu werden. Anhand der Auseinandersetzungen hinter den Kulissen lässt sich ein wesentlicher Aspekt nachvollziehen, der bei der Entstehung von Dada und der Abgrenzung der sich zu Dada zählenden Künstler gegen andere eine zentrale Rolle spielte. Auch wenn der Expressionismus wichtige künstlerische Impulse geliefert hatte, versuchten sich die Anhänger von Dada nun von den vorherrschenden expressionistischen Tendenzen in der zeitgenössischen Kunst in Deutschland abzusetzen. Die Kämpfe um die Stellung des Expressionismus im Rahmen des künstlerischen und gesellschaftlichen Erneuerungsstrebens spiegeln sich auch in den Streitigkeiten zwischen Hannah Höch und Raoul Hausmann.
Im Sommer 1918, nachdem Dada bereits seinen offiziellen großen Auftritt hatte, wird Hausmann ihre Zurückhaltung gegenüber seiner neuen Haltung zur Kunst enttäuscht und beleidigt zurückweisen:
»Daß Du den Holzschnitt gut fandest, aber mit den Buchstaben darin nichts anzufangen wusstest, das kränkte mich – ich hatte den Eindruck, als wolltest Du etwas zu sehr Deine eigene künstlerische Überzeugung wahren. Auch, dass du den Holzschnitt auf rosa neben dem gelben Umschlag nicht schön fandest, störte mich; bei dada gibts keine ästhetischen Einwände. [...] Noch eins: meine neuen Kunstbestrebungen betrachtest Du nicht als Loslösung vom Expressionismus. So wird z.B. der expressionistische Künstler ein Gedicht, wie der Wald in Holz schneiden wollen. Der Dadaist kann das gar nicht wollen: er wird nicht etwas, was heute rein maschinellen Charakter hat, wie Typographie oder ihre dynamische Form, wie die dadaistische Art der Typographie, in ein anderes Material übersetzen. Gerade das maschinelle daran soll differenciert werden. [...] Und der ›kleine‹ Unterschied, der eben in der Kunst ein ›großer‹ ist – der ist Dir nebensächlich, und Du übersiehst ihn zunächst. – Aber dann wären wir heute noch bei der Gotik!«111
Doch nicht nur Hannah Höch war vorsichtig. Es hatte keine offizielle Gründung des Dada-Clubs gegeben: »Unsere Entschließungen waren Unterredungen und Abmachungen unter Kameraden, die sich während des ganzen Monats März hinzogen«, kommentierte Hausmann rückblickend die Gründungsphase von Dada Berlin.112 In der Folge des skandalumwitterten ersten offiziellen Auftritts von Dada während einer Soirée in den Räumen der Berliner Sezession am 12. April 1918 hatten auch der Herausgeber der »Freien Straße«, Franz Jung, und Richard Huelsenbeck aus unterschiedlichen Gründen einen Rückzieher gemacht.113
Die Zurückweisung der Bilder Edvard Munchs durch den Verein der Berliner Künstler hatte einst im späten 19. Jahrhundert den Anstoß zu Gründung der Berliner Sezession geliefert. In der Folge war auch ein Werk von Walter Leistikow von der Kommission zur Großen Berliner Kunstausstellung, der jährlich stattfindenden wichtigsten Kunstschau, zurückgewiesen worden.114 Um Walter Leistikow und Max Liebermann versammelten sich daraufhin all jene Künstler, die in Berlin für die Moderne einstanden. Wie in den meisten europäischen Großstädten hatte es nach der Jahrhundertwende eine erneute Rebellion junger Künstler gegen die bereits arrivierte Künstlergruppe der Berliner Sezessionisten gegeben. 1910 waren die Expressionisten um Max Pechstein ausgeschert und hatten ihre eigene Gruppe, die »Neue Sezession«, gegründet.
