Читать книгу Der Schatten des Werwolfs - Cecilia Ventes - Страница 17
Der nächste Morgen
ОглавлениеDie Familie saß beim Frühstück. Nichts war ungewöhnlich, bis die Geräusche einer heranfahrenden Kutsche zu vernehmen waren.
„Aha, der Herumtreiber scheint zurückzukehren“, kommentierte Dominik das Gehörte, während er an seinem Kaffee nippte und abfällig grinste.
„Ich dachte, Onkel Máté war geschäftlich unterwegs?“, fragte Bálint nach.
„War er auch“, meinte daraufhin seine Mutter.
Ervin schritt aus dem Stall, um zu sehen, wer da kam. Der Haushelfer wunderte sich über das nachlässige Aussehen des jungen Herrn, als dieser aus der Kutsche stieg. Máté nahm dies wahr und erklärte spontan mit einem Augenzwinkern:
„Es war eine lange Nacht mit wenig Schlaf, viel Alkohol und netten Mädchen. Und ich wollte pünktlich wieder hier sein, also habe ich in der Kutsche geschlafen. Kämmen kann ich mich jetzt noch … rasieren auch.“
Ervin belächelte die unaufgeforderte Erläuterung.
„Ich habe nichts gefragt.“
„Dann ist ja gut …“, fügte Máté grinsend hinzu und fuhr sich mit den Händen durch die zotteligen Haare. Er griff nach seiner Reisetasche und verabschiedete den Kutscher, der wortlos abfuhr.
Orsolya rührte einen Teig, aber ihr entging nicht, wie sich der Nachtschwärmer hinter ihrem Rücken leise in die Küche schlich, um die abgestellte Tasse frisch aufgebrühten Kaffee zu stibitzen.
„Guten Morgen, liebe Orsolya“, sang er förmlich, seine Hände an der Kaffeetasse wärmend. Vorwurfsvoll begutachtete sie ihn von oben bis unten, widmete sich wieder ihrem Teig und bemerkte:
„Ich will es nicht wissen.“
„Ich werde auch nichts erzählen“, flötete er, wohlwissentlich, dass sie vor Neugierde gleich platzte.
„Warte nur, wenn der Graf dich so sieht. Wie du ausschaust. Geh´ und mach dich frisch! Vor allen Dingen rasiere dich. Ich dachte, du warst geschäftlich da. So wie du dich präsentierst, scheint mir das eher eine …“, wetterte sie und vermied, es auszusprechen.
Máté umschlang sie von hinten und nahm ihr die Schüssel aus den Händen.
„Manchmal muss man das Leben einfach genießen und fünfe gerade sein lassen“, philosophierte er und tanzte mit ihr quer durch die Küche.
Dann schaute er sie schuldbewusst mit großen Augen an, denn er wusste, dass Orsolya diesem Blick noch nie hatte widerstehen können. Sie hielt inne, nahm ihm die Schüssel ab und guckte ihn ermahnend an.
„Ich weiß sehr wohl, was du da gerade versuchst. Und schlimm ist, dass es immer noch funktioniert, obwohl du schon so alt bist. Furchtbar, man kann dir einfach nicht böse sein. Ich habe übrigens für dich mitgedeckt.“
Verschmitzt grinsend zog er seine Augenbraue hoch und schritt zum Esszimmer. Er klopfte, trat ein und setzte sich.
„Guten Morgen, ich weiß, ich bin zu spät und nicht besonders ansehnlich, aber ich wollte unbedingt zum Frühstück wieder anwesend sein.“
Bianká schaute schüchtern auf und meinte:
„Ich finde, das sieht sehr verwegen aus und steht Ihnen sehr gut, liebster Onkel.“
„Also darf ich des Öfteren so erscheinen?“
„Das glaube ich weniger. Wir verstehen uns doch als Vorbilder und das solltest du auch, wenn du mit Heranwachsenden zu tun hast. Bitte erscheine demnächst hier so, wie es sich gehört“, mahnte der Familienvater.
Dann musterte er seinen Schwager kritisch, während Máriska ihrem Bruder Kaffee eingoss.
„Waren die Geschäfte denn erfolgreich?“, wollte Bálint wissen.
Sein Onkel nickte.
„Ja, ich habe alles verkauft, deshalb haben wir danach etwas gefeiert.“
„Darf ich denn das nächste Mal mitfahren, wenn Sie wieder nach Pest-Buda fahren, Onkel?“, fragte sein Neffe nach.
Bevor dieser antworten konnte, kam Ervin aufgeregt mit einer Zeitung in den Raum gestürzt.
