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Gefühle kommen von Herzen Kleine Kultur- und Medizingeschichte

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Nicht im Kopf sondern im Herzen liegt der Anfang.

Maxim Gorki


Kein anderes Organ des Menschen ist im Laufe der Kultur- und Medizingeschichte mit so vielen Mythen und Geschichten bedacht worden wie das Herz.

So vertrat in der griechischen Antike der Philosoph Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) die Lehre, das Herz sei der Sitz der Seele [16] und kam damit dem späteren Glauben der Christen sehr nahe. Im Herzen des Mannes würde gar das Sperma gebildet, das sich im Mutterleib zu einem neuen Herzen entwickle und aus dem heraus ein neuer Mensch entstünde. Dem Gehirn maß Aristoteles dagegen nur die Bedeutung eines Kühlapparats mit vielen Windungen zu. Ein Jahrhundert später verkündete der griechische Vater der Heilkunde Hippokrates (460 – 377 v. Chr.), der Mensch denke nicht mit dem Herzen sondern mit dem Gehirn. Eine These, die sich erst im 2. Jahrhundert n. Chr. dank des römischen Arzt Galenos (129 – 199) durchsetzte.

Aber leider gibt es keinen wissenschaftlichen Fortschritt ohne Rückschritt: Im Mittelalter dominierte wieder die alte aristotelische Theorie vom Herzen als Sitz der Gefühle.

Im alten Ägypten dagegen sah man das Herz vor allem als Denk-Organ an, als Sitz der Vernunft und des Gedächtnisses. Ein herzloser Mensch galt als ein verstandesarmer Mensch. Wenn ein ägyptischer Lehrer seinen Schüler zum Auswendiglernen aufforderte, so sagte er: Gib die Schriften in dein Herz . Also learn by heart wie es bis heute im Englischen heißt. Die wichtigste Rolle spielte das Herz bei den Ägyptern erst im Jenseits [17] , denn sie stellten sich das Herz als ein Gefäß vor, in dem sich im Laufe des Lebens die Sünden ansammelten. Da das Herz beim Totengericht auf einer Waage gegen die Gerechtigkeit aufgewogen wurde, war ein leichtes also sündenfreies Herz erstrebenswert. Mein Herz ist schwer ist uns heute noch eine geläufige Redewendung. Bei der Mumifizierung beließen die Ägypter das für sie so bedeutsame Organ im Körper oder setzten ein nachgeahmtes Herz ein. Auch fürchteten sie, dass das Herz in der Unterwelt gestohlen werden oder vor dem Göttergericht scheitern könne. Man vermutet, dass daher viele ägyptische Mumien zum Schutz ein Herzskarabäus in der Brust haben. Unter den sieben Seelen, die jeder Ägypter besaß, gab es die sogenannte Herz-Seele, die das Kind von der Mutter erbte. Denn das Leben des Kindes entstünde – so glaubten die Ägypter – wenn das Menstruationsblut vom Herzen der Mutter in ihren Unterleib hinabfließe. Dieser ägyptische Mythos – vom Mutterherz als Quelle des Lebens – lebt bis heute in vielen Redewendungen weiter: Von einer Schwangeren sagen wir, sie trüge ihr Kind unter dem Herzen ; so manche Mutter sieht ihr Kind als mein Herzblut an.

In Altmexiko entwickelte sich aus kultischen Tierherzopfern die spätere Massentötung von Kriegsgefangenen und Sklaven bei den Azteken . Das in sakraler Feier lebendig ausgerissene (!) menschliche Herz opferten sie ihrem Gott, der Sonne. Denn sie glaubten, dass die Sonne während ihrer Reise durch das All ihre Kraft verlöre und zum Skelett abgemagert dringend frisches Blut brauche, um am Leben zu bleiben. „Die Götter hungern!“, so trieben die Priester ihre Krieger an, das Herzblut der Gefangenen träuften sie auf die Lippen ihrer Kultstatuen.

Der blutige Brauch, den Gegnern das Herz aus dem Leib zu reißen und es zu verspeisen, war in vielen Kulturen weit verbreitet, ­in Afrika sogar bis ins letzte Jahrhundert. So zermahlten z. B. die Priester vom Stamme der Yoruba die getrockneten Feindes-Herzen zu einem Pulver, das mit Rum getrunken Kraft verleihen sollte. Die Herzen der Weißen z. B. der Kolonialherren waren aufgrund ihrer Herz-Tugenden wie Kampfgeist und Klugheit besonders begehrt.

