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Die Geschäftsreise

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Die Familie saß noch beim Frühstück, als eine Kutsche in den Hof einfuhr. Überrascht stand Dominik auf und schaute aus dem Fenster.

„Erwartest du jemanden, Schwager?“

Máté schüttelte den Kopf. Der Hausherr ging Richtung Tür, da läutete es schon.

Orsolya lief aus der Küche herbei und tapste direkt hinter dem Grafen her.

„Falls du die Tür öffnen wolltest, um deine Neugierde zu stillen, musst du zukünftig schneller werden. ch bin ja bereits da, deshalb darfst du gleich wieder den Rückzug in die Küche antreten“, bemerkte der Hausherr.

Orsolya drehte sich geradewegs wieder um und schritt mit einem beleidigten „Pff“ in die Küche.

Dominik öffnete die Tür und erkannte den Kutscher. Es war der Mann, der Máté gebracht hatte. Die Mütze hatte er wieder tief in das Gesicht gezogen.

„Verzeihen Sie, Herr Graf, ich bin geschickt worden, um Herrn Márusi nach Pest-Buda zu bringen. Ein Geschäftsmann hat mich beauftragt, ihm diesen Brief zu überreichen und ihn für ein Geschäftsessen heute Abend einzuladen. Wenn Sie so nett wären, ihm den zu geben? Ich werde hier auf ihn warten.“

Máté kam schon zur Haustür geeilt und nahm den Brief hektisch an sich, bevor er Dominik überhaupt ausgehändigt werden konnte.

„Eine Einladung! Wegen schlechter oder guter Nachrichten? Ich hoffe, du verlierst gerade kein Geld“, interessierte sich Dominik.

Máriska kam ebenfalls zum Hauseingang und lächelte dem Kutscher zu, der nur verlegen nickte.

„Es ist kalt und Sie haben sicherlich einen weiten Weg hinter sich. Wollen Sie nicht reinkommen und sich etwas in der Küche aufwärmen?“

Der Kutscher schüttelte den Kopf und grummelte fast unverständlich:

„Nein, danke! Aber ich weiß Ihr Angebot zu schätzen.“

Máté winkte den Mann mit den Worten herein:

„Ich benötige Sie zum Tragen meiner Schmiedekünste. Bitte kommen Sie mit hoch und helfen Sie mir. Es wird nicht lange dauern. Ich bin gleich fertig mit Packen.“

„Was ist denn hier los?“, bemerkte Orsolya irritiert, als sie aus der Küche kam und beobachtete, wie die Männer den Hausgang hochliefen.

Ihr Blick fiel auf die Kutsche.

„Er will doch wohl nicht schon wieder abreisen?“

„Indirekt. Er will nach Pest-Buda zu einem Geschäftsessen und schmiedet wohl auch Kunstgegenstände. Immer mal etwas Neues, das sich offenbart“, antwortete Dominik kühl.

Máriska zuckte die Schultern, während sie zu der Haushälterin sah, die ebenso sichtlich enttäuscht über die Abreise war. Máté und der Kutscher trugen einen der schweren Kistenkoffer die Treppe hinunter und luden ihn auf. In Windeseile folgten der zweite große Koffer und eine Reisetasche. Beide schienen es sehr eilig zu haben und so verabschiedete sich Máté nur mit einem Winken von allen, während er sich seinen Mantel überschmiss und seinen Hut aufsetzte.

„Wann kommst du denn wieder?“

Die Stimme der Gräfin klang traurig. Er lächelte sie an.

„So schnell ich kann. Wahrscheinlich bin ich morgen Abend oder übermorgen wieder da. Manchmal kann man nicht abschätzen, wie lange wichtige Geschäftsverhandlungen dauern …“

„… oder die Feiern danach“, tat Dominik mit einem verschmitzten Lächeln kund.

„Auch das“, gab der Gast zurück.

Orsolya hatte rasch noch eine Vesper in ein Küchenhandtuch gewickelt, die aus Brot, Speck, Pogatschen und Kuchen bestand. Bevor die Kutsche über den schneebedeckten Weg davonfuhr, reichte sie Máté schnell noch das Essen durch die geöffnete Scheibe hindurch. Dann winkten alle und sahen, bis auf Dominik, betrübt hinterher.

„Ein bewegtes Leben – würde ich sagen. Wen wundert es da, wenn er keine Frau findet. Mir erscheint er sehr ruhelos. Wie eilig es plötzlich ist, wo der Termin doch erst heute Abend ist. Pest-Buda ist ja nun keine Weltreise. Jedenfalls kann er beachtlich schnell seine Sachen für ein oder zwei Tage zusammenpacken …“

Mit diesen Worten schritt Dominik wieder ins Haus zurück und widmete sich den letzten Bissen seines Frühstücks.

