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AM ANDEREN MORGEN

Durch die Fensterläden kam zwar keine Sonne, aber das Licht brach sich dennoch gestreift an den Wänden. Die edlen Seidenschals bewegten sich wie Segel im Luftzug. Ich schaute auf die andere Seite, Jeff lag nicht im Bett. Ich fühlte meinen Hals, schluckte. Tatsächlich, alles gut. Das Kratzen war weg.

Im Bad setzte ich mich auf den Wannenrand, während ich in den Spiegel schaute, sinnierte erschrocken über meinen Anblick. Gosh, wie war das möglich? Da schaute mich jemand an, den kannte ich überhaupt nicht.

Ich sah aus wie nach der zehnten Runde im Ring mit Sugar Ray Robinson: die Augen glasig, dick und verquollen, die Lippen rissig, etwas schief, die Nase gerötet, fast doppelt so groß.

Ich duschte ausgiebig. Jeff hatte eine ganze Batterie von Flaschen und Tuben zur Auswahl. Ich kam mir vor wie im Drogeriemarkt, zog mich an. Hüpfend sprang ich die Treppen herunter, hatte nur noch anderthalb Stunden. Dann musste ich bei der Arbeit aufschlagen.

Jeff, im feinsten dunkelblauen Zwirn, die Krawatte ordentlich gebunden, stand gelassen am Kaffeeautomaten. Auf dem Tresen hatte er mir einen Früchteteller mit Bircher-Müsli auf meinen Platz gestellt. Er umarmte mich küssend. „Guten Morgen, Süße! Naaa? Hat die Medizin gewirkt?“

„Kann es immer noch nicht glauben! Entweder war es der Aquavit oder die leckere Hühnersuppe. Auf jeden Fall sind die Bazillen ausgewandert.“ Klein-Molly zeigte sich mit erhobenem Daumen, signalisierte: Sie fand Jeff gut.

Wir frühstückten, tauschten schweigend liebevolle Blicke aus, verließen anschließend hektisch sein Haus, fuhren einige hundert Meter auf der Post Road, bevor wir abbogen. Jeff fuhr mich direkt nach Hause, wartete im Auto, während ich mich oben in meinem Zimmer umzog.

Mrs. Clark hatte mir gar nicht die Tür geöffnet. Ob sie wohl zu Hause war? Während ich die Treppe wieder heruntersauste, klopfte ich mehrfach an ihrer Tür. Nichts. Hm … merkwürdig! Ich schloss die Haustür gleich zweimal ab. Jeff spielte den Butler, hielt galant die Wagentür auf, während er sich steif verneigte. Mit quietschenden Reifen startete er durch. Um drei Minuten vor neun stieg ich küssend aus dem Wagen, überquerte die Straße und ging ins Büro. Die Chefin öffnete mir die Eingangstür.

„Hallo Valentina. Guten Morgen. Schön dich zu sehen und dass du pünktlich bist. Deine Kollegen sind noch nicht da. Alles gut?“

„Exzellent. Besser geht’s nicht. Wieso fragst du, stimmt etwas nicht?“

Ich schaute an meinem Hosenanzug herunter, richtete meine Bluse, bürstete einige Haare von meinen Schultern, überprüfte, ob mein Reißverschluss an der Hose geschlossen war. Alles schien in Ordnung.

„Du siehst irgendwie verändert aus. Nichts Spezifisches, aber definitiv anders.“

„Sicherlich meinst du meine Augen, Lippen und Nase. Gestern wollte sich die Pest verbreiten. Habe sie aber erfolgreich mit Aquavit und Hühnersuppe bekämpft. Nase, Lippen und Augen sind nur die äußerlichen Flurschäden, die länger brauchen, um sich zu erholen.“

„Haha, köstlich. Du hast jüdisches Penicillin genommen? Damit fühlt man sich so und sieht auch so aus! Komm rein und setz dich in mein Büro. Ich hol uns schnell einen Kaffee.“

„Lass mal. Du setzt dich. Ich hole den Kaffee. Dies ist eine Serviceleistung aus dem Hause Behrmann. Mach mich bloß nicht arbeitslos.“ Ich trug die großen Tassen ins Büro. „Hast du dein Buch ausgelesen?“

„Meinst du das berühmte Sex-Buch? Von dem kreativen Schriftsteller aus dem Elch-Land? Was vor vielen Jahren schon verboten war? Was vom Markt genommen wurde? Das auf die Schwarze Bücherliste gesetzt wurde?“

„Wie? Es gibt eine Schwarze Liste? Das wusste ich gar nicht. Du sagtest nur, dass es ein Buch über Sex ist. Ich war Zeuge, wie du es wie eine hungrige Kreuzotter verschlungen hast.“

„Nun, wenn du es gelesen hättest, wären danach auch für dich keine Fragen offengeblieben. Es ist kein Garantiefahrschein für die Liebe, aber im Bett fesselst du damit jeden Mann an dich. Sogar so, dass er dir bettelnd aus der Hand frisst und nach mehr bettelt, dir die Füße küsst, um die Rolle rückwärts zu machen.“

„Wirklich?“

„Wirklich! Denk dran, viele Menschen verwechseln Sex mit Liebe. Das ist normal, wenn man jung ist. Wahre Liebe ist etwas ganz anderes. Sex gehört zur Liebe und Liebe gehört zum Sex. Aber Sex allein ist kein Bindeglied auf lange Sicht. Und Liebe ohne Sex ist Freundschaft.“

Hilfe, das war eine Packung. Das musste ich mir noch mal auf der Zunge zergehen lassen. Die Chefin stand auf, klopfte mir auf die Schultern.

„Bring dir meine Rarität nächste Woche mit, dann kannst du mal einen Schnupperkurs der Extraklasse belegen. Ich habe nur eine Bitte: Hüte es wie deinen Augapfel! Um an diese Ausgabe zu kommen, musste ich echt Klimmzüge machen.“

„Danke für dein Vertrauen. Danke für deine Unterstützung bei meiner Wissens- und Bewusstseinserweiterung!“

Könnte schreien

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