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DIE GUTE MUTTER

Kaum hatte ich die Tür aufgeschlossen, blieb ich erschrocken im Flur stehen. Jede Menge Leute waren im Wohnzimmer versammelt. Ich erkannte den Sohn von Mrs. Clark, der aufblickte, als er mich sah. Er kam direkt auf mich zugelaufen.

„Hallo Valentina, schön, dich zu sehen. Bitte setz dich doch. Ich muss etwas Schreckliches erzählen!“

„Was ist passiert?“, fragte ich irritiert, schaute auf all die Leute, die Notizen machten, Taschen trugen, Gläser einrollten, Möbel rückten.

„Mutter ist die Treppe heruntergefallen, unten gegen die Wand geprallt. Sie robbte zwar noch bis zum Telefon und konnte Hilfe rufen, aber im Krankenhaus verstarb sie kurz darauf an den Folgen dieses Sturzes.“

Regungslos starrte ich ihn an.

„Valentina, du warst wie eine Tochter für sie!“, hörte ich seine Stimme. Das Atmen fiel mir schwer. Eine eiserne Klammer krallte sich um mein Herz. Für Sekunden überfiel mich eine Art Totenstarre.

„Sie ist tot?“, fragte ich wieder ungläubig.

„Ja“, flüsterte er und erlaubte seinen Tränen hemmungslose Freiheit.

Die Leute packten weiter, machten sich Notizen. Es zog mir den Boden unter den Füßen weg. Wie konnte das geschehen? Sie war so fit! Wo war ich, als es passierte? Warum war ich nicht bei ihr? Sie war für mich nicht nur eine Freundin. Ich liebte ihre mütterliche Fürsorge. Sie zeigte mir, dass man selbst im Alter von über achtzig als Witwe rüstig und positiv dem Leben begegnen konnte. Ich liebte ihre lebensbejahende Fröhlichkeit, ihr Lachen und die wippenden Tanzeinlagen, dachte an die sonntägliche Sendung im Fernsehen. Sie liebte es, während der Gospel-Musik zu tanzen, mit Referent Jackson Watts und seiner Fernsehgemeinde begeistert zu beten.

Der Schock ließ mich nicht weinen. Nach intensiven zwei Stunden verließen die Leute und der Sohn das Haus. Wir waren übereingekommen, dass ich so lange im Haus wohnen konnte, bis er einen Käufer gefunden hatte. Was für eine großzügige Geste! Ich umarmte ihn und küsste ihn auf die Stirn.

Während er sich vorbeugte, flüsterte ich in sein Ohr: „Du kannst sehr stolz sein, du hattest eine tolle Mutter. Sie musste mir nicht das Leben schenken, um auch für mich eine liebende Mutter zu sein. Mein tiefes Mitgefühl und aufrichtiges Beileid.“ Ich verneigte mich vor ihm.

Danach lag ich im Bett und meine Welt brach wie ein Kartenhaus zusammen.

Tagebucheintrag: Wie konnte er mich nur so täuschen, meine Gefühle mit Füßen treten? War ich für ihn auch nur ein Zeitvertreib? War MML doch ein Cowboy? War ich nur ein schönes, zeitlich limitiertes weißes Aushängeschild für ihn? Kann ich in diesem Land bleiben? Bekomme ich weitere Stempel? Sehe ich Jeff wieder? Benutze ich ihn als Rettungsanker? Oder er mich? Schaffe ich das nächste Semester? Kann ich etwas anderes studieren? Halte ich mich finanziell über Wasser? Oder muss ich eines Tages kleinlaut aufgeben? Bettelnd meine Füße wieder unter Ellas und Martins Tisch stellen? Verkrafte ich die Trauer? Erst war sie eine Fremde, dann Freundin und fürsorgliche Mutter. Finde keinen Halt. Dieses Schweben im luftleeren Raum macht mir unglaubliche Angst.

Könnte schreien.

Ich schlug mit der Faust wild auf meine Bettdecke ein, schmiss die Bücher über Darwin und Columbus in die Tonne, fluchte, schrie, weinte. Molly lag gekrümmt am Boden, hielt sich die Augen zu.

Wie sollte ich nur entscheiden? Was sollte aus mir werden?

Könnte schreien

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