Читать книгу Der Schatten des Werwolfs - Cecilia Ventes - Страница 13
Unangemeldeter Besuch
ОглавлениеPlötzlich hörte er ein leises Klatschen und eine ihm bekannte Stimme, die ihn aufschrecken ließ.
„Bravo, mein Freund. Ich dachte schon, dass du schwach werden würdest.“
Blitzschnell drehte er seinen Kopf in die Richtung, aus der die Worte kamen. Aus dem Schatten des Stallbodens trat András. Er kletterte zu seinem Freund herunter und setzte sich auf einen Strohballen neben ihn.
„Du musst lernen, deine Gefühle zu kontrollieren, sonst machst du dich verdächtig. Bleib ruhig“, versuchte András, auf Máté einzuwirken.
„Was willst du hier?“
„Schauen, wie es dir geht“, entgegnete sein Freund ruhig.
„Was ist mit dem Sohn von Máriska?“
„Leise, oder willst du, dass alle mitbekommen, dass ich hier bin? Wovon redest du? Was ist mit ihrem Sohn?“
Máté ließ sich neben ihm nieder und strich sich nervös seine Haare zurück.
„Er hat die gleichen heftigen Symptome, wie ich sie früher auch hatte. Wie kann das sein?“
Inständig schaute er in die braunen Augen seines Vertrauten.
„Weißt du etwas darüber?“
András schüttelte voller Unverständnis den Kopf.
„Was ist los mit dir? Wieso sollte ich wissen, was der Junge hat?“
„Fieberschübe, Knochen- und Muskelschmerzen – er wird in Kürze achtzehn Jahre alt. Weißt du, was das heißt?“
„Es muss nicht so sein.“
„Aber, verdammt, es könnte“, zischte Máté leise.
„Wenn es so wäre, dann werden wir das wohl mitbekommen. Es ist ja nicht deine Schuld, wenn es so wäre.“
Der Verzweifelte packte ihn am Kragen.
„Es geht nicht um Schuld, sondern darum, dass er das Gleiche mitmachen wird wie ich.“
András schlug die Hände seines Angreifers weg.
„Das weißt du doch gar nicht. Mir ist jedenfalls nichts bekannt von einer Weitervererbung. Steigere dich da jetzt nicht rein. Du bist ja schlimmer als deine Schwester.“
Sein Gegenüber stand auf und lehnte sich unruhig an die Wand. Prüfend sah er seinen Gesprächspartner an.
„Weißt du eigentlich, was Mitgefühl ist? Wenn den Jungen das ereilt, was mich ereilt hat, bin ich der Einzige, der ihm helfen kann. Die ganze Familie wird leiden, alle. So wie bei uns. Bevor Máriska ihre Familie auch noch verliert, muss ich …“
„Was? Was musst du? Du hast nur eins zu tun, damit du frei wirst und die Welt von dem Ungeheuer befreit wird, das in dir schlummert.“
Wütend ging András auf seinen Freund zu.
„Du weißt nicht, was dein Neffe hat und ich auch nicht. Es gibt tausende von Krankheiten, die sich in den Symptomen ähneln, also höre jetzt auf.“
„Aber ich wäre verloren gewesen ohne meine Mutter. Verstehst du das nicht?“, flüsterte er verzweifelt.
András spürte, dass Máté noch nicht im Stande war, das durchzuführen, was sie beide geplant hatten. Das gefiel ihm nicht. So versuchte er, Verständnis zu zeigen, anstatt ihn zu drängen.
„Ich komme morgen und helfe dir, Zeit zu gewinnen.“
Máriskas Bruder blickte überrascht. András klopfte ihm auf die Schulter und sagte:
„Ich bin dein Kumpel, fast wie ein Bruder für dich, wenn auch über die Jahre müde geworden, dich zu tragen, aber ich bin und bleibe es. Gönne dir erst mal Ruhe. Es nützt nichts, wenn ich dir erneut sage, dass du sie hättest nie persönlich kennenlernen dürfen. Dafür ist es zu spät. Aber vergiss nie, dass wegen dir zu viele Menschen schon gestorben sind und andere dadurch gelitten haben. Du wirst immer stärker. Irgendwann kann ich dich nicht mehr bändigen, und die Ketten werden es auch nicht mehr. Einfach erschießen kann ich dich nicht, wenn du so vor mir stehst, das bringe ich nicht übers Herz. Zu oft haben wir das schon versucht, und ich bin gescheitert. Ich kann dich auch nicht einfach sterben lassen, wenn du wieder auf seltsame Ideen kommst. Weißt du warum? Weil wir immer daran geglaubt haben, dass es irgendwann eine Lösung geben wird. Jetzt ist sie da, lass sie nicht vorbeiziehen!“
Beruhigend legte András seine Hand auf die Schulter seines Freundes.
