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Gefühle und Gedächtnis

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Warum erinnern wir uns so gut an den Duft der Weihnachtsplätzchen unserer Kindheit oder an die Farben der Felder an denen wir vorbeiliefen und an die damit einhergehenden Gefühle der Geborgenheit oder der Freiheit? Viele unserer frühen Erinnerungen gehen auf die Zeit zurück, als das lymbische System heranreifte und unsere sensorischen, motorischen und emotionalen Erfahrungen miteinander verband. Auch im Erwachsenenalltag ist uns die Einheit von Fühlen und Behalten wohl bekannt: Den Vortrag eines langweiligen Redners, der wenig Gefühle in uns auslöst, behalten wir schlechter als die Botschaften eines witzig Vortragenden.

Die aktuellen Untersuchungen [46] über den Einfluss von Gefühlen auf das Gedächtnis bestätigen unsere Alltagserfahrung: Die Erinnerung an Dinge ist umso besser, je intensiver sie von Gefühlszuständen begleitet werden. Ein Beispiel: Viele von uns wissen noch genau, was sie am 11. September 2001 nachmittags getan haben, aber nicht was sie am 11. März oder 11. Dezember taten. Wenn Emotionen im Spiel sind, dann ist der Speicherungseffekt höher. Eine Arbeitsgruppe des Neurologen Manfred Spitzer [47] untersuchte die Erinnerungsleistung von Versuchspersonen, wenn man ihnen neutrale, negative oder positive Wörter zeigt. Das Ergebnis war eindeutig: „So wurden diejenigen Wörter am besten erinnert, die in einem positiven emotionalen Kontext eingespeichert wurden.“ Zahlreiche Untersuchungen [48] belegen diesen engen Zusammenhang von Emotion und Kognition, von Fühlen und Behalten.

Aber jede Regel kennt auch Ausnahmen:

 Sind die Emotionen zu stark, dann können sie die Erinnerung behindern oder die Gedächtnisinhalte auslöschen. Diesen Vorgang bezeichnen Neurologen als emotional bedingte Amnesie und Psychoanalytiker als Verdrängung.

 Der verstärkende Effekt von Emotionen gilt nur bei einem mittelfristigen Abruf d. h. nach mindestens zwei Minuten und länger. Ruft man eine Gedächtnisleistung vor Ablauf dieser zwei Minuten ab, so wirken die Gefühle eher hemmend.

 Positive Inhalte werden besser erinnert als negative. Angst und Depressionen blockieren das Gedächtnis.

 Gefühle unterstützen vor allem episodisch-autobiografische Gedächtnisinhalte und weniger das Faktenwissen. Wir behalten emotional gefärbte Erlebnisse besser als neutrale. Der erste Schultag, die große Liebe oder der Tod eines Freundes prägen sich uns tiefer ein als jede Mathe-Formel.

Die biologische Grundlage unserer Fühl-, Denk- und Handlungssysteme bildet die Plastizität des Gehirns. Das heißt, das neuronale Netzwerk modifiziert sich ständig und seine Schaltkreise arbeiten um so enger zusammen, je häufiger sie aktiviert werden. Ergebnis und Ausdruck dieses komplexen Netzwerkes sind unsere Gefühle und Erinnerungen, die wiederum unser körperliches Wohlergehen beeinflussen. Emotionen sind demnach nichts anderes als die Quintessenz unserer Lebenserfahrungen – im Körper niedergeschlagen. Wenn wir auf Stress mit Magengeschwüren, bei Verlegenheit mit rotem Kopf oder bei Angst mit verkrampften Nackenmuskeln reagieren, dann zeigt sich darin die Komplexität unseres Organismus. Selbst unsere Augen reagieren auf Gefühle: Bei Bewunderung, Zuneigung oder Zärtlichkeit weiten sich die Pupillen und machen uns attraktiver. Das heißt: Gefühle gehen den Weg vom Geist/Gehirn zum Körper und zurück zum Geist/Gehirn. Jedes Mal, wenn der Mensch eine Entscheidung fällen muss, basiert diese nicht nur auf intellektuellen Kalkulationen, sondern auch auf den unbewussten Informationen aus dem gigantischen Katalog von gespeicherten Emotionen und Körperreaktionen.

Auf dieses Zusammenwirken beruft sich der Neurobiologe Gerald Hüther [49] von der Universität Göttingen, wenn er an uns Pädagogen appelliert:

„Wer Sicherheit bietende Beziehungs- und Orientierungsangebote als Kuschelpädagogik bezeichnet, hat nicht begriffen, worum es geht! Kinder brauchen Geborgenheit und emotionale Sicherheit, damit sie das hochkomplexe Verschaltungsmuster in ihrem frontalen Kortex auch ausbilden können. Druck und psychische Belastung verhindern ebenso wie Mangel an Anregungen und an geeigneten Vorbildern, dass diese hochkomplexen Aktivierungsmuster im Frontalhirn geknüpft und stabilisiert werden. Im Gegenteil, unter Druck schaltet das Gehirn zurück auf einfachere, ältere Nutzungsmuster.“

Was Pädagogen beherzigen sollten

 Gefühle und Denken schließen sich nicht aus. Alle von den Sinnesorganen einlaufenden Informationen werden emotional gefärbt und bewertet. Jede Information löst auch Gefühle aus! Erst unsere Fähigkeit, Erfahrungen emotional markieren zu können, macht vernünftiges Denken möglich!