Umso erstaunlicher ist, dass ausgerechnet der Vortragsabend mit Richard Huelsenbeck, Else Hadwiger, George Grosz und Raoul Hausmann im Programm in den gediegenen und großzügigen Räumen der Berliner Sezession am Kurfürstendamm 238a stattfand. Noch auf dem Programm und der Einladung zum Dada-Abend waren alle Vorträge ordentlich der Reihe nach aufgeführt. Doch glaubt man dem Rezensenten des »Berliner Börsen-Couriers«, so scheinen die Protagonisten den Ablauf weitestgehend gemeinsam gestaltet zu haben oder zumindest ihre Beiträge durch gegenseitige Zurufe und performative Einlagen angefeuert zu haben: »Als das erste Lachen, die ersten Pfiffe, die ersten Rufe laut wurden, mahnte Richard Hülsenbeck, sich nicht zu eilig zu verausgaben: Es käme noch genug Gelegenheit. Und es wurde wirklich nett. Einige gebärdeten sich veitstänzerisch. Ein junger Dichter, in Wutekstase, erbrach weißen Schaum. Man bot sich Ohrfeigen an. Der Höhepunkt war Marinettis ›Beschießung‹, ein Gedicht wie aus einer Wortlotterie, das Hülsenbeck mit einem Trömmelchen und einer Kinderschnarre begleitet. Keile lagen in der Luft. Man sah schon Lovis Corinths Bilder von Stuhlbeinen zerfetzt.«115 Nach Liebermanns Rücktritt vom Amt des Sezessionsvorstandes hatte Corinth zeitweilig den Vorsitz übernommen. Unklar ist, ob das, was der Zeitungsredakteur hier beschreibt, eher die Reaktion des Publikums erläutert als die Handlung der sich in Rage redenden Aktiven auf dem Podium. Huelsenbeck eröffnete das Programm mit seinem Vortrag des dadaistischen Manifests. »Gegen die blutleere Abstraktion des Expressionismus« sprach er sehr »gemäßigt«, wie ein anderer Kritiker berichtet, zu den Zuhörern in der überfüllten Sezession, von denen sich sicherlich eine große Zahl der angeklagten Kunstrichtung zugehörig fühlte. Das zählte zu Huelsenbecks Strategie. Sein Vortrag erweist sich als ein Plädoyer für die Erneuerung der Kunst. Impulsgebend und inspirierend sollen zukünftig nicht mehr idyllische Landschaften oder innere Stimmungen sein, sondern die Kunst soll alles zum Material erheben, was ihr die Dynamik der Großstadt entgegenbringt: »Der Haß gegen die Presse, der Haß gegen die Reklame, der Haß gegen die Sensation spricht für Menschen, denen ihr Sessel wichtiger ist als der Lärm der Straße und die sich einen Vorzug daraus machen, von jedem Winkelschieber übertölpelt zu werden«, wettert er gegen die Expressionisten.116 Und Huelsenbeck propagiert Dada als Ausdruck wahrer Jugendlichkeit. Sein Anliegen ist die Auflösung der Grenzen von Leben und Kunst. Huelsenbecks Manifest wurde im Saal verteilt, unterzeichnet hatten es neben den Mitgliedern von Dada Berlin auch Künstler der Züricher Gruppe und andere, die sich Dada verbunden fühlten, wie der einstige Futurist Enrico Prampolini und der Schriftsteller Friedrich Glauser. Die Entladung der angespannten Stimmung im Saal verglich Raoul Hausmann mit dem Ausbruch eines Vulkans.117
Die Kampfansage Huelsenbecks gegen den Expressionismus und selbst gegen die Futuristen, deren »bruitistische«, außermusikalische Musik den Dadaisten erst zu internationaler Verbreitung verhalf, stieß entsprechend auch in Pressemeldungen auf Widerstand. Ein Rezensent der »B. Z. am Mittag« warf dem Dadaismus vor, reines »Kunstfaulenzertum« zu sein, »gekennzeichnet durch ein gewaltiges Maß von Neid und Gehässigkeit gegen jede andere rührige Moderne«.118 Der erste offizielle Auftritt der Dadaisten in Berlin hatte politische Ambitionen, war aber in erster Linie ein Ringen um künstlerische Mittel in einer durch den Ersten Weltkrieg grundlegend in Frage gestellten Gesellschaft.