„Schau, dass du morgen bereit bist, mit mir abreisen zu können. Wir fahren offiziell nach Pest-Buda wegen geschäftlicher Dinge. Ich kümmere mich um irgendein Versteck und den Rest. Danach reden wir noch einmal in Ruhe. Gehe jetzt. Ich verschwinde so, wie ich gekommen bin.“
„Danke“, hauchte Máté erleichtert und umarmte ihn. Dann lief er zurück ins Haus.
András blickte ihm hinterher und flüsterte:
„Es gibt einen Preis für deine Freiheit, mein Freund! Und du wirst ihn sicher bezahlen. Dafür werde ich sorgen. Zu lange schon sind wir aneinander gekettet. Es wird Zeit, dass sich das ändert.“
Orsolya schaute betrübt zu Máriska.
„Ich sehe genau, dass mit dir etwas nicht stimmt. Wieso wollte dein Bruder nicht mit dir reden oder sonst etwas machen? Spazieren gehen? Da sitzt er lieber im Stall und grübelt über sein Leben. Habt ihr etwa schon gestritten?“
Die Gräfin wendete bittend ihren Blick zu der Haushälterin, während sie Kartoffeln schälte.
„Lass ihn doch. Er ist das Alleinsein gewohnt, vielleicht ist das alles etwas viel Trubel. Laufend muss er sich rechtfertigen, weil Dominik ihm nicht traut oder etwas wissen will. Dann kommen wir mit Erwartungen, dass er uns etwas erzählt; manchmal schauen die Kinder ihn an, als wenn er aus der Fremde kommen würde und allerhand für Geschichten parat haben müsste.“
„Vor allem Bianká“, sagte Orsolya und lächelte ihre Ziehtochter an. Diese runzelte die Stirn und bemerkte:
„Lass das bloß nicht Dominik hören.“
Die kleine dicke Frau rührte weiter in ihrer Sauce und schwärmte:
„Sie ist noch jung und ihr Onkel ein recht gutaussehender, interessanter Mann. Da darf sie doch mal schwärmen. Wenn ich noch jung wäre, ich würde ihn sofort nehmen, wenn er mich fragen würde …“
Máté stand plötzlich grinsend neben ihr, steckte seinen Finger in den Topf und fragte:
„Liebste Orsolya, wollt Ihr Hochwohlgeborene meine Gattin werden? Es gibt sonst niemanden, der so gut kochen kann, und Liebe geht bekanntlich durch den Magen. Also würde ich sagen, dass ich ganz schön in dich verliebt bin.“
Der Haushälterin war diese Situation äußert peinlich.
„Man klopft an, wenn man, wo auch immer, einen Raum betritt, damit die Anwesenden wissen, dass jemand hereinkommen wird und nicht einfach in ein Gespräch reinplatzt und womöglich etwas mitbekommt, was nicht gewollt ist.“
„Ah, ich soll etwas nicht mitbekommen. Und, willst du meine Frau werden?“, fragte er schmunzelnd nach.
Orsolya holte sich die geschälten Kartoffeln von Máriska, füllte diese in eine Schüssel um und meinte nach einem kurzen Zögern:
„Ich werde drüber nachdenken.“
Plötzlich rief Bianká von oben aufgeregt durch das Treppenhaus:
„Mama, komm schnell! Bálint ist gefallen!“
Máriska und Máté rannten hoch zu den Zimmern der Jugendlichen. Dominik stürzte ebenfalls aus seinem Arbeitszimmer und hechtete die Stufen hoch.
