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1.2 Wozu Systematische Theologie?

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Wer ein Studium der evangelischen Theologie beginnt und sich mit seinem Studienplan vertraut macht, sieht sich mit einem Fach konfrontiert, welches sich Systematische Theologie nennt. Was verbirgt sich hinter dieser eigentümlichen Fachbezeichnung, und wozu studiert man ein solches Fach? Informiert sich der Studienanfänger in einschlägigen Lexika, so wird er bald feststellen, dass es sehr verschiedene Auskünfte darüber gibt, womit er es in dieser akademischen Disziplin zu tun bekommt. Jeder systematische Theologe scheint ein eigenes Verständnis seines Fachs zu haben. Aber nicht nur das. Systematische Theologie begegnet [3]einmal als Sammelbezeichnung für eine theologische Disziplin und zum anderen als Titel von Büchern. Im letzteren Fall meint der Begriff so viel wie Darstellung der christlichen Lehre und entspricht Bezeichnungen wie Dogmatik oder GlaubenslehreGlaubenslehre.

Die Systematische Theologie gehört zu dem Fächerkanon des akademischen Studiums der protestantischen TheologieTheologieevangelische, protestantische, wie er sich in der Moderne herausgebildet hat. Entstanden ist die Disziplin im Zusammenhang mit der Ausdifferenzierung der Wissenschaften um 1800 in der sogenannten *Sattelzeit der ModerneSattelzeit der Moderne. Seit dem fasste man an den evangelisch-theologischen Fakultäten eine Reihe von Einzeldisziplinen wie Religionsphilosophie, Dogmatik, EthikEthik u.a. unter der Bezeichnung zusammen. An katholisch-theologischen Fakultäten hingegen hat sich keine solche fächerzusammenfassende Disziplin etabliert. In der Regel werden hier FundamentaltheologieFundamentaltheologie, Dogmatik, MoraltheologieTheologieMoral-, SozialethikEthikSozial- u.a. als eigenständige Fächer gelehrt.

Womit beschäftigt sich die Systematische Theologie, und wozu ist sie für die theologische Ausbildung von LehramtsLehramt- und Pfarramtsstudierenden nötig? Sie thematisiert Religion, genauer gesagt, die christliche. Aber reicht dazu nicht eine Auseinandersetzung mit der Bibel in Form von biblischen Wissenschaften aus? Die biblischen Schriften sind ohne Frage die maßgeblichen Dokumente der christlichen ReligionReligionchristliche und ihrer diversen KonfessionsfamilienKonfessionsfamilien, Konfessionsparteien. In ihnen steht allerdings bekanntlich sehr viel, und selbst der Teufel beruft sich auf sie (vgl. Lk 4,1–13). Auch wem es um eine strenge Ausrichtung an der Bibel zu tun ist, der kommt nicht umhin, bestimmte Aussagen und Leitgesichtspunkte auszuwählen. Hierzu bedarf es eines Kriteriums. Dessen Bestimmung setzt Überlegungen voraus, die über den biblischen Text hinausgehen. Der Leser der Bibel und seine eigene Zeit gehören also irgendwie zu ihr hinzu. Ihr Verständnis ändert sich ebenso wie sich die Schwerpunkte der Lektüre verschieben. Für Kriterien der Bibellektüre haben sich in der Geschichte des Christentums sehr unterschiedliche Bezeichnungen eingebürgert. Man spricht von einer ‚Mitte der SchriftMitte der Schrift‘, von dem, ‚was Christum treibet‘ oder von dem ‚Wesen des ChristentumsWesen des Christentums‘. Nun wird man vielleicht einwenden wollen, wo hier das Problem liegt. Das Christliche bemisst sich aus seinem Bezug auf Jesus Christus, und das steht doch alles in der Bibel. Allein, wie ist Jesus Christus selbst zu verstehen? Hierauf gibt es sehr unterschiedliche Antworten, und es wird schnell klar, [4]dass die Frage nach dem wesentlich Christlichen von jeder Zeit neu zu beantworten ist. Darin besteht die Aufgabe der Systematischen Theologie. Sie fragt nach der Identität des christlichen Glaubens in der Spannung von Geschichte und eigener Gegenwart.

Die Systematische Theologie thematisiert die christliche ReligionReligionchristliche. Sie ist eine wissenschaftliche Disziplin und als solche von der Religion unterschieden. Seit der europäischen AufklärungAufklärung unterscheiden protestantische Theologen zwischen Theologie und ReligionTheologie und Religion.