Nach Huelsenbeck trug Else Hadwiger futuristische und dadaistische Verse vor. Huelsenbeck begleitet sie dabei lautstark mit dem »Trömmelchen und einer Kinderschnarre«. Vor allem Hadwigers Vortrag aus Marinettis futuristischem Lautgedicht »Zang Tumb Tum« provozierte das Publikum. Nicht nur Huelsenbeck untermalte ihren Vortrag durch seinen Krach. Die Ausschnitte »Verwundetentransport« und »Beschießung« aus Marinettis Poem wurden zusätzlich durch einen Soldaten in feldgrauer Uniform interpretiert, der, sich am Boden windend, auf der Bühne das nachspielte, was zeitgleich tausenden Männern an den Fronten des Krieges drohte.
»Der Saal war von vornherein so explosiv gestimmt, dass eine große Bewegung ausbrach, als einer Dame der Kneifer zur Erde fiel. Der Sturm bricht los. Als Hülsenbeck zu Pauke und Trommel greift, um Marinettis Kampfschilderungen zu begleiten. ›Ruhe‹, ›Ruuuhe‹, ›Ruuuuhe!‹, ›Tosen‹, ›Schreien‹, ›Stühlekloppen‹. Die ganz dünne, feine Stimme einer Dame ›Aber das ist ja unerhört!‹«, ist über den Tumult am Abend in den nächsten Tagen in der Presse zu lesen.119 Den Dadaisten war es gelungen, das Publikum zum Teil der Inszenierung zu machen. Und das Publikum hatte es offenbar darauf angelegt. Jedenfalls waren sich die Pressestimmen einig, dass die meisten Zuschauer die Veranstaltung mit einer entsprechenden Erwartungshaltung besuchten: Über die Vorführungen des Cabaret Voltaire war man in Berlin bereits informiert.
Dann trat George Grosz auf, »Niggersongs singend, mit amerikanischer Boxermiene, Fußball mit den Schädeln der Zuhörer« spielend.120 Als letzter Vortragender war Raoul Hausmann angekündigt worden. Er wollte seinen theoretischen Text »Das neue Material in der Malerei« Vorbringen. Neben Satire müsse zukünftig alles, was die Realität bietet, Draht, Glas, Pappe, Stoff, im Bild verarbeitet werden. Doch Hausmann kommt nicht dazu, seinen anspruchsvollen Text vorzutragen. Um Schlimmeres zu vermeiden, schreitet eine Dame »gemessen auf ihn zu. Dreht ihm die Lampe aus, 10 Uhr«.121 Raoul Hausmann war enttäuscht, auch wenn das abrupte Ende zum dadaistischen Programm passte. Ironisch kommentierte die Zeitung: »Jedenfalls hatte der Abend sein Ziel erreicht: Radau. Die dadaistischen Dichter wie die dadaistischen Temperamente im Publikum zogen, befriedigt von der Musik der Urlaute, von der Kunst der Interjektionen, ins Café des Westens und in benachbarte Gegenden.«122
Mit dem Abend in der Sezession war die Erwartung geboren, Dada und dadaistische Aktionen hätten wie ein Ventil für Tumulte, Radau und Klamauk zu funktionieren. Das schraubte die Anforderungen an alles, was von Dada-Berlin noch kommen sollte, hoch und setzte die Protagonisten unter Druck. Hinzu kam, dass die Zensur den Spaß am »Nichts« nicht teilte und Maßnahmen gegen die konspirativ vereinten Mitglieder verschärfte. Mehrfach sucht die Polizei Hausmann in seiner Wohnung auf. »Du glaubst ja nicht, was für Blödsinn die Polizei hinter mir vermutet«, berichtet er Hannah Höch über diese Inspektionen.123
Hannah Höch war bei dem Abend, an dem Dada mit Pauken und Trompeten in der Berliner Öffentlichkeit berühmt geworden war, nicht dabei. Im Zuge der eskalierenden Streitigkeiten mit Hausmann war sie über einen Monat lang untergetaucht. Ihrer Flucht war mindestens ein gewaltsamer Zusammenstoß mit ihm vorausgegangen, den er auch in seinen Briefen an Höchs Geschwister eingesteht. Höchs Bruder Fritz, auch Danilo genannt, und ihre Schwester Grete werden von Hausmann als Briefboten instrumentalisiert.