Der Kutscher verlangsamte die Geschwindigkeit und rief zu seinem Fahrgast:

„Ich muss einen Umweg fahren, nicht, dass wir dem Grafen noch auf unserem Weg begegnen, wenn er sich mit der Kutsche zur Arbeit fahren lässt. Der alte Gutshof liegt ungefähr zwölf Kilometer weg von dem Haus deiner Schwester, aber nach Pest-Buda geht es halt hier lang. Wir müssen sie in dem Glauben lassen, dass wir nach Esztergom fahren und von dort weiter. Halt dich fest, wir sollten uns beeilen, damit wir Zeit haben, alles vorzubereiten.“

Máté beugte sich etwas aus dem Fenster und blickte in die Augen seines Freundes András.

„Ich danke dir. Ich schaue mir das gleich mal auf den Plänen an, wo du mich unterbringen wirst.“

András jagte die Pferde über einen Umweg zu dem verlassenen Gutshof, der sich zwischen Pilismarót und Diósvölgy befand und in einem weiten Tal zwischen den Hügeln platziert war. Ein seltsam gelegener Ort in den Wäldern.

Das Ziel war nun in Sichtweite. András hoffte, dass alles so war, wie man es ihm berichtet hatte, denn selbst gesehen hatte er das alte Gebäude noch nicht. Der Gutshof wirkte bereits auf den ersten Blick sehr verfallen. Vorsichtig lenkte er die Kutsche in den Hof an einem alten Brunnen vorbei, auf dem noch die wackelige und morsche Kurbelvorrichtung zum Hochziehen der Wassereimer befestigt war. Dieser Hof war nicht nur verlassen, sondern auch einsturzgefährdet. András stoppte die Kutsche, zog die Bremse an und stieg vom Bock, während sein Freund wenig zuversichtlich aus dem Fenster sah. Er stieg aus. Das Grundstück lag in einem Talbecken mit Fernblick über die Wiesen und Felder. Hinter dem Gebäude sowie links und rechts davon begannen schon die Wälder. Sie standen nun vor einem stark verfallenen, wenn auch sehr großen Stallgebäude, das links vom Hauptgebäude platziert war. Allerdings machte auch dieser Teil keinen stabilen Eindruck. Schon von außen fiel die Aufmerksamkeit auf das seitlich aufgerissene Dach des hinteren Obergeschosses, die bröckelnden Außenwände und die abblätternden Säulen am Haupteingang. Das Haus an sich war groß mit einem Vordach und Stuckarbeiten. Aber jetzt hinterließ es einen seltsamen Eindruck. Die Männer schritten auf das baufällige Gebäude zu.

„Bist du sicher, dass dieses Haus nicht einstürzt, wenn wir da reingehen?“, erkundigte sich Máté vorsichtig, als er die paar wackeligen Stufen zum Eingang hochging und die knarrende Tür aufschob. Mit einem kurzen Quietschen brachen diese aus den Scharnieren heraus und die Tür fiel mit dumpfem Knall zu Boden. Der junge Herr verzog unzufrieden das Gesicht, während sein Freund lachte.

„Ich habe keine Ahnung. Aber das ist das einzige Gebäude hier in der Gegend, das so abgelegen ist und um das sich niemand mehr schert. Erst war es ein Gutshof, dann wurde es für Gefangenentransporte als Zwischenstopp genutzt, oder auch mal eine kurze Zeit als Gefängnis. Aber das ist auch schon lange her. Ich dachte, dass es ja dann hier etwas wie Zellen, Mauern, Gitter oder Ähnliches geben muss. Der Zeichnung und den Erzählungen nach, müsste das alles vorhanden sein. Aber lass uns ruhig mal schauen. Haben wir eine andere Wahl?“, erklärte András. Beide hoben die Tür auf und wuchteten diese irgendwie in die verrotteten Scharniere zurück. Sicherheitshalber zog Máté eine Pistole aus seinem Mantel und umgriff diese fest. Sie gingen weiter hinein. Alles wirkte gespenstisch. Überall befanden sich Staub und hereingewehte Überreste der Natur. Alte, dreckige Spinnweben hingen von der Decke und moderten mit dem Geruch des Hauses um die Wette. Die Zimmer waren im Erdgeschoss geräumig. Hier und da standen noch beschädigte Kleinmöbel herum. Durch die zugezogenen alten, zerrissenen Seitenvorhänge, war es dunkel. In einem der finsteren Räume hingen Fledermäuse am maroden Gebälk.

„Das ist ja gruselig, und es ist noch nicht mal Nacht“, flüsterte Máté.

Plötzlich krachte es laut und etwas flüchtete aus dem Haus. Erschrocken zog Máté seine Waffe hoch.

„Du hast doch keine Angst, oder?“, neckte ihn sein Begleiter.

„Das war vielleicht ein Fuchs oder ein Wolf, den wir hier in seiner Behausung gestört haben. Jedenfalls ein Tier. Was soll das nur geben, wenn du hier heute Nacht allein bleibst und gefesselt auf dem Boden liegst. Nicht, dass dann die Fledermäuse über dich wildes Tier herfallen und du vor Schreck stirbst“, stichelte er weiter.

„Ich habe nie behauptet, dass ich ein Held bin.“

András schubste ihn weiter zu einem Treppenaufgang unter dem seitlich eine Tür war.