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Unterscheidung von Theologie und Religion:

Die Unterscheidung von Theologie und Religion geht auf den Hallenser Theologen Johann Salomo SemlerSemler, Johann Salomo (1725–1791) zurück, und sie hängt zusammen mit der Etablierung von Fachwissenschaften am Ende des 18. Jahrhunderts. Die Theologie wird nun als eine professionelle Fachwissenschaft verstanden, die bestimmte Kenntnisse und Fähigkeiten voraussetzt und das alte, von Martin LutherLuther, Martin (1483–1546) geprägte Verständnis als oratio, meditatio, tentatio (beten, meditieren und anfechten) ersetzt. Dabei versteht Semler die Theologie und das von ihr ausgearbeitete Lehrsystem als geschichtlich wandelbar und partikular. Universal und zeitlos gültig ist hingegen die Religion. Unterschieden wird in der Theologie zwischen ihr und der Religion. Dadurch soll diese von einer theologischen Bevormundung befreit werden.

Mit der genannten Unterscheidung ist freilich ein Folgeproblem verbunden. Wie verhalten sich beide Größen zueinander? Sind beide das Gleiche, oder weiß die Theologie mehr als die Religion? Klärt jene den religiösen Menschen darüber auf, was er tut, wenn er glaubt? Nun betrachtet die Theologie als akademische Disziplin, die bestimmte Kenntnisse wie die der alten Sprachen, der Religionsgeschichte etc. voraussetzt, die religiösen Inhalte in der Tat im Kontext ihrer Geschichte. Insofern beschreibt sie das Gewordensein von religiösen Vorstellungsgehalten, indem sie zeigt, wo diese ihre geschichtliche Wurzel haben und wie sie entstanden sind. Dadurch wirkt die Theologie in allen ihren Einzeldisziplinen aufklärend auf die Religion. Gleichwohl wäre es fatal, wenn man der Theologie ein ‚höheres‘ Wissen zusprechen wollte als dem religiösen Menschen selbst. Würde man dann doch unterstellen, dem Glaubenden bleibt sein Glaube selbst unverständlich. Vielmehr ist dieser selbst schon als Erkenntnis zu verstehen, und die Systema[5]tische Theologie hat die Aufgabe, die Erkenntnis, welche die Religion selbst schon ist, darzustellen.

Die Systematische Theologie beschreibt Religion aus der Perspektive ihres Vollzugs. Sie hat folglich die Sichtweise der Teilnehmer einzunehmen. Da sie allerdings von der Religion unterschieden ist, kann sie deren Vollzug nur konstruieren. Sie arbeitet eine Deutung der ReligionDeutung der Religion aus der Perspektive der Glaubenden aus. Das gilt freilich auch für andere mit Religion befasste akademische Disziplinen wie ReligionswissenschaftReligionswissenschaft, EthnologieEthnologie, ReligionssoziologieSoziologieReligions- etc. Sie alle können Religion nur beschreiben und nicht selbst an deren Stelle treten oder einen besseren Zugang zu ihr für sich reklamieren. Die Systematische Theologie tut dies in einer Teilnehmerperspektive, die sie freilich methodisch reflektiert.

Fasst man die vorgestellten Überlegungen zusammen, dann kann man sagen, die Aufgabe der Systematischen Theologiedie Aufgabe der Systematischen Theologie besteht in der SelbstdarstellungSelbstdarstellung der christlichen ReligionReligionchristliche mit wissenschaftlichen Mitteln. Das Fachgebiet, mit dem Studierende der Theologie im Laufe ihres Studiums zu tun haben werden, widmet sich der wissenschaftlichen Kommunikation von Religion, indem es den religiösen Vollzug und dessen symbolische Darstellungsymbolische Darstellung in einem systematischen Zusammenhang erörtert. Die genannte Aufgabe leistet die Systematische Theologie in vier Kontexten: zunächst im Hinblick auf religiöse Gemeinschaften. Im Bereich des Christentums handelt es sich hier um die Kirchen. Sodann kommuniziert sie Religion im Kontext der Gesellschaft und schließlich im System der Wissenschaften sowie im Horizont der Theologie.

Literatur

Ingolf U. Dalferth: Kombinatorische Theologie. Probleme theologischer Rationalität, Freiburg i. Br./Basel/Wien 1991.

Wilfried Härle: Dogmatik, Berlin/New York 22000, S. 3–45.

Christoph Schwöbel: Art.: Systematische Theologie, in: Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. 7, Tübingen 2004, Sp. 2011–2018.

Konrad Stock: Einleitung in die Systematische Theologie, Berlin/New York 2011, S. 47–50.

Johann Salomo SemlerSemler, Johann Salomo: Versuch einer nähern Anleitung zu nützlichem Fleisse in der ganzen Gottesgelersamkeit für angehende Studiosos Theologiae, Halle 1757. ND Waltrop 2001.

[6]Aufgaben

1 Lesen Sie den Artikel von Christoph Schwöbel über Systematische TheologieTheologie.

2 Informieren Sie sich in einer neueren Dogmatik über das Verständnis der Systematischen Theologie.

3 Schreiben Sie einen Essay zu der Frage, was Systematische Theologie ist und womit sie sich beschäftigt.

Systematische Theologie

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