Bálint lag stöhnend, von Krämpfen geschüttelt und schweißgebadet, auf dem Boden neben seinem Schreibtisch. Máriska, Dominik und Bianká legten den jungen Mann auf sein Bett. Máté war von diesem Anblick schockiert. Wie paralysiert stand er da und starrte auf den Jungen, der sich vor Schmerzen in seinem Bett krümmte und die Finger in sein Kissen krallte.
Orsolya eilte nun auch ins Zimmer und tropfte sogleich Medizin auf einen Löffel, den sie Bálint in den Mund schob. Dominik sah seinen Schwager fragend an.
„Wieso hast du mir eben nicht geholfen, ihn ins Bett zu legen? Was ist los mit dir?“
Er bemerkte sehr wohl, dass Máté verstört war, selbst anfing zu schwitzen und wie versteinert an der Wand lehnte. Sein Schwager starrte mit großen Augen auf Mutter und Sohn. Bálint entspannte sich langsam, während seine Mama ihn streichelte und Orsolya ihm den Schweiß abwischte. Der Familienvater hielt tröstend seine Tochter im Arm, die besorgt auf ihren Bruder blickte.
„Entschuldigt mich. Mir geht es gerade nicht gut“, stammelte Máté und verließ eilig den Raum.
Máriska wollte ihm folgen, aber Dominik hielt sie zurück und äußerte behutsam:
„Lass ihn. Was immer ihn eben überfordert hat, wir bekommen es heraus. Ich denke, er möchte jetzt lieber allein sein. Kümmere du dich um deinen Sohn, der ist jetzt wohl wichtiger.“
Máté kauerte auf seinem Bett. Er vergrub sein Gesicht im zerknäulten Kissen, um nicht laut herauszuschreien, was ihn quälte und bekümmerte. Minutenlang lag er so im dunklen Zimmer, dann tasteten seine Finger nach der Schublade an seinem Nachttisch, zogen diese auf und umgriffen eine Pistole. Plötzlich hielt etwas seinen Unterarm fest und verhinderte das Herausnehmen der Waffe. Es schauderte ihn. In seinen Gedanken erschienen unerwartet zwei glühende Augen, die zu einem unförmigen, näherkommenden Schatten gehörten. Das aufgerissene Maul mit riesigen Fangzähnen stürzte sich mit einem ohrenbetäubenden, fremden Laut auf ihn. In diesem Moment wurde er im Bett herumgerissen und seine Hand aus der Schublade gezerrt. Er hielt sich die Ohren zu, denn er konnte die unverständlichen hohen Laute eines unbekannten Wesens nicht mehr auszuhalten. Dann war es still. Zitternd fasste er, ohne die Augen zu öffnen, nach den Streichhölzern auf dem Nachttisch und zündete die Nachttischlampe an. Er zählte innerlich bis drei, um sich dann schlagartig umzuschauen. Niemand war da. Er rieb sich seinen Unterarm, an dem die Berührung noch zu spüren war. Noch nie war dieser dunkle Schatten ihm so nah außerhalb seiner Träume gekommen. Oder war er doch eingenickt gewesen? Langsam zweifelte er an seinem Verstand. Hurtig ging er zu seiner Jacke, holte eine Schachtel aus der Innentasche, fischte hastig eine kleine Tablette heraus und schluckte diese. Dann setzte er sich wieder auf sein Bett und zog aus der unteren Schublade des Nachtischs Papier und Stifte hervor. Intensiv und voll Leidenschaft bewegte er, fast aggressiv, den Kohlestift aus einem immer stärkeren Bedürfnis heraus, etwas loszuwerden, das nicht hinausgeschrien werden durfte. Wie besessen zeichnete er weiter und weiter. Was erst aussah wie unkontrollierte Kritzeleien, entwickelte sich zu einem tiefgründigen, vielschichtigen Bild. Immer inständiger und fester umgriff er sein Malwerkzeug. Schweiß rann seine Schläfen hinab. Sein Atmen wurde heftiger. Ausladende Striche und große Flächen fügten sich ineinander und wurden zu Details, die nur bei genauem Hinsehen zu erkennen waren. Die in sich verschwimmenden Gesichter, die auch hätten Felsen sein können, schrien auf. Ein alles einnehmender Schatten zog sich über das Bild, und die aus dem Gemälde starrenden Augen flößten beim Betrachten Angst ein. Seine Tränen tropften auf das Kunstwerk.