„Wir müssen in den Keller. Je tiefer, desto besser. Die Wohnräume scheinen mir nicht geeignet, da fallen wir höchstens noch durch die maroden Fußböden.“ Der langjährige Freund zweifelte langsam an seiner Entscheidung, dieses Gebäude ausgewählt zu haben. Die Kellertür war immerhin aus Eisen und wirkte extrem stabil. Sie ließ sich nur schwer bewegen und so zogen beide Männer mit aller Kraft, bis sie einen ausreichenden Spalt zum Durchgehen geöffnet hatten. Dahinter lag die reinste Finsternis. Im einfallenden Licht erkannte man einen steinigen Gang, der nach unten führte.

„Ohne Lampe geht das nicht. Komm, wir holen zwei Fackeln von der Kutsche. Wir dürfen keine Zeit verlieren. Es gibt gar keine andere Chance für heute Nacht als dieses Gebäude“, beschloss Máté.

Sie eilten zurück zu ihrem Gefährt und nahmen eine Fackel sowie eine Petroleumlampe mit. Dann wagten sie sich erneut in den Gang.

„Irgendwas stimmt mit dem Plan nicht“, bemerkte András und grübelte laut weiter:

„Vielleicht ist er zu alt und nicht erneuert worden? Eigentlich müsste hier eine Tür kommen und keine Abbiegung. Wir gehen hier weiter. Man hatte mir versichert, dass es so etwas wie einen Keller oder ein Verlies gibt. Komm!“

Von dem nach unten führenden, gemauerten Gang verliefen am Ende einige Stufen links steil hoch zu einem kleinen Vorsprung mit einer weiteren Eisentür. Sie öffneten diese und traten in einen hallenartigen Keller, dessen Wände aus großen Steinen gemauert waren. Mitten im Raum waren drei Gitterzellen eingelassen, die nebeneinander an der Rückwand des Raums befestigt waren. Die Stäbe reichten nicht ganz bis zur Decke, sondern waren am Ende wie Pfeilspitzen geformt. Die Raumhöhe betrug mindestens acht Meter in diesem Gemäuer. Das Dach schien dicht und die Balken zumindest hier einigermaßen stabil. Von Zelle zu Zelle waren es ungefähr zwei Meter Abstand und bis zur vorderen Wand vier Meter. In dieser befand sich links eine weitere Tür und daneben ein vergittertes kleines Fenster.

„Das ist wohl der Keller, in dem die Gefangenen auf ihren Weitertransport gewartet haben“, stellte der junge Herr nachdenklich fest.

András zeigte auf die Halterungen in der Wand. In den Zellen waren eingelassene Verankerungen, an denen teilweise noch abgeschlagene Ketten hingen.

„Halt mal!“

András drückte seinem Kumpel die Fackel in die Hand und prüfte die Festigkeit der Halterungen und Gitterstäbe, indem er daran rüttelte.

„Das ist perfekt! Sie sind zwar stark verrostet, aber die halten noch. Und hier haben wir Vorrichtungen für Fackeln. Wir können es hier hell machen, wenn wir alles vorbereiten. Das könnte klappen“, murmelte er zuversichtlich.

Máté konnte diese Zuversicht noch nicht teilen. Ihm war der Platz hier nicht geheuer. Zudem entdeckte er noch etwas.

„Schau mal da! Das ist doch sowas wie eine Streckbank an der Wand oder das hier. Das ist eine Nagelrolle. Die haben hier gefoltert.“

András lachte.

„Das wäre doch mal was Neues. Ich binde dich heute Nacht auf die alte Streckbank. Das haben wir noch nie probiert.“

In diesem Moment knarrte die Tür neben dem Fenster. Ein leichter Windhauch fuhr durch den Keller, der beide zusammenzucken ließ.

„So, jetzt reicht es mir. Ich möchte wieder an das Tageslicht. Unbehaglich und schauerlich ist es hier.“

„Alles mit Physik zu erklären“, versuchte sein Gefährte, zu überzeugen.

„Da pfeife ich drauf“, nörgelte sein Freund undeutlich und schlich an die Tür, die sich zuvor bewegt hatte.

„Du bist ein richtiger Angsthase!“

Máté empörte sich:

„Das hat nix mit Angsthase zu tun, sondern mit einem seltsamen Ort und einer waghalsigen Idee. Aber so ist es jetzt nun mal.“

Vorsichtig öffnete er sie und schaute unverhofft in einen leeren Raum. Es musste sich um den Vorraum des Stalls handeln, der sich neben dem Gutshaus befand.

„Zwei Eingänge. Das ist genial. Ein unterirdischer Gang vom Gutshaus in die umgebaute Stallung und das ist hier der Vorraum. Deshalb die Runter- und Hochlauferei. Komm, schau! Wir schließen den Eingang, der direkt rüber zum Gutshaus führt und nehmen diesen hier durch die Stallung. Über das kleine Gitterfenster zwischen den Räumen kann ich dich vielleicht sogar im Auge behalten“, rief András.

Im Vorraum war es durch die beiden kaputten Fenster hell, und so fühlte sich Máté doch wieder um einiges wohler, als er dort seinen Fuß hineinsetzte.

Der Schatten des Werwolfs

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