Die Herzverspeisung war nicht nur im alten Mexiko oder in Afrika Sitte. In aller Welt stärkten sich Möchtegern-Helden mit den Herzen von Löwen, Bären oder Raubvögeln. In Italien verspeisten gar einige Blutrache übende Sippen bis ins späte 17. Jahrhundert die Herzen ihrer Opfer. Unter dem kriegerischen Adel des Mittelalters entstand die Sitte der Teilbestattungen von Weichteilen; so ließen sich die Leichen der Gefallenen bequemer überführen. Daraus entwickelte sich vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert der Brauch, die Herzen der Toten an geheiligten Stätten aufzubewahren so z. B. in Val-de-Grace die Herzen der französischen Könige oder in Altötting die Herzen der bayerischen Herzöge. Die Herzen Kaiser Ferdinands III. und seiner Gemahlin wurden auf deren Geheiß nach dem Tod in Metall-Kapseln an die Wand des Grazer Domes gekettet – als Symbol der Verbundenheit mit Gott. Die Habsburger ließen von 1657 bis 1878 sämtliche Herzen der königlichen Familie in der Herz-Gruft der Wiener Augustinerkirche beisetzen. Seit der hochmittelalterlichen Mystik entwickelte sich eine christliche Herzsymbolik: Das Herz Jesu [18] als Sinnbild seiner Liebe zum Menschen. Erst 1765 gab der Klerus diesem Kult in Frankreich seinen Segen und überall in der katholischen Welt wurden Herz-Jesu-Kirchen errichtet. Auch im profanen Bereich entwickelte sich eine Herzsymbolik von Amuletten bis hin zu Festtagsgebäcken in Herzform.

Einen strengen Leib-Seele-Dualismus lehrte der führende Philosoph des 17. Jahrhunderts Réné Descartes (1596 – 1650). Er hielt Gefühle in der Herzgegend für bloße Täuschung. Stattdessen vermutete er den Sitz der Seele in der Zirbeldrüse (Epiphyse), einem haselnussgroßen Anhang am Zwischenhirn.

Eine wahre Herzensblüte erlebte die deutsche Literatur in der Sturm und Drang Epoche [19] (1765 – 1790). Empfindsamkeit wurde zum Kult; so verwendete der junge J. W. von Goethe (1749 – 1832) in seinen Werken ca.1000 verschiedene Wendungen für das Herz.

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts fiel das Herz immer mehr in die Zuständigkeit der Trivial-Literaten. Es wurde das meistbesungenste Organ in Schlagern ( Dein ist mein ganzes Herz ), in Volks- und Kinderlieder. Bis heute steht es im Mittelpunkt vieler Märchen ( Prinz Eisenherz oder Das kalte Herz von Wilhelm Hauff [20] ) und Redewendungen:

 das Herz am rechten Fleck haben

 etwas nicht übers Herz bringen

 jemanden in sein Herz schließen

 etwas auf dem Herzen haben

Die Medizingeschichte des Herzens hat ihre frühesten Wurzeln in den tradionellen Heilmethoden Asiens. Die ältesten und heiligsten Schriften Indiens – die Veden – lehren, dass der Herr des Alls im Herzen wohne. Der Begriff Vedas (Plural: Veden ) bedeutet Wissen als das gemeinsame Erbe der Menschheit seit Schöpfungsbeginn. Ayurveda ist ein Teil dieser Wissenschaft und bezieht sich auf das Wissen vom Erhalt des Lebens und der Gesundheit.

Aus der alten spirituellen Tradition Indiens stammt die Vorstellung vom Herzchakra als eines von sieben Haupt- und unzähligen Nebenchakren. Das Sanskrit-Wort für Herzchakra lautet Karuna , was Mitgefühl und Verständnis bedeutet. Nach den östlichen Weisheitslehren ist das Herz der Sitz des Bewusstseins, das sowohl die körperlichen als auch die geistigen Funktionen steuert und uns mit dem Universum verbindet.

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