»Es ist eine schreckliche Zeit für mich, ich komme aus der Todesangst nicht heraus«, schreibt Hannah Höch am 8. April 1918 an ihre Schwester.124 Höchs Familie scheint den Druck auf Hausmann, aber auch auf Hannah Höch erheblich erhöht zu haben. Karoline Hille betont, dass diese Sicht auf das Verhältnis keineswegs nur Hausmanns »Phantasiegespinsten« entsprungen sei.125 Familie Höch scheint nicht nur die Trennung von seiner Ehefrau als Voraussetzung für eine Fortführung des Verhältnisses verlangt zu haben, sondern auch eine anschließende Eheschließung. Raoul Hausmann berichtet ihr, dass ihr Bruder Fritz »schon Mittel gefunden« hätte, »Hannah zwangsweise zur Vernunft zu bringen«, falls sie bereit gewesen wäre, auch ohne Heirat zu ihm zu kommen.126
Nun versucht auch Elfriede Hausmann-Schaeffer, Hausmanns Ehefrau, auf seinen ausdrücklichen Wunsch, mit Hannah Höch Kontakt aufzunehmen, um sich auszusprechen. Auch sie will in einer nur schwer nachvollziehbaren selbstlosen Haltung Hannah Höch davon überzeugen, wie existenziell ihre Liebe für Raoul Hausmann ist. Mehrfach droht er damit, sich umzubringen, falls Hannah Höch nicht zu ihm zurückkehrt. Else Michaelson, die befreundete Kollegin aus dem Ullstein Verlag, die Hausmann ebenso drängt, ihm zu verraten, wo Hannah Höch sich aufhält, durchschaut die Konfliktsituation und konfrontiert ihn mit ihren Zweifeln an seiner Sichtweise: »Sie sagen, Sie kennen alle Gefühle H.’s; ist eine Täuschung nicht möglich, ist Ihr Bild v. H.s Charakter nicht nach Ihnen konstruiert? U. darf nun nichts mehr anders werden, als Sie es so wollen?«127
Ende April antwortet ihm Hannah Höch und erklärt ihm, dass sie nicht mehr »freiwillig« bereit sei, in ein Leben zurückzukehren, wie es zuletzt war. Sie könne zwar nicht verlangen, dass er sich von seiner Frau trenne, das sei aber die einzige Voraussetzung, unter der sie wieder zu ihm zurückkehren werde. »Wenn es möglich ist, daß etwas Neues bei mir entsteht, so musst Du mir jedenfalls jetzt Ruhe geben, ich bin nicht da wo Du mich haben möchtest, ich bin noch sehr weit von Dir entfernt«, erklärt sie.128
Anfang Mai schreibt Hausmann einen mehrseitigen Brief an die Geliebte, in dem er weniger die gesellschaftliche und psychologische Stellung der Frau in der heterosexuellen Beziehung beleuchtet, sondern sich auf die männliche Rolle konzentriert: »Wenn wir dahin gelangen wollen, wo wir keine Angststellung mehr zu einander haben – der Mann hat heute noch eine aggressive Angststellung der Frau gegenüber, da er aggressiv ist, ist sie vielleicht schwerer als Angststellung zu erkennen als die passive Angststellung der Frau – dann müssen wir unseren ersten Instinkten vertrauen – und die sagten Ja zu einander.«129