 Das Gedächtnis speichert nicht nur den sachlichen Teil einer Information, sondern auch ihre emotionale Markierung. So kann es leicht zu dem kommen, was Psychologen Generalisierung nennen z. B.: Schon der bloße Anblick eines Lehrers, mit dem der Schüler bereits schlechte Erfahrungen gemacht hat, ruft sein gespeichertes Angstgefühl mit allen körperlichen Begleiterscheinungen hervor.

 Emotionen wirken als Verstärker jeder neuen Information: Ereignisse und Fakten, die mit starken Gefühlen besetzt sind, speichern wir besser ab. Und alles, was mit positiven Gefühlen verbunden ist, speichern wir besonders gut ab.

 Für optimales Lernen gilt es also negative Gefühle zu vermeiden und den positiven viel Raum zu geben. Und wenn mal was schief geht, dann sollten wir das Kind ermutigen „Das ist nicht schlimm. Wir alle machen Fehler. Versuch’s einfach noch einmal!“ So erhält das Kind die faire Chance, das positive Erlebnis und nicht die beschämende Situation abzuspeichern.

 Alle Pädagogen, die verstanden haben, welch große Bedeutung der Mandelkern für den Lernprozess hat, sollten spätestens jetzt Sätze wie „Das hast du ja noch nie gekonnt“ oder „Was war schon anderes von dir zu erwarten“ aus ihrem Repertoire streichen!

 Extrem starker oder gar chronischer Stress wirken sich nachteilig auf das Gedächtnis aus. Stresshormone reduzieren die Glukoseaufnahme und damit die verfügbare Energie im Gehirn.

 Angst ist mit Kortisol liiert , ein Botenstoff, der unser Erinnerungs- und Lernvermögen stark einschränkt.

 Lust macht schlau: Dopamin ist der Stoff, der uns antreibt, ohne den wir unfähig wären, zu lernen. Erstens: Dopamin weckt auf, es macht uns auf Neues und besonders Interessantes aufmerksam. Zweitens fördert es das Lernen, es ermuntert das Gedächtnis sich gute Erfahrungen einzuprägen. Unter seinem Einfluss denken und reagieren wir schneller, bilden leichter Assoziationen und sind kreativer. Kinder, die sich wohl fühlen und lachen dürfen, lernen besser!

 Das traditionelle Schulsystem beachtet die Einheit von Gefühl und Lernen zu wenig! Das Lernen mit allen Sinnen, mit Kopf, Herz und Hand [50] und vor allem das Lachen kommen zu kurz! „Was fehlt bei allen unseren pädagogischen Bemühungen? Das fühlende Gehirn!“ [51]

Das Gehirn in Zahlen – Ein Steckbrief

Geschichte: 500 Millionen Jahre Evolution vom einfachen Nervensystem der Qualle bis zum menschlichen Hirn

Gewicht: durchschnittlich 1,3 Kilogramm, also etwa 2-3 % unseres Körpergewichts

Energieverbrauch: 20 % unseres gesamten Energiehaushalts

Großhirn (Cortex) besteht aus insgesamt 6 Schichten und hätte ausgebreitet:

 bei einer Ratte die Größe einer Briefmarke

 bei einem Schimpansen die Größe eines DIN-A4-Blattes

 beim Menschen die Größe von vier DIN-A4-Blättern

Großhirnrinde: 2 Millimeter dick, hat 50 bis 100 separate Funktionsbereiche

Neuronen: rund 100 Milliarden Gehirnneuronen in 50 verschiedenen Grundformen.

Im Gehirn des Embryos teilen sie sich sehr oft und in Höchstgeschwindigkeit: In einer Minute können 250.000 Neuronen entstehen! Jedes Neuron verfügt über 1.000 Kontaktstellen, einige Neuronen in der Großhirnrinde sogar über bis zu 200.000 Synapsen. Die Gesamtzahl aller möglichen Verbindungen im Neuronennetzwerk ist größer als die Zahl aller Atome in dem uns bisher bekannten Universum.

Gliazellen: Sie gehören nicht zu den Neuronen, sind aber im Gehirn zehnmal mehr vertreten als Nervenzellen. Das griech. Wort glia bedeutet Leim . Gliazellen funktionieren

Entwicklung: Bei der Geburt befinden sich die meisten Neuronen an ihrem richtigen Bestimmungsort im Gehirn. Hier beginnt Schritt für Schritt der synaptische Kontakt zu den Nachbarneuronen. Von nun an spiegelt sich jede kleine Veränderung im Alltag und in der Umwelt in der Veränderung des neuronalen Netzwerkes wieder. Dabei gilt die Regel: Use it or loose it (gebrauch’s oder verlier’s), also wenig genutzte neuronale Verbindungen verblassen und oft verwendete verstärken sich. Diese Plastizität des Gehirns gilt bis ins hohe Alter.

Das Schatzbuch der Herzensbildung - eBook

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