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[23]2 Systematische Theologie – Ein geschichtlicher Grundriss 2.1 Die Anfänge der christlichen Theologie in der Antike
ОглавлениеDie ersten Theologen des Christentums sind, auch wenn sie den Begriff Theologie nicht verwendet haben, die neutestamentlichen Autoren. Ihre unterschiedlichen Darstellungen von Geschichte und Wirken Jesu im Neuen Testament haben einen theologischen Charakter. Die Verfasser der Evangelien sind nicht an einem historischen Bericht interessiert. Ihre Deutungen und Erzählungen des Mannes aus Nazareth sind eher, wie man es genannt hat, „Gemeindedogmatik“ (William WredeWrede, William [1859–1906]). Es sind Bilder von Jesus, die aus der Perspektive des nachösterlichen Glaubens an den auferstandenen Christus in diversen christlichen Milieus entworfen wurden. Dabei betreiben die neutestamentlichen Autoren Schriftauslegung. Die griechische Übersetzung des Alten Testaments, die *Septuaginta, bietet ihnen den Rahmen sowie die Vorstellungswelt, in dem die Geschichte des Nazareners verstanden und geschrieben wird. Die frühen Christen, die selbst Juden waren, stellten das Wirken Jesu als Erfüllung der alttestamentlichen Verheißungen von einem erwarteten MessiasMessias und dem Anbruch eines ewigen Friedensreiches dar.
Die Überlieferungen von Jesus ChristusÜberlieferungen von Jesus Christus sind von Anfang an sehr vielfältig und heterogen. Neben den vier Evangelien, von denen jedes eine sehr eigene Sicht auf Leben und Wirken des Nazareners wirft, kursierten zahllose andere Überlieferungen wie das sogenannte Thomas-Evangelium, die nicht in den neutestamentlichen Kanon aufgenommen wurden. Das kann auch gar nicht anders sein. Religion existiert stets in der Spannung von geschichtlicher Abhängigkeit von religiösen Traditionen und deren Transformation. Auf diese Weise entstehen in dem religionskulturellen Horizont des antiken JudentumsJudentum höchst diverse Narrative. Durch sie vergewissern sich die Gruppierungen im frühen Christentum ihrer eigenen Identität. Mit der Festlegung des [24]biblischen Kanons im vierten Jahrhundert wird ein bestimmter Umfang von Texten als normativ verbindlich definiert (vgl. unten 4.2.2). Die Varianz der Jesusüberlieferung wurde dadurch reguliert.
Durch die Etablierung des biblischen KanonsKanon von Altem und Neuem Testament kommt es also zur Unterscheidung von kanonischen und *apokryphen Evangelien. Auch die Differenz von OrthodoxieOrthodoxie und HäresieHäresie entsteht allein durch solche Selektionsleistungen. Der Kanon hat somit eine identitätsbildende Funktion für das frühe Christentum. Die Pluralität der Theologien des frühen Christentums hat sich freilich auch in dem neutestamentlichen Kanon noch erhalten. Die vier Evangelien präsentieren sehr unterschiedliche theologische Deutungen der Geschichte Jesu. Daneben steht die Briefliteratur. In ihr verdichten sich, wie in den Briefen des ApostelsApostel Paulus und seiner Schule, theologische Reflexionen auf den Gehalt des Wirkens des Nazareners. Im Fokus der religiösen Theologie des Völkerapostels stehen der Glaube und die GerechtigkeitGerechtigkeitGottesGerechtigkeit Gottes. Das Neue Testament enthält unterschiedliche theologische Konzeptionen, die sich nicht harmonisieren lassen. Es bietet identitätsbildende religiöse Narrative, aber keine expliziten theologischen Lehren von Gott, Christus oder dem Geist.
Literatur
Jan Assmann: Religion und kulturelles Gedächtnis. Zehn Studien, München 22004.
Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1992.
Jörg Lauster: Religion als Lebensdeutung: Theologische Hermeneutik heute, Darmstadt 2005.
Gerd Theißen: Die Religion der ersten Christen. Eine Geschichte des Urchristentums, Gütersloh 2000.
William Wrede: Das Messiasgeheimnis in den Evangelien. Zugleich ein Beitrag zum Verständnis des Markusevangeliums, Göttingen 190141969.
Aufgaben
1 Informieren Sie sich in einer Einleitung in das Neue Testament über den unterschiedlichen Charakter der Evangelien.
2 Lesen Sie Jan Assmanns Studien zur Kanonbildung.