„Schauen Sie nur, Herr Graf. Die Bestie von Wien scheint ihren Weg nach Ungarn gefunden zu haben. Heute Morgen hat man zwei Leichen entdeckt. Übel zugerichtet und zerschunden. Es handelte sich um ein Ehepaar.“
Máté stand auf und riss dem aufgeregten Mann die Zeitung aus der Hand, bevor dieser sie an Dominik weiterreichen konnte. Er las aufgeregt und stammelte:
„Wo ist das? Pilisszentkereszt.“
Der Graf spähte erst argwöhnisch zu seiner Gemahlin und antwortete dann:
„Ungefähr zweiundzwanzig Kilometer von hier. Es liegt abgelegen und ist ein kleiner Ort in den tiefen Wäldern Ungarns.“
„Zweiundzwanzig Kilometer ist nicht weit weg“, überlegte sein Schwager laut.
„Ich wollte es nicht laufen …“, scherzte das Familienoberhaupt.
Máté war sichtlich erschüttert und blickte unruhig umher. Dominik nahm seinem Schwager vorsichtig die Zeitung aus der Hand, um sich selbst ein Bild über diesen Bericht machen zu können. Seine Schwester versuchte, beruhigend einzuwirken und meinte:
„Die Zeitungen wieder. Es kann ein Verrückter sein oder eine ganz normale Bluttat, und die Tiere im Wald haben die Verstorbenen gewittert und …“
„Oh, bitte!“, unterbrach der Graf angewidert den Gedankengang seiner Frau.
„Was ist denn mit Ihnen, Onkel Máté? Sie sind auf einmal so blass?“, erkundigte sich Bianká.
Orsolya trat ins Zimmer ein und stellte jedem sein Pausenbrot auf den Tisch.
„Beeilung, ihr trödelt schon wieder. Was stehst du denn da rum, Ervin?“
Alle Augen waren auf den sichtlich verstört blickenden Máté gerichtet. Auch die Haushälterin schaute nun fragend auf ihn und dann in die Runde.
„Wenn es wirklich die Bestie von Wien ist, dann seid ihr alle in Gefahr“, flüsterte er betroffen.
Dominik stand auf, faltete die Zeitung zusammen, klopfte seinem Schwager auf die Schulter und äußerte sich wenig besorgt:
„Ich gebe zu, eine ungewöhnliche Schlagzeile, aber jetzt verlier nicht die Nerven. Man weiß noch gar nichts, außer, dass ein Doppelmord passiert ist. Ich mache mich kundig. Mach dir keine unnötigen Sorgen!“
Bianká streichelte ihrem Onkel tröstend über den Unterarm und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
„Papa passt schon auf uns auf, und Sie und Ervin sind doch auch noch da. Was soll uns denn da passieren?“
Máté lächelte gequält und nickte stumm. Ervin war derweil zum Stall gelaufen und bereitete die Kutsche vor. Máriska verabschiedete ihre Kinder und trieb sie an, sich fertig zu machen. Dominik lief mit seiner Frau in den Flur. An der Garderobe flüsterte er eindringlich:
„Ich stelle keine Fragen, aber dass sein Verhalten eben sehr eigentümlich war, kannst du nicht bestreiten, oder?“
Máriska half ihm, ohne Reaktion auf seine Worte, in den Mantel und richtete seinen Schal, während er sich den Zylinder anzog. Er gab seiner Frau einen Kuss und stieg dann in die Kutsche zu den Kindern.
Die Gräfin ging zurück ins Wohnzimmer und schaute auf ihren angespannten Bruder, der am Fenster stand. Sie näherte sich ihm von hinten, umfasste seine Hände und legte ihr Kinn auf seine Schulter.
„Was ist denn los?“, erklang ihre Stimme sanft fragend.
„Ich bin müde, und diese Bestie finde ich einfach nur beunruhigend. Eigentlich dachte ich, in Ungarn hätte ich Ruhe vor ihr. In Wien nervt dieses ewig wiederkehrende Thema nur.“
Mit diesen Worten drehte er sich zu seiner Schwester und umarmte sie.
„Ich würde gerne noch etwas allein sein. Wenn du nichts dagegen hast, gehe ich auf mein Zimmer und schlafe meinen Rausch aus.“
Máriska gab ihm einen Kuss und nickte.
„Du bist hier zu Hause. Du musst mich nicht fragen. Du kannst dich frei bewegen. Ich werde Orsolya in der Küche helfen, und wenn du etwas brauchst, rufst du einfach“, antwortete sie verständnisvoll und fing an, das Geschirr abzuräumen.
Máté ging auf sein Zimmer und setzte sich auf das Bett. Dann zog er seine gemalten Bilder hervor und betrachtete sie wie in Trance. Seine Hände griffen nach Papier und seinen Stiften. Vorsichtig fing er an zu malen. Sanfte Striche verknüpfte er plötzlich mit einem harschen Gekritzel. Wie von selbst entstanden dadurch skurrile Gestalten mit bösen oder angsterfüllten Augen. Wie in einem Rausch zeichnete er, um dann das Bild selbstquälerisch zu zerreißen. Erschöpft ließ er sich auf den Boden vor dem Bett gleiten.