Er hat den Entschluss gefasst, sich von seiner Frau zu trennen, doch will er zunächst allein leben. »Schon wegen meiner Idee, die ich verwirklichen will.«130 Außerdem befürchtet er, dass, solange die Polizei-Affaire nicht erledigt ist, die Gefahr auch für Hannah Höch zu groß sei, noch zusätzlich wegen des Vorwurfs des Konkubinats angeklagt zu werden.131 Aus der gemeinsamen Wohnung mit seiner Ehefrau ist er angeblich endgültig ausgezogen und wohnt nun in der Zimmermannstraße 34. Das ist die Adresse des Club Dada.132 In den Briefen Hausmanns, die während der spannungsreichen Phase zwischen beiden entstehen, berichtet er ihr zugleich über seinen Erfolg mit Dada. »Die Dadageschichte wird von mir und Huelsenbeck so gut gemacht (an unserem ersten Abend hatten wir 500 Mark Reingewinn), dass daraus wirklich etwas zu machen ist, wie der Sturm, wenn wir kaufmännisch geschickt genug sind. Und das sind wir. [...] Wir haben für 22 Mark bar bis zum 27. April die Zeitungen so in Atem gehalten, dass sie uns die Reclame besser besorgt haben, als wenn wir Hunderte für Inserate bezahlt hätten. – Jedenfalls bis jetzt steht Dada. Und bis Herbst wird es möglich sein, davon leben zu können.«133 Hausmann kann sich vorstellen, dass auch sie an Dada beteiligt wird. Gemeinsam mit Huelsenbeck plant er offensichtlich, längerfristig von Dada zu leben. »Und es wäre für Dich auch ein so schönes Betätigungsfeld! Wie könnten wir zusammenarbeiten! Und wir wüssten wofür«, versucht er Hannah Höch zu locken. Zumindest in der Theorie deutet Hausmann hier an, dass er sie als Partnerin auch im Bereich der Kunst akzeptieren würde. Dass das einmal mehr nicht der Realität entsprach, sollte sich im weiteren Verlauf der Beziehung mehrfach zeigen.
Doch Hausmanns Hoffnungen auf die Weiterführung des Erfolgs von Dada wurden zunächst enttäuscht. Sowohl das dadaistische Manifest und andere erste Publikationen des Club Dada werden von der Polizei beschlagnahmt. Die Ermittler deuten die dadaistische Schriftcollage aus unterschiedlich großen Buchstabentypen, die willkürlich auf dem Titelblatt der Dada-Ausgabe der »Freien Straße« herumzupurzeln scheinen, als Geheimschrift.134
Franz Jung zog sich mit dem Argument zurück, Dada vertrete ihm zu wenig konkrete sozialkritische Positionen.135 Und Huelsenbeck hatte offenbar im Zusammenhang mit der starken Polizeipräsenz kalte Füße bekommen. Er verschwand für eine Zeit lang von der Bildfläche. Lediglich Raoul Hausmann und Johannes Baader hielten für die kommenden Monate die Stellung im Berliner Club-Dada. Auch Hannah Höch setzt sich öffentlich für Dada ein. Der Club forderte den Nobelpreis für Johannes Baader. Die »B. Z. am Mittag« kommentierte diesen Aufruf kritisch mit der Geldgier der dahinterstehenden Künstler. In einem Leserbrief fordert Hannah Höch dagegen auf, die Sätze des Herrn Baader ernst zu nehmen.136
Bis Mitte Juli 1918 sind Hausmanns Briefe von den Nachwirkungen der im Januar eskalierten Auseinandersetzung gekennzeichnet. Hannah Höch hält sich wieder in Berlin auf und es gibt erste sporadische persönliche Begegnungen. Immer wieder unternimmt Hausmann den Versuch, sie zu treffen, und bittet sie schließlich, ihm bei der Trennung von seiner Frau beizustehen. Im August unternehmen sie gemeinsam eine Reise in das Fischerdorf Heidebrink auf der Ostseeinsel Wollin. »Hier starb ich 3 Tage und 3 Nächte«, kommentierte Hannah Höch die Fahrt auf einem blauen Schreibheft, in das Hausmann seine Einsichten über die Versöhnungsreise eintrug. Seine Schrift liest sich wie eine zu einem Gesetzestext hintereinandergefügte Kette aus Zitaten von Nietzsche, Freud und Strindberg.