Orsolya hatte den Tisch gedeckt und wartete jetzt auf die Order des Hausherrn, das Essen servieren zu dürfen. Die Situation blieb angespannt, auch wenn Bálint nun ruhig in seinem Zimmer schlief und von seiner Schwester liebevoll umsorgt und bewacht wurde.
Dominik saß mit Máriska im Speisezimmer.
„Ich gehe ihn jetzt holen.“
Seine Gemahlin stand auf, wurde jedoch von ihrem Mann am Arm festgehalten.
„Er hat eine Uhr. Er weiß, wie spät es ist. Was immer ihn dazu bewegt, nicht pünktlich zu erscheinen, es scheint sein Wille zu sein.“
„Vielleicht geht es ihm nicht gut. Er ist so einsam und weiß doch gar nicht, wie es ist, wenn sich jemand um ihn sorgt, der nicht unsere Mutter ist.“
Dominik wurde ungehalten.
„Er ist ein erwachsener Mann, der bisher sehr gut ohne uns auskam. Wenn du ihn kennenlernen willst, musst du ihn gewähren lassen. Nur dann weißt du, wie er wirklich ist. Mich beunruhigt sein Verhalten. Er war vorhin wirklich völlig verstört. Warum? Wahrscheinlich haben wir uns einen Verrückten ins Haus geholt.“
Máriska verletzte, was ihr Ehemann von sich gab.
„Sprich nicht so von ihm, Dominik, bitte. Ich weiß selbst, dass es nicht einfach ist und es auch damals nicht einfach war. Aber es geht um meine Familie, und er gehört dazu. Verstehst du das nicht? Was immer ihn ängstigt, bewegt oder kümmert, ich will es wissen, sonst erfahre ich nie, warum unsere Familie auseinandergebrochen ist.“
Ihr Gemahl winkte ab.
„Was hilft dir das? Was hilft es dir, in der Vergangenheit zu leben? Du kannst nichts mehr ändern, also nimm es so, wie es ist und ihn, so wie er ist. Anstatt mir zu helfen, Bálint auf das Bett zu legen, erstarrte er wie eine Salzsäule … mich würde es nicht wundern, dass er so erschrocken ist, weil es ihm bekannt vorkam, wie der Junge auf der Erde lag. Erinnerungen an die Zeit, als das Übel über ihn hereinbrach. Hoffentlich nicht die gleiche Krankheit. Ich darf gar nicht dran denken. Stell dir das mal vor; die ganze Karriere beim Militär wäre hinüber …“
„Ich kann es nicht mehr hören!“, schrie Máriska und schlug mit der Faust auf den Tisch. Sie schaute ihren Mann abfällig an.
„Du und dein Militär. Es ist dir völlig egal, wie es Bálint geht. Hauptsache, sein Vater kann auf Grund von Höchstleistung stolz auf ihn sein, oder? Alles geht nur nach deinen Maßstäben. Ich mache mir Sorgen um unseren Sohn, mein Kind, und dabei ist es mir egal, was einmal aus ihm werden wird, solange er gesund und glücklich ist. Und wenn er irgendwann als Artist zum Zirkus gehen möchte, wäre mir das auch recht, auch wenn das deinen ehrgeizigen Zielen dann nicht genügen würde. Aber das wirst du nie verstehen, Herr Graf.“
„Ein Zirkusclown, warum nicht? Würde zu eurem Familienstammbaum sehr gut passen. Wenn wir mal die Lücken aufgefüllt hätten, wüssten wir, wie viele Spaßvögel da noch unterwegs waren.“
Máriska gab auf. Sie wusste, dass Dominik manchmal nicht merkte, wie überheblich und gemein er war. Sie war enttäuscht, dass er gar keinen Willen zeigte, überhaupt zu verstehen, was sie dachte oder fühlte.
„Ich sage Orsolya, dass sie auftischen soll“, mit diesen Worten erhob sie sich und wollte gerade das Zimmer verlassen, als die Tür geöffnet wurde. Máté trat ein.
„Entschuldigt, ich bin zu spät. Ich war über meinen Gedanken eingenickt.“
Er vernahm in Máriskas Gesicht, dass sie den Tränen nahe war. Aber er war klug genug, es in diesem Augenblick nicht anzusprechen, und ließ sie aus dem Zimmer gehen.
„Habt ihr wegen mir gestritten?“
Sein Schwager schüttelte den Kopf.
„Das Übliche, nichts, was dich kümmern muss.“
Der Hausherr musterte seinen Gast, der sich gesetzt hatte und recht blass wirkte.
„Geht es dir jetzt besser?“, interessierte sich Dominik.
Máté nickte stumm.
„Ich kann mich nur entschuldigen für vorhin, aber ich war völlig geschockt, meinen Neffen so zu sehen.“
„Jetzt hast du es wenigstens einmal mitbekommen, was uns beunruhigt.“
Der Abend verlief ruhig. Das Essen war vorzüglich gewesen, und man beschränkte sich auf allgemeine, unverfängliche Themen. Fragen, die jeder auf dem Herzen trug, wurden nicht ausgesprochen. Niemand wollte eine Diskussion oder heftigere Gefühlsausbrüche riskieren. Die Sorge um Bálint drückte die Stimmung zudem.
Máté lag wach und konnte einfach nicht einschlafen. Nichts half, seine Gedanken zur Ruhe zu bringen. Er zog ein Foto seiner Mutter aus der Nachttischschublade und betrachtete es im hereinscheinenden Mondlicht. Am liebsten wäre er weggelaufen, weit weg. Aber dafür war es jetzt zu spät. Morgen musste ihn jemand von der Welt fernhalten.
In diesem Haus fühlte er sich geborgen und geliebt. In keinem Fall durfte den Personen, die er immer mehr ins Herz schloss, etwas passieren. Weder seiner Nichte, seinem Neffen oder Orsolya. Tja, und natürlich Máriska … er hatte die Erinnerung an sie bewusst verdrängt. Nun war es fast wie früher. Máriskas Fürsorge und Liebe, die ihm so unvoreingenommen geschenkt wurde, machten ihn sehr glücklich. Umso mehr ging ihm das Drängen von András auf die Nerven. Er legte das Foto zur Seite und schloss die Augen.
Auch die Gräfin lag wach. Sie grübelte über das nach, was Máté ihnen alles offenbart hatte, und dennoch bekam sie die Teile des Puzzlespiels nicht richtig zusammen. Es war so unwirklich. Sie blickte auf ihren schlafenden Ehemann. Nie würde er ihrem Bruder selbstlos helfen, egal in welcher Notlage dieser stecken würde.
„Meinst du, ich merke nicht, dass du nicht schlafen kannst? Du warst heute Abend sehr gedrückt.
Stimmt etwas nicht?“
Er drehte sich zu seiner Frau.
„Ich muss nachdenken“, gab sie kurz zur Antwort.
Er griff ihre Hand.
„Das kann ich mir vorstellen. Es ist doch nicht alles so goldfarben, wie es anfänglich glänzte, richtig? Du merkst es jetzt auch“, stellte er mit ernster Miene fest. Seine Frau ging nicht darauf ein. Dominik versuchte noch einen Vorstoß.
„Auch wenn du mir unterstellst, dass ich nur auf einen Streit von euch warte oder darauf, dass er dich enttäuschen wird, kann ich dir sagen, dass es so nicht ist. Ich will einfach nur Klarheit und meine Familie aus irgendwelchen seltsamen Geschichten raushalten. Wenn ich sicher wäre, dass sein Besuch dich glücklich macht, auch auf längere Sicht, wäre er mir egal, aber das Gefühl habe ich nicht. Mehr kann ich dazu nicht sagen, Liebes.“
Máriska spürte selbst, dass sie Dominik gegenüber ungerecht war, wenn es um ihren Bruder ging. Sie gab ihm einen Kuss und kuschelte sich wortlos ins Deckbett, um mit ihren Gedanken allein zu sein. Dabei schlief sie ein.
Mit dem Quietschen von Mátés Zimmertür wurde sie wach. Sie lauschte seinen Schritten im Treppenhaus und vernahm, wie er in die Küche schlich. Was wollte er jetzt dort? Ihr Bruder ging nach kurzer Zeit wieder zurück in sein Zimmer. Jetzt hatte sie sich selbst dabei ertappt, wie sie sein Handeln skeptisch hinterfragte und schämte